215
Siehe, da eilte herab von der Burg des Palastes Gesinde,
Freute sich sehr, ihn wiederzusehn, und hielt ihm das Streitross,
Bis der preisliche Held dem hohen Sattel entstiegen,
Richtet die Frage an ihn,1 ob günstig die Sache verlaufen.
Wenig erzählte er nur, denn müde war er, und trat dann
220
Ein in die Burg und eilte darauf zum Gemache des Königs.
Aber er fand auf dem Wege die einsam sitzende Hildgund
Und er sagte zu ihr nach süssem Kuss und Umarmung:
“Bringe mir schnell zu trinken, denn müde bin ich und durstig.”
Eilig füllte mit Wein sie drauf den köstlichen Becher,
225
Reichte dem Helden ihn dar, der fromm ihn bekreuzte und annahm
Und mit der Hand darauf die Rechte der Jungfrau umfasste.
Schweigend stand sie dabei und sah dem Manne ins Antlitz.
Und es reichte ihr Walter sodann das geleerte Gefäss hin;
Wohl war beiden bekannt, dass einst sie verlobt mit einander.
230
Und er sprach zu der teueren Maid mit folgenden Worten:
“Lange erdulden zusammen wir schon das Los der Verbannung
Und sind dessen bewusst, was einstmals unsere Eltern
Über unser zukünft’ges Geschick mit einander bestimmten.
Was verhehlen wir dies so lange mit schweigendem Munde?”
235
Aber die Maid, die wähnte, es rede im Scherz der Verlobte,
Schwieg ein Weilchen und sagte darauf als Erwiderung dieses:
“Warum heuchelt die Zunge, was tief in der Brust du verdammest,
25
Und überredet der Mund zu dem, was im Herzen du abweist?
Gleich als wäre es Schmach, dir solche Verlobte zu freien!”
240
Drauf antwortete ihr der verständige Jüngling und sagte:
“Fern sei, was du geredet! O wolle nicht falsch mich verstehen!
Kund ist dir, dass ich nie mit verstelltem Herzen gesprochen;
Glaube mir nur, es steckt nicht Trug noch Falsches dahinter.
Niemand ist in der Näh’, wir sind hier beide alleine.
245
Wenn ich wüsste, du wärst mir geneigt mit ergebenem Herzen,
Und du würdest verschweigen die klug ersonnenen Pläne,
Wollte ich dir entdecken ein jedes Geheimnis des Herzens.”
Da nun begann das Mädchen, die Kniee des Jünglings umfassend:
“Alles, wozu du mich rufst, will ich gern, mein Gebieter, erfüllen
250
Und will nichts in der Welt vorziehn den wilkommnen Befehlen.”
Jener darauf: “Mit Verdruss ertrage ich unsre Verbannung
Und gedenke gar oft der verlassenen Marken der Heimat.
Drum begehre ich, bald zu heimlicher Flucht mich zu rüsten.
Lange zuvor schon wäre dazu ich imstande gewesen,
255
Doch es schmerzte mich tief, dass allein Hildgunde zurückblieb.”
Also redete drauf aus innerstem Herzen das Mägdlein:
“Was du begehrst, will ich, das ist mein einzig Verlangen.
Drum befiehl nur, o Herr; ob Glück uns werde, ob Unglück,
Gerne bin ich bereit, es dir zu Liebe zu tragen.”
260
Walter raunte der Maid in das Ohr nun folgende Worte:
“Siehe, es trug der Herrscher dir auf, der Schätze zu hüten;
Drum behalte es wohl und merke es dir, was ich sage:
Nimm vor allem den Helm und das Eisengewand des Gebieters,
Aus drei Drähten gewirkt, mit dem Zeichen der Schmiede versehen,
265
Wähle auch zwei von den Schreinen dir aus von mässigem Umfang,
Fülle in diese sodann so viel der pannonischen2 Spangen,
Dass du einen zur Not bis zum Busen zu heben vermögest.
Dann verfertige mir noch vier Paar Schuhe, wie bräuchlich,
Dir die nämliche Zahl und lege sie auch in die Truhen,
270
Und so werden dieselben vielleicht bis zum Rande gefüllt sein.
Heimlich bestelle dir auch bei Schmieden gebogene Angeln:
Fische müssen uns Zehrung sein auf dem Wege und Vögel;
26
Vogelsteller und Fischer zu sein, bin ich selber genötigt.
Alles dieses besorge du klug im Verlaufe der Woche.
275
Nunmehr hast du gehört, was uns auf der Reise vonnöten.
Jetzt verkünde ich dir, wie die Flucht wir mögen bereiten:
Wenn zum siebenten Mal den Kreislauf Phöbus vollendet,
Werd’ ich dem König, der Königin auch und den Fürsten und Dienern
Rüsten ein fröhliches Mal mit aussergewöhnlichem Aufwand
280
Und mich mit Eifer bemühn, durch Getränk sie in Schlaf zu versenken,
Bis nicht einer imstande zu merken, was ferner noch vorgeht.
Du magst aber indes nur mässig des Weines geniessen,
Und nur eben bei Tische den Durst zu vertreiben bestrebt sein.
Stehen die anderen auf,3 so eile zum Werk, dem bewussten.
285
Aber sobald des Trankes Gewalt dann alle bezwungen,
Eilen wir beide zugleich, die westlichen Lande zu suchen.”