Als die Nacht ein Ende nahm und es begann zu tagen,
Horand hub an zu singen, dass ringsum in den Hagen
Alle Vögel schwiegen vor seinem süssen Sange.
Die Leute, die da schliefen, lagen in den Betten nicht mehr lange.
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Sein Lied erklang ihm schöner und lauter immerdar,
Herr Hagen hört’ es selber, der bei Frau Hilde war.
Aus der Kemenate mussten sie zur Zinne,
Der Gast war wohl beraten; die junge Königin ward des Sanges inne.
Des wilden Hagen Tochter und ihre Mägdelein
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Sassen da und lauschten, wie selbst die Vögelein
Auf dem Königshofe vergassen ihr Getöne;
Wohl hörten auch die Helden, wie der von Dänenlanden sang so schöne.
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Als er schon das dritte Lied zu Ende sang,
Allen, die es hörten, währt’ es nicht zu lang.
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Es däuchte sie in Wahrheit nur spannenlange Weile,
Wenn er immer sänge, während einer ritte tausend Meilen.
Als er gesungen hatte und von der Stelle ging,
Die Königstochter morgens wohl nie so froh empfing,
Die ihr die Kleider brachten, die sie sollte tragen.
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Das edle Mägdlein schickte sie alsbald nach ihrem Vater Hagen.
Der König ging zur Stelle, wo er die Tochter fand.
In traulicher Weise war da des Mägdleins Hand
An ihres Vaters Kinne; sie wusst’ in ihn zu dringen.
Sie sprach: “Liebes Väterlein, heiss ihn uns noch neue Lieder singen.”
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Er sprach: “Liebe Tochter, wenn er zur Abendstund’
Dir immer singen wollte, ich gäb’ ihm tausend Pfund.
Doch sind so hochfährtig des fremden Landes Söhne,
Dass uns hier am Hofe nicht so leicht erklingen seine Töne.”
Was sie bitten mochte, der König blieb nicht mehr.
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Nun fliss sich wieder Horand, dass er nie vorher
So wundersam gesungen; die Siechen und Gesunden
Konnten nicht vom Platze, wo sie da wie angewurzelt stunden.
Die Tier’ im Walde liessen ihre Weide stehn;
Die Würme, die da sollten in dem Grase gehn,
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Die Fische, die da sollten in dem Wasser fliessen,
Verliessen ihre Fährte; wohl durft’ ihn seiner Künste nicht verdriessen.
Was er da singen mochte, das däuchte niemand lang,
Verleidet in den Chören war aller Pfaffen Sang.
Auch die Glocken klangen nicht mehr so wohl als eh’;
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Allen, die ihn hörten, war nach Horanden weh.
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Da liess ihn zu sich bringen das schöne Mägdelein;
Ohn’ ihres Vaters Wissen, gar heimlich sollt’ es sein.
So blieb es ihrer Mutter, Frau Hilden, auch verhohlen,
Dass der Held so heimlich sich zu ihrem Kämmerlein gestohlen.