Ach, wann doch Jesu, liebster mein,
Wann wirst dich mein erbarmen?
Wann wieder zu mir kehren ein,
Wann fassen mich in Armen?
5
Was birgest dich,
Was kränkest mich?
Wann werd ich dich umfangen?
Wann reissest ein
All meine Pein?
10
Wann schlichtest mein Verlangen?
O willkomm, süsse Nachtigall,
Kombst gleich zu rechter Stunde!
Erfrisch den Luft mit bestem Schall,
Erschöpf die Kunst von Grunde;
15
Ruf meinem Lieb,
Er nit verschieb,
“O Jesu!” ruf mit Kräften,
Ruf tausend mal,
Ruf ohne Zahl,
20
Wer weiss, es je möcht heften!1
Ach, ruf und ruf, o Schwester zart,
Mein Jesum zu mir lade,
Mir treulich hilf zu dieser Fahrt,
Dann ich in Zähren bade.
25
O Schwester mein,
Sing süss und rein,
Ruf meinem Schatz mit Namen;
Dann kurz, dann lang
Zieh deinen Klang,
30
All Noten greif zusammen!
Wohlan, scheint, mich verstanden hat
Die Meisterin in Wälden;
Ihrs allbereit geht wohl von Statt,
Die Färblein schon sich melden.
35
In starker Zahl,
Nun manches Mal
Den Ton sie schon erhebet,
Weil auch der Schall
Aus grünem Thal
40
Ihr deutlich widerstrebet.2
Da recht, du fromme Nachtigall,
Du jenem Schall nit weiche!
Da recht, du treuer Wiederschall,
Du stets dich ihr vergleiche!
45
Zur schönen Wett
Nun beide trett,
Mein Jesum lasst erklingen,
Obschon im Streit
276
Der schwächsten Seit
50
Am Leben sollt misslingen.
Die Nachtigall den Schall nit kennt
Und hälts für ihr Gespielin,
Verwundert sich, wies mög behend
So gleichen Ton erzielen;
55
Bleibt wenig stumm,
Schlägt wiederumb,
Denkt ihr bald obzusiegen;
Doch Widerpart
Machts gleicher Art,
60
Kein Pünktlein bleibt verschwiegen.
Bald steiget auf die Nachtigall
Je mehr und mehr und mehre;
Gleich folget auch der Wiederschall,
Wanns je noch höher wäre.
65
Drumb zierlich fecht
Und stärker schlegt
Das Fräulein reich von Stimmen,
Steigt auf und auf
Ganz ohn Verschnauf;
70
Doch thuts der Schall erklimmen.
Alsdann gehts über Ziel und Schnur,
Das Herz möcht sich zerspalten,
Sie sucht es in B Moll, B Dur,
Auf allerhand Gestalten,
75
Thut hundertfalt
Den Bäss und Alt,
Tenor und Cant durchstreichen;
Doch Stimm doch Kunst
Ist gar umbsonst,
80
Der Schall thuts auch erreichen.
Da kitzlet sie dann Ehr und Preis
Mit gar zu scharfen Sporen,
Erdenkt noch schön und schöner Weis,
Meint, sei noch nicht verloren.
85
All Mut und Blut
Und Atem gut.
Versammelt sie mit Haufen,
Will noch zum Sieg
In schönem Krieg
90
Mit letzten Kräften laufen.
Ei, da kracht ihr so mütigs Herz,
Gleich Ton und Seel verschwinden,
Da leschet sich die gülden Kerz,
Entzuckt von starken Winden.
95
O mütigs Herz,
O schöne Kerz,
O wohl, bist wohl gestorben!
Die Lorbeerkron
Im letzten Ton
100
Du doch noch hast erworben.
Dann zwar ein Seufzerlein gar zart
Im Tod hast lan erklingen,
Das so subtil dein Widerpart
Mit nichten möcht erschwingen;
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Drumb ja nit lieg,
Dein ist der Sieg,
Das Kränzlein dir gebühret,
Welchs dir allein
Von Blümlein fein
110
Ich schon hab eingeschnüret.
Ade dann, falbe Nachtigall,
Von falbem Tod entfärbet,
Weil du nun liegst in grünem Thal.
277
Sag, wer dein Stimmlein erbet;
115
Könnts je nit sein,
Es wurde mein?
O Gott, könnt ichs erwerben!
Wollts brauchen stät
So früh, so spät,
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Bis auch im Sang thät sterben.
Nun doch will ich in diesem Wald
Bei deinem Grab verbleiben,
Hoff, mich mit ihren Pfeilen bald
Begierd und Lieb entleiben.
125
Will rufen stark
Zum Totensarg,
Bis mein Geliebter komme,
Will rufen laut
Meins Herzen Traut,
130
Bis letzt ich gar erstumme.
1. Heften = haften bleiben, ‘stick fast’ (in his ear), and so win him over.
2. 2. Widerstrebet = widerhallt.