2 Anders Liebgesang der Gespons Jesu, darin eine Nachtigall mit der Echo oder Wiederschall spielet.

Ach, wann doch Jesu, liebster mein,

Wann wirst dich mein erbarmen?

Wann wieder zu mir kehren ein,

Wann fassen mich in Armen?

5

Was birgest dich,

Was kränkest mich?

Wann werd ich dich umfangen?

Wann reissest ein

All meine Pein?

10

Wann schlichtest mein Verlangen?

O willkomm, süsse Nachtigall,

Kombst gleich zu rechter Stunde!

Erfrisch den Luft mit bestem Schall,

Erschöpf die Kunst von Grunde;

15

Ruf meinem Lieb,

Er nit verschieb,

“O Jesu!” ruf mit Kräften,

Ruf tausend mal,

Ruf ohne Zahl,

20

Wer weiss, es je möcht heften!1

Ach, ruf und ruf, o Schwester zart,

Mein Jesum zu mir lade,

Mir treulich hilf zu dieser Fahrt,

Dann ich in Zähren bade.

25

O Schwester mein,

Sing süss und rein,

Ruf meinem Schatz mit Namen;

Dann kurz, dann lang

Zieh deinen Klang,

30

All Noten greif zusammen!

Wohlan, scheint, mich verstanden hat

Die Meisterin in Wälden;

Ihrs allbereit geht wohl von Statt,

Die Färblein schon sich melden.

35

In starker Zahl,

Nun manches Mal

Den Ton sie schon erhebet,

Weil auch der Schall

Aus grünem Thal

40

Ihr deutlich widerstrebet.2

Da recht, du fromme Nachtigall,

Du jenem Schall nit weiche!

Da recht, du treuer Wiederschall,

Du stets dich ihr vergleiche!

45

Zur schönen Wett

Nun beide trett,

Mein Jesum lasst erklingen,

Obschon im Streit

276

Der schwächsten Seit

50

Am Leben sollt misslingen.

Die Nachtigall den Schall nit kennt

Und hälts für ihr Gespielin,

Verwundert sich, wies mög behend

So gleichen Ton erzielen;

55

Bleibt wenig stumm,

Schlägt wiederumb,

Denkt ihr bald obzusiegen;

Doch Widerpart

Machts gleicher Art,

60

Kein Pünktlein bleibt verschwiegen.

Bald steiget auf die Nachtigall

Je mehr und mehr und mehre;

Gleich folget auch der Wiederschall,

Wanns je noch höher wäre.

65

Drumb zierlich fecht

Und stärker schlegt

Das Fräulein reich von Stimmen,

Steigt auf und auf

Ganz ohn Verschnauf;

70

Doch thuts der Schall erklimmen.

Alsdann gehts über Ziel und Schnur,

Das Herz möcht sich zerspalten,

Sie sucht es in B Moll, B Dur,

Auf allerhand Gestalten,

75

Thut hundertfalt

Den Bäss und Alt,

Tenor und Cant durchstreichen;

Doch Stimm doch Kunst

Ist gar umbsonst,

80

Der Schall thuts auch erreichen.

Da kitzlet sie dann Ehr und Preis

Mit gar zu scharfen Sporen,

Erdenkt noch schön und schöner Weis,

Meint, sei noch nicht verloren.

85

All Mut und Blut

Und Atem gut.

Versammelt sie mit Haufen,

Will noch zum Sieg

In schönem Krieg

90

Mit letzten Kräften laufen.

Ei, da kracht ihr so mütigs Herz,

Gleich Ton und Seel verschwinden,

Da leschet sich die gülden Kerz,

Entzuckt von starken Winden.

95

O mütigs Herz,

O schöne Kerz,

O wohl, bist wohl gestorben!

Die Lorbeerkron

Im letzten Ton

100

Du doch noch hast erworben.

Dann zwar ein Seufzerlein gar zart

Im Tod hast lan erklingen,

Das so subtil dein Widerpart

Mit nichten möcht erschwingen;

105

Drumb ja nit lieg,

Dein ist der Sieg,

Das Kränzlein dir gebühret,

Welchs dir allein

Von Blümlein fein

110

Ich schon hab eingeschnüret.

Ade dann, falbe Nachtigall,

Von falbem Tod entfärbet,

Weil du nun liegst in grünem Thal.

277

Sag, wer dein Stimmlein erbet;

115

Könnts je nit sein,

Es wurde mein?

O Gott, könnt ichs erwerben!

Wollts brauchen stät

So früh, so spät,

120

Bis auch im Sang thät sterben.

Nun doch will ich in diesem Wald

Bei deinem Grab verbleiben,

Hoff, mich mit ihren Pfeilen bald

Begierd und Lieb entleiben.

125

Will rufen stark

Zum Totensarg,

Bis mein Geliebter komme,

Will rufen laut

Meins Herzen Traut,

130

Bis letzt ich gar erstumme.

1. Heften = haften bleiben, ‘stick fast’ (in his ear), and so win him over.

2. 2. Widerstrebet = widerhallt.

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