LXXVII. Gottfried August Bürger

1747-1794. The stormy decade 1770-1780, which quickened other germs of what was afterwards to be known as romanticism, brought with it a notable renascence of the ballad. By general consent the first place in the balladry 387 of the time belongs to Bürger’s Lenore (1774). The uncanny supernaturalism and onomatopœic word-jingles, which had lent a mysterious fascination to many an old ballad, but had virtually disappeared from the lyric poetry of the reason-worshiping century, were here revived with telling effect.

Lenore.

Lenore fuhr ums Morgenrot

Empor aus schweren Träumen:

“Bist untreu, Wilhelm, oder tot?

Wie lange willst du säumen?”

5

Er war mit König Friedrichs Macht

Gezogen in die Prager Schlacht,

Und hatte nicht geschrieben,

Ob er gesund geblieben.

Der König und die Kaiserin,

10

Des langen Haders müde,

Erweichten ihren harten Sinn

Und machten endlich Friede;

Und jedes Heer, mit Sing und Sang,

Mit Paukenschlag und Kling und Klang,

15

Geschmückt mit grünen Reisern,

Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall all überall,

Auf Wegen und auf Stegen,

Zog alt und jung dem Jubelschall

20

Der Kommenden entgegen.

Gottlob! rief Kind und Gattin laut,

Willkommen! manche frohe Braut.

Ach! aber für Lenoren

War Gruss und Kuss verloren.

25

Sie frug den Zug wohl auf und ab,

Und frug nach allen Namen;

Doch keiner war, der Kundschaft gab,

Von allen, so da kamen.

Als nun das Heer vorüber war,

30

Zerraufte sie ihr Rabenhaar

Und warf sich hin zur Erde,

Mit wütiger Gebärde.

Die Mutter lief wohl hin zu ihr:—

“Ach, dass sich Gott erbarme!

35

Du trautes Kind, was ist mit dir?”—

Und schloss sie in die Arme.—

“O Mutter, Mutter, hin ist hin!

Nun fahre Welt und alles hin!

Bei Gott ist kein Erbarmen.

40

O weh, o weh mir Armen!”—

“Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an!

Kind, bet’ ein Vaterunser!

Was Gott tut, das ist wohlgetan.

Gott, Gott erbarmt sich unser!”—

45

“O Mutter, Mutter, eitler Wahn!

Gott hat an mir nicht wohlgetan!

Was half, was half mein Beten?

Nun ist’s nicht mehr von Nöten.”—

“Hilf Gott, hilf! wer den Vater kennt,

50

Der weiss, er hilft den Kindern.

Das hochgelobte Sacrament

388

Wird deinen Jammer lindern.”—

“O Mutter, Mutter, was mich brennt,

Das lindert mir kein Sacrament!

55

Kein Sacrament mag Leben

Den Toten wiedergeben.”—

“Hör, Kind, wie wenn der falsche Mann,

Im fernen Ungerlande,

Sich seines Glaubens abgetan,

60

Zum neuen Ehebande?

Lass fahren, Kind, sein Herz dahin!

Er hat es nimmermehr Gewinn!

Wann Seel’ und Leib sich trennen,

Wird ihn sein Meineid brennen.”—

65

“O Mutter, Mutter, hin ist hin!

Verloren ist verloren!

Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!

O wär’ ich nie geboren!

Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

70

Stirb hin, stirb hin, in Nacht und Graus!

Bei Gott ist kein Erbarmen.

O weh, o weh mir Armen!”—

“Hilf Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht

Mit deinem armen Kinde!

75

Sie weiss nicht, was die Zunge spricht.

Behalt ihr nicht die Sünde!

Ach, Kind, vergiss dein irdisch Leid,

Und denk’ an Gott und Seligkeit!

So wird doch deiner Seelen

80

Der Bräutigam nicht fehlen,”—

“O Mutter, was ist Seligkeit?

O Mutter! Was ist Hölle?

Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,

Und ohne Wilhelm Hölle!—

85

Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

Stirb hin, stirb hin, in Nacht und Graus!

Ohn ihn mag ich auf Erden,

Mag dort nicht selig werden.”—

So wütete Verzweifelung

90

Ihr in Gehirn und Adern.

Sie fuhr mit Gottes Vorsehung

Vermessen fort zu hadern;

Zerschlug den Busen und zerrang

Die Hand, bis Sonnenuntergang,

95

Bis auf am Himmelsbogen

Die goldnen Sterne zogen.

Und aussen, horch! ging’s trap trap trap,

Als wie von Rosses Hufen;

Und klirrend stieg ein Reiter ab,

100

An des Geländers Stufen.

Und horch! und horch! den Pfortenring

Ganz lose, leise, klinglingling!

Dann kamen durch die Pforte

Vernehmlich diese Worte:

105

“Holla! Holla! Tu auf, mein Kind!

Schläfst, Liebchen, oder wachst du?

389

Wie bist noch gegen mich gesinnt?

Und weinest oder lachst du?”—

“Ach, Wilhelm, du? —So spät bei Nacht?—

110

Geweinet hab ich und gewacht;

Ach, grosses Leid erlitten!

Wo kommst du hergeritten?”—

“Wir satteln nur um Mitternacht.

Weit ritt ich her von Böhmen.

115

Ich habe spät mich aufgemacht,

Und will dich mit mir nehmen.”—

“Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!

Den Hagedorn durchsaust der Wind,

Herein, in meinen Armen,

120

Herzliebster, zu erwarmen!”—

“Lass sausen durch den Hagedorn,

Lass sausen, Kind, lass sausen!

Der Rappe scharrt, es klirrt der Sporn,

Ich darf allhier nicht hausen.

125

Komm, schürze, spring und schwinge dich

Auf meinen Rappen hintermich!

Muss heut noch hundert Meilen

Mit dir ins Brautbett eilen.”—

“Ach, wolltest hundert Meilen noch

130

Mich heut ins Brautbett tragen?

Und horch! es brummt die Glocke noch,

Die elf schon angeschlagen.”—

“Sieh hin, sieh her! der Mond scheint hell.

Wir und die Toten reiten schnell.

135

Ich bringe dich, zur Wette,

Noch heut ins Hochzeitbette.”—

“Sag’ an, wo ist dein Kämmerlein?

Wo? Wie dein Hochzeitbettchen?”—

“Weit, weit von hier! —Still, kühl und klein!—

140

Sechs Bretter und zwei Brettchen!”—

“Hat’s Raum für mich?” —“Für dich und mich!

Komm, schürze, spring und schwinge dich!

Die Hochzeitgäste hoffen;

Die Kammer steht uns offen.”—

145

Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang

Sich auf das Ross behende;

Wohl um den trauten Reiter schlang

Sie ihre Lilienhände.

Und hurre hurre, hop hop hop,

150

Ging’s fort im sausenden Galopp,

Dass Ross und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben.

Zur rechten und zur linken Hand

Vorbei vor ihren Blicken,

155

Wie flogen Anger, Heid’ und Land!

Wie donnerten die Brücken!

“Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell!

Hurra! die Toten reiten schnell!

390

Graut Liebchen auch vor Toten?”—

160

“Ach, nein! —Doch lass die Toten!”

Was klang dort für Gesang und Klang?

Was flatterten die Raben?

Horch Glockenklang! horch Totensang:

“Lasst uns den Leib begraben!”

165

Und näher zog ein Leichenzug,

Der Sarg und Totenbahre trug.

Das Lied war zu vergleichen

Dem Unkenruf in Teichen.

“Nach Mitternacht begrabt den Leib,

170

Mit Klang und Sang und Klage!

Jetzt führ’ ich heim mein junges Weib.

Mit, mit zum Brautgelage!

Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor,

Und gurgle mir das Brautlied vor!

175

Komm, Pfaff, und sprich den Segen,

Eh wir zu Bett uns legen!”—

Still Klang und Sang. —Die Bahre schwand.—

Gehorsam seinem Rufen,

Kam’s hurre hurre! nachgerannt,

180

Hart hinters Rappen Hufen.

Und immer weiter, hop hop hop!

Ging’s fort im sausenden Galopp,

Dass Ross und Reiter schnoben.

Und Kies und Funken stoben.

185

Wie flogen rechts, wie flogen links

Gebirge, Bäum’ und Hecken!

Wie flogen links, und rechts, und links

Die Dörfer, Städt’ und Flecken!

“Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell!

190

Hurra! die Toten reiten schnell!

Graut Liebchen auch vor Toten?”—

“Ach! Lass sie ruhn, die Toten!”—

Sieh da! sieh da! Am Hochgericht

Tanzt’ um des Rades Spindel

195

Halb sichtbarlich, bei Mondenlicht,

Ein lustiges Gesindel.—

“Sasa! Gesindel, hier! Komm hier!

Gesindel, komm und folge mir!

Tanz uns den Hochzeitreigen,

200

Wann wir zu Bette steigen!”—

Und das Gesindel husch husch husch!

Kam hinten nachgeprasselt,

Wie Wirbelwind am Haselbusch

Durch dürre Blätter rasselt

205

Und weiter, weiter, hop hop hop!

Ging’s fort irn sausenden Galopp,

Dass Ross und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben.

391

Wie flog, was rund der Mond beschien,

210

Wie flog es in die Ferne!

Wie flogen oben über hin

Der Himmel und die Sterne!—

“Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell!

Hurra! die Toten reiten schnell!

215

Graut Liebchen auch vor Toten?”—

“O weh, lass ruhn die Toten!”—

“Rapp’! Rapp’! Mich dünkt, der Hahn schon ruft.—

Bald wird der Sand verrinnen—

Rapp’! Rapp’! Ich wittre Morgenluft—

220

Rapp’! Tummle dich von hinnen!—

Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!

Das Hochzeitbette tut sich auf!

Die Toten reiten schnelle!

Wir sind, wir sind zur Stelle!”—

225

Rasch auf ein eisern Gittertor

Ging’s mit verhängtem Zügel.

Mit schlanker Gert’ ein Schlag davor

Zersprengte Schloss und Riegel.

Die Flügel flogen klirrend auf,

230

Und über Gräber ging der Lauf.

Es blinkten Leichensteine

Rund um im Mondenscheine.

Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick

Huhu! ein grässlich Wunder!

235

Des Reiters Koller, Stück für Stück,

Fiel ab wie mürber Zunder.

Zum Schädel, ohne Schöpf und Zopf,

Zum nackten Schädel ward sein Kopf;

Sein Körper zum Gerippe,

240

Mit Stundenglas und Hippe.

Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp’,

Und sprühte Feuerfunken;

Und hui! war ’s unter ihr hinab

Verschwunden und versunken.

245

Geheul! Geheul aus hoher Luft,

Gewinsel kam aus tiefer Gruft.

Lenorens Herz, mit Beben,

Rang zwischen Tod und Leben.

Nun tanzten wohl bei Mondenglanz,

250

Rund um herum im Kreise,

Die Geister einen Kettentanz,

Und heulten diese Weise:

“Geduld! Geduld! Wenn’s Herz auch bricht!

Mit Gott im Himmel hadre nicht!

255

Des Leibes bist du ledig;

Gott sei der Seele gnädig!”

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