5 From ‘Auch eine Philosophie’: The Middle Ages and the Age of Reason.5

Die dunkeln Seiten dieses Zeitraums [des Mittelalters] stehen in allen Büchern: jeder klassische Schöndenker, der die Polizierung unsres Jahrhunderts fürs non plus ultra der Menschheit hält, hat Gelegenheit ganze Jahrhunderte auf Barbarei, elendes Staatsrecht, Aberglauben und Dummheit, Mangel der Sitten und Abgeschmacktheit—in Schulen, in Landsitzen, in Tempeln, in Klöstern, in Rathäusern, in Handwerkszünften, in Hütten und Häusern zu schmälen und über das Licht unsres Jahrhunderts, das ist, über seinen Leichtsinn und Ausgelassenheit, über seine Wärme in Ideen und Kälte in Handlungen, über seine scheinbare Stärke und Freiheit, und über seine wirkliche Todesschwäche und Ermattung unter Unglauben, Despotismus und Üppigkeit zu lobjauchzen. Davon sind alle Bücher unsrer Voltäre und Hume, Robertsons und Iselins voll, und es wird ein so schön Gemälde, wie sie die Aufklärung und Verbesserung der Welt aus den trüben Zeiten des Deismus und Despotismus der Seelen, d.i. zu Philosophie und Ruhe herleiten—dass dabei jedem Liebhaber seiner Zeit das Herz lacht.. . .

360 Dass es jemanden in der Welt unbegreiflich wäre, wie Licht die Menschen nicht nährt! Ruhe und Üppigkeit und sogenannte Gedankenfreiheit nie allgemeine Glückseligkeit und Bestimmung sein kann! Aber Empfindung, Bewegung, Handlung—wenn auch in der Folge ohne Zweck (was hat auf der Bühne der Menschheit ewigen Zweck?), wenn auch mit Stössen und Revolutionen, wenn auch mit Empfindungen, die hie und da schwärmerisch, gewaltsam, gar abscheulich werden—als Werkzeug in den Händen des Zeitlaufs, welche Macht! welche Wirkung! Herz und nicht Kopf genährt! mit Neigungen und Trieben alles gebunden, nicht mit kränkelnden Gedanken! Andacht und Ritterehre, Liebeskühnheit und Bürgerstärke—Staatsverfassung und Gesetzgebung, Religion. —Ich will nichts weniger als die ewigen Völkerzüge und Verwüstungen, Vasallenkriege und Befehdungen, Mönchsheere, Wallfahrten, Kreuzzüge verteidigen; nur erklären möchte ich sie: wie in allem doch Geist hauchet! Gährung menschlicher Kräfte! Grosse Kur der ganzen Gattung durch gewaltsame Bewegung, und wenn ich so kühn reden darf, das Schicksal zog, (allerdings mit grossem Getöse, und ohne dass die Gewichte da ruhig hangen konnten,) die grosse abgelaufene Uhr auf! Da rasselten also die Räder!

1. First Collection (1767); see Suphan’s edition of Herder’s works, Vol. I, page 152.

2. In his Kritische Wälder (1769) Herder subjected Lessing’s Laokoon to a searching criticism. The passages here given—see Suphan’s edition, Vol. 3, pages 139 ff.—are addressed to the theory advanced in the last of the foregoing selections from Lessing.

3. Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker was published in 1773, as part of a collection of papers (by Herder, Goethe and Möser) entitled Von deutscher Art und Kunst. See Suphan’s Herder, Vol. 5, page 155.

4. Published in the aforementioned collection Von deutscher Art und Kunst (1773). See Suphan’s Herder, Vol. 5, page 208.

5. The booklet Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit was published in 1774. See Suphan’s Herder, Vol. 5, page 475.

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