Die Erzählung des Kaliforniers.

Vor dreiundzwanzig Jahren war ich den Stanislaus aufwärts auf die Goldsuche aus. Den lieben langen Tag wanderte ich mit Spitzhaue, Waschpfanne und Horn, wusch hier einen Hutvoll Erde aus und dort einen, und dachte immer, ich würde einen reichen Fund machen. Aber ich machte keinen. Es war eine liebliche Gegend, waldreich mit köstlich würziger Luft. Vor vielen Jahren war sie dicht bevölkert gewesen, aber jetzt waren die Menschen verschwunden und es war einsam in dem entzückenden Paradiese. Als das oberflächliche Graben sich nicht mehr lohnte, gingen die Goldsucher fort. An einer Stelle, wo eine betriebsame kleine Stadt mit Bankhäusern und Zeitungen und Feuerwehr und einem Bürgermeister nebst Stadträten gestanden hatte, da war jetzt bloß noch ein weitausgedehnter smaragdgrüner Rasen und nicht das leiseste Zeichen verriet, daß jemals menschliches Leben sich hier gerührt hatte. Es war in der Nähe von Tuttletown. In der Nachbarschaft daherum, längs den staubigen Landstraßen fand man in Zwischenräumen verstreut die niedlichsten kleinen Landhäuser, nett und kosig und so mit rosenübersätem Weinlaub umsponnen, daß Thüren und Fenster völlig dahinter verschwanden – ein Zeichen, daß diese Heimstätten verlassen waren, seit vielen Jahren von enttäuschten Familien aufgegeben, die sie weder verkaufen noch auch nur verschenken konnten. Ab und zu, so etwa jede halbe Stunde einmal, kam man bei einsam liegenden Blockhütten vorbei, die in der Morgenröte der Goldgräberzeit von den ersten Goldgräbern, den Vorläufern der Landhausbesitzer, gebaut waren. In einigen wenigen Fällen waren diese Hütten noch jetzt bewohnt; und wenn man so eine traf, so konnte man sich darauf verlassen, daß der Bewohner der Pionier selbst war, der einst die Hütte gebaut hatte; und noch auf eins konnte man sich verlassen: er war da, weil er einmal seine Gelegenheit, reich nach den ›Staaten‹ zurückzukehren, verpaßt hatte. Er hatte später seinen Reichtum wieder verloren und dann in seiner Zerknirschtheit beschlossen, alle Verbindungen mit den Verwandten und Freunden daheim abzubrechen und hinfort bei ihnen für tot zu gelten. Ueber ganz Kalifornien war damals eine Schar von solchen lebendig-toten Männern verstreut. In ihrem Stolz getroffene arme Burschen, grau und alt mit vierzig, hatten sie keine anderen Gedanken als Reue und Sehnsucht: Reue wegen ihres vergeudeten Lebens und Sehnsucht, mit dem Kampf und allem anderen fertig zu sein.

Es war ein einsames Land! In all diesen friedlichen weiten Grasebenen und Wäldern kein Laut als das einschläfernde Summen der Insekten; kein Schimmer von Menschen oder Vieh; nichts, was einem den Sinn aufmuntert und Freude am Leben giebt. So empfand ich denn ein beinahe dankbares Gefühl der Erleichterung, als ich am frühen Nachmittag ein menschliches Wesen zu Gesicht bekam. Es war ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren und er stand an der Gartenpforte von einem jener traulichen rosenumrankten Häuschen, von denen ich vorhin sprach. Dieses hier machte aber keinen verödeten Eindruck; man sah ihm im Gegenteil an, daß Menschen darin wohnten und es pflegten und mit Lust und Liebe sauber hielten; und in dem Vorhof war ein Garten mit überreichem, buntem Blumenflor. Natürlich wurde ich gebeten hereinzukommen und es mir behaglich zu machen – so ist es dort zu Lande Brauch.

Es war ein köstliches Gefühl, in solchem Hause zu weilen, nachdem ich wochenlang täglich und nächtlich nur in Goldgräberhütten verkehrt hatte – und das bedeutete schmutzige Fußböden, nie gemachte Betten, Blechteller und -Becher, Speck und Bohnen und schwarzen Kaffee, und nichts zum Schmuck als Kriegsbilder, die aus östlichen Zeitschriften herausgerissen und mit Nägeln an den Holzwänden befestigt waren. Ueberall harte, freudlose, trostlose Verdumpfung – aber hier war ein Nest, wo das ermüdete Auge sich ausruhen konnte. Es ist in der menschlichen Natur ein gewisses Etwas, das, wenn es nach langer Entbehrung auf Erzeugnisse der Kunst trifft – mögen sie auch billig und bescheiden sein – sofort sich bewußt wird, daß es unbewußt nach solcher Speise gehungert und daß es sie jetzt gefunden hat. Ich hätte niemals gedacht, daß ein Lappenteppich mich so heiter, so zufrieden machen könnte oder daß ein Seelentrost in Tapeten und eingerahmten Lithographien läge und in hellfarbigen Sofaschonern und Lampenschirmen, in Lehnstühlen und in lackierten Nippschränkchen mit Seemuscheln und Büchern und Porzellanvasen darauf und überhaupt in all den unbezeichenbaren Kleinigkeiten, die eine Frauenhand in einem Hauswesen anzubringen weiß – man sieht sie, ohne es zu wissen, und würde sie doch augenblicklich vermissen, wenn sie weggenommen würden. Das Entzücken, das ich im Herzen empfand, sprach sich auf meinem Gesicht aus und der Mann sah es und freute sich darüber; und als antwortete er auf eine Bemerkung von mir, sagte er in liebevollem Ton:

»Alles ihr Werk! Sie machte es alles selber – jedes bißchen,« und er umfaßte das Zimmer mit einem Blick voll verehrungsvoller Liebe. Ein japanisches Tuch, so ein Stück von jenem weichen Stoff, womit Frauen sorgfältig-nachlässig den oberen Teil eines Bilderrahmens zu verhängen pflegen, war in Unordnung geraten. Er bemerkte es und brachte es mit vorsichtiger Hand wieder in die richtige Lage, wobei er mehreremale zurücktrat, um den Eindruck zu beurteilen. Endlich fand er es nach Wunsch, strich zum Schluß noch ein- oder zweimal leicht mit der Hand darüber und sagte: »Sie macht es immer so. Man kann nicht genau sagen, was daran fehlt, aber es fehlt wirklich etwas daran, bis man’s ebenso gemacht hat; man sieht es selbst, wenn man damit fertig ist – aber das ist auch alles, was man davon weiß. Warum es so ist, das weiß man nicht; ’s ist wie wenn eine Mutter zum Schluß ihrem Kind übers Haar streicht, nachdem sie’s gekämmt und gebürstet hat; so ist’s, wie mir scheint. Ich habe ihr so oft zugesehen, wenn sie all die Dinger hier festmacht, daß ich selber ganz richtig damit umgehen kann, obwohl ich nicht weiß, warum das so und jenes so sein muß. Aber sie kennt auch das Warum. Sie weiß mit dem Wie sowohl wie mit dem Warum Bescheid; ich verstehe vom Warum nichts, ich kenne bloß das Wie.«

Er führte mich in ein Schlafzimmer, wo ich mir die Hände waschen könnte. So ein Schlafzimmer hatte ich seit Jahren nicht gesehen: weiße Bettdecke, weiße Kissen, dielenbelegter Fußboden, Tapeten an den Wänden, Bilder, Putztisch mit Spiegel und Nadelkissen und zierlichen Toilettegegenständen; und in der Ecke ein Waschtisch mit Schüssel und Krug aus echtem Porzellan und mit Seife in einem Porzellannapf und an einem Gestell mehr als ein Dutzend Handtücher – Handtücher so sauber und weiß, daß einem, der an so etwas nicht mehr gewöhnt war, ihr Gebrauch wie eine Verschwendung vorkam. Man mußte meinem Gesicht ansehen, was ich empfand, und er freute sich wieder darüber und sagte:

»Alles ihr Werk; sie machte es alles selber – jedes bißchen, kein Ding hier, das nicht die Berührung ihrer Hand gefühlt hat. Nun werden Sie denken … aber ich darf nicht so viel sprechen …«

Ich trocknete gerade meine Hände ab und ließ dabei meine Augen im Zimmer herum von einem Gegenstand zum andern wandern, wie man’s gerne thut, wenn man an einem neuen Ort ist, wo jedes Ding, das man sieht, ein Labsal für Auge und Gemüt ist. Und ich merkte – man merkt so etwas manchmal auf unerklärliche Weise – daß da irgendwo irgendwas vorhanden wäre, was ich nach des Mannes Wunsch selber entdecken sollte. Ich wußte das ganz genau und ich merkte auch, daß er mir durch verstohlene Andeutungen mit seinen Augen dabei zu helfen suchte; so gab ich mir denn viele Mühe, dahinter zu kommen, denn ich wollte ihm gerne ein Vergnügen machen. Mehreremale riet ich falsch – ich sah es aus dem Augenwinkel, ohne daß er ein Wort sagte. Zuletzt aber mußte ich meinen Blick auf die richtige Stelle gelenkt haben; ich merkte das an dem Behagen, das in unsichtbaren Wellen von ihm ausströmte. Er brach in ein glückliches Lachen aus, rieb sich die Hände und rief:

»Das ist’s! Sie haben’s herausgefunden. Ich wußte, Sie würden’s finden! ’s ist ihr Bild.«

Ich ging zu dem kleinen Schwarznußpaneel an der anderen Wand und fand dort etwas, was ich bisher noch nicht beachtet hatte – einen Photographieständer. Der Rahmen umschloß das süßeste Mädchenantlitz und – wie mir’s vorkam – das schönste, das ich je gesehen. Der Mann trank die Bewunderung von meinem Gesicht und war völlig befriedigt.

»Neunzehn war sie an ihrem letzten Geburtstag,« sagte er, als er das Bild wieder auf seinen Platz stellte, »und das war der Tag, an dem wir heirateten. Wenn Sie sie sehen – aber warten Sie nur, wenn Sie sie sehen!«

»Wo ist sie? Wann wird sie zurück sein?«

»O, sie ist jetzt gerade verreist. Sie besucht ihre Leute. Sie wohnen vierzig oder fünfzig Meilen von hier. Heute vor vierzehn Tagen reiste sie ab.«

»Wann erwarten Sie sie zurück?«

»Heut’ ist Mittwoch. Sie wird Samstag wieder da sein, am Abend – wahrscheinlich so um neun Uhr.«

Ich hatte ein schneidendes Gefühl von Enttäuschung. »Das thut mir leid, weil ich dann wieder fort sein werde,« sagte ich voll Bedauern.

»Fort? Nein – warum sollten Sie denn gehen? Gehen Sie nicht. Sie wird so enttäuscht sein!«

Sie würde enttäuscht sein – das schöne Geschöpf. Hätte sie selber mir diese Worte gesagt, sie könnten mir kaum wohler gethan haben. Ich fühlte ein tiefes starkes Sehnen danach, sie zu sehen. Ein so sehnsüchtiges, so dringliches Verlangen, daß es mir bange machte. Ich sagte zu mir selbst: Ich will stracks von hier fortgehen – um meines Seelenfriedens willen.

»Wissen Sie, sie liebt es, wenn Leute kommen und bei uns bleiben – Leute, die was verstehen und sprechen können – Leute wie Sie. Da hat sie ihre Wonne dran; denn sie selber weiß – o sie weiß beinahe alles, und kann reden, o, wie ein Vogel – und was für Bücher sie liest – wahrhaftig, Sie würden sich wundern. Gehen Sie nicht; es ist ja nur eine kleine Weile und sie würde so enttäuscht sein.«

Ich hörte die Worte, aber achtete kaum darauf, so tief war ich in den Widerstreit meiner Gedanken verstrickt. Er ließ mich allein, aber ich merkte es nicht. Plötzlich war er wieder da mit dem Photographieständer in seiner Hand und hielt mir das Bild vor die Augen und sagte:

»Da! Nun sagen Sie ihr ins Gesicht, Sie hätten hier bleiben können um sie zu sehen, und wollten’s nicht!«

Dieser zweite Anblick machte alle meine guten Vorsätze zu Schanden. Ich beschloß, auf jede Gefahr hin zu bleiben. Am Abend rauchten wir in Ruhe unsere Pfeife und plauderten bis spät in die Nacht von allerlei, besonders aber von ihr und gewiß hatte ich seit vielen Tagen nicht einen so angenehmen und ruhigen Abend verlebt. Den Donnerstag verbrachten wir in aller Behaglichkeit. In der Dämmerstunde kam ein großer Goldgräber, der drei Meilen entfernt wohnte – einer von den grauhaarigen gestrandeten Pionieren. Er begrüßte uns warm, wenngleich er ernst und nüchtern sprach. Dann sagte er:

»Ich spreche bloß ’mal schnell ein um zu hören wie’s mit dem Frauchen steht und wann sie heim kommt. Giebt’s was Neues von ihr?«

»O ja, einen Brief. Möchtest du ihn hören, Tom?«

»Nu, ich denke, das möchte ich wohl, wenn’s dir recht ist, Henry.«

Henry holte den Brief aus seinem Taschenbuch hervor und sagte, wenn’s uns recht wäre, so wollte er ein paar von den Sätzen über Privatangelegenheiten überschlagen; dann fing er an und las den Hauptteil des Briefes – ein liebevolles ruhiges und ganz reizend anmutiges Stück Arbeit mit einem Postskriptum voll von freundlichen Aufmerksamkeiten und Grüßen für ›Tom und Joe und Charley und andere uns befreundete Nachbarn.‹

Als der Vorleser fertig war, guckte er Tom an und rief:

»Oho, schon wieder! Nimm deine Hand weg und laß mich deine Augen sehen. Du machst es immer so, wenn ich dir einen Brief von ihr vorlese. Wart’, das werde ich ihr schreiben!«

»O, nein, das darfst du nicht, Henry! Du weißt, ich werde alt und jede kleine Enttäuschung geht mir zu Herzen, daß ich heulen möchte. Ich dachte, sie wäre selber hier, und nun hast du bloß einen Brief gekriegt.«

»Na nu? Wie hast du dir denn das in den Kopf gesetzt? Ich dachte, jeder wüßte, daß sie erst Samstag kommen soll!«

»Samstag! Richtig, jetzt fällt mir’s ein, das wußte ich ja. Ich weiß gar nicht, was in der letzten Zeit mit mir los ist! Gewiß wußte ich’s! Wir haben ja alles zu ihrem Empfang fertig. Na, ich muß nun gehen. Aber ich bin wieder da, wenn sie kommt, Alter!«

Am Freitag kam spät nachmittags ein anderer alter Veteran von seinem Blockhaus, ungefähr eine Meile weit, herüber gewandert und sagte, die Burschen hätten gern eine kleine Lustbarkeit und wollten sich’s am Samstag abend ein bißchen wohl sein lassen, wenn Henry nicht dächte, ›sie‹ würde von ihrer Reise zu müde sein um noch aufbleiben zu können.

»Müde! Sie müde? Nu hör’ einer an! Joe, du weißt doch, sie würde einem von euch zu Gefallen sechs Wochen lang aufbleiben!«

Als Joe hörte, es wäre ein Brief da, bat er, Henry möchte ihn vorlesen und der liebevolle Gruß, der für ihn drin stand, machte den alten Knaben ganz gerührt. Aber er sagte, er wäre so ein altes Wrack, daß ihm das passieren würde, wenn sie auch bloß seinen Namen erwähnte. »Lieber Gott, wir sehnen uns so nach ihr!« sagte er.

Am Samstag nachmittag ertappte ich mich darüber, daß ich recht oft die Uhr zog. Henry bemerkte es und sagte mit einem beunruhigten Blick:

»Sie denken doch wohl nicht, sie müßte schon so früh hier sein, was?«

Ich war ein bißchen verlegen, daß er’s gemerkt hatte. Aber ich lachte und sagte, es wäre so eine Gewohnheit von mir, wenn ich mich in großer Erwartung befände. Er schien indessen von dieser Erklärung nicht ganz befriedigt zu sein und ich sah ihm seit diesem Augenblick an, daß er sich unbehaglich fühlte. Viermal nahm er mich mit bis an einen Punkt der Landstraße, von wo man eine große Strecke überblicken konnte; da stand er dann und überschattete seine Augen mit der Hand und spähte aus. Mehreremale sagte er:

»Ich werde aufgeregt – ich werde ganz richtig aufgeregt. Ich weiß, sie kann nicht vor etwa neun Uhr hier sein und doch ist mir’s, als wollte irgend ’ne innere Stimme mir sagen, es sei ihr was zugestoßen. Sie denken doch nicht, es ist ihr was passiert, was?«

Ich fing an, bei mir zu denken, der Mann wäre ja so kindisch, daß es ’ne Schande wäre. Und zuletzt, als er mir noch einmal wieder seine Frage vorwinselte, verlor ich für den Augenblick die Geduld und fuhr ihn ziemlich grob an. Das schien ihn so einzuschüchtern und so kleinlaut zu machen und er sah nachher so verletzt und so niedergeschlagen drein, daß ich mich selber wegen meiner unnötigen Grausamkeit verwünschte. Und so war ich froh, als Charley, ebenfalls einer von den Veteranen, in der Abenddämmerung ankam und sich an Henry heranmachte, um den Brief lesen zu hören und die Vorbereitungen für ihren Empfang zu besprechen. Charley ließ eine muntere Rede nach der anderen los und that sein Bestes, um seines Freundes böse Ahnungen und Befürchtungen zu zerstreuen.

»Ihr was passiert!? Henry, das ist ja der reine Unsinn! Es giebt ja gar nichts, was ihr passieren könnte, darüber mach’ dir nur keine Gedanken! Was stand doch im Brief? Daß es ihr gut ginge, nicht wahr? Und daß sie um neun Uhr hier sein würde, nicht wahr? Hast du je bemerkt, daß sie ihr Wort nicht hielt? Du weißt, du hast es nie bemerkt! Na, dann habe also keine Angst; sie wird hier sein, das steht unumstößlich fest, das ist so gewiß wie daß du geboren bist. Komm, laß uns jetzt ans Ausschmücken gehen; wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Ziemlich bald darauf kamen Tom und Joe an, und dann hatten wir alle Hände voll zu thun, das Haus mit Blumen zu schmücken. Gegen neun sagten die drei Goldgräber, sie hätten ihre Instrumente mitgebracht und könnten nun gleich ’mal eins aufspielen, denn die Jungens und die Mädels würden ja nun bald kommen und hätten wohl jedenfalls sich schon auf einen guten Tanz nach alter Art gespannt. Eine Fiedel, ein Banjo und eine Klarinette, das waren die Instrumente. Das Trio nahm Platz, einer neben dem andern, und begann eine betäubende Tanzmusik; dazu stampften sie mit ihren schweren Stiefeln den Takt.

Es war inzwischen nahezu neun Uhr geworden. Henry stand in der Thür und hielt die Augen auf den Weg geheftet und sein Körper schwankte in der Qual seiner Aufregung. Sie hatten mit ihm schon ein paarmal auf seiner Frau Gesundheit und Wohlergehen angestoßen, und jetzt rief Tom: »Nun, Jungens, heran! Noch ein Schluck und sie ist hier!«

Joe brachte die Gläser auf einem Präsentierteller und reichte das Getränk herum. Ich griff nach dem einen von den zweien, die noch auf dem Teller standen, aber Joe brummte halblaut:

»Nicht das! Nehmen Sie das andere!«

Das that ich denn. Henry bekam zuletzt sein Glas. Kaum hatte er das Getränk hinuntergegossen, so schlug es neun. Er lauschte, bis der letzte Schlag verklungen war, und sein Gesicht wurde bleich und immer bleicher. Dann sagte er:

»Jungens, ich bin ganz krank vor Angst. Helft mir – ich möchte mich hinlegen!«

Sie halfen ihm auf das Sopha. Er legte sich bequem zurecht und fing an einzuschlummern. Aber auf einmal sagte er und es klang, wie wenn einer im Schlaf spricht:

»Hörte ich Hufschlag? sind sie gekommen?«

Einer von den Veteranen sagte ihm ins Ohr:

»Es war Jimmy Parrish; er hat Bescheid gebracht, die Gesellschaft hätte unterwegs Aufenthalt gehabt, aber sie wären schon auf dem Wege und kämen bald. Ihr Pferd ist lahm, aber in einer halben Stunde wird sie hier sein.«

»O, ich bin so dankbar, daß ihr nichts passiert ist.«

Er war eingeschlafen, bevor die Worte kaum aus seinem Munde waren. In einem Augenblick hatten die behenden Burschen ihm seine Kleider abgezogen und ihn in die Kammer getragen, wo ich mir die Hände gewaschen hatte. Dort legten sie ihn ins Bett. Sie schlossen die Thür und kamen wieder heraus. Dann schienen sie fortgehen zu wollen, aber ich sagte:

»Bitte, ihr Herren, gehen Sie nicht! Sie würde mich nicht kennen, ich bin ein Fremder.«

Sie sahen einander an; dann sagte Joe:

»Sie? Das arme Ding – sie ist seit neunzehn Jahren tot.«

»Tot?«

»– oder schlimmer als tot. Sie ging ein halbes Jahr nach ihrer Hochzeit zu ihren Verwandten auf Besuch, und auf ihrer Rückreise, an einem Samstag-Abend, raubten die Indianer sie, fünf Meilen von hier, und man hat niemals wieder was von ihr gehört.«

»Und er hat darüber seinen Verstand verloren?«

»Er hat seither niemals wieder eine vernünftige Stunde gehabt. Aber schlimm wird es mit ihm nur, wenn die Zeit wieder herankommt. Dann fangen wir an, bei ihm vorzusprechen, drei Tage bevor sie kommen soll, und sprechen ihm Mut zu und fragen, ob er was von ihr gehört hat und am Samstag kommen wir alle und putzen das Haus mit Blumen heraus und machen alles zu einem Tanz fertig. So haben wir’s seit neunzehn Jahren jedes Jahr gemacht. Am ersten Samstag, da waren wir unser siebenundzwanzig, ungerechnet die Mädels. Jetzt sind wir bloß noch drei und die Mädels sind alle fort. Wir geben ihm einen Schlaftrunk, sonst würde er wild werden. Dann ist es wieder für ein Jahr ganz in Ordnung mit ihm – er denkt, sie ist bei ihm, bis die letzten drei oder vier Tage herankommen, dann fängt er an nach ihr auszusehen und kriegt seinen armen alten Brief heraus und wir kommen und bitten ihn, uns den Brief vorzulesen. Lieber Gott, was war sie für ’ne herzige Kleine …«

Dekoration

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