Der lustige Todesfall.

Herr Lund, ein Kaufmann, der – nach Börsentaxe – hunderttausend Thaler, und wohl noch einige Tausend darüber, werth seyn mochte, starb, zur größten Verwunderung seiner Frau. Denn oft hatte sie gesagt: Mein Mann stirbt gewiß nicht; er ist ja einer von den reichsten Leuten in der Stadt, und so klug obenein! Er wird schon wissen, wie man es zu machen hat, daß man nicht zu sterben braucht. Sagten ihr Bekannte dagegen: der Tod sei so unhöflich, nicht Reichthum, nicht Klugheit zu achten; dann bemerkte Jene – doch in Vertrauen –: so stürbe ihr Mann gewiß nicht vor ihr, sondern werde sie überleben: sie habe kein Glück; was sie wünsche, treffe nie ein, das wisse sie schon.

Demungeachtet rief Jenen der Tod ab, und noch früher, als seine bis dahin ziemlich feste Gesundheit es hätte erwarten lassen. Eine plötzliche Erkältung zog ihm einen Schlagfluß zu, der in wenigen Stunden eine Ladung für Charons Nachen aus ihm machte.

Die Wittwe schlug ihre Hände zusammen. Da sieht man's, rief sie nun: unverhofft kömmt doch oft!

Ist er auch gewiß todt? fragte sie den noch beschäftigten Arzt. Kann ich mich darauf verlassen? – Der Arzt gab ihr die heiligsten Betheurungen, und bekam einen reichen Ehrensold für die vergebens angewandte Mühe.

Die Wittwe vergaß auch dem Manne nicht, was er zuletzt für sie gethan hatte. Sie ordnete nicht nur eine stattliche Beerdigungsprozession an, sondern bewies ihm auch ihre Dankbarkeit noch durch einen marmornen Grabstein mit Urne und Todesengel. Unter den Lügen, welche die Inschrift enthielt, war die gröbste: daß Lunds betrübte Wittwe ihm dieses Denkmahl errichtet habe.

Prüfte man die Sache genau, so ließ es sich der Nachgebliebnen eben nicht verübeln, wenn sie über den Todesfall ihre Haare nicht ausraufte. Sie hatte über den Verstorbnen immer die – auch nicht ungerechte – Klage geführt, daß er ihr zu wenig Vergnügen mache. Wenn Alles im Hause bereits zur Ruhe gegangen war, saß er noch an den Büchern, und rechnete dem Buchhalter nach. Morgens stand er am frühsten auf, weckte seine Leute, sah in die Niederlagen, und schmälte arg, wenn er irgend etwas nicht so fand, wie er es finden wollte. Abends und Morgens bekümmerte sich Lund folglich gar nicht um seine Gattin, den Tag über hingegen desto mehr. Früh bekam sie Weisungen, die Köchin zu mehr Sparsamkeit anzuhalten, und darüber zu wachen, daß sie keine Provision am Markt-Einkauf nähme. Mittags gab es gewöhnlich Verweise, daß das Essen zu gut sei, was für die schlechten Zeiten nicht passe. Nachmittags empfahl er seiner Ehehälfte, als eine gesunde Motion, die Mörserkeule zu regen, und gegen Abend ward sie ersucht, den Ladendienern Corinthen, Mandeln, Reiß und andere Material-Waaren, von Unsauberkeiten reinigen zu helfen. Von Schauspiel, Gastereien, und was dahin gehört, war die Rede nie. Aeußerte Frau Lund bisweilen einen Wunsch nach Zerstreuung, dann hieß es: der sonntägliche Kirchengang zerstreue genug. Bei schöner Frühlings- und Sommerwitterung, nach vorsichtigem Aussehn, ob nicht etwa Regen die Kleidungsstücke mit Nachtheil bedrohe, ging Lund auch wohl mit Frau und Tochter am Sonntage vor's Thor. Da man sich dort in das weiche Gras setzte, und in die Anmuth der Gegend sah, würde es immer seine Idyllenwirkung nicht ganz verfehlt haben, wenn der Hausvater, von Landluft umweht, die Stadt vergessen hätte. So aber pflegte er diese Gelegenheiten zu nützen, seinen Frauenzimmern ausführliche Strafpredigten zu halten, weil die Geschäfte zu Hause ihm nur kurze vergönnten. Er bewies dann seiner Frau: daß sie bei weitem nicht mit so geringem Wirthschaftsgelde auszukommen verstehe, wie seine Mutter vor dreißig Jahren, und daß sie eine dumme Gans sei, die sich von den Köchinnen, so lange er sie zur Frau habe, Tag für Tag betriegen lasse. Er hatte nicht völlig unrecht; denn was man Geist nennt, war an Frau Lund eben nicht zu erschaun: sie ließ es bei der Seele bewenden. Wo hätte sie aber auch Geist hernehmen sollen? Ihr Vater hatte sich zwar einst mit Köpfen vielfach beschäftigt, doch für den Kopf seiner Tochter um so weniger etwas gethan, als er sehr geitzig war. Weiland Haarkräusler, gehörte er zu den kunstsinnigsten seiner Kunstgenossen, hatte deshalb auch die meiste Beschäftigung in der Stadt, und frisirte keine Braut unter einem Thaler. Vor zwanzig Jahren wollte Lund sich besetzen. Als Ladendiener hatte er nur hundert Thaler zusammensparen können; nun meinte er: wenn er eine Frau mit etlichen Tausenden nähme, und jene Hundert dazu fügte, so würde sich schon eine solide Materialhandlung gründen lassen. Er klopfte da und dort an, wo sich Tausende vermuthen ließen; doch nirgend wurde ihm aufgethan. Das hatte seine Gründe. Wer Tausende besaß, wollte ihnen auch etwas Namhaftes begegnen sehn; auch war Lund nicht eine schöne, sondern vielmehr eine häßliche Mannsperson, und hatte ein nicht für, sondern gegen ihn einnehmendes Betragen. Nun spekulirte er endlich auf die Tochter des Haarkräuslers. Sie war das einzige Kind; der Vater lief mehr als den halben Tag in seinem gepuderten Rock umher; Präsidenten und Geheime Räthe, Damen vom ersten Rang, gehörten zu dem weiten Kreis seiner Praxis. Auch ging die Sage, daß es ihm gelungen wäre, zwei tausend Thaler zu sparen, die er in sichern Handlungen auf gute Zinsen untergebracht habe.

Lund pochte also auch hier an. Auf Schönheit und Betragen wurde eben nicht gesehen, weil es bei der Friseurstochter um Beides auch nicht sonderlich stand. – Einen Kaufmann zum Schwiegersohn zu haben – schmeichelte der Eitelkeit des Friseurs doch ein wenig; und auf sorgsame Erkundigung bei des jungen Mannes vorigem Principal, erfuhr er: Lund verstehe sich auf die italiänische doppelte Buchhaltung und die Waarenkunde ganz löblich, sei aber auch einem so schmutzigen Geitz ergeben, daß er nicht einmal ein Paar reputirliche Beinkleider habe.

Nun meinte der Haarkräusler: dem könne man schon eine Tochter anvertraun; habe er jetzt wenig, so werde er einst viel haben. Er gab daher sein Ja, sperrte sich aber im Punkte der Ausstattung ganz ungemein. So lange ich lebe, sagte er, gebe ich nichts; dafür aber auch Alles, was ich habe, wenn ich todt bin. Oh gehorsamer Diener, entgegnete Lund; da werde ich mich wohl hüten, die Jungfer Tochter zu lieben.

Endlich verstand der Brautvater sich doch dazu, zwei hundert Thaler, die Kleider und Leibwäsche seiner verstorbenen Frau, sammt einigem Zinn und Messing, herauszurücken. Lund hatte auf mehr gerechnet; weil der Friseur indeß bleich und hager aussah, zuweilen auch hustete, ließ Jener sich die Mitgabe doch gefallen. Denn als ein guter Rechner mußte er theils den Husten ins Gewinn-Conto stellen, theils den Umstand ins Verlust-Conto: daß er, wenn es hier nichts würde, vermuthlich in der ganzen Stadt kein Mädchen, das nur hundert Thaler werth sei, bekommen würde. Ein kupferner Kessel hätte doch beinahe Alles zerschlagen. Diesen wollte der Schwiegersohn noch haben, und der Schwiegervater nicht geben. Den Kessel, sagte Lund, und ich liebe; wo nicht, so lieb' ich nicht. Erst antwortete man ihm zwar: So lassen Sie es bleiben! rief ihn aber doch von der Treppe noch wieder zurück.

Mit drei hundert Thalern fing nun Lund seine Material- und Spezereihandlung an. Einiger Credit that freilich zu Anfang dabei Noth; er wurde indeß bald ansehnlich, als die Börse nicht mehr zweifelte: Lund strahle unter allen Filzen hiesigen Ortes wie ein Stern erster Größe hervor.

Er füllte nach und nach seine Niederlagen mehr, und breitete seine Geschäfte nach kleinen Städten aus, wo er die untergeordneten Krämer mit Waaren versah. Bald discontirte er auch Wechsel, und handelte mit Papieren; doch Alles mit einer so behutsamen Vorsicht, mit einem so richtigen Takt, daß es zu den seltensten Erscheinungen gehörte, wenn es sich zeigte, daß Lund einmal einen Fehlgriff gethan hatte. Nach funfzehn Jahren war es dahin gekommen, daß Papiere, welche Lund kaufte, sogleich ein Procent stiegen, und die Gattung hingegen, welche er ausbot, um etliche Procent fiel. Er merkte sich das, und führte bisweilen die ganze Börse an. Einmal besonders, in den Kriegszeiten, schrieen die Juden Weh über ihn. So eben war eine Schlacht gewonnen, die auf den künftigen Preis der Papiere einen entschieden vortheilhaften Einfluß erwarten ließ. Lund hatte Mittel gefunden, von dem Ereigniß noch zeitiger unterrichtet zu seyn, als die Juden. Er wußte, daß sie einen Agenten im Hauptquartier hielten, der ihnen den Ausgang der nahe bevorstehenden Schlacht sogleich durch eine Estafette melden sollte. Aber auch Lund hatte seinen Schwiegervater dorthin gesandt, und, um viel zu gewinnen, etwas daran gewagt. Der Friseur mußte als Courier herbeifliegen, und obenein auf den Postämtern etliche Schaffner bestechen, daß sie die Juden-Depesche mit lahmen Pferden expedirten. Nun kam die hochwichtige Botschaft um zwölf Stunden früher zu Lunds Ohren, und in diese zwölf Stunden fiel gerade eine Börsenmorgenzeit. Er ließ heimlich aussprengen: eine Hauptschlacht wäre verloren gegangen. Die Juden stritten anfänglich; doch weil ihre Estafette nicht eintraf, so meinten sie: der Feind könnte wohl schon die Postenverbindung stören, und fingen an, Lunds Nachricht zu glauben. Lund kaufte nicht selbst, bot vielmehr emsig feil, was den Papieren, auf die bereits das üble Gerücht wirkte, noch mehr schadete. Seine Bevollmächtigten mußten dagegen zusammenkaufen, so viel sie nur konnten. Eilig schlugen auch die Juden los, weil sie meinten: wäre erst die officielle Nachricht da, dann könnte ein noch tieferes Fallen der Papiere nicht ausbleiben. Damal gewann Lund auf Einen Schlag zwanzig tausend Thaler; der arme schwindsüchtige Friseur hatte aber von seiner übermäßigen Anstrengung den Tod.

Nun glaubte Lund, noch die Erbschaft von dem Schwiegervater zu heben. Schon lange sah er schmachtend danach aus; der Wohlselige aber blieb, bei seinem mäßigen Leben, trotz seiner Schwindsucht, immerfort, wie er seit zehn und mehr Jahren gewesen war. Nur der Couriergalopp hatte die Schwindsucht endlich zu einer galoppirenden gemacht.

Dies Mal täuschte sich Lund aber in seinen Erwartungen. Der Wohlselige hatte in der That einst etliche Tausend Thaler beisammen; kaum war indeß seine Tochter verheirathet, als die Mode seine Kunst in einen solchen Verfall brachte, wie einst die Gothen und Vandalen alle Kunst und Wissenschaft zu Rom. Schwedenköpfe, Titusköpfe, altdeutsche Köpfe, machten den armen Friseuren die Köpfe so warm, daß sie damit gegen die Wände hätten laufen mögen. In den ersten Zeiten ging es noch hin; nur junge Leute dankten ihre Haarkräusler ab, obschon ältere sie Modenarren hießen. Doch als erst im Lauf der Jahre auch Präsidenten und Geheime Räthe Zöpfe und Locken abschafften, als erst auch die Weisen Modenarren wurden, und die Damen ihr ungepudertes Haar durch Kammermädchen in Flechten aufstecken ließen: da war bei den einst hochgeachteten Künstlern ihres Leides kein Ende zu sehn. In so fern Lunds Schwiegervater jetzt nicht viel mehr verdiente, mußte er sein Kapital angreifen und immer davon zusetzen. Ein Unglück gesellte sich zum andern; in Folge des Kriegs hörte das Handelshaus, worin er das meiste Vermögen niedergelegt hatte, zu zahlen auf. Er sagte dem Eidam nichts von diesem Unglück, damit es seine Tochter nicht in Klagen und Vorwürfen empfinden sollte. Des Schwiegervaters nunmehrige Muße benutzte der Eidam genug, und vortheilhaft, zum Ausspähen und Aussprengen dessen, was seinen spekulativen Absichten frommte. Er mußte dabei auch andere, jetzt unbeschäftigte, Kunstgenossen in Thätigkeit setzen, aber sie für ihre Mühe oft aus seiner eignen Tasche bezahlen. Denn Lund versprach wohl ansehnliche Vergütungen; was er gab, war hingegen unansehnlich genug: freilich nicht in Lunds Augen; denn ihm galten schon etliche Groschen für etwas Ansehnliches. Noch ein schwerer Unfall traf den Verstorbenen. Wollte Lund durch fremde Hand kaufen lassen, so wurden des Schwiegervaters Freunde bevollmächtigt; er selbst mußte aber in der Nähe Acht haben, daß nicht Einer mit dem anvertrauten Gelde entwischte. Selbst ein Polizeibeamter, des Alten Vetter, mußte, schnellen Ergreifens wegen, bei der Hand seyn. Nichts destoweniger ging einmal ein Freund mit fünfhundert Thalern davon. Zu leichtfüßig spottete er alles Nacheilens, entkam aus der Stadt, und auch über die Landesgränze. Den Verlust hatte nun der Schwiegervater zu decken, und es kam mit ihm so weit, daß er, trotz seinem ehemaligen Vermögen und Geitz, doch wenig mehr als Puderbeutel, Brenneisen und Kämme nachließ, die, weniger Nachfrage halben, nicht einmal die Trödler kaufen wollten. Die übrige fahrende Habe reichte auch zu den Begräbnißkosten nicht hin, wie spärlich auch Lund dabei zu verfahren gebot. Er suchte für den Leichnam das Armenrecht in einem Gratissarg und Zubehör nach; die Obrigkeit wollte sich aber nicht zur Liberalität bei einem Todten verstehn, der einen reichen Schwiegersohn hinterließ. So mußte schon Lund zutreten; und wie er auch allen eitlen Aufwand vermied, so kostete es ihm doch um so mehr Aerger, als die an seines Schwiegervaters Ableben geknüpfte Hoffnung gänzlich zerrissen war.

Bei jenen sonntäglichen Spaziergängen im Freien blieb auch seine Gattin nie mit Vorwürfen über die eben erzählten Umstände verschont. »Anstatt, daß ich hoffte,« sagte Lund, »von Deinem Vater zu erben, mußte ich ihn noch begraben lassen. Was habe ich nun von Dir gehabt, mein Kind? Zwei hundert Thaler! Denn Kleider, Wäsche, Zinn, Messing und den kupfernen Kessel kann ich doch nicht mitrechnen; Du trägst sie, oder brauchst sie in der Küche. Zwei hundert Thaler sind immer nicht zu verachten, das weiß ich wohl; aber ich kann doch auch nicht einmal behaupten, daß sie mir zu Gute gekommen sind. Denn in den langen Jahren hast Du gewiß zwei hundert Thaler in Essen und Trinken verbraucht; ja, ich habe noch zulegen müssen; zu geschweigen, was die Tochter kostet: eine Last, die Du mir auch aufgebürdet hast.«

Frau Lund erwiederte ihm zwar: Auf meinen zwei hundert Thalern hat doch ein ziemlicher Segen geruht, und mein verstorbener Vater brachte Dir auch noch manchen Thaler ein. Herr Lund bewies aber: seine Spekulationen, sein saurer Fleiß und Schweiß hätten alles gethan. An dem Verlust, den ihr Vater einige Mal gelitten hatte, sollte auch Niemand schuld seyn, als die Tochter. »Du hättest ihn erinnern sollen,« sagte Herr Lund, »daß er sein Geld nicht bei Weber et compagnie lassen müsse; man sprach von diesem Hause schon lange nicht gut an der Börse. Mir wollte er immer nicht sagen, wo sein Geld stände; sonst hätte ich ihm längst ein aviso gegeben. Du hättest ihn auch vor dem spitzbübischen Friseur warnen können, der mit fünfhundert Thalern durchging. Als eine Friseurs-Tochter hättest Du den Spitzbuben wohl kennen sollen. Aber Du bist eine dumme Gans, von der ich alle mein Lebelang nur Schaden gehabt habe.«

Auch seine Tochter Philippine, die gegen das Ende seines Lebens etwa neunzehn Jahre alt war, hatte bei den Spaziergängen ihre Noth. Der erste Vorwurf ging immer auf ihr ganzes Daseyn. Hätte ich Dich nicht, sagte er, o wie viel könnte ich sparen! Gewöhnlich folgten dann Verweise, daß seine Tochter eine Putznärrin sei. Lund pflegte noch hinzuzusetzen: »Und warum bist Du eine Putznärrin? Du denkst wohl einem Mann zu gefallen? Und das könnte am Ende wohl seyn; denn – auch ein großer Fehler an Dir! – ganz passabel siehst Du aus. Ah, gehorsamer Diener! Du sollst nicht heirathen, kannst ledig bleiben. Wenn ein Bräutigam kommt, so will er auch haben; und wo soll man's hernehmen bei den schlechten, nahrungslosen Zeiten, wo aller Handel und Wandel stockt!«

Noch mehr Scheltworte mußte Philippine darüber hören, daß sie ein Mädchen war. Wärst Du ein Junge, hieß es, so könntest Du schon die Lehrjahre überstanden haben, und im Comptoir sitzen. Ich brauchte den Buchhalter nicht. Du könntest in ein Paar Jahren Dich nach einer gut bemittelten Frau umsehn, die so viel Fonds noch zubrächte, als das Haus Lund schon hat; etwa nach zwanzig Jahren änderte sich wohl die Firma, und zeichnete Gottfried Lund und Sohn. Und müßt' ich nach dreißig Jahren, oder später, einmal an meinen Tod denken, dann hätte ich doch die Aussicht, daß die Firma Lund, die an der Börse zu Ehren zu bringen mir so viel Mühe und Schweiß gekostet hat, nicht so bald aufhören würde. Da siehst Du, wie vielen Schaden es mir thut, daß Du ein Mädchen bist.

Philippinens Mutter vertrat sie denn wohl, und erinnerte den Mann: sie doch nicht um etwas zu schelten, wofür sie nicht könne, ihr auch nicht vorzuwerfen, daß sie eine Putznärrin wäre, da dies ja völlig ungerecht sei. Nicht lange vor seinem Tode entstand hierüber ein heftiger Wortwechsel. Wie kann sie eine Putznärrin seyn! sagte die Mutter; sie hat ja keinen Putz!

»Nennst Du das keinen Putz, was sie da trägt?«

Nein! Ein Hauskleidchen von wohlfeilem Kattun.

»Oho! ich soll wohl gar theuren kaufen! Und wenn das kein Putz ist, so möchte sie doch gern welchen haben. Ich seh' ihr ins Herz.«

Mein Himmel, wär es denn auch gerade eine Sünde? Alle junge Mädchen putzen sich gern.

»Braucht sie denn gerade jung zu thun? Kann sie sich nicht alt und ehrbar betragen? Ich habe so oft gesagt, die Kleider, welche Du ablegst, sollen ihr zurecht gemacht werden. Bring' ichs wohl dahin?«

Wie kann ich denn Kleider ablegen? Ich habe selbst nur noch zwei, die so dünne sind, wie Spinnewebe, weil meine selige Mutter sie schon halb abgetragen hat.

»Daß Du ein Reißteufel bist mit Deinen Kleidern, weiß ich schon lange, und Philippine tritt in Deine Fußstapfen. Erst vor drei Jahren habe ich ihr das neue Kleid anschaffen müssen; das alte, hieß es, wäre nicht mehr zu brauchen, und kam auf den Trödel.«

Philippinchen hatte es so geschont, daß es der Trödler noch recht gut bezahlte. Aber es war ihr zu kurz geworden.

»Warum hatte es der Schneider nicht eingelegt? Uebrigens auch einer von ihren Fehlern, daß sie so wächst. Sie braucht nicht allein so oft neue Sachen, sondern immer mehr Zeug dazu.«

Du magst sagen, was Du willst, mein Kind: sie muß doch wieder ein Kleid haben.

»Was? Schon wieder? Erst vor drei Jahren ...«

Da war sie noch nicht sechzehn Jahre; seitdem ist sie erst recht aufgeschossen. Eingelegt war das Kleid; es ist schon einige Mal nachgelassen, nun geht es aber nicht mehr. Pinchen laß einmal das Blumenpflücken, und steh auf ... Da siehst Du? Kaum sind noch die Waden bedeckt.

»Nun, ich sehe noch gar nicht, daß es so sehr zu kurz ist. Aber doch unverantwortlich, wie das Mädchen wächst. Daran bist Du wieder Schuld, sonst Niemand. Das kommt von dem Ueberfüttern.«

In einem Vierteljahr werden vielleicht die Kniee zu sehen seyn. Bedenke doch, was der Wohlstand fordert!

»Wohlstand, Wohlstand! Eben das Mädchen macht, daß ich nimmermehr zu einigem Wohlstand komme! ... Aus einem neuen Kleid wird nichts. Sie kann Sonntags zu Hause bleiben, und im Predigtbuch lesen.«

Und, mein Kind, daß Du immer sagst, Philippinchen soll nicht heirathen, kommt mir auch wunderlich vor. Du wirst so bald nicht sterben. Ach, Gott! ich glaube, Du stirbst in Deinem Leben nicht. –

»Ha ha ha! In meinem Leben freilich nicht, aber in meinem Tode. Du bist und bleibst doch eine dumme Gans! Wenn's aber noch lange damit ansteht, soll es mir lieb seyn.«

O, es wird noch lange genug damit anstehn; Du bist ja gesund, wie ein Fisch im Wasser.

»Das thut meine Mäßigkeit in allen Dingen.«

Wirklich, Du bist allzu mäßig, könntest Dir hier und da wohl manches zu Gute thun, was nicht einmal Kosten verursachte. Aber weil Du selbst doch sagst, daß Du einmal, trotz all' Deinem Verstand und Gelde, wirst sterben müssen – gerade darum sollte Philippine heirathen. Denn wer soll in der Folge erben, was wir haben?

»Sag nur nicht: was wir haben. Das Vermögen gehört mir. Hast Du mir zweihundert Thaler eingebracht, so hast Du mir wohl dreihundert gekostet.«

Nun gut, Dein Vermögen. Soll es denn in fremde Hände kommen? Ist denn Dein eignes Fleisch und Blut Dir nicht lieber, als weitläuftige Vettern und Muhmen?

»Ei, daran werde ich denken, wenn ich dermaleinst dem Tode nahe bin.«

Aber, Du meinst ja, erst in dreißig Jahren würde es dahin kommen. Dann wäre Philippinchen beinahe funfzig Jahre, und das Heirathen könnte auch nicht mehr helfen.

»Im Grunde ist es unartig, Frau, daß Du so oft von meinem Tode sprichst. Das hört Niemand gern, und ich habe doch erst fünf und vierzig Jahre auf dem Nacken. Daß Du es übrigens lieber sehn würdest, wenn ich heute stürbe, als morgen, weiß ich sehr gut.«

Das wohl nicht. Aber Du würdest Dich freun, wenn Du mich begraben lassen könntest; dann kostete ich Dir nichts mehr.

»Ich werde mich aber hüten, daß ich Deinen Wunsch erfülle.«

So viel an mir liegt, ich auch. Du kannst aber ruhig seyn; ich werde Dich nicht überleben, habe nun einmal kein Glück in der Welt.

»Kein Glück? Sei nicht undankbar gegen den Himmel! Dein Vater lief mit dem Puderquast umher; und Du hast einen Mann, der nur Gottfried Lund zeichnen darf, so gilt es an der Börse wie baares Geld.«

Was hab' ich von dem Mann, was hab' ich von dem Geld? Doch laß uns nicht von solchen verdrießlichen Dingen sprechen. Lieber wollen wir nachgerade an Philippinchens Heirath denken.

»Da kömmst Du schon wieder mit Deinem wir! Ich bin Mann, und werde sagen, wie ich's haben will; ihr müßt Order pariren. Bei dem Allen – wenn sich Einer fände, ein solider Mann bei Jahren, der keine Ausstattung verlangte, keinen Heller – wer weiß, was ich thäte! So brauchte ich das Mädchen doch nicht länger zu ernähren.«

Nach dieser Unterredung schien unsern Lund denn doch bisweilen ein Gedanke an die Verheirathung seiner Tochter zu beschäftigen. Er sagte einige Mal: »Ich hätte wohl einen Bräutigam für Philippinen; nur wird sie ihm zu hübsch seyn. Ich kenne ihn; das hat er nicht gern.« Wenn seine Gattin nun fragte, wer es sei, und ob sie den Auserwählten kenne; dann gab er zur Antwort: »Noch ist es nicht so weit; erst muß seine Frau sterben. Da sie aber an einem sogenannten Scirrhus leidet, so kann es damit höchstens noch ein Paar Jahre währen.«

Es währte aber nur ein Paar Monate, und Herr Kauser (so hieß der von unserm Lund zum Schwiegersohn Erwählte), ebenfalls ein wohl renommirter Handelsmann in Material- und Spezerei-Waaren, sah sich in den Wittwerstand versetzt. Er galt an der Börse für gut, und daneben für Lunds Pylades oder Jonathan, indem Beide völlig gleichen Sinnes waren. Er mochte etwa funfzig Jahr alt seyn; aber für jedes konnte er auch wenigstens tausend Thaler auf den Tisch zählen, und war folglich ein nicht zu verachtender Liebhaber, was den einen Punkt betraf. Sollte in anderen Punkten auch etwas zu erinnern seyn, meinte Herr Lund, so müsse man über den Hauptpunkt die Nebenpunkte vergessen. Noch vor dem Ableben der Frau Kauser, hatte Lund den nunmehrigen Wittwer befragt: ob nach demselben Philippine wohl auf seine Hand rechnen dürfe, vorausgesetzt, daß sie nur eine leere Hand bringe, und alle Mitgabe à Conto gestellt sei, bis nach des Vaters Tode. Herr Kauser nahm die Sache in Bedenken, und bedachte heraus: daß es ja vollkommen einerlei wäre, ob Lund oder er Philippinens Geld im Handel umwendete; daß Jener damit eben so viel verdienen würde, wie er selbst, und auch eben so wenig unnütz verthun. Ein so edles Vertrauen zwischen Beiden konnte in der That an Orest und Pylades erinnern.

Als die wohlselige Frau Kauser ihrer sanften Ruhestätte entgegen fuhr, mußte auch Herr Lund sie begleiten, und in der Kutsche des Leidtragenden, welche dem Trauerwagen zunächst folgte, seinen Ehrenplatz nehmen. Er hatte eine schwarze Kleidung dazu entlehnt, und zuvor seiner Ehehälfte gesagt: Philippine möchte sich bereit halten, ihren Bräutigam hernach zu empfangen: denn um nicht viele Zeit an den Geschäften zu verlieren, würde er mit demselben gleich hieher kommen. Auf diese Art könnten zwei Förmlichkeiten zugleich abgethan werden.

Frau Lund hatte doch so viele Begriffe von Anstand, daß sie erinnerte: es würde an diesem Tage sich wenig ziemen, und solche Eil besonders dem Bräutigam übel gedeutet werden.

Herr Lund erwiederte: Solide Geschäftsleute schöben nicht auf, was sie einmal thun wollten, und fragten nach dem Urtheil der Welt gar nicht. Uebrigens sollte es eben keine Verlobung vor Notar und Zeugen seyn, wovon er selbst einräume, daß sie für den Begräbnißtag nicht recht passend seyn würde; sondern bloß ein vorläufiges Versprechen, im Kreis der nächsten Verwandten. Es wäre zugleich eine Gelegenheit, daß Braut und Bräutigam einander kennen lernten.

Frau Lund fragte: welches Kleid nun Philippine anziehen sollte. Wie sie bei dem Spaziergang vor etlichen Monaten vorausgesagt habe, sei durch Philippinens abermaliges Wachsthum das einzige Sonntagskleid nun so kurz geworden, daß wenigstens die Strumpfbänder zum Vorschein kämen. So könne Philippine sich doch einem Bräutigam nicht zeigen!

Herr Lund stampfte mit beiden Füßen. Meinen Sürtout, rief er, den ich im Comptoir zu tragen pflege, habe ich nun zwölf Jahre. Warum kann Philippine nicht auch ein Kleid zwölf Jahre tragen? Ein Kleid, das sie obenein nur Sonntags anzieht! Eigentlich müßte es siebenmal so lange halten, als mein Sürtout, ergo vier und achtzig Jahre!

Die Mutter wandte ihm ganz vernünftig ein: daß er in den verflossenen zwölf Jahren, die er den Sürtout besitze, auch nicht mehr gewachsen sei. Zugleich äußerte sie den Wunsch: aus einem Kleiderladen einen fertigen Anzug gekauft zu sehn, der sich für eine Brautbesichtigung zieme.

Possen! rief Herr Lund; sie mag in dem alltäglichen Hausanzug von Damis erscheinen.

Es ist ja nicht einmal Damis, sagte Jene; nur gefärbte schlechte Leinwand. Und auch schon alt, geflickt, unten ein breiter Saum angenäht, dessen Farbe absticht.

»Thut nichts! Da sieht Freund Kauser, daß man hier nicht überflüßige Haushaltungskosten ins Cassa-Buch notirt, obwohl er sich das ohnehin vorstellen kann. Und Philippine – auch einer von ihren Fehlern, daß sie nur allzu hübsch ist – soll ihm nicht gut ins Auge fallen. Er möchte sonst zurückziehn; es kömmt ihm auf das Netto bei einer Frau an, nicht aufs Brutto, und die Schönheit ist immer ein Brutto, wovon der Mann nur unnütze Last hat. Er muß sorgen, wachen, daß nicht Andere zu der Waare Lust bekommen, und je mehr eine Frau weiß, daß sie passabel aussieht, je ärger quält sie den Mann noch um hübsche Emballage. Ich habe oft gesagt, daß ich etwas darum gäbe, wenn Philippine häßlich wäre. Als Heirathsartikel ist es doch immer einerlei; der Mann gewöhnt sich an eine häßliche Frau, wie an eine hübsche; nach Jahr und Tag weiß er nicht mehr, wie seine Frau aussieht. Doch er kann bei den Geschäften ruhiger seyn, und braucht nicht an der Börse zu denken: jetzt ist ein Hausfreund bei meiner Frau; wenn er so klug gewesen ist, sich eine zu nehmen, die nicht hübsch ist.«

Dabei hatte es sein Bewenden. Philippine erfuhr mit geheimen Grauen ihre Bestimmung. Nie hatte sie Herrn Kauser gesehn; aber es fehlte ihr nicht an natürlichem Verstande, um a priori zu schließen: der Vater würde ihr wohl eben nicht einen liebenswürdigen Mann aussuchen.

Die Leser könnten mit Recht fragen: woher Philippine doch einen Begriff von Liebenswürdigkeit genommen habe? In der That war sie einst gar schlecht unterrichtet worden, kam nur bei den schon erwähnten Gelegenheiten aus, und sah weiter Niemanden, als die Hausgenossen. Denn hatte Jemand in Geschäften mit Lund zu reden, so mußten die Frauenzimmer sich entfernen, wenn sie nicht ohnehin häusliche Verrichtungen hatten.

Bei dem Allen war Philippine nicht ganz ungebildet. Erstlich hatte sie einen lebhafteren natürlichen Verstand, als ihre Mutter. Zweitens ereignete sich aber auch ein Umstand, wodurch einige Entwickelung dieser Anlage entstehen konnte, und wirklich entstand.

Vor Jahr und Tag hatten sich Lunds Geschäfte dergestalt erweitert, daß er, neben den gewöhnlichen Ladendienern, eines Buchhalters bedurfte. Er hatte zeither die Verrichtungen desselben theils allein besorgt, theils den ältesten seiner Ladendiener dazu gebraucht. Dieser ging nun von ihm ab; von den übrigen hatte keiner die nöthigen Kenntnisse, und überdem war, wie schon gesagt, der Kreis, in welchem man sich tummelte, bei weitem größer geworden.

Als Lund damal einen Buchhalter suchte, war es nicht leicht, einen nach seinem Wunsch zu finden. Junge Handelsbeflissene von Erziehung und mannichfachen Kenntnissen pflegten ein gutes Gehalt, gute Beköstigung, und eine anderweitige gute Behandlung zu wollen. Lund verlangte nun mehr Kenntnisse, als er selbst hatte: der Buchhalter sollte in französischer, englischer und italiänischer Sprache Correspondenz führen, was Lund nicht verstand, was aber geschehen mußte, in so fern er die zeither nur auf Deutschland beschränkten Geschäfte über dessen Gränzen hin ausbreiten wollte. Disconto und Handel mit Papiergeld waren nicht mehr so lebhaft wie sonst; Lund hatte namhafte Summen liegen, und mußte sehn, wie er den größtmöglichen Ertrag davon zöge. Trieb er indeß auch manchen Großhandel, so lebte er doch immer noch auf dem Fuß eines Kleinkrämers; ja, selbst bei dem kleinsten unter den Kleinkrämern würde man wohl kaum eine so armselige Lebensweise gefunden haben. Unter diesen Umständen wollte er zwar bei seinem Buchhalter ungemein große Kenntnisse, aber ihn nur schlecht besolden und schlecht beköstigen. Auch sollte der Buchhalter sich – mitunter wenigstens – gefallen lassen, daß er schlecht behandelt würde; denn in dem, was man behandeln nennt, ging Lund mit seinen Ladendienern gar wenig zart um: sie mußten Rippenstöße und andere handgreifliche Weisungen hinnehmen, und wurden nicht allein in der dritten Person angeredet, sondern häufig auch in den Vocativen der Substantive Esel, Schlingel, Lümmel u. s. w. Dies hatte freilich die Folge, daß keiner so leicht ein halbes Jahr bei ihm aushielt.

Als er sich jetzt an der Börse in seiner Absicht umthat, und die Mäkler um junge Handelsbeflissene mit vorzüglichen Kenntnissen befragte, gab es deren wohl, die ein Unterkommen suchten, doch nicht Einen, der es bei Lund finden wollte. Wurde ihnen nur der Name genannt, so hörten sie auch schon auf, von der Sache zu sprechen, und die Mäkler waren also nicht im Stande, Herrn Lund ein taugliches Subjekt nachzuweisen. Einige Monate blieb dessen Absicht unerfüllt; dann meldete sich aber ein hübscher junger Mensch von selbst bei Herrn Lund, mit der Anfrage: ob er bei ihm die Stelle eines Buchhalters bekommen könne.

Lund maß ihn vom Wirbel bis zu den Sohlen. Letztere waren etwas schadhaft, und dort die Haare ohne alle Zierlichkeit geordnet. Ein abgetragner Ueberrock von schlechtem Tuch kam hinzu. Dies Alles konnte dem Prüfenden schon gefallen. Der junge Mensch hielt, dem Ansehen nach, nicht auf windige Eleganz, und trug seine Kleidungsstücke so lange als möglich. Also konnte er sich auch mit wenigem Gehalt begnügen.

Herrisch fragte ihn Lund: ob er Zeugnisse aufzuweisen habe. Jener nahm deren mehrere aus einem wurmstichigen Taschenbuch. Sie waren von namhaften Häusern in Hamburg, Wien und Leipzig ausgestellt, wo der Jüngling conditionirt hatte, und klangen sehr löblich.

Lund hielt sie gegen das Fensterlicht, um zu sehen, ob auch nichts darin radirt und beliebig geändert sei. Dann fragte er barsch: »Aber warum blieb man nicht länger an einem Orte, und zieht umher, wie die Zigeuner?«

Bescheiden wurde ihm geantwortet: Um an verschiedenen Orten meine Kenntnisse zu erweitern.

Nun mußte der junge Mann zur Probe einige verwickelte Handelsrechnungen machen, oder lösen. Hierauf verstand sich Herr Lund; und er sah nun, daß es schnell, richtig, und mit einer saubern Handschrift vollzogen ward. Gleichwohl tadelte er Einiges daran.

Nun führte er den jungen Mann in seine Speicher und Niederlagen. Dort mußte er die Waaren nennen, ihre Güte beurtheilen, und ihre Preise abschätzen. Auch hier bestand er wenigstens ziemlich.

Lund schüttelte aber dennoch den Kopf, ging wieder mit ihm ins Comptoir, und verlangte Geschäftsbriefe in mehreren Sprachen, nach einem durch ihn bestimmten Inhalt.

Sie waren bald vollendet, und hatten ein zierliches Ansehn. Selbst konnte Lund sie nicht beurtheilen, und beschied deshalb Jenen auf den folgenden Tag wieder zu sich.

Unterdessen zeigte er die Briefe einigen Kaufleuten und Mäklern, die fremde Sprachen verstanden, und hörte, daß nichts daran zu tadeln sei.

Ketter – so hieß der junge Mann – fand sich um die bestimmte Zeit wieder ein.

Ganz bin ich zwar nicht zufrieden, sagte Lund; indeß – ich will's versuchen. Was verlangt man an Gehalt?

Zu seiner Befremdung ward nur eine höchst mäßige Summe vorgeschlagen. Lund bot demungeachtet nur die Hälfte. Der junge Mensch zuckte die Schultern, berief sich auf die theure Zeit, und den Umstand: daß er eine unvermögende Mutter habe, die er unterstützen müsse. Doch, setzte er hinzu, will ich für das nächste Vierteljahr einschlagen; auf die Bedingung, daß mir der Herr Principal Einiges zulegen, wenn meine Dienste Ihnen genehm sind.

»Das kann vielleicht geschehn, erwiederte Herr Lund; doch muß ich erinnern, daß man nur Hausmannskost finden wird.«

Daran bin ich in meiner Jugend gewöhnt worden, und sie ist mir die liebste.

»Auch, daß man nicht zu empfindlich seyn darf. Ich habe ein etwas hitziges Naturell, meine es aber gut.«

Ich werde mich stets um die Zufriedenheit des Herrn Principals bemühn; so darf ich keinen Unwillen fürchten.

»Auch, daß man nicht auf einerlei Arbeit muß beschränkt seyn wollen. In meinem Hause kömmt mancherlei vor; und wer in meinem Lohn und Brot steht, muß überall mit angreifen, wo es Noth thut.«

Gern werde ich Ihnen so viele Dienste leisten, als ich nur vermag.

»Auch, daß man ordentlich seyn muß, nicht Abends und Sonntags auslaufen, keine junge lustige Bekannten in's Haus ziehn, die Unfug treiben.«

Die Pflicht der Ordnung versteht sich von selbst; übrigens bin ich hier fremd, und habe keine Bekannten.

»Noch Eins! Man hat nur eine Kammer; auf eine geheitzte Stube lasse ich mich nicht ein.«

Ich bin jung und nicht frostig.

»Am beßten auch, ein junger Mensch wärmt sich das Blut durch Arbeit. Nun – wann will man anziehn?«

Noch heute; in diesem Augenblick, wenn Sie es befehlen.

»Gut; so setz' Er sich gleich an den Schreibtisch.«

In dem Augenblick, wo sich Lund in den wirklichen Principal des Buchhalters verwandelt hatte, verwandelte er auch das bisherige man in die Anrede Er. Andere Buchhalter würden ihm die dritte Person mindestens zurückgegeben haben; Ketter hingegen war so bescheiden, daß er sich gefallen ließ, was Herrn Lund gefiel.

Dieser hatte auch späterhin nicht die mindeste Ursache, Ketters Anstellung zu bereun. Er verrichtete die ihm aufgegebenen Geschäfte nicht allein pünktlich, sondern brachte auch, durch seinen klugen Rath, dem Brotherrn manchen namhaften Vortheil. Er aß und trank so mäßig, wie es ein Harpagon nur verlangen konnte; und waren am Abend die Comptoirgeschäfte vollendet, hatte er nichts dagegen, wenn Lund ihn anwies, mit seiner Frau und Tochter Spezereien zu verlesen, oder Düten zu kleistern. Ungemein selten ging er Sonntags aus, und immer kam er schon nach einer Stunde zurück. In allen Stücken konnte Lund sowohl auf die strengste Redlichkeit, als auf seinen treusten Eifer, den Nutzen der Handlung zu fördern, bauen.

Hatte indeß der Kaufmann, bei so vielem Vortheil, keinesweges Ursache zur Reue, so ärgerte er sich dennoch über den Buchhalter; besonders, als das erste Vierteljahr zu Ende ging. Lund war so weit entfernt, ihm nun eine Gehaltszulage zu bewilligen, daß er vielmehr an einen Abzug dachte. Bei den Ladendienern pflegte das immer zu geschehn; sie hatten irgend etwas zerbrochen, das ihnen zu einem viel höheren, als dem wirklichen, Preise angerechnet wurde, oder es fehlte irgend etwas; genug, Herr Lund verkürzte ihnen den Lohn, und nicht selten bekamen sie gar nichts, oder mußten wohl noch zugeben. Einen ähnlichen Anlaß konnte nun der Principal bei seinem Buchhalter nicht auffinden, wie emsig er auch danach suchte; ja, nicht einmal eine Ursache, ihn zu schelten. So konnte er auch, wenn beim Ablauf des Vierteljahrs Ketter etwa an die ausbedungene Zulage erinnerte, ihm nicht das Mindeste vorwerfen, um die Anschuldigung zu begründen: er sei nicht zufrieden genug mit seinen Diensten, um sein Gehalt zu erhöhen. Deshalb brach er manche Gelegenheit vom Zaun, den jungen Menschen zu schelten. Doch auch hier wurde ihm nur Geduld entgegengesetzt, und als die ersten drei Monate verflossen waren, erinnerte ihn Ketter nicht an jene Bedingung, sondern ließ das kleine Gehalt auch ferner gelten.

Die Abendstunden, wo Ketter sich mit den Frauenzimmern beschäftigen mußte, hatten indeß ihre Nebenwirkungen. Lund pflegte dann oben in eine wohlverwahrte Kammer zu gehn, die seine baaren Summen, und solche Papiere enthielt, wovon Andere nichts wissen sollten. Stundenlang schloß er sich dort ein, zählte, rechnete und schrieb. In seiner Gegenwart sprach Ketter von nichts als von Geschäften, und meistens nur, wenn er befragt wurde; an die Frauenzimmer richtete er nie ein Wort; es hatte das Ansehn, als wäre der junge Mann zu blöde und verlegen dazu.

So verhielt es sich aber in der That nicht; denn sobald Lund sich entfernt hatte, erzählte Ketter Jenen Manches von den großen Städten, worin er sich aufgehalten hatte, oder knüpfte andere Gespräche an, in welchen er sich geistreich genug zeigte. Das unterhielt die so einsam gehaltenen Frauenzimmer angenehm; besonders merkte Philippine eifrig auf Ketters Reden, und zog manche Belehrung daraus. Ihre Mutter hatte nichts dagegen, und sie selbst schöpfte immer mehr Vertrauen zu dem jungen Mann. Er äußerte sich nun auch offen über den Umstand, daß Philippine so wenig Unterricht bekommen hätte, da, bei ihren vortrefflichen natürlichen Anlagen, ihr doch ein mannichfacher zu wünschen sei. Frau Lund sagte: Zu so etwas giebt der Alte kein Geld her; ich selbst sehe wohl ein, daß es Schade um Philippinchen ist, die hier ganz versauern muß, kann aber nichts dabei thun. Nun erbot sich Ketter, in den Abendstunden zuweilen aus einem guten Buche vorzulesen. Jene ließ das gern geschehn, hörte selbst mit großem Vergnügen zu, und willigte auch ein, daß Philippine solche Bücher mit in ihre Schlafkammer nehmen, und sich dort noch daraus belehren konnte. Der junge Mann schrieb ihr auch kleine Aufgaben nieder, mit denen sie sich einsam beschäftigen sollte. Daß man dies Alles vor Lund geheim halten mußte, versteht sich von selbst.

So gelangte Philippine nach und nach zu verschiednen nützlich belehrenden Schriften. Ketter gab ihr Wilmsens Kinderfreund, Raffs Naturgeschichte, Campens Rath für seine Tochter, einige auserlesene Schauspiele, einige Romane von moralischer Tendenz, und mehr, was Geist und Herz bilden konnte. Je angenehmer Philippinen die neuen Beschäftigungen wurden; desto mehr Zeit wendete sie darauf, so viel sie es vor ihrem Vater konnte. Noch kein Jahr war verflossen, und man hätte sagen mögen: mit Philippinen habe sich ein halbes Wunder ereignet. Das sonst kalte, stumme, oder einsilbige Mädchen, an dem nur bisweilen ein lebhaftes Augenblitzen, oder hie und da eine wohl treffende, aber doch übel ausgedrückte Bemerkung ein nicht ganz gewöhnliches Geschöpf ahnen ließ, zeigte nun tiefes, warmes Gefühl, helles Urtheil, nicht selten gar muntern feinen Witz, und hatte im Gedächtniß mannichfache Kenntnisse aufgesammelt. Hatte das – scheinbare – Gänschen sich dergestalt umgewandelt, so konnte man auch bei der Mutter (die Lund eine wirkliche Gans nannte) einige auffallende Entwicklung nicht verkennen. Wenigstens hatte sie mehr Umsicht, als ehedem, wußte die Menschen richtiger zu beurtheilen, und vertraute den eignen Augen mehr.

Daß Lund von den Veränderungen, die mit Beiden vorgegangen waren, wenig merkte, war natürlich. Einmal verbargen sie sich klug vor ihm, und zweitens hatte er den Kopf zu voll von Geschäften, als daß er auf die Frauenzimmer sorgsam hätte achten mögen. Auch sprach er mit ihnen immer nur vom Nöthigen, oder schalt über das Erste Beßte. Ließ man sich dort einmal unvorsichtig ein kluges Wort entfallen, so rief er: »Sehe doch Einer! die Philippine wird am Ende gar naseweis! Willst Du schweigen?« Oder auch: »Die Gans will noch auf ihre alten Tage klug thun.«

Daß Philippine durch Ketters mündliche Unterhaltungen einen starken Impuls auf Gemüth und Verstand bekommen hatte, litt übrigens keinen Zweifel. In dem letzten Vierteljahre hatte sie oft auch Gelegenheit, ihn allein zu sprechen. Es geschah während der sonntäglichen Spaziergänge ihrer Eltern, welche sie, bei dem Mangel an einem neuen Kleide, nicht begleiten konnte. Indeß war Ketter viel zu rechtlich, Mißbrauch von diesen Annäherungen zu machen; er unterrichtete Philippinen nur um desto eifriger über moralische und andere nützliche Gegenstände.

Philippine hatte jetzt auch einige Begriffe von männlicher Liebenswürdigkeit, und die mochte sie hauptsächlich wohl in dem letzten Vierteljahre bekommen haben. Ketters Gestalt war nicht unedel; er kleidete sich zwar ärmlich und wenig zierlich, Philippine hatte indeß nur selten wohlgekleidete junge Männer gesehn, da sie nirgend hinkam. Uebrigens hatte sie wenig natürlichen Hang zum Putz, und daher war ihr auch der Anzug eines Mannes ziemlich gleichgültig. So viel sah sie indeß wohl, daß Ketter, wenn er sich in eine elegante Kleidung würfe, andern artigen Männern keineswegs in der äußern Anmuth nachstehn würde, die sie einer solchen Kleidung verdankten.

Um so niedergeschlagner mußte sie aber seyn, als sie vernahm, daß ein von ihrem Vater gewählter Bräutigam sich ihr zeigen würde. Die Mutter war mit ihr besorgt, wußte ihr aber keinen Trost zu geben; denn Lund hörte auf keine Einreden, trat ihnen stets vielmehr mit Hitze und Härte entgegen, und setzte zuletzt immer despotisch seinen Willen durch.

Nur Eine Hoffnung behielt Philippine noch, in dem Fall, daß sie dem Bräutigam etwa nicht gefiele. Es war ihr daher lieb, in schlechter Hauskleidung vor ihm erscheinen zu müssen; sie schwärzte diese Kleidung noch absichtlich am Küchenherd, und machte sich auch noch selbst einige Rußflecken in das Gesicht. Daneben beschloß sie, gebeugt und linkisch aufzutreten, und auf Alles, was der Bräutigam sie fragen würde, so dumm und albern als möglich zu antworten.

Die Mutter sagte zwar: Ich kenne Herrn Kauser nicht, habe auch sonst nichts von ihm gehört; es wäre aber doch möglich, daß wir uns Beide irrten, und daß der Vater einen Mann ausgesucht hätte, der Dir gefallen könnte. Also ist es nicht klug gehandelt, wenn Du ihm zu mißfallen suchst.

Nein, nein! sagte Philippine; er wird mir nicht gefallen! Das weiß ich, ehe ich ihn noch gesehn habe!

Endlich rollte eine mit schwarzem Tuch überzogne Kutsche vor. Zwei schwarz gekleidete Männer stiegen aus, Herr Lund und Herr Kauser. Die Luft war durch Regen gerade sehr trübe, und die Wohnstube hinter dem Spezereiladen hatte nur Ein Fenster in den etwas engen Hof, so daß es auch an hellen Tagen hier ziemlich dunkel blieb; und vollend bei solchem Wetter, als heute.

Philippinens ohnehin trübes und finstres Gesicht bekam folglich nur ein sehr mattes Licht; und da die Lilien und Rosen darin von den schwarzen Flecken entstellt wurden, so that ihre Schönheit so gut als gar keine Wirkung.

Dazu kam auch noch, daß die kleine Stube, in welche die beiden schwarzen Männer jetzt traten, schon lange nicht mehr geweißt war.

Anfangs redeten sie vom Börsencours, ohne sich um die übrigen Anwesenden zu kümmern. Nach einiger Zeit brachte Herr Kauser denn doch die Angelegenheit, welche ihn hieher führte, zur Sprache. Apropos, fing er an, wenn Ihr keine Ausstattung gebt, so müßt Ihr doch die Hochzeit ausrichten. »Das werd' ich wohl bleiben lassen,« erwiederte Herr Lund; »wer heirathet, der trägt billig auch die Kosten. Man braucht indeß keinen närrischen Aufwand zu machen. Ein Paar Zeugen, ein Paar Tassen Kaffee, und damit gut.«

Herr Kauser dachte ein Weilchen nach, und erwiederte dann: Nun, es ist freilich, genau überlegt, am Ende gleichviel, ob Ihr die Hochzeit ausrichtet oder nicht. Das heißt, wenn es noch dazu kommt. Ihr wißt meine Bedingung. Wo ist die Tochter? Bei diesen Worten setzte er seine Brille auf die Nase.

Lund dagegen brachte seine Ohren in Bewegung, indem er bald hinter dem einen, bald hinter dem andern kratzte. Das that er aus Verlegenheit und Besorgniß, daß der Handel zurückgehn könne.

Kauser fing wieder an: Ist sie schön, und putzt sich gern, so nehm ich sie nicht. Dabei müßte ich mir den Schlag an den Hals ärgern. Ist sie das hier? Hm – nun, es geht damit noch an. Mir wollte Jemand sagen, sie wäre schön. So arg ist es damit eben nicht. Nach ihrem Anzug scheint sie auch eine gute Wirthin zu seyn. Nun ja – ich lass' es mir gefallen.

Philippine, die erst heimlich darüber seufzte, daß sie keine Mühe angewandt hätte, reitzend zu erscheinen, fuhr bei den letzten Worten zusammen, als ergriffe sie ein Fieberfrost. Sie hatte jedoch, seitdem Herr Kauser ins Zimmer trat, nichts anderes empfunden als eine Reihe von kalten Fieberschauern. Der zugewiesene Geliebte war schindeldürr, hatte ein erdgelbes, vielgefaltetes Gesicht, eine lange dünne Habichtsnase, ein spitzes Kinn, und ein Paar weitgeöffnete gelbbraune Augen, die gewöhnlich zwar sehr matt aussahen, aber doch von einem gewissen Isegrimmsfeuer loderten, wenn ein Affekt sie anregte. Die schwarze Kleidung war ihnen günstig; ihr Leuchten trat nunmehr heraus.

Bon jour, Mamsell, krächzte jetzt erst der Prüfende. Ich denke, wir wollen uns schon mit einander vertragen. Werden Sie eine gute Frau seyn, so bin ich ein guter Mann. So viel sag' ich Ihnen aber vorher, spaßen lass' ich mit mir nicht. Servitör, Madam Lund!

Jetzt wandte er sich halb um, auf's Neue mit dem Vater des Mädchens zu sprechen, der jetzt viel leichter athmete, weil sich kein Hinderniß gezeigt hatte. Nun sah die Braut Herrn Kauser, der seine Brille, nach vollendeter Prüfung, wieder abnahm, von der Seite. Dies hatte sein Vortheilhaftes für die convexe Nase und das concave Kinn. Der Zufall ließ aber dem Profil der Gestalt noch einige malerische Ergänzungen angedeihen, welche der Fantasie der Braut ungemein zu Hülfe kamen. Die weitgeöffneten Augen hatten bei ihr den Effekt eines abgebildeten weitgeöffneten Höllenschlundes gethan. Die Wirkung des Profils entsprach jener Illusion, nur daß sie vom Reich zu dem Regenten überging. Das sollte nun der Fantasie noch über alle Erwartung leicht gemacht werden. Der Bräutigam hatte pechfarbne, mit grau durchmengte, struppige Haare, an deren Verschneidung lange nicht gedacht war. Nun sträubten sich am Scheitel zwei gekrümmte, spitz auslaufende Borsten auf, die, von der Seite gesehn, zwei mäßigen Hörnern glichen. Kauser hatte sich aber in den etwas kurzen Trauermantel dergestalt gewickelt, daß er sich bis nahe an die Mitte des Leibes heraufzog. Und weil er darunter seinen Hut einklemmte, so fügte es sich, daß eine Ecke desselben hinterwärts vorblickte, und zugleich einen rheinländischen Fuß lang den schwarzen Flor niederwallen ließ. Nichts konnte lebhafter an den Schweif erinnern, von dem man nicht weiß, ob ihn Lucifer wirklich hat, oder ob ihn die Maler nur freigebig damit beschenken.

Philippine war indeß nun vom Grausen übermannt, sank ihrer Mutter halb ohnmächtig in die Arme, und rief zugleich, mit Wehmuth und Entsetzen zu gleichen Theilen in ihrer Stimme: Hu, der Teufel leibhaftig!

Herrn Kauser gefiel das Compliment freilich schlecht, und Herr Lund wallte in dem grimmigsten Zorn darüber auf. Was Teufel, rief er, schickt es sich für eine Braut, den Bräutigam Teufel zu nennen? Daß ich Dir nicht mit der flachen Hand an das gottlose Maul komme! Du solltest wirklich meinen, der Teufel wär' es!

Philippine stotterte: Beßter Vater, ich flehe Sie um Erbarmen an! Geben Sie mir den Tod, nur diesen Mann nicht. Ich kann ihn nicht heirathen! Mir graut und schaudert vor ihm –

Jungfer Naseweis, fiel Herr Lund ein, wird Sie gefragt? Hat Sie auch eine Stimme?

Jene fuhr fort: Ich eigne mich auch nicht für ihn.

Donnernd gebot ihr der Vater, zu schweigen, und fügte hinzu: Will das Ei klüger seyn, als die Henne? Ich muß wissen, was zusammen paßt!

Frau Lund, ihre Tochter im Arm haltend, brach nun in Thränen aus, und rief: Nein, lieber Mann, der Unterschied in den Jahren ist zu groß. Mache Dein Kind nicht unglücklich!

Seht doch, entgegnete der liebe Mann; will die Gans auch drein schnattern?

»Ich bin Mutter, und gebe meine Einwilligung nicht.«

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht um Deine Einwilligung gefragt, und werde es auch bis an mein seliges Ende nicht thun.

Ei, fiel Herr Kauser ein, mein lieber Lund, das hätte ich nicht gedacht! Eure Frauenzimmer sind schlecht gezogen. Uebrigens thut bald, was Ihr thun wollt; ich habe Posttag, und verliere meine Zeit.

Gut, entgegnete Herr Lund, ich werde Euch vorläufig mit dem Mädchen versprechen. Ein Zeuge muß wohl noch dabei seyn. Ich rufe meinen Buchhalter.

Er ging, und der Bräutigam wandte sich unterdessen an Philippinen. Mamsell, sagte er, glauben Sie nicht etwa, daß ich so einfältig bin, Ihnen nicht in's Herz zu sehn. Es ist nur Verstellung und Ziererei. Sie heirathen für Ihr Leben gern, sind froh, daß ich gekommen bin. Man kennt die Jüngferchen, sie machen's alle so. Meine selige Frau wollte auch durchaus nicht, der Vater mußte Gewalt brauchen. Aber sie widersetzte sich nur zum Schein; die Gewalt wäre gar nicht nöthig gewesen. Aergern Sie doch Ihren Vater nicht unnützer Weise. Sie stellen sich, als wollten Sie das nicht, was Ihnen doch sehr lieb ist.

Lund fand sich wieder ein; Ketter folgte. Hier ist ein Zeuge, fing Jener an; nun kein Sperren mehr, Jungfer Naseweis! Hingegangen zu Herrn Kauser, gesagt: lieber Bräutigam, ich freue mich, daß ich die Ehre haben soll, Ihre Frau zu werden. Dann ein Küßchen in Ehren gegeben. Allons, wie lange währt's?

Ketter staunte. Herr Lund, rief er, um Gottes willen! was denken Sie zu thun!

Mit großen Augen fragte dieser: Wa ... wa ... wa ... was ist das?

»Sie könnten Ihre liebenswürdige Tochter so hinopfern?«

Wa ... wa ... was geht Sie das an, junger Herr? Zeugen sollen Sie, die Ohren brauchen, nicht den Mund. Wie kann sich auch der Buchhalter unterstehn, seines Principals Verfahren zu tadeln! Da soll ja ...

»Wie unedel muß ein Mann fühlen, der nicht allein an eben dem Tage, an welchem er die vorige Gattin begraben hat, sich abermal versprechen will, sondern auch ein Mädchen, das Grauen vor ihm einer Ohnmacht nahe bringt, durch Zwang an sich gefesselt kann sehn wollen!«

Ich sage Ihnen meinen Dienst auf! – Herr Kauser rief: Und dann muß es an der Börse öffentlich gesagt, ja selbst den Handelsfreunden weit umher geschrieben werden: daß er widerspenstig gegen seinen Principal gewesen ist, einen soliden angesehenen Kaufmann, dem er Respekt schuldig war, mit himmelschreiend unehrerbietigen Worten beleidigt hat. An keinem Orte muß er wieder eine Condition finden! Aber die Zeit vergeht. Macht fort, Lund!

Der junge Mann rief: »Weigern Sie sich Philippine! Es gilt das Glück Ihres Lebens. Die Gesetze berechtigen Sie, da Ihren Gehorsam zu versagen, wo man Sie zwingen will, in Ihr Verderben zu gehn!«

Philippine hatte mehr Muth, seitdem Ketter eingetreten war. Feierlich schwör ich, sagte sie, daß ich diesem Mann nie meine Hand geben werde, und sollte ich darüber auch untergehn.

Frau Lund küßte ihre Tochter, billigte, was sie gesagt hatte, und versprach ihren Beistand nach allen Kräften.

Nun liefen die beiden Schwarzen in blindem Zorn mit den Köpfen an einander, und wurden durch den Schmerz noch wilder. Kauser trat mit eingestemmten Armen vor Philippinen hin, und sah ihr mit so strafenden und drohenden Blicken ins Gesicht, daß selbst die Tapferkeit davor hätte zittern mögen. Zu Worten gelangte sein Grimm dagegen nicht; Lunds Flüche hätten sie auch übertäubt.

Seitdem ihm Ketters kluge Thätigkeit wichtige Vortheile gebracht, hatte Lund das Er doch in eine höflichere Anrede umgeändert, weil er meinte, das Sie koste ja nichts, und der junge Mann könne es anstatt einer Gehaltszulage in Empfang nehmen. Jetzt aber rief er die Anrede mit Er zurück, nachdem schon Flüche vorhergegangen waren. Er packte den jungen Mann zugleich an der Brust, und schrie: Bu – bu – Bursche! Er will meine Tochter zum Ungehorsam verleiten? Wa – wa – was geht meine Tochter Ihn an?

Kaltblütig hielt Jener ihn ab, und sagte: Viel geht sie mich an. Ich sage muthig, daß ich Philippinen liebe. Zuerst sah ich sie in der Kirche, wo ihre Schönheit mich bezauberte. Ich wünschte, ihr nahe zu seyn, um mir ihre Gegenliebe erwerben zu können. Darum kam ich in Ihr Haus, fügte mich in jede Ihrer wunderlichen Launen, suchte durch Redlichkeit und Fleiß meines Principals Wohlwollen zu verdienen. Schon manchen Jünglingen gelang unter solchen Umständen endlich, was sie Anfangs nimmer hoffen durften. Ich machte einen ähnlichen Entwurf, ob mich schon nicht Philippinens Reichthum, sondern ihre Liebenswürdigkeit angezogen hatte. Daher bediente ich mich einer List, doch keiner Arglist, sondern einer schuldlosen, auch dem Redlichen erlaubten. Geben Sie mir Philippinen ohne alle Ausstattung. Ganz so unbemittelt, wie ich es vorgab, bin ich nicht, und traue mir hinreichende Geschicklichkeit zu, eine Frau zu ernähren.

Philippine rief: Auch ich gestehe freimüthig, daß ich ihn liebe.

Die beiden Schwarzen geberdeten sich, als wollten sie mit den Köpfen gegen die Wände laufen, Wände und Köpfe zugleich einstoßen. Doch besannen sie sich noch, und sprachen in dem heftigsten Zorne, beide zugleich. Herr Lund rief zitternd: Also hat Er sich wie ein Betrieger in mein Haus geschlichen, und obenein mir die Tochter verführt! Nicht genug, solchen Bösewicht fortzujagen; verhaften, einstecken lassen muß man ihn. Ich will auf der Stelle zu dem Polizeiamt!

Er klemmte seinen Trauermantel in die Thür, als er beim Weggehn sie hinter sich zuwarf, und ließ ihn, wie Joseph, lieber fahren, als daß er noch zaudern mochte.

Herr Kauser hatte mit ihm zugleich gesprochen: O, wenn es hier noch einen jungen Wildfang giebt, der einem soliden Geschäftsmann böse Tücke spielen könnte; wenn das Jüngferchen obenein in ihn vernarrt ist, so kann ich mich bei einem vorläufigen Versprechen nicht beruhigen. Ich hole einen Notar; gleich Schwarz auf Weiß, unterzeichnet und gehörig besiegelt.

Er ging auch, blieb aber in den Mantel gewickelt; und dies kam ihm zu Statten, wie man sogleich hören wird.

Nie, seitdem er lebte, hatte sich Lund so heftig geärgert, wie diesen Abend. Der Zorn hatte auch seinen ganzen Körper in den stärksten Schweiß gesetzt. In seiner blinden Wuth hatte er gar nicht bedacht, was jetzt das Klügste sei. Ihm, einem guten Rechner, mußte jeder Strich durch die Rechnung ein Dorn im Auge seyn. Der heutige lange aber brachte ihn fast ganz von Sinnen.

So rannte er davon, und bemerkte nicht, daß sich der vorhin mäßige Herbstregen in einen Platzregen verwandelt hatte, den man beinahe einen Wolkenbruch hätte nennen mögen. Es war ziemlich weit nach dem Polizeiamt. Jupiter pluvius drang durch den schwarzen leichten Rock, und überschwemmte die Oberfläche des Körpers zum zweiten Male. Heiße und kalte Nässe vertrugen sich nun so schlecht, daß aus ihrem Zwiespalt ein Zwiespalt zwischen Lunds Leib und Seele entstand, dessen Natur gewiß irgend ein Arzt den Lesern gern erklären wird, wenn sie ihn höflich darum fragen.

Genug, Lund erkältete sich plötzlich auf seinen glühenden Zorn, und fiel, ehe er noch das Polizeiamt erreicht hatte, auf der Straße nieder. Daß er gerade in einen Rinnstein fiel, und daß einige Zeit verging, ehe man ihn aufhob und ins Trockne brachte, vermehrte die Folgen der Erkältung bis zu einem sehr hohen Grade.

Bei einem Platzregen gehen natürlicher Weise schon wenige Menschen aus dem Hause, und in einem Rinnstein kann man länger unbemerkt bleiben, als mitten auf dem Fahrdamm.

Erst nach einer Viertelstunde wurde Lund gesehn, und erkannt, doch im Anfang für betrunken gehalten, bis verständige Leute bemerkten; der, bei seinem Geitze, habe sich gewiß nicht betrunken; ihm sei eine Ohnmacht, ein Krampf, wo nicht gar ein Schlagfluß, zu gestoßen.

Endlich zog man den Röchelnden aus der Tiefe, und schaffte ihn mit einem Tragsessel in seine Wohnung. Ehe dies geschah, untersuchte noch ein vorbeigehender Chirurgus seinen Zustand.

Als vorhin die beiden Schwarzen weggeeilt waren, thaten die zurückgebliebnen Frauenzimmer, was Frauenzimmer unter solchen Umständen zu thun pflegen: sie ließen Klagen auf Thränen folgen, und dann wieder Thränen auf Klagen. Dem Buchhalter fiel das Trösten anheim, obwohl er selbst Trost bedurfte. Er sagte indeß: Standhaft, gute Philippine; man kann und darf Sie nicht zwingen. Wenn Ihre Mutter sich nicht zur Einwilligung bewegen läßt, so muß ihr Wort doch auch gelten. Ich kann nun nicht mehr im Hause bleiben, ob ich es gleich mit Schmerz verlasse. Eine Verhaftung besorge ich zwar nicht, will auch vor jedem Richter vertreten, was ich gethan und gesagt habe; Herr Lund hat mir aber den Dienst aufgekündigt. Nun, meine Bücher sind in Ordnung. Nur eine kurze Anweisung für meinen Nachfolger, und ich kann noch heute gehn.

Philippine bat ihn weinend, zu bleiben, und sie in der Noth nicht zu verlassen. So lange es möglich ist, soll es geschehn, erwiederte Ketter; allein Ihr Vater wird auf meine Entfernung dringen, wenn er weiter nichts vermag. O Philippine, ich weiß nun, daß Sie mich ein wenig lieben. Welche Glückseligkeit, und welches Entsetzen zugleich für mich, da meine Trennung von Ihnen jetzt nothwendig ist, und da ich nun überzeugt bin, von Ihrem Vater nie mein Glück hoffen zu dürfen!

Ketter, sagte Philippine ermannt; ja, ich liebe Sie! Zu sehr haben Sie meine Achtung und meine Dankbarkeit gewonnen, als daß ich je einem Andern meine Hand geben könnte. Braucht mein Vater Gewalt, so sag ich noch am Altare Nein, und rufe die Gesetze zu Hülfe. Doch sagen Sie mir, Sie, der Sie mich mit so vielem Guten, Rechten, Edlen und Schönen bekannt gemacht haben: würde es in meiner Lage unrecht seyn, wenn ich zu entfliehn suchte? Als Kammerjungfer, vielleicht sogar als Lehrerin, fände ich wohl ein Unterkommen. Schwer würde es mir freilich seyn, mich von der guten Mutter zu trennen; das müßte ich aber ja auch, wenn ich den verhaßten Kauser heirathete. In jenem Fall wüßte sie mich doch vor dem schrecklichsten Unglück gesichert.

In dem einzigen Fall, erwiederte Ketter, daß Ihr Vater seine Absicht mit Gewalt durchsetzen will, halte ich es für erlaubt, daß Sie entfliehn. Auf meinen – anspruchlosen – Beistand können Sie dann sicher zählen.

Ich will selbst helfen, schluchzte die Mutter, allen Zorn meines Mannes tragen. –

Der Buchhalter ging ins Comptoir; die Frauenzimmer blieben, und weinten ihre schmerzlichen Thränen fort.

Da eilte, ehe noch der Tragsessel vor dem Hause war, jener Chirurgus herein. Erschrecken Sie nicht, Madame, fing er an; ich bringe eine üble Nachricht. Herrn Lund hat der Schlag gerührt. Er ist ohne alle Besinnung, und – fassen Sie sich – es ist keine Hülfe mehr.

Mutter und Tochter erschraken in der That sehr heftig; doch ihre Thränen hörten sogleich auf zu fließen. Ist es möglich? rief Frau Lund; ist es möglich?

Man trug den Sterbenden bereits in die Hausthür. Die Gattin eilte ihm entgegen, und wußte nicht, ob sie den eignen Augen trauen sollte. Doch that sie nach Pflicht und Gewissen, was nöthig schien. Der Kranke wurde in das Schlafzimmer gebracht, der nassen Kleidung entledigt, und in das gewärmte Bett gelegt. Der Chirurgus öffnete zwei Adern, sagte aber voraus, daß es unnütz seyn würde. Frau Lund befahl, daß noch ein Arzt geholt werden sollte, der berühmteste in der Stadt.

Bis er kam, beschäftigte der Chirurgus sich mit andern Rettungsmitteln. Philippine, die ungemein verstört in die Küche geeilt war, half dem Mädchen Thee bereiten und Steine wärmen. Von Zeit zu Zeit kam Frau Lund zu ihr, und sagte: Er bleibt dabei, daß keine Hülfe ist. Wir müssen aber doch nichts versäumen, daß wir uns nichts vorzuwerfen haben.

Philippine erwiederte jedes Mal: Freilich müssen wir das; sonst behielten wir ja kein gutes Gewissen.

Der berühmte Arzt kam endlich, fand hier aber keine Gelegenheit mehr, noch berühmter zu werden. Lunds Gesicht war zur Hälfte blau; nur selten vernahm man ein Röcheln, und der Puls war kaum noch zu finden.

Ist noch Hoffnung, Herr Doktor? fragte Frau Lund.

Nur einige Minuten kann es noch währen, antwortete der Arzt, nach einem bedauernden Achselzucken.

Frau Lund eilte wieder in die Küche, und schlug die Hände zusammen. Es ist bald aus, sagte sie; ich hätte es nie gedacht. Nun soll ich ihn doch überleben. Da sieht man: unverhofft kömmt doch oft!

Aengstlich sagte ihr Philippine ins Ohr: sie möchte nicht vergessen, ja nicht vergessen – was, das konnte sie nicht hervorbringen.

Die Mutter eilte in die Wohnstube. Beide gingen neben einander auf und ab, ohne etwas zu sagen. Bald kam der Arzt: Madame, ich bezeuge mein Beileid; Ihr Mann hat geendet.

Ist er auch gewiß todt? entfuhr der neuen Wittwe; kann ich mich darauf verlassen?

Philippine zupfte sie wieder ängstlich am Kleide, und Jener erklärte die absolut tödtlichen Wirkungen einer solchen Apoplexie, wie die vorliegende.

Er soll einen Grabstein von Marmor haben, sagte Frau Lund wieder, und dachte dabei dunkel: zum Dank für die große Wohlthat, die er mir durch seinen Tod erzeigt.

Die Nichthülfe der Aerzte ward reichlich bezahlt, und Beide gingen ihres Weges.

Mutter und Tochter flogen zum Todten, und schauderten. Die entseelten Züge schienen Trümmer von Geitz und Wuth. Lange war der Anblick nicht auszuhalten; Jene eilten in die Wohnstube zurück. Noch immer waren sie im Taumel einer Bestürzung, als kämen sie aus einem Kerker, und hätten noch dazu ein Loos von funfzig tausend Thalern gewonnen.

Träum' ich auch nicht? sagte Frau Lund; ist es denn wirklich wahr?

Wahr, erwiederte die Tochter. Nur fassen Sie sich; lassen Sie nicht merken ...

Mein Gott, fiel die Mutter ein, hat er es denn danach gemacht, daß wir uns über seinen Tod grämen können? Ich hatte keine frohe Stunde bei ihm, und sein Kind wollte er auch noch ohne Erbarmen unglücklich machen.

Hätte er noch einen letzten Willen abfassen können, sagte die Tochter, so würde er sicher darin verordnet haben, daß ich Kausern heirathen sollte.

Oder er hätte Dich enterbt, fiel die Mutter ein.

Nun, sagte die Tochter wieder, heirathe ich Kausern doch nicht, liebe Mutter? – Und die Mutter umarmte sie.

Ketter hatte von dem Allen nichts gehört. Jetzt trat er wehmüthig in die Stube. Herr Lund, fing er an, kömmt nicht wieder; so will ich denn gehn.

Er kömmt nicht wieder, sagte Frau Lund; Sie gehn aber nicht. Wer sollte denn die Geschäfte meiner Handlung führen? Oder vielmehr: unsrer Handlung; denn sie gehört mir und Philippinen zur Hälfte.

Der junge Mann verstand sie nicht, und gerieth in das höchste Erstaunen, als man ihm das Nähere sagte. Ungläubig ging er zu dem Leichnam, und kam bald in großer Bestürzung wieder. Jetzt erschien auch Herr Kauser, von einem Notar begleitet. Schwarz auf Weiß, rief er; Siegel und Zeichnung!

Frau Lund sagte: Herr Kauser, ziemt es sich wohl, gleich nach einem Todesfall ein Verlöbniß zu halten?

Warum nicht? antwortete er; über Vorurtheile muß man sich hinwegsetzen, wo es das Mein und Dein gilt.

Gut, hob Frau Lund wieder an; nun habe ich zu reden. Herr Notar, ich verspreche meine Tochter mit meinem Buchhalter, und Herr Kauser ist wohl so gütig, als Zeuge sich zu unterschreiben.

Herr Kauser rief: Was sind das für Possen! Wo ist mein Herzensfreund Lund?

Man hinterbrachte ihm alles. O, wie würde ihn der Tod des Herzensfreundes entzückt haben, wenn er schon mit Philippinen verheirathet gewesen wäre!

Seine Einreden halfen nicht, da er nicht Schwarz auf Weiß hatte. Ketter und Philippine wurden nach einigen Monaten ein frohes Paar. Der wurmstichige Hausrath wurde abgeschafft; man genoß, was der Geitz zusammengescharrt hatte, und freute sich des Lebens, doch mit Anstand und mäßig.

Das Sonst und Jetzt waren im Lundschen Hause nun ziemlich verschieden. So geht es im weiten launigen Reiche der Schicksalsgöttin. Oft sinken die Freuden der Lebenden mit in ein Grab; bisweilen aber blühen ihnen auch Rosen daraus hervor.

Share on Twitter Share on Facebook