Drei Liebespaare in Einem.

Der Sohn eines sächsischen, ziemlich bemittelten Landedelmanns wurde nach D*** auf eine Schule gesandt. Er war träge im Lernen, fleißig aber im Koboltschießen und Ballschlagen; oft vergaß er über einer glatten Schlitterbahn im Winter, oder einem steigenden Papierdrachen im Herbst, daß ihn eine Lehrstunde erwartete, und mußte daher ins Carcer. Die ihm jedes Vierteljahr ausgestellten Zeugnisse lauteten ungemein übel; er mußte sie jedes Mal in die Heimath schicken, von wo dann tüchtige Strafpredigten erfolgten. Sechzehn oder siebzehn Jahre mochte er alt seyn, als, nach einem ganz außerordentlich üblen Zeugniß, sein Vater in D*** anlangte, um einmal selbst nach dem ungerathenen Sohn zu sehn. Er fand dessen Wohnzimmer in solcher Unordnung, daß er die Hände über dem Kopf hätte zusammenschlagen mögen. Bälle und Flitzbogen lagen umher, die Schulbücher waren zerrissen, die Hefte voll Tintenflecke, und allerlei Fratzen darauf gezeichnet, so wie auch an den Wänden. Lisuart – so hieß das Söhnchen – hatte sich nicht gewaschen, nicht gekämmt; an Ellbogen und Knieen zeigten sich merklich schadhafte Gegenden.

Aber Junge, rief der Vater, Du spielst noch mit Bällen und Flitzbogen? Und so liederlich sieht Alles neben und an Dir aus? Bist ein Edelmann, und hast nicht mehr Ambition? Gehst mit zerrissenen Hosen, und das Hemd kuckt Dir an den Ellbogen heraus? Wie lange ist es her, daß ich Geld zu neuen Kleidern geschickt habe?

Ehe Lisuart zu einer Antwort gelangen konnte, bekam er zwei derbe Ohrfeigen; nun ward er tückisch, und antwortete gar nicht.

Der Vater machte jedoch mit ihm eine Runde bei den Lehrern, um sich zu erkundigen, woran es doch mit dem Buben läge.

Der Rektor sagte: Zwei Umstände sind es hauptsächlich, an denen es liegt, daß der junge Herr nichts lernt. Einmal schläft er zu lange, und kömmt immer zu spät in die Classe, wie sehr ich ihm auch das Aurora musis amica empfohlen, und ihn ermahnt habe, mit Tagesanbruch seine Uebungen vorzunehmen. Zweitens aber stecken seine Taschen immer voll Kuchen und Obst; er nascht während des Unterrichts in Einem weg verstohlen, und da gilt folglich das plenus venter non studet libenter auch in Einem weg bei ihm.

Junge, hob der Vater wieder an, wo nimmst Du das Geld her? Ich habe Dir doch nur acht Groschen zu Kleinigkeiten monatlich ausgesetzt.

Der Rektor faßte ihm während dessen in die Taschen; in der einen befand sich eine Mandel Abrikosen, in der andern ein Paket überzogner Gewürzkuchen.

Lisuart mußte nun reden, und gestand in abgebrochnen Worten: daß er bei verschiednen Kuchenbäckern und Obsthökerinnen auf Borg nähme.

Der Vater sagte zornig: Ich will in den Zeitungen bekannt machen lassen, daß Dir auch nicht eine gebrannte Mandel, nicht eine Pflaume, kreditirt werden soll.

Der Conrektor und der Subrektor äußerten ebenfalls große Unzufriedenheit, und klagten, daß der junge Mensch sich durch einen gewissen erzschalkhaften, boshaften Sinn auszeichne. Es sollte damit, ihnen zufolge, so weit gehen, daß er die Ehrerbietung vor seinen Lehrern vergäße. Beide führten einige Beispiele an. Einer sagte: Wie oft ich es ihm auch schon verboten, ja, ihn darum ins Carcer geschickt habe, nennt er mich doch oft, anstatt Herr Conrektor, Herr Kornrektor, so daß alle Knaben lachen, und die Aufmerksamkeit verloren geht. Ich bin nicht zu übermäßiger Strenge geneigt; jung ist jung. Sollen aber zuweilen allotria getrieben werden, so gescheh' es in den Freistunden, nicht in der Klasse.

Und mich, fiel der Andere ein, redet er oft, anstatt Herr Subrektor, Herr Suppenrektor an. Man sagt wohl: pueri puerilia tractant; allein der Herr Sohn sollte nicht mehr zu den Knaben gehören wollen.

Sein College nahm abermal das Wort: Daß er es gerade so übel meine, behaupte ich bei dem allen nicht. Die veränderte Silbe in Korn will sagen: ein Mann von ächtem Schroot und Korn. Er sollte gleichwohl bei der alten bleiben.

Nein, hob Lisuart stotternd an; so habe ich es nicht gemeint ...

Der Lehrer fragte: Wie denn sonst?

Er bekam zur Antwort: Nun – weil Sie so gerne Korn trinken.

Hierüber gerieth der Conrektor fast außer sich, und wollte den Beleidiger nicht mehr in seiner Klasse dulden.

Feuerroth wollte nun auch der Subrektor hören, weshalb denn sein Titel eine Veränderung erlitten habe. Der junge Mensch antwortete: es sei ihm zu Ohren gekommen, der Herr Subrektor habe einmal auf einem Schmaus eine ganze Terrine Suppe allein verzehrt.

Nun wollte auch dieser ihn nicht mehr unterrichten. Wär' es noch klassischer Witz, sagte er, so behielt' ich ihn in meiner Klasse; Allein dieser Witz ist schal, trivial.

Bei der Schule stand aber noch ein Quintus, der berühmt und berüchtigt zugleich war: jenes, weil er mehrere Schriften herausgegeben, die Aufsehn in der gelehrten Welt machten; dieses, weil er ehedem schon ein andres Amt bekleidet, aber von den jungen Mädchen, die er unterrichten sollte, zwei in einen Zustand versetzt hatte, nach welchem sie gesegnet zur Einsegnung kamen. Man hatte ihn weggejagt und noch anderweitig hart bestraft; ihn endlich aber, seiner trefflichen Kenntnisse wegen, doch wieder als Schulmann – nur nicht bei Mädchen – angestellt. Dieser Quintus trat nun für Lisuart ein. Er wollte bemerkt haben, daß der junge Mensch ein Genie sei. Nur Geduld! setzte er hinzu; es wird sich schon entfalten, und dann geht es auch mit den Studien über Hals und Kopf. Ich weiß, wie es bei mir gegangen ist.

Schon wollte der Vater seinen ungerathenen Sohn wieder mit nach Hause nehmen; doch der kleine Schimmer von Hoffnung, auf welchen der Quintus deutete, bestimmte ihn anders. Er versprach dem Conrektor und Subrektor, ihnen ein Paar geräucherte Schinken in die Küche zu senden, wenn sie die Sache gut seyn ließen.

Lisuart wohnte bis jetzt bei einem Bürger, dem der Vater eine Art von Aufsicht über ihn anvertraut hatte. Der Mann sagte aber: der junge Herr folge nicht, und richte auch im Hause nur allerlei Unfug an; darum wäre es ihm lieber, wenn der junge Herr auszöge.

Dem Vater fiel nun ein, daß in D*** ein verabschiedeter Hauptmann lebe, der sein Freund und Herr Bruder sei. Er ging mit Lisuart zu ihm, und fragte: ob es anginge, und er ihm die Freundschaft erzeigen wollte, den Sohn in sein Haus zu nehmen? – Von dessen übler Aufführung verschwieg er nichts, setzte aber hinzu: Strenge ist um so nöthiger; und kann Einer noch etwas aus ihm machen, so bist Du es, Herr Bruder.

Warum nicht, Herr Bruder? entgegnete der Hauptmann; das will ich Dir schon zu Gefallen thun. Aber ich muß im Nothfall die Fuchtel brauchen dürfen.

In Gottes Namen, erwiederte der Vater; brauche Sie nur recht oft! Er hat neun Häute; thu' Alles Dir Mögliche, ihm auch durch die letzte zu kommen.

Nicht öfter, sagte der alte Officier, als wenn er nicht pariren will. Von Gelehrsamkeit versteh' ich den Teufel; aber daß er früh aufstehn und sich an die Bücher setzen soll, will ich schon machen. Und kömmst Du wieder, und er ist nicht in seinem Anzug, wie aus dem Ei geschält, so ... gerade soll er mir auch gehn, wie eine Kerze.

Der Hauptmann erfüllte sein Versprechen. Kaum war Lisuart einige Monate in seinem Hause, als er in manchem Betracht sich gebessert hatte; aber doch nur ein wenig, und nicht in allen Stücken. Die Kleidung war sauber, stand ihm aber nicht gut; er ging gerade, doch steif, ohne Anmuth. Das Kinderspielzeug war verschwunden; Lisuart stand auch, in Rücksicht auf die schon einige Mal empfundenen Fuchtel, zeitig auf; doch an den Büchern wurde noch immer nicht viel gethan, ja, eigentlich noch weniger, als zuvor, wo er doch noch Gesichter mit langen Nasen hineingekritzelt hatte; was der Hauptmann nicht mehr zugab. Noch immer lauteten die Schulzeugnisse keineswegs rühmlich, und Lisuart saß noch in Quarta, obschon Manche, die jünger als er waren, sich in Tertia, ja in Secunda befanden.

Der Hauptmann nahm ihm einen Fechtmeister und einen Tanzmeister an, daß sie ihm ein sogenanntes air degagé beibringen sollten. Bei Jenem machte Lisuart einige Fortschritte, zum Tanzen hingegen hatte er so wenig Lust als Geschicklichkeit.

So kam sein achtzehntes Jahr heran, und auch der Winter, für den sein neuer Mentor in eine Gesellschaft trat, die sich wöchentlich zu einem Ball versammelte. Es geschah meistens um Lisuarts willen, der, wie Jener sagte, hier noch mehr den Bauer ablegen, und feinere Lebensart bekommen sollte.

Doch es hinkte auch da genug. Er sollte eine Dame zum Tanz auffordern, weigerte sich aber aus Blödigkeit. Nur angedrohte Fuchtel konnten ihn endlich bestimmen. Nun tanzte er freilich, indeß mit so krummen Knieen und so verwirrt, daß man über ihn lachte. Beim Essen stopfte er dagegen so viel Kuchen und Obst in sich, daß man mit Fingern auf ihn wies. Der Hauptmann ärgerte sich sehr, und fuchtelte ihn noch um Mitternacht, als man wieder zu Hause war.

Auf dem nächsten Ball zeigte er etwas mehr Geschick beim Tanz, und etwas weniger Naschgier an der Tafel; aber ganz unausgelacht kam er doch nicht davon. Sie sollten sich schämen, sagte der Hauptmann daheim; so ein hübscher junger Mensch, und beträgt sich – hol mich der ...! – so ungehobelt wie – nun, ich mag's nicht sagen.

Dies Mal war Lisuart doch so dreist, daß er sagte: Wenn aber Jemand so viel flucht, Herr Hauptmann, ist das gehobelt oder ungehobelt?

Was? rief Jener, der junge Patron will noch auf mich sticheln? Das leid' ich, Gott straf mich, nicht! Ich vertrete Vatersstelle bei ihm, und habe Autorität.

Um diese Autorität abermal thätig zu beweisen, zog er vom Leder; dies Mal aber, anstatt einer gewichtigen Klinge, eine leichte, beräucherte Gänsefeder, welche Lisuart aus einem Flederwisch gezogen und mit der Klinge vertauscht hatte. Es war das erste Mal, daß er dem Hauptmann einen Streich zu spielen wagte.

Dieser rief: Wer hat das gethan?

Ich nicht, antwortete Lisuart.

»Können Sie schwören?«

Hol mich der Teufel!

»Können Sie auch Ihr Ehrenwort darauf geben?«

Nein, das kann ich nicht! Ich hab' es gethan, weil ich dachte, eine Feder thäte doch nicht so weh.

Nun fiel ihm der Hauptmann um den Hals. Sieh! rief er; bist doch ein tüchtiger Kerl, Junge! Schwörst wohl beim Teufel falsch, willst aber nicht Dein Ehrenwort geben. Bravo! Und hast doch einmal Raupen im Kopf, einen guten Einfall. Ich glaube, die zwei Bälle haben Dich schon etwas formirt. Das muß ich gleich meinem Herrn Bruder schreiben. O, ich will zum Teufel fahren, wenn nicht noch was aus Dir wird!

Auf dem nächsten Ball setzte der Hauptmann sich neben eine ihm unbekannte Dame, und hob ein Gespräch mit ihr an. Nicht lange nachher kam ihre, etwa funfzehnjährige, Tochter aus den Reihen zurück, und nahm Platz bei der Mutter. Pfui, Luischen! sagte diese, wie schlecht hast Du getanzt! Und wir haben doch vier Monate einen Tanzmeister bei uns gehabt. Zwar bist Du zum ersten Mal auf einem Ball; ich hätte aber doch nicht geglaubt, daß es so schlecht gehn würde.

O nur Uebung, gnädige Frau, sagte der Hauptmann; da wird das Fräulein dreist. Ich habe da einen Eleven, der soll sie gleich wieder auffordern. Lisuart, kommen Sie her!

Schüchtern nahte sich dieser, und machte eine linkische Verbeugung.

Fordern Sie das Fräulein auf, sagte der Hauptmann wieder; geschwind!

Lisuart stammelte: Kann ich die Ehre haben ...?

Die Dame nahm das Wort: Wird meiner Tochter viel Ehre seyn. Allons, Luise, folge!

Luise stand bebend auf, schien ungern wieder in den Reihen zu gehn. Der Hauptmann sah zu. Es kam ihm vor, als nähme Lisuart sich dies Mal mehr zusammen, und hielte sich dreist, zierlicher.

Lisuart wies auch das Fräulein in den sogenannten Touren zurecht. Als aber der Tanz vorüber war, liefen ihm große Tropfen Angstschweiß vom Gesicht.

Der Hauptmann stand auf, lobte ihn, und sagte hernach leise: Nun setzen Sie sich ein wenig neben die junge Dame, mit der Sie getanzt haben; unterhalten Sie sich mit ihr.

Lisuart wollte nicht, und suchte Ausflüchte. Sie sollen, ward ihm erwiedert, oder es giebt zu Hause Fuchtel. Die Klinge ist eingesetzt.

Lisuart fragte zaudernd: Was soll ich denn mit ihr sprechen?

Tausend Sapperment! entgegnete der Hauptmann, was das für eine dwatsche Frage ist! Eben da formirt sich ein junger Mensch, wenn er mit Damen spricht, und es muß sich ja wohl etwas finden, wovon man sprechen kann, in's Teufels Namen! Sprechen Sie, wovon Sie wollen, nur nichts Ungezognes!

Lisuart nahm zagend neben dem Fräulein Platz, und hob an: Meine Gnädige – es ist heute schönes Wetter.

Die Gnädige antwortete: So muß es eben erst schön geworden seyn. Als wir kamen, schneiete es.

Sie hatte, wie man sieht, etwas mehr Fassung, als er; denn sie hörte doch, was er sagte, und daß es nicht ganz richtig schien. Er dagegen hatte so wenig recht gewußt, was er sagte, als er recht hörte, was sie antwortete. Beide dankten eigentlich dem Himmel, daß sie doch einige Worte hervorgebracht hatten, weil es die Schicklichkeit so gebot. Das Fräulein zeigte etwas mehr Gegenwart des Geistes im Reden, weil die weibliche Natur es so mit sich bringt. Daß Lisuart dagegen beim Tanz sie darin übertroffen hatte, rührte vielleicht davon her, daß er schon einige Mal öffentlich getanzt, Luise aber heute den ersten Versuch machte.

Nach und nach kamen Beide doch mehr und mehr ins Gespräch. Luise erzählte, daß sie zum ersten Mal mit ihrer Mutter in D*** sei, was sie bereits an schönen Sachen gesehn habe, und noch sehn werde, und mehr dergleichen. Ihr Vater, sagte sie auch, der zu Hause geblieben wäre, hätte ihr prophezeiet, sie würde sich recht wundern. Lisuarts Angst verlor sich auf einer Seite; denn er vernahm allmählig, was seine Nachbarin sagte, und konnte dazwischen erzählen: wie es ihm in D*** ergangen sei, und noch gehe; auf der anderen Seite aber stieg diese Angst. Denn er fing an, ein ihm bis dahin ganz unbekanntes wunderbares Vergnügen zu fühlen, als er so mit Luisen redete. Und weil er so oft über das, was ihm Vergnügen gemacht, Tadel, Scheltworte, selbst Ohrfeigen und Fuchtel bekommen hatte, fing er an zu fürchten: daß ihm dieses Vergnügen aller Vergnügen noch etwas viel Schlimmeres zuziehen würde.

Zu seinem Erstaunen klopfte ihm aber der Hauptmann auf die Schulter, und betheuerte bei Ehre und Reputation: so wäre es recht!

Er setzte bei der Abendtafel sich wieder zu jener Dame, und Lisuart mußte neben Luisen Platz nehmen. Der junge Mensch betrug sich fein und angemessen, tanzte hernach noch einmal mit dem kleinen schönen Fräulein, und Beiden ließ sich kein Fehler mehr vorwerfen. –

Am nächsten Morgen kam sein Aufseher in seine Stuben: Was ist das! sagte er; Sie haben gewiß das Licht brennen lassen, und sind darüber eingeschlafen. Der Teufel! so kann ja Feuer entstehn.

Das noch glimmende Licht war ganz herunter gebrannt, und der junge Mensch hatte noch die Kleidung von gestern Stück für Stück auf dem Leibe.

Ich habe, erwiederte Lisuart verwirrt, ein nöthiges lateinisches Exercitium gemacht, und bin darüber nicht zu Bette gegangen. Es war ja schon zwei Uhr, als wir nach Hause kamen.

Eigentlich verhielt sich die Sache so. Lisuart empfand, als er vom Ball nach Hause kam, auch nicht die mindeste Neigung zum Schlaf. Des Fräuleins Bild tanzte ihm unaufhörlich vor dem innern Auge: immer klangen ihre Worte, und die Musik der beiden mit ihr getanzten Tänze, ihm vor dem innern Ohr, und dies machte ihm wieder ein neues, so hohes Vergnügen, daß er sich ihm weit lieber, als dem Schlaf überließ. Es stand ein Klavier auf seinem Zimmer. Er bekam Unterricht in der Musik, hatte aber bis jetzt nur sehr geringe Fortschritte gemacht; theils, weil seine Neigung zu dieser Kunst nicht groß war, theils auch weil sein Lehrer darin nicht zu den vorzüglichsten gehörte. Dieser hatte seinem Schüler binnen einem Jahre eine alte sogenannte Klavierschule mit ganz leichten Anfangsstücken gebracht, etliche Sonaten der Art von Vanhal und Pleiel, auch eine Operette von Hiller, die Ouverture daraus zu lernen; allein der Schüler hatte bis jetzt sehr wenig begriffen.

Nur die alte Operette hatte ihn gewissermaaßen angezogen, weil sie Lisuart und Dariolette hieß. Der Mensch ist nun einmal so, daß er seinen Namen gern gedruckt sieht. Ein Kupfer am Titelblatt, welches einen jungen stattlichen Ritter im Harnisch vorstellte, pflegte er oft anzusehn, und auch einige der leichten Gesangmelodieen aus dem Werk zu klimpern.

Jetzt, indem er so im Zimmer umherging, und der eben entflohenen Stunden dachte, fiel ihm auch das Musikbuch in die Augen, und er betrachtete nun zum ersten Male mit Antheil die junge Dame, welche im Kupfer neben dem Ritter stand. Bald setzte er sich an das Klavier, und es schien ihm ganz anders zu klingen. Er schlug Einiges von dem auf, was der Ritter Lisuart von seiner Liebe singt, und es ergriff ihn gewaltig. Ihm dünkte, als wären es seine eignen Empfindungen; und viel geläufiger, als sonst, konnte er jetzt die Noten lesen, und die Finger rühren. Noch mehr hingerissen fühlte er sich bei dem Gesang der Dame in den Worten:

Reich Deine Hand als Bräut'gam mir,

 Mein liebstes Gut auf Erden,

Und ich verspreche Dir dafür,

 Nie ungetreu zu werden.

Er konnte nicht aufhören, die einfache Melodie zu wiederholen und die einfachen Worte dabei zu lesen. Ihm war, als sänge das Luise – zu ihm; und sterben hätte er mögen vor Entzücken über diese Vorstellung. Er beklagte nur, daß nicht Dariolette jenen Namen hatte. Bis an den hellen Morgen konnte er sich nicht von der süßen Beschäftigung losreißen.

Und nun brachte er auch eine ganz veränderte Stimmung mit in die Schule. Die Wissenschaften hatten ihm eine höhere Bedeutung gewonnen; er meinte: was ihn so lange angeekelt habe, könne wohl hohes Vergnügen gewähren. Zum ersten Male schämte er sich, immerfort getadelt worden und gegen Andere zurückgeblieben zu seyn; es erwachte in ihm Ehrgeitz, das Verlangen, seinen Mitschülern gleich, ja zuvor zu kommen, und er dachte nun auch, das könne so schwer nicht seyn.

Die ganze Woche hindurch zeigte er ungemeinen Fleiß, sowohl in den Lehrstunden, als zu Hause, und fragte den Quintus um vielerlei, der sich auch bereitwillig zeigte, ihm durch Winke und guten Rath fortzuhelfen. Schon am Ende dieser Woche wurde er in eine höhere Klasse versetzt. Hierzu trugen die Empfehlungen des Quintus das Meiste bei; dieser hatte nehmlich dem Rektor versichert: Lisuarts Genie fange nun an, sich zu entwickeln.

Gerade an diesem Tage führte ihn sein Mentor wieder auf den Ball. Lisuart hatte sich recht sorgfältig und nett gekleidet, und war viel weniger verlegen, als zeither; einige ältliche Damen, die müßig auf ihren Stühlen die Versammlung musterten, machten die Bemerkung: der Lisuart staffire sich recht gut heraus, und werde ein ganz hübscher Mensch.

Schon die heutige Versetzung in eine höhere Klasse hatte dem jungen Menschen mehr Muth gegeben; dazu kam aber noch, daß der Hauptmann ihn, theils darüber, theils auch über seinen heutigen Anzug und sein verbessertes Betragen gelobt hatte. Lob über ein gewisses Verdienst pflegt dies Verdienst zu erhöhn, namentlich in jüngeren Lebensjahren.

Aus dieser Ursache trat er nicht mehr so scheu vor Luisen, nach der er sich die ganze Woche hindurch gesehnt hatte. Auch Luise war weniger betreten, und daneben vortheilhafter, als neulich, gekleidet. Beide tanzten und sprachen heute mehr mit einander, als vor acht Tagen, und menschenkundigen Beobachtern hätte es nicht entgehn können, daß Beide sich sehr glücklich fühlten, und daß sich in ihren Herzen die ersten Spuren der Liebe zeigten.

Sonderbar übrigens, daß noch keins von Beiden des Anderen Namen wußte, und auch den Muth nicht hatte, danach zu fragen. Lisuart bediente sich nur der Anrede: meine Gnädige; und Luise war genöthigt, alle Anrede zu vermeiden. Der Hauptmann saß am Spieltisch, und kam dies Mal nicht zu ihnen.

Luisens Mutter begegnete dem jungen Menschen darum freundlich, weil er sich immer zu ihr hielt; es war ihr ja daran gelegen, daß Luise, die bisher auf dem stillen Lande erzogen war, sich in der Welt darstellen lernen sollte. Und außer Lisuart kümmerte sich Niemand eben um Luisen; das noch halb kindische Fräulein war den jungen Herren von Ton zu unbedeutend, und auch in D*** nur wenig bekannt.

Heute kam das Gespräch unter andern auf die Tonkunst. Lisuart erfuhr, das Fräulein habe auch darin Unterricht gehabt; und nach ihren Aeußerungen mußte sie viel größere Fortschritte darin gemacht haben, als er. Um so schöner und vortrefflicher schien ihm nun die Musik.

Er brachte den Rest der Nacht abermal am Klaviere hin, und mit noch höher gesteigerten Empfindungen. Heute fand er in seinem alten Opernbuch eine Romanze des Inhalts:

 Es war einmal ein Königssohn,

Ein Wüthrich, den die Menschen flohn.

Nicht bänger fliehn die Kinder,

Wenn Ruprecht kömmt, und nicht geschwinder.

Der Vater weinte bitterlich,

Und sprach vergebens: bessre Dich!

Die Lehrer zwang sein Fluchen,

Die Thore vom Pallast zu suchen.

 Einst führet sein Geschick ihn hin,

Wo eine junge Schäferin,

Von Hitz' und Lauf ermattet,

Die Nacht des grünen Walds beschattet.

Sie ruht im Schlaf, ihr Antlitz lacht

Gleich einer heitern Sommernacht,

Und frei und immer freier

Spielt Zephyr mit des Busens Schleier.

 Wie ward dem Wilden, der sie sah!

Wie eine Säule steht er da

Wohl eine ganze Stunde,

Mit starrem Blick und offnem Munde.

Doch sie erwacht, und eilt zu fliehn,

Die Ehrfurcht lehrt ihn niederknien;

Der Stolze ruft mit Thränen:

Verzeuch, o lieblichste der Schönen!

 Umsonst, sie flieht mit trübem Blick,

und mit Gefühl kehrt er zurück,

Das nimmer sich gereget,

Seit ihm ein Herz im Busen schläget.

Des Herzens Drang, des Wissens Lust,

Entflammen plötzlich seine Brust;

Der Alte will vor Freuden

Im Arm des neuen Sohns verscheiden.

 Er fragt: Wer hat Dich so bekehrt?

Der Jüngling sagts; der Alte schwört:

Ich rufe sie noch heute

Im Hochzeitschmuck an Deine Seite.

Sie reichen sich die frohe Hand.

Noch jetzt hört man im ganzen Land,

Vom Prinzen und der Schönen,

Ein Lob von allen Lippen tönen.

Diese Verse setzten unsern Lisuart in Erstaunen, und gaben ihm noch Deutungen, Aufschlüsse über sein Innres. Ja, so konnte des Herzens Drang erwachen und des Wissens Lust; o, wäre der Alte da gewesen! Doch sah der junge Mensch wohl ein, daß davon bei einem Tertianer die Rede noch nicht seyn könne; aber, dachte er, einst, einst!

Wußte er doch nun ganz klar, daß er Luisen liebte, und seine Liebe sollte eine ganze Ewigkeit dauern, keine Minute weniger.

Verdoppelter Fleiß in der Schule und zu Hause, stets mit wachsendem Vergnügen begleitet, war die Folge seiner erwachten Gefühle. Auch der Conrektor und Subrektor lobten ihn nun; denn von einem Kornrektor und Suppenrektor ließ er nichts mehr hören, sondern zeichnete sich nur durch Wißbegierde aus, so wie durch leicht erworbene Kenntnisse und einen Scharfsinn, der oft in Verwunderung setzte. Der Subrektor selbst gab ihm das Lob: er habe jetzt zuweilen ächt witzige Einfälle.

Ihm fiel aber auch ein, daß seine Kleidung ziemlich abgetragen, und gar nicht recht nach dem Schnitt gemacht sei, wie andere junge Edelleute in D*** sie trugen. Er bat den Hauptmann, ihm eine andere machen zu lassen. Das thue ich von Herzen gern, bekam er zur Antwort; ist doch noch Geld da, und mein Herr Bruder wird nicht geitzen, wenn er nur sieht, daß aus dem Sohn ein Kerl wird.

Lisuart trieb, daß die neue Kleidung zum nächsten Ball fertig werden sollte. Als er darin vor den Spiegel trat, hatte er selbst einen kleinen Anfall von närrischer Eitelkeit; denn er fand, was er bis jetzt nie gefunden hatte, nehmlich, daß er doch ein ganz hübscher Mensch sei.

Luise mußte das auch wohl finden; denn sie wurde, als sie ihn zuerst erblickte, röther, und war hernach freundlicher, als zuvor. Sie schien ihm aber auch heute bei Weitem reitzender; vielleicht, weil er, bei erhöhtem Selbstgefühl, besonnenern Muth gewonnen hatte, sie mehr als flüchtig anzusehn. Heute forderte Lisuart das Fräulein so oft zum Tanz auf, daß die Mutter besorgte, es könnte Aufsehn erregen, und daß sie Luisen befahl, die Aufforderungen nun abzulehnen. Sie vermied auch seine Nähe bei Tische, worüber denn Lisuart sich recht sehr betrübte.

Doch in recht eigentliche Schwermuth sank er, als am nächsten Balltag Luise nicht mehr zu sehen war; auch späterhin nicht mehr kam. Endlich gewann er es, mit großer Mühe, über sich, den Hauptmann, als sie im Dunkeln nach Hause gingen, zu fragen: wo die fremde Dame geblieben seyn möchte – von der Tochter sagte er doch nichts –, neben welcher er, der Hauptmann, neulich gesessen hätte.

Ich weiß nicht, bekam er zur Antwort; vermuthlich ist sie abgereis't.

Noch schwerer ging Lisuart an die Erkundigung: wie sie heißen, und wo sie wohnen möchte?

Der Hauptmann betheuerte, von dem Allen kein Wort zu wissen, und fügte hinzu: Aha, junger Patron! Ich will des Teufels seyn, wenn Sie nicht in die Tochter verliebt sind. Nun, recht gut das. Wenn sich ein junger Mensch verliebt, fängt er auch an, etwas auf sich zu halten. Ich wette, nun werden die Fuchtel nicht mehr nöthig seyn.

Behüte! rief Lisuart; wie kommen Sie darauf! Die Fuchtel anlangend – nun, die werde ich mir künftig verbitten, Ihnen aber auch keine Gelegenheit dazu geben, Herr Hauptmann!

Bravo, erwiederte dieser; das soll mir recht lieb seyn.

Er schrieb dem Herrn Bruder nun auch: der Sohn fange recht ernstlich an, sich zu bessern; und schickte Zeugnisse von den Lehrern mit, die ungemein vortheilhaft klangen.

Lisuart machte jetzt in der That Fortschritte, die man ihm nicht zugetraut hätte, und er selbst hatte mit jedem Tage eine höhere Freude daran. Auf der anderen Seite war es ihm aber so schmerzlich, Luisen nicht mehr zu sehn, und ihren Aufenthalt nicht zu wissen, daß eine merkliche Blässe im Gesicht seinen Gram offenbarte.

So kam der Frühling heran, und nun erst fand er die schönen Umgebungen der Stadt sehr anziehend. Er schweifte oft darin umher, mit irgend einem Dichter in der Tasche, um ihn da oder dort, auf einem Felsen sitzend, zu lesen. Darüber entzündete sich in seiner eignen Brust poetisches Feuer. Er staunte, als er die ersten Versuche niedergeschrieben hatte, daß es ihm auch gelänge, Verse zu machen. Zum Theil enthielten sie Erinnerungen an jenes Beisammenseyn mit der geliebten Luise; zum Theil Sehnsucht nach Wiedersehn; doch einige enthielten nur Lob der schönen Natur. Die letzteren wies er dem Quintus vor, der sie verbesserte, und ihm aufmunternde Lehren, und Rath gab, was er zur ferneren Ausbildung seines Geschmacks lesen müsse; und mit den Worten endete: Sagt' ich es doch voraus, daß hier Genie wäre.

Natürlicher Weise freute sich der Jüngling hierüber. Als er dann Shakespear, Schiller und Göthe las, verzweifelte er bald, Genie zu haben, bald glaubte er wieder, daß es ihm nicht ganz daran fehle. Genie des Gefühls, meinte er doch, könne man ihm nicht absprechen.

Er kam nach Secunda, und ein halbes Jahr später nach Prima. Nun hatte er die meisten von seinen Mitschülern, die ihm vorangeeilt waren, wieder eingeholt. Freude hierüber, die zufriednen Briefe seines Vaters, und die süße Zerstreuung, welche ihm die Poesie gewährte, scheuchten nach und nach aus seinem Herzen den Gram der Liebe, doch keineswegs die Liebe selbst, welche sich vielmehr in seiner Brust immer stärker befestigte. Er machte allerlei Entwürfe, Luisen auszumitteln, und sich zu bestreben, daß er bald, wie sein Vater es wünschte, ein Amt erlangen möchte, um Luisen dann seine Hand anbieten zu können.

Im Herbst erklärte man ihn fähig, die Hochschule zu beziehn, und Jena wurde für ihn ausgewählt.

Ein neuer Lebenskreis, Freiheit, und Gelegenheit sich jugendlichem Frohsinn zu überlassen, wie zuvor nie! Lisuart hatte jedoch keine Neigung, wilden Ergötzlichkeiten nachzugehn, und suchte Freunde von ähnlichem Sinn. Außer den Rechtswissenschaften, trieb er philologische mit beinahe übermäßigem Eifer, und zeichnete sich sogar unter den fleißigern und musterhaften jungen Musensöhnen noch aus.

Durch die mannichfachen, von ihm eingesammelten, Kenntnisse lernte er auch sich selbst mehr kennen. Jetzt sah er wohl ein, daß, wenn er Luisen nicht gesehn hätte, nie diese Neigung zu den Wissenschaften in ihm erwacht seyn, und daß er vielmehr leicht dahin gekommen seyn würde, auf eine ihm höchst nachtheilige Weise die akademische Freiheit zu mißbrauchen. Zu seiner Liebe gesellte sich noch Dankbarkeit für sein Erwachen zu einem edleren Leben, wodurch die Liebe noch mehr Nahrung bekam, und ihm in einem schönern Lichte erschien.

In den nächsten Sommerferien machte er eine Fußreise; wie er vorgab, die schöneren Gegenden von Sachsen zu sehn, eigentlich aber, Luisens Wohnort zu entdecken. Sie hatte einmal in ihrer Unterhaltung mit ihm gesagt: In D*** bin ich noch nicht gewesen, wohl aber schon einige Mal in Leipzig, weil dies nicht so weit von uns ist. Hieraus schloß nun Lisuart, ihr väterliches Gut müsse in der Gegend von Leipzig liegen, und nahm sich vor, eine solche Runde zu machen, daß er es nicht verfehlte.

Die Mühe war indeß vergeblich. Wie sorgfältig er auch jedes Dorf besuchte, das einen Herrenhof hatte, wie genau er auch die Gestalten der Mutter und Tochter beschreiben mochte: es glückte ihm nicht, das Gewünschte zu erfahren, und er mußte endlich unverrichteter Sache nach Jena zurückkehren, was ihn denn tief betrübte.

Als er neunzehn Jahre alt war, dachte er: nun ist Luise im sechzehnten; als er das zwanzigste antrat: nun wird sie in das siebzehnte treten – O, Gott, wenn mir Jemand zuvorkäme!

Er entschloß sich, an den Hauptmann zu schreiben, und ihm sein Geheimniß halb und halb zu entdecken. Es müsse sich ja, schrieb er weiter, in D*** wohl erforschen lassen, wer jene Dame gewesen sei; der Vorsteher der Ballgesellschaft werde sie ohne Zweifel kennen. Er ließ die angelegentlichste Bitte folgen, daß sich der Hauptmann nach ihr erkundigen möchte.

In der Antwort auf diesen Brief hieß es: Der Vorsteher aus jener Zeit sei gestorben, und alles anderweitige Nachfragen habe wenig gefruchtet.

Lisuart besuchte im nächsten Jahr seinen Vater, der ihn mit großer Freude und Herzlichkeit empfing. Der Sohn ließ auch hier etwas von seinem innern Zustand merken; da sagte aber sein Vater: Oho! jetzt schon an eine Heirath zu denken, ist zu früh! Und ich habe übrigens halb und halb ... ein sehr wohlhabender alter Freund, der eine einzige Tochter hat, die auch recht schön und gebildet seyn soll ...

Lisuart unterbrach ihn mit Betheurungen: er würde nie einem andern Mädchen seine Hand geben können. –

Possen! sagte der Vater wieder; so reden alle junge Leute, und die Umstände ändern viel. Nichts mehr davon! kömmt Zeit, kömmt Rath.

Lisuart mußte wieder nach Jena. Seine Poesien machten bei Kennern Aufsehn, und sie riethen ihm, eine Auswahl davon drucken zu lassen. Es geschah endlich, doch so, daß er auf dem Titel nur seinen Vornamen nannte. Die an Luise überschriebenen Gedichte athmeten das meiste und stärkste Feuer.

Doch jetzt, im Jahr 1813, loderte auch das Kriegsfeuer in Deutschland auf. Lisuart meinte, die politische Rolle des Königs von Sachsen wäre nur gezwungen; und, obschon dessen Unterthan, beschloß er doch in preussische Dienste zu gehn, um gegen Deutschlands Unterdrücker zu kämpfen. Er bat seinen Vater um Erlaubniß dazu, und dieser sagte: Thue, was Du willst; ich mag nichts davon wissen. Gieb Dir aber lieber einen andern Namen, daß es nicht heißen kann: Du habest gegen Dein sächsisches Vaterland gestritten.

Lisuart ging nach Berlin, gab sich für einen Herrn von Breitenfeld aus, und bekam eine Lieutenantsstelle bei einem neu errichteten Corps von leichter Reiterei.

Nichts von den Kriegsauftritten, denen er beiwohnte, außer, daß er durch seine Tapferkeit bald Rittmeister wurde.

Als nach der Schlacht bei Leipzig Napoleons Flüchtlinge verfolgt wurden, und man sie theils zu ereilen, theils ihnen in die Seite zu kommen suchte, gehörte Lisuarts Corps zu denen, welche am thätigsten waren.

Im Hessischen machte er eines Tages eine Seitenpatrulle, und traf auf eine Anzahl abgeschnittener französischer Husaren, die so eben einen Reisewagen plünderten. Ein Landedelmann der dortigen Gegend wollte darin mit seiner Tochter fliehn, und hatte das Unglück, in die Hände jener Unholden zu fallen, welche übrigens auch die Tochter reitzend fanden, und geneigt schienen, sie für eine gute Beute zu erklären.

Lisuart, obgleich seine Mannschaft nur halb so stark war, stürzte sich in die Feinde, und so entstand ein hartnäckiger Kampf. Die Preußen siegten; ihren Rittmeister traf aber ein Säbelhieb in den Kopf, der ihn um alle Besinnung brachte.

Man gab dem Edelmann das ihm Gehörende zurück, und hoch erfreut, die Ehre seiner Tochter gerettet zu sehn, dachte er durch die beste Verpflegung der Verwundeten seine Dankbarkeit zu beweisen. Man versicherte ihm, daß er nun nicht zu fliehen brauchte, weil die befreundeten Truppen schon nahe wären. So entschloß er sich denn, nach seinem Dorfe zurückzukehren, und nahm den halb todten Rittmeister in seinem Wagen mit sich, dem ein Feldarzt, der sich glücklicher Weise gefunden, sogleich den ersten Verband um den Kopf gelegt hatte.

Lisuart galt sonst für einen schönen Officier; jetzt aber hätte sein Anblick Entsetzen erregen können. Man denke sich zu einem starken, dunkelbraunen Bart die bleiche Todtenfarbe und die bis an die Augen reichenden Binden!

Der gerettete Gutsbesitzer ließ in seinem Hause ihm ein Zimmer zurecht machen, und einen Wundarzt aus der nächsten Stadt rufen, der um ihn bleiben mußte. Erst nach einigen Tagen bekam Lisuart einen Theil seines Bewußtseyns wieder, das indeß öftere Anfälle vom Wundfieber störten. Zusammenhängendes Denken ward ihm ungemein schwer; seine Ideen durchkreuzten sich, wie im Wahnsinn, denn der feindliche Säbel war sehr tief eingedrungen. Auch sah er nicht recht hell, und der Wundarzt verhehlte ihm nicht, daß sein Leben noch immer in Gefahr schwebe.

Als die ersten Durchmärsche vorüber waren, herrschte in dem abgelegenen Dorf mehr Ruhe. Dies that ihm wohl, und an Pflege ließ sein dankbarer Wirth es nicht fehlen. Eines Abends hörte er im Nebenzimmer zu einem Pianoforte singen. Die Stimme dünkte ihm vorzüglich schön, die Fertigkeit ausgezeichnet. Es schien, als ob durch die Musik sein Fieber nachlasse, sein Schmerz sich vermindre, und sein Kopf freier würde.

Als der Gutsbesitzer – was oft geschah – ihn besuchte, sagte Lisuart: Ich hörte da eben sehr schön spielen und singen; Musik ist mein größtes Vergnügen. Wenn ich des Vergnügen öfter hätte, so würde es viel zu meiner Genesung beitragen.

Es war meine Tochter, erwiederte der Andere; so oft Sie es wünschen, soll sie singen und spielen. Was kann sie weniger für ihren edelmüthigen Retter thun!

Von nun an spielte und sang das Fräulein oft; und, so wie Davids Harfe Sauls Melancholie vertrieb, so wirkte auch hier die Gewalt schöner Töne auf einen zerrütteten Seelenzustand. Mit jedem Tage besserte sich nun auch die Wunde, und freiwillig, obgleich befremdet, gestand der Arzt: er zweifle, ob, ohne Beihülfe einer so lieblichen Anregung der Lebenskräfte, der Rittmeister zu retten gewesen seyn würde.

Nach einigen Wochen war des Kranken Bewußtseyn vollkommen deutlich, und das Wundfieber hatte sich verloren. Nur die Augen blieben noch schwach, weshalb der Arzt die Fenster dicht verhängen ließ.

Zuweilen brachte der Herr vom Hause seine Tochter mit, welche dann jedes Mal dem Rittmeister für ihre Rettung dankte. Ihre Unterhaltungen schienen nicht minder zu wirken, als ihr Gesang und Spiel; Lisuart meinte: so geistvoll habe er noch keine Dame reden hören. Sie erbot sich auch, ihm bisweilen vorzulesen. Er lehnte das zwar, als zu gütig, ab; aber dennoch blieb sie dabei, ihren Retter auch auf diese Art zu unterhalten. Sie ging dazu in das Nebenzimmer, und ließ die Thür offen, weil sie in dem halb finstern Krankenzimmer nicht hätte sehen können.

Eines Tages brachte sie einen Band Gedichte mit, und sagte ihm, daß diese zu ihrer Lieblingslectüre gehörten. Wie staunte der Rittmeister, als sie ihm nun aus Lisuarts poetischen Versuchen vorlas. Die Empfindung, womit sie es that, erregte bei ihm Rührung, Stolz und – Gewissensvorwürfe. O Gott! dachte er, sollt' ich dies Fräulein nicht lieben? nicht treulos an Luisen geworden seyn, der ich doch in meinem Herzen ewige Liebe geschworen habe?

Doch bald dachte er auch: Luisen habe ich seit vier Jahren nicht gesehen, und vielleicht sehe ich sie nie wieder.

Und späterhin: Diesem Fräulein verdanke ich mein Leben; und das ist doch noch mehr, als ich Luisen einst zu verdanken hatte.

Nach gerade sah er heller, und so viel die herabgelassenen grünen Vorhänge es zuließen, prüfte er des Fräuleins Gestalt. Sie war höher als Luise, und ihr Ausdruck voll Adel und Anmuth. Die Gesichtszüge schienen ihm geistiger, bedeutender, aber nicht so heiter, wie er sich Luisens noch erinnerte; eine gewisse sanfte Schwermuth lag darin verbreitet, die er jedoch äußerst anziehend fand.

Einmal sagte er: Den Dichter, von dem Lisuarts poetische Versuche sind, möchte ich beneiden, weil Sie ihm so viel Nachsicht schenken. Und doch – kann ich ihn nicht beneiden. Wissen Sie ihn?

Sehr eilig rief Jene: Nein! Ist er Ihnen bekannt? Schon lange habe ich nach seinem Namen gefragt.

Dies Mal klang die Stimme dem Rittmeister heitrer, als sonst, und schien ihm ein wenig bekannt. Nun faßte er auch die Gesichtszüge schärfer ins Auge.

Mein Fräulein, hob er wieder an, sind ... sind Sie einmal in D*** gewesen? –

»Vor vier Jahren.«

Auf dem Ball bei ***?

»O Himmel!«

Die Gedichte an Luise wurden – an Sie geschrieben.

»Meine Ahnung! Und Sie – Sie retteten mich!«

Sie retteten mein Leben!

Nun konnte der Rittmeister aber nicht mehr zusammenhangend sprechen. Ein heftiger Rückfall vom Fieber, und nichts als Irrereden. Zu stark war die Erschütterung für seine nur erst schwach befestigte Gesundheit.

Erst nach einigen Wochen kam er wieder so weit, als er schon gewesen war. Nun hatten aber das Fräulein und ihr Vater das Gut verlassen, und es war in andern Händen.

Der neue Eigenthümer sagte: Schon lange wäre der Kaufvertrag abgeschlossen gewesen, und nun der Termin seines Antritts herangekommen; indeß sollte es dem Rittmeister an keiner Pflege fehlen.

Lisuart fragte bestürzt: Wo ist denn der vorige Gutsherr geblieben?

Er bekam zu Antwort: Genau weiß ich es nicht. Wie ich höre, ist er nach dem Brandenburgischen gezogen.

»Und sein Name? Noch immer habe ich nicht danach gefragt.«

Von Rothenfeld.

Lisuart bat, sobald er wieder schreiben konnte, Bekannte in Berlin, sich nach dem Aufenthalt eines Herrn von Rothenfeld zu erkundigen. Welch ein glückliches Wiederfinden, dachte er, und Luise liebt mich! Sie hat mein Herz aus den Gedichten an sie errathen. Freilich reden einige deutlich genug vom ersten Anblick, und den mächtigen Wirkungen der ersten Liebe.

Er genas nach einigen Wochen völlig, und eilte nun dem Heer in Frankreich nach. Aus Berlin bekam er jedoch keine günstige Antwort. Man wußte dort nichts von einem Herrn von Rothenfeld und seiner Tochter.

Das ging so zu. Luise hatte aus D*** eine gewisse Schwermuth gebracht, die bei dem, zwei Jahre nachher erfolgenden, Tode ihrer Mutter sich mehrte. Ihr Vater meinte, eine baldige Heirath würde das beßte Heilmittel seyn. Er unterhandelte darüber mit einem alten Bekannten, einen Herrn von Buchenthal, Vater eines einzigen Sohnes, von dem man viel Gutes sagte. Doch die Kriegsunruhen kamen dazwischen.

Luise gestand ihrem Vater: der Rittmeister von Breitenfeld sei schon lange der Gegenstand ihrer Liebe, und trage, wie sie vermuthet habe, auch sie im Herzen.

Aber, antwortete der Vater, ich habe Dich bereits versprochen, und Du wirst auch zufrieden seyn. Dem Rittmeister müssen wir unsere Dankbarkeit auf andere Art beweisen.

So wenig Luise damit auch zufrieden war, mußte sie doch mit dem Vater nach Sachsen reisen, wo er noch andere Güter hatte. Ein halbes Jahr nachher schrieb sein Freund: Mein Sohn wird nun aus dem Kriege heimkehren. Mögen die jungen Leute einander sehn. Können sie keine gegenseitige Neigung zu einander fassen, so muß ihnen kein Zwang angethan werden.

Nach einem Monate reis'te Luise mit ihrem Vater – auf ergangne Einladung – zu dem Herrn von Buchenthal. Sie bat unterwegs sehr viel, und betheuerte: daß sie nur dem Rittmeister ihre Hand geben könne.

Man langte an. Der Sohn war vor einer Stunde gekommen, und – hatte seinem Vater betheuert: nur Eine könne seine Gattin werden.

Luise trat kalt mit ihrem Vater ein. Neben dem Herrn von Buchenthal stand ein schöner Officier. Sehr kalt verbeugte sie sich er auch. Er – war nicht mehr bleich, Binden und Bart waren verschwunden. Er sah das Fräulein genauer an. Es war Luise!

Sie ward vom Schrecken blaß. »Herr von Breitenfeld –«

Ich heiße Buchenthal!

Wie, rief Einer der beiden Väter, Ihr kennt einander? Und der Andere: Ei, Sie sind ja unser Retter!

Nun gab es kein Sträuben mehr.

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