31. Die Strafe der Wiedervergeltung.

»Mercedes!« rief der Corregidor aus, als er vor seiner Frau erschien, »ich muß sofort wissen...«

»Oho, Tio Lucas, Ihr hier?« sagte die Corregidora, ihn unterbrechend. »Ist ein Unglück in der Mühle geschehen?«

»Señora, ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt,« sagte der Corregidor wütend. »Bevor ich von meiner Seite irgend welche Erklärung abgebe, muß ich erst wissen, was aus meiner Ehre geworden ist.«

»Was geht das mich an? Habt Ihr sie mir vielleicht in Verwahrung gegeben?«

»Ja, Señora! Ihnen,« entgegnete Don Eugenio. »Die Frauen sind die Bewahrerinnen der Ehre ihrer Gatten.«

»Dann fragt doch Eure Frau danach... Da steht sie ja gerade und hört uns.«

Seña Frasquita, welche an der Saalthüre stehen geblieben war, stieß eine Art von Gebrüll aus.

»Kommen Sie näher, Señora, und setzen Sie sich,« fügte die Corregidora hinzu, indem sie sich mit erhabener Würde an die Seña Frasquita wendete.

Sie selbst schritt auf das Sofa zu.

Die hochherzige Navarresin begriff sofort die ganze Größe in der Haltung der beleidigten und vielleicht doppelt beleidigten Gattin. Darum erhob sie sich im Augenblick zu gleicher Höhe, beherrschte ihre natürlichen Triebe und bewahrte ein anständiges Stillschweigen. Und glaubt nur nicht etwa, daß die Seña Frasquita in all ihrer Unschuld und Kraft Eile gehabt hätte, sich zu verteidigen... Große Eile hatte sie anzuklagen, sehr große... aber gewiß nicht die Corregidora. Mit wem sie ein Hühnchen zu pflücken hatte, das war mit dem Tio Lucas, und Tio Lucas war nicht dort.

»Seña Frasquita,« wiederholte die edle Frau, als sie sah, daß die Müllerin sich nicht von der Stelle gerührt hatte, »ich habe Ihnen gesagt, daß Sie näher kommen und sich setzen sollen.«

Diese zweite Aufforderung wurde mit noch herzlicherer und gefühlvollerer Stimme ausgesprochen, als die erste. Fast konnte man sagen, daß die Corregidora beim Anblick des ruhigen Antlitzes und der männlichen Schönheit jener Frau instinktiv erraten hatte, daß sie es nicht mit einem gewöhnlichen, verächtlichen Wesen, vielmehr mit einer anderen Unglücklichen zu thun hatte... unglücklich, ja, um der einzigen Thatsache willen, daß sie den Corregidor kennen gelernt.

Darum tauschten die beiden Frauen, welche sich für doppelte Nebenbuhlerinnen hielten, verschiedene Blicke des Friedens und der Nachsicht aus und bemerkten zu ihrem größten Erstaunen, daß ihre Seelen Gefallen aneinander fanden, wie zwei Schwestern, die sich erkennen.

Auf dieselbe Weise erkennen und grüßen sich von fern die weißen Schneefelder auf den umhüllten Bergen.

Als diese sanften Empfindungen sie durchdrangen, trat die Müllerin ein und setzte sich auf den äußersten Rand eines Stuhles.

Da sie in der Mühle vorausgesehen hatte, daß sie in der Stadt vielleicht wichtige Besuche zu machen haben würde, so hatte sie ihre Kleider ein wenig geordnet und eine schwarze Flanellmantille mit großen Fransen übergeschlagen, die ihr wundervoll stand. Sie sah ganz wie eine Dame aus.

Der Corregidor dagegen hatte während dieser Episode vollständiges Stillschweigen beobachtet. Das Gebrüll der Seña Frasquita und ihr Erscheinen auf dem Schauplatze hatten ihn natürlich erschreckt. Jene Frau verursachte ihm jetzt mehr Entsetzen, als seine eigene.

»Nun also, Tio Lucas,« fuhr Doña Mercedes fort und wandte sich an ihren Gatten. »Hier ist die Seña Frasquita. Ihr könnt jetzt Euer Verlangen wiederholen.«

»Mercedes! um der Nägel Christi willen!« rief der Corregidor, »du weißt nicht, wessen ich fähig bin. Von neuem beschwöre ich dich, laß den Scherz beiseite und erzähle mir alles, was während meiner Abwesenheit vorgefallen ist. Wo ist dieser Mann?«

»Wer? Mein Gatte? Mein Mann ist eben im Begriff aufzustehen und wird wohl nicht mehr lange zögern.«

»Aufzustehen?« heulte Don Eugenio.

»Ihr wundert Euch darüber? Nun, wo sollte ein anständiger Mann denn zu dieser Stunde sein, wenn nicht in seinem Hause, in seinem Bett und an der Seite seiner rechtmäßigen Gattin, wie Gott es befiehlt?«

»Mercedes! Paß auf, was du sagst. Denke daran, daß man uns hört... Denke daran, daß ich der Corregidor bin!«

»Wenn Ihr auf diese Weise anfangt, Tio Lucas, so werde ich nach den Alguacilen schicken, damit sie Euch ins Gefängnis abführen,« entgegnete die Corregidora und stand auf.

»Ich ins Gefängnis? Ich? Der Corregidor der Stadt?«

»Der Corregidor der Stadt, der Vertreter der Gerechtigkeit, der Bevollmächtigte des Königs,« antwortete die hohe Dame mit einer Strenge und Energie, welche die Stimme des angeblichen Müllers vollständig erstickten, »kam zur schicklichen Stunde nach Hause, um von den edlen Aufgaben seines Amtes auszuruhen und morgen fortzufahren, die Ehre und das Leben der Bürger zu schützen, die Heiligkeit des Herdes und die Sittsamkeit der Frauen zu schirmen und zu verhindern, daß irgend jemand als Corregidor oder in anderer Weise verkleidet in das Schlafgemach einer fremden Frau eintrete, damit niemand die Tugend in ihrer sorglosen Ruhe überraschen könne, niemand ihren keuschen Schlaf mißbrauchen...«

»Merceditas! Was sagst du da?« zischte der Corregidor zwischen Lippen und Gaumen. »Wenn es wahr ist, daß dies in meinem Hause vorgekommen ist, so sage ich dir, daß du eine Treulose, eine sittenlose Person bist.«

»Mit wem spricht dieser Mensch?« unterbrach ihn die Corregidora verächtlich und ließ ihren Blick über die Umstehenden schweifen. »Wer ist der Wahnsinnige? Wer ist der Betrunkene? Kaum kann ich noch glauben, daß Ihr ein ehrlicher, anständiger Müller wie der Tio Lucas seid, trotzdem Ihr sein ländliches Kleid tragt. — Señor Juan Lopez, wißt,« fuhr sie fort, indem sie dem vernichteten Dorfschulzen ins Gesicht sah, »daß mein Mann, der Corregidor der Stadt, vor zwei Stunden nach Hause gekommen ist, mit seinem Dreispitz, seinem roten Mantel, seinem Kavaliersdegen und seinem Amtsstock... Die hier gegenwärtigen Dienstboten und Alguacilen sind aufgestanden und haben ihn gegrüßt, als sie ihn durchs Portal kommen, die Treppe hinauf und durchs Empfangszimmer schreiten sahen. Dann haben sie die Thüren geschlossen, und seit der Zeit ist niemand in meine Wohnung eingetreten, bis Sie ankamen. Ist das wahr? Antwortet ihr...«

»Es ist wahr, es ist sehr wahr,« antworteten die Amme, die Diener und die Polizeidiener, die alle, an der Salonthür gruppiert, jener eigentümlichen Scene beiwohnten.

»Hinaus mit euch allen!« rief Don Eugenio wutschnaubend. »Garduña! Garduña! Komm und nimm diese Elenden, die den Respekt vergessen, gefangen. Alle ins Gefängnis! Alle an den Galgen!«

Garduña war nirgends zu sehen.

»Übrigens, Señor,« fuhr Doña Mercedes fort, indem sie den Ton änderte und ihren Mann anzusehen und ihn als solchen zu behandeln geruhte, da sie fürchtete, der Scherz könnte vielleicht zu unheilbaren Resultaten führen, »nehmen wir einmal an, daß Sie Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de Leon wären...«

»Ich bin es!«

»Nehmen wir einmal an, daß mich einige Schuld träfe, weil ich einen Mann, der als Corregidor gekleidet in mein Schlafzimmer drang, für Sie gehalten habe...«

»Infame Canaille!« schrie der Alte, griff mit der Hand nach dem Degen und fand nur den leeren Platz und die Binde des murcianischen Müllers.

Die Navarresin bedeckte mit einem Zipfel ihrer Mantille ihr Gesicht, um die Flammen der Eifersucht zu verbergen.

»Nehmen wir alles das an, was Sie wollen,« fuhr Doña Mercedes mit einem unerklärlichen Gleichmut fort. »So sagen Sie mir doch erst eins, mein Herr! Hätten Sie ein Recht, sich zu beklagen? Könnten Sie mich als Richter verurteilen? Kommen Sie vielleicht aus der Predigt? Kommen Sie vielleicht aus der Beichte? Kommen Sie aus der Messe? Oder woher kommen Sie mit diesem Anzuge? Woher kommen Sie mit dieser Frau? Wo haben Sie die Hälfte der Nacht zugebracht?«

»Mit Verlaub...« rief die Seña Frasquita aus und stand, wie von einer Feder emporgeschnellt, auf und trat keck zwischen die Corregidora und deren Gatten.

Dieser war im Begriff zu sprechen, blieb aber mit offenem Munde stehen, als er sah, daß die Navarresin ins Feuer trat.

Aber Doña Mercedes kam ihr zuvor und sagte:

»Señor, bemühen Sie sich nicht, mir Erklärungen zu geben. Ich verlange sie durchaus nicht von Ihnen. Hier kommt derjenige, der das Recht hat, sie von Ihnen zu fordern. Verständigen Sie sich mit ihm.«

Zugleich öffnete sie die Thür eines Kabinetts, und in ihr erschien Tio Lucas, vom Kopf bis zu den Füßen als Corregidor gekleidet, mit Stock, Handschuhen und Degen, wie er in den Ratssaal zu treten pflegte.

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