4. Eine Frau von außen besehen.

Der letzte und vielleicht der stärkste Grund, den die Herrschaften aus der Stadt hatten, alle Nachmittage die Mühle des Tio Lucas zu besuchen, war wohl der, daß sowohl die Geistlichen wie die Laien, vom Herrn Bischof und dem Herrn Corregidor (denn auch diese verachteten es nicht, sie zu besuchen) an, ganz nach ihrer Bequemlichkeit eines der schönsten, anmutigsten, bewundernswürdigsten Werke betrachten konnten, die je aus der Hand Gottes oder, wie man damals mit Jovellanos und der ganzen französischen Schule unseres Vaterlandes sagte, des höchsten Wesens hervorgegangen.

Dies Werk war die Seña Frasquita.[4]

Vor allen Dingen will ich erst sagen, daß die Seña Frasquita, die rechtmäßige Frau des Tio Lucas, eine vortreffliche Frau war, und das wußten alle illustren Besucher der Mühle. Ich sage noch mehr: keiner von ihnen wagte es, sie auch nur mit begehrlichen Blicken oder in sündhafter Absicht zu betrachten. Sie bewunderten sie, und Mönche und Herren, Canonici und obrigkeitliche Personen beliebten, sie zuweilen, natürlich in Gegenwart ihres Mannes, als ein Wunder von Schönheit, das seinen Schöpfer ehrte, und als eine kleine Teufelin voll Übermut und Koketterie, die unbewußt die schwermütigsten Geister aufheiterte, zu preisen. »Sie ist ein schönes Tierchen,« pflegte der sehr tugendsame Prälat zu sagen. — »Sie ist wie eine Statue des hellenischen Altertums,« bemerkte ein sehr gelehrter Advokat, ein korrespondierendes Mitglied der Akademie der Geschichte. — »Sie ist wahrhaftig eine zweite Eva.« brach der Prior der Franziskaner los. — »'s ist ein königliches Weib,« rief der Oberst der Miliz. — »Es ist eine Schlange, eine Sirene, ein Dämon,« fügte der Corregidor hinzu. — »Aber sie ist eine gute Frau, ein Engel, ein liebliches Geschöpfchen, wie ein vierjähriges Kindchen,« schlossen endlich alle, wenn sie von der Mühle, vollgestopft mit Weintrauben oder Nüssen, heimkehrten, um ihren düsteren, methodischen Herd aufzusuchen.

Die vierjährige Kleine, das heißt die Seña Frasquita, war so nahe an die dreißig. Sie war über fünf Fuß groß und verhältnismäßig stark, oder fast noch stärker als es für ihre stolze Figur paßte. Sie sah aus wie eine kolossale Niobe, und doch hatte sie keine Kinder gehabt, ein weiblicher Herkules, eine römische Matrone, wie man noch einige Exemplare im Trastevere sieht. Aber das Bemerkenswerteste an ihr war die Beweglichkeit, die Lebhaftigkeit und Anmut dieser respektablen Form. Um eine Statue zu sein, wie der Akademiker behauptete, fehlte ihr die monumentale Ruhe. Wie ein Rohr bog sie sich, drehte sich wie eine Wetterfahne, tanzte wie ein Brummkreisel. Ihr Gesicht war noch beweglicher und am wenigsten plastisch. In der reizendsten Weise wurde es von fünf Grübchen belebt, zwei in einer Wange, eins in der andern, ein ganz kleines am linken Winkel ihrer lachenden Lippen, und das letzte, sehr große mitten in ihrem runden Kinn. Fügt zu all diesem schelmische Grimassen, anmutiges Blinzeln und verschiedene Kopfstellungen, welche ihre Unterhaltung noch angenehmer machten, und ihr könnt euch eine Vorstellung von jenem Gesicht voll Geist und Schönheit machen, das immer von Gesundheit und Heiterkeit widerstrahlte.

Weder die Seña Frasquita noch der Tio Lucas waren Andalusier; sie war aus Navarra und er aus Murcia. Fünfzehn Jahre alt war er halb als Page, halb als Diener des früheren Bischofs, nicht dessen, der augenblicklich die Kirche regierte, nach *** gegangen. Sein Beschützer erzog ihn zum Geistlichen, und damit es ihm nicht an der cóngrua (dem Einkommen des Priesters zu seiner Unterhaltung) fehle, hatte er ihm in seinem Testamente jene Mühle vermacht; aber Tio Lucas, der beim Tode Sr. Hochwürden noch nicht ordiniert war, hing zur selben Stunde seine Kleider an den Nagel und ließ sich als Soldat anwerben, da er größere Lust hatte, die Welt zu sehen und Abenteuer zu bestehen, als Messe zu lesen oder Mehl zu mahlen. 1793 machte er den Feldzug in den westlichen Pyrenäen als Ordonnanz des tapferen Generals Don Ventura Caro mit, war bei der Einnahme von Castillo-Piñon und blieb dann lange Zeit in den nördlichen Provinzen. In Estella lernte er die Seña Frasquita kennen, die sich damals nur Frasquita nannte, verliebte sich in sie, heiratete sie und nahm sie mit sich nach Andalusien in jene Mühle, welche sie so friedlich und glücklich während des übrigen Teiles ihrer Pilgerschaft durch dies Thal der Thränen und des Lachens sehen sollte.

Dadurch, daß die Seña Frasquita von Navarra aus unmittelbar in diese Einsamkeit verpflanzt worden war, hatte sie keine andalusischen Sitten angenommen und unterschied sich darum auch sehr von den übrigen Landbewohnerinnen der Umgegend. Sie kleidete sich einfacher, anmutiger und eleganter als sie, wusch sich öfter und gestattete der Sonne und der Luft, ihre entblößten Arme und ihren unbedeckten Hals zu liebkosen. Bis zu einem gewissen Grade trug sie die Tracht der Damen jener Epoche, die Tracht der Frauen von Goya, die Tracht der Königin Marie Louise; wenn es auch nicht ein Rock von einem halben Schritt war, so war er doch nicht mehr als einen Schritt weit, sehr kurz, so daß er ihre kleinen Füße und den Ansatz ihres prachtvollen Beines sehen ließ, der Ausschnitt rund und niedrig, nach Madrider Art und Weise, wo sie sich zwei Monate lang mit ihrem Lucas aufgehalten hatte, als sie von Navarra nach Andalusien übersiedelten. Das Haar war oben auf dem Wirbel zusammengenommen, was die ganze Schönheit ihres Kopfes und Halses freiließ; prächtige Ohrgehänge in ihren kleinen Ohren und viele Ringe auf den zugespitzten Fingern ihrer harten, aber reinen Hände. Und zum Schluß: Seña Frasquitas Stimme umschloß alle Töne eines sehr ausgedehnten, melodiösen Instrumentes, und ihr Lachen war so heiter und silberhell, wie das Geläute am heiligen Ostermorgen.

Nun wollen wir auch das Bild des Tio Lucas zeichnen.

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