Wie Siegfried nach den Nibelungen fuhr.
Von dannen gieng da Siegfried zum Hafen an den Strand 497
In seiner Tarnkappe, wo er ein Schifflein fand.
Darin stand verborgen König Siegmunds Kind:
Er führt' es bald von dannen, als ob es wehte der Wind.
Den Steuermann sah Niemand, wie schnell das Schifflein floß 498
Von Siegfriedens Kräften, die waren also groß.
Da wähnten sie, es trieb es ein eigner starker Wind:
Nein, es führt' es Siegfried, der schönen Sieglinde Kind.
Nach des Tags Verlaufe und in der einen Nacht 499
Kam er zu einem Lande von gewaltger Macht:
Es war wohl hundert Rasten und noch darüber lang,
Das Land der Nibelungen, wo er den großen Schatz errang.
Der Held fuhr alleine nach einem Werder breit: 500
Sein Schiff band er feste, der Ritter allbereit.
Er fand auf einem Berge eine Burg gelegen
Und suchte Herberge, wie die Wegemüden pflegen.
Da kam er vor die Pforte, die ihm verschloßen stand: 501
Sie bewachten ihre Ehre, wie Sitte noch im Land.
Ans Thor begann zu klopfen der unbekannte Mann:
Das wurde wohl behütet; da traf er innerhalben an
Einen Ungefügen, der da der Wache pflag, 502
Bei dem zu allen Zeiten sein Gewaffen lag.
Der sprach: "Wer pocht so heftig da draußen an das Thor?"
Da wandelte die Stimme der kühne Siegfried davor
Und sprach: "Ich bin ein Recke: thut mir auf alsbald, 503
Sonst erzürn ich Etlichen hier außen mit Gewalt,
Der gern in Ruhe läge und hätte sein Gemach."
Das verdroß den Pförtner, als da Siegfried also sprach.
Der kühne Riese hatte die Rüstung angethan, 504
Den Helm aufs Haupt gehoben, der gewaltge Mann:
Den Schild alsbald ergriffen und schwang nun auf das Thor.
Wie lief er Siegfrieden da so grimmig an davor!
Wie er zu wecken wage so manchen kühnen Mann? 505
Da wurden schnelle Schläge von seiner Hand gethan.
Der edle Fremdling schirmte sich vor manchem Schlag;
Da hieb ihm der Pförtner in Stücke seines Schilds Beschlag
Mit einer Eisenstange: so litt der Degen Noth. 506
Schier begann zu fürchten der Held den grimmen Tod,
Als der Thürhüter so mächtig auf ihn schlug.
Dafür war ihm gewogen sein Herre Siegfried genug.
Sie stritten so gewaltig, die Burg gab Widerhall: 507
Man hörte fern das Tosen in König Niblungs Saal.
Doch zwang er den Pförtner zuletzt, daß er ihn band;
Kund ward diese Märe in allem Nibelungenland.
Das Streiten hatte ferne gehört durch den Berg 508
Alberich der kühne, ein wildes Gezwerg.
Er waffnete sich balde und lief hin, wo er fand
Diesen edeln Fremdling, als er den Riesen eben band.
Alberich war muthig, dazu auch stark genug. 509
Helm und Panzerringe er am Leibe trug
Und eine schwere Geisel von Gold an seiner Hand.
Da lief er hin geschwinde, wo er Siegfrieden fand.
Sieben schwere Knöpfe hiengen vorn daran, 510
Womit er vor der Linken den Schild dem kühnen Mann
So bitterlich zergerbte, in Splitter gieng er fast.
In Sorgen um sein Leben gerieth der herrliche Gast.
Den Schild er ganz zerbrochen seiner Hand entschwang: 511
Da stieß er in die Scheide eine Waffe, die war lang.
Seinen Kammerwärter wollt er nicht schlagen todt:
Er schonte seiner Leute, wie ihm die Treue gebot.
Mit den starken Händen Albrichen lief er an, 512
Und erfaßte bei dem Barte den altgreisen Mann.
Den zuckt' er ungefüge: der Zwerg schrie auf vor Schmerz.
Des jungen Helden Züchtigung gieng Alberichen ans Herz.
Laut rief der Kühne: "Nun laßt mir das Leben: 513
Und hätt ich einem Helden mich nicht schon ergeben,
Dem ich schwören muste, ich war ihm unterthan,
Ich dient euch, bis ich stürbe," so sprach der listige Mann.
Er band auch Alberichen wie den Riesen eh: 514
Siegfriedens Kräfte thaten ihm gar weh.
Der Zwerg begann zu fragen: "Wie seid ihr genannt?"
Er sprach: "Ich heiße Siegfried: ich wähnt, ich wär euch bekannt."
"So wohl mir diese Kunde," sprach da Alberich, 515
"An euern Heldenwerken spürt ich nun sicherlich,
Daß ihrs wohl verdientet, des Landes Herr zu sein.
Ich thu, was ihr gebietet, laßt ihr nur mich gedeihn."
Da sprach der Degen Siegfried: "So macht euch auf geschwind 516
Und bringt mir her der Besten, die in der Veste sind,
Tausend Nibelungen; die will ich vor mir sehn.
So laß ich euch kein Leides an euerm Leben geschehn."
Albrichen und den Riesen löst' er von dem Band. 517
Hin lief der Zwerg geschwinde, wo er die Recken fand.
Sorglich erweckt' er Die in Niblungs Lehn
Und sprach: "Wohlauf, ihr Helden, ihr sollt zu Siegfrieden gehn."
Sie sprangen von den Betten und waren gleich bereit: 518
Tausend schnelle Ritter standen im Eisenkleid.
Er brachte sie zur Stelle, wo er Siegfried fand:
Der grüßte schön die Degen und gab Manchem die Hand.
Viel Kerzen ließ man zünden; man schenkt' ihm lautern Trank. 519
Daß sie so bald gekommen, des sagt' er Allen Dank.
Er sprach: "Ihr sollt von hinnen mir folgen über Flut."
Dazu fand er willig diese Helden kühn und gut.
Wohl dreißig hundert Recken kamen ungezählt: 520
Von denen wurden tausend der besten auserwählt,
Man brachte ihre Helme und ander Rüstgewand,
Da er sie führen wollte hin zu Brunhildens Land.
Er sprach: "Ihr guten Ritter, Eins laßt euch sagen: 521
Ihr sollt reiche Kleider dort am Hofe tragen,
Denn uns wird da schauen manch minnigliches Weib:
Darum sollt ihr zieren mit guten Kleidern den Leib."
Nun möchten mich die Thoren vielleicht der Lüge zeihn: 522
Wie konnten so viel Ritter wohl beisammen sein?
Wo nähmen sie die Speise? Wo nähmen sie Gewand?
Und besäß er dreißig Lande, er brächt es nimmer zu Stand.
Ihr habt doch wol vernommen, Siegfried war gar reich. 523
Sein war der Nibelungenhort, dazu das Königreich.
Drum gab er seinen Degen völliglich genug;
Es ward ja doch nicht minder, wie viel man von dem Schatze trug.
Eines frühen Morgens begannen sie die Fahrt: 524
Was schneller Mannen hatte da Siegfried sich geschart!
Sie führten gute Rosse und herrlich Gewand:
Sie kamen stolz gezogen hin zu Brunhildens Land.
Da stand in den Zinnen manch minnigliches Kind. 525
Da sprach die Königstochter: "Weiß Jemand, wer die sind,
Die ich dort fließen sehe so fern auf der See?
Sie führen reiche Segel, die sind noch weißer als der Schnee."
Da sprach der Vogt vom Rheine: "Es ist mein Heergeleit, 526
Das ich auf der Reise verließ von hier nicht weit:
Ich habe sie besendet: nun sind sie, Frau, gekommen."
Der herrlichen Gäste ward mit Züchten wahrgenommen.
Da sah man Siegfrieden im Schiffe stehn voran 527
In herrlichem Gewande mit manchem andern Mann.
Da sprach die Königstochter: "Herr König, wollt mir sagen:
Soll ich die Gäste grüßen oder ihnen Gruß versagen?"
Er sprach: "Ihr sollt entgegen ihnen vor den Pallas gehn, 528
Ob ihr sie gerne sehet, daß sie das wohl verstehn."
Da that die Königstochter, wie ihr der König rieth;
Siegfrieden mit dem Gruße sie von den Andern unterschied.
Herberge gab man ihnen und wahrt' ihr Gewand. 529
Da waren so viel Gäste gekommen in das Land,
Daß sie sich allenthalben drängten mit den Scharen:
Da wollten heim die Kühnen zu den Burgunden fahren.
Da sprach die Königstochter: "Dem blieb ich immer hold, 530
Der zu vertheilen wüste mein Silber und mein Gold
Meinen Gästen und des Königs, des ich so viel gewann."
Zur Antwort gab ihr Dankwart, des kühnen Geiselher Mann:
"Viel edle Königstochter, laßt mich der Schlüßel pflegen; 531
Ich will es so vertheilen," sprach der kühne Degen,
"Wenn ich mir Schand erwerbe, die treffe mich allein."
Daß er milde wäre, das leuchtete da wohl ein.
Als sich Hagens Bruder der Schlüßel unterwand, 532
So manche reiche Gabe bot des Helden Hand:
Wer Einer Mark begehrte, dem ward so viel gegeben,
Daß die Armen alle da in Freuden mochten leben.
Wohl mit hundert Pfunden gab er ohne Wahl. 533
Da gieng in reichem Kleide Mancher aus dem Saal,
Der nie zuvor im Leben so hehr Gewand noch trug.
Die Königin erfuhr es: da war es ihr leid genug.
Sie sprach zu dem König: "Des hätt ich gerne Rath, 534
Daß nichts mir soll verbleiben von meinem Kleiderstaat
Vor euerm Kämmerlinge: er verschwendet all mein Gold.
Wer dem noch widerstände, dem wollt ich immer bleiben hold.
"Er giebt so reiche Gaben: der Degen wähnet eben, 535
Ich habe nach dem Tode gesandt: ich will noch leben
Und kann wol selbst verschwenden meines Vaters Gut."
Nie hatt einer Königin Kämmerer so milden Muth.
Da sprach von Tronje Hagen: "Frau, euch sei bekannt: 536
Der König vom Rheine hat Gold und Gewand
Zu geben solche Fülle, daß es nicht Noth ihm thut,
Von hier hinweg zu führen einen Theil von Brunhilds Gut."
"Nein, wenn ihr mich liebet," sprach sie zu den Herrn, 537
"Zwanzig Reiseschreine füllt ich mir gern
Mit Gold und mit Seide: das soll meine Hand
Vertheilen, so wir kommen heim in der Burgunden Land."
Da lud man ihr die Kisten mit edelm Gestein. 538
Der Frauen Kämmerlinge musten zugegen sein:
Sie wollt es nicht vertrauen Geiselhers Unterthan.
Gunther und Hagen darob zu lachen begann.
Da sprach die Königstochter: "Wem laß ich nun mein Land? 539
Das soll hier erst bestimmen mein und eure Hand."
Da sprach der edle König: "So rufet wen herbei,
Der euch dazu gefalle, daß er zum Vogt geordnet sei."
Ihrer nächsten Freunde Einen die Jungfrau bei sich sah; 540
Es war ihr Mutterbruder, zu dem begann sie da:
"Nun laßt euch sein befohlen die Burgen und das Land,
Bis seine Amtleute der König Gunther gesandt."
Aus dem Gesinde wählte sie zweitausend Mann, 541
Die mit ihr fahren sollten gen Burgund hindann
Mit jenen tausend Recken aus Nibelungenland.
Sie schickten sich zur Reise: man sah sie reiten nach dem Strand.
Sie führte mit von dannen sechsundachtzig Fraun, 542
Dazu wol hundert Mägdelein, die waren schön zu schaun.
Sie säumten sich nicht länger, sie eilten nun hindann:
Die sie zu Hause ließen, wie Manche hub zu weinen an!
In höfischen Züchten räumte die Frau ihr Land, 543
Die nächsten Freunde küssend, die sie bei sich fand.
Mit gutem Urlaube kamen sie aufs Meer;
Ihres Vaters Lande sah die Jungfrau nimmermehr.
Auf ihrer Fahrt ertönte vielfaches Freudenspiel; 544
Aller Kurzweile hatten sie da viel.
Auch hob sich zu der Reise der rechte Wasserwind.
Sie fuhren ab vom Lande: das beweinte mancher Mutter Kind.
Doch wollte sie den König nicht minnen auf der Fahrt: 545
Ihre Kurzweil wurde bis in sein Haus gespart
Zu Worms in der Veste zu einem Hofgelag,
Dahin mit ihren Helden sie fröhlich kamen hernach.
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