1. Die Jugendzeit.

Es bildet ein Talent sich in der Stille.

Goethe.

Romantik, erwachendes Nationalgefühl und frisches, wissenschaftliches Streben – das sind die bedeutsamen Zeichen, unter denen Robert Alexander Schumann am 8. Juni 1810 das Licht der Welt erblickte. In demselben Jahre nämlich erschien Kleists „Käthchen von Heilbronn“, Webers „Sylvana“, Jahns „Deutsches Volkstum“ und die neugegründete Berliner Universität begann ihre umfassende Wirksamkeit. Freilich, der Wellenschlag der herrschenden Zeitideen sollte ihn vorderhand nur wenig berühren; lag doch sein Geburtsort, das kleine sächsische Zwickau abseits von den Mittelpunkten deutschen Geisteslebens. Hier, im anmutigen Muldethale, dem verbildenden und zerstreuenden Getriebe einer großen Stadt entzogen, behielt er die Wahrheit und Ursprünglichkeit des Empfindens und gedieh, bei Mangel äußerer Anregung zu jener Sammlung Einfalt und Innerlichkeit, welche von jeher die Quelle künstlerischen Schaffens gewesen ist.

Die musikalischen Anlagen hat Schumann nicht wie andere Meister der Tonkunst von seinen Eltern überkommen. Mutter Johanna, geborene Schnabel aus Zeitz, eine vortreffliche, aber in kleinstädtischen Vorurteilen aufgewachsene Frau, besaß im ganzen nur wenig Sinn für Musik. Vater August Schumann, ein ernster, tüchtiger, überaus strebsamer Mann, der nach allerlei Drangsalen eine angesehene Ver[S. 8]lagsbuchhandlung gegründet und sich durch rastlosen Fleiß zu beträchtlicher Wohlhabenheit emporgearbeitet hatte, war eher litterarischer Beschäftigung zugethan. Er führte die Taschenausgaben ausländischer Klassiker ein, gab die zu ihrer Zeit vielgelesenen „Erinnerungsblätter“ heraus, schrieb selbst mehrere wichtige kaufmännische Werke und hat sich noch kurz vor seinem Tode durch eine Übersetzung von Byrons „Beppo“ und „Childe Harold“ bekannt gemacht. Seine schriftstellerische Ader vererbte sich nebst manchen Charaktereigenschaften auch auf Robert, der als jüngstes von fünf Geschwistern natürlicherweise der Liebling des Hauses war, „der lichte Punkt“, wie ihn die Mutter nannte. Er genoß die sorgfältigste, liebevollste Erziehung, besuchte mit dem Beginne des sechsten Lebensjahres die Döhnersche Sammelschule, ja sogar Klavierunterricht wurde ihm erteilt, so gut, oder vielmehr so mangelhaft es in dem unbedeutenden Städtchen damals anging. Zwar fehlte es seinem Musiklehrer, dem biederen, etwas pedantischen Organisten Kuntsch, gewißlich nicht am besten Willen; allein als Autodidakt, ohne sichere Methode, war er nicht imstande, das ihm anvertraute Talent in die rechten Bahnen zu weisen und ihm die Handwerksregeln der Kunst als treue Geleiter beizeiten zu eigen zu geben.

Früh schon erwachte in dem lebhaften, ehrgeizigen Knaben der Schaffensdrang. Er verfaßte Räuberkomödien und führte sie mit Hilfe der Brüder auf einer dazu hergerichteten Bühne zu Hause auf. Auch wird erzählt, er habe seine Kameraden überaus drastisch am Klaviere zu charakterisieren gewußt. So liefen poetische und musikalische Liebhabereien eine Zeitlang nebeneinander her, bis ein zufälliges Erlebnis zu Gunsten der Musik den Ausschlag gab. Auf einem Ausfluge nach Karlsbad bekam er nämlich (1819) den Virtuosen Moscheles zu hören und empfing von dessen Spiele den ersten nachhaltigen Eindruck seines Lebens. Einen Konzertzettel, den Moscheles berührt hatte, behielt Schumann noch lange Jahre als kostbare Reliquie in Verwahrung und sein ganzes Sinnen[S. 9] und Trachten war fortan auf das Klavierspiel gerichtet. Auch der Beginn der Gymnasialstudien änderte daran nichts weiter. Vielmehr gab sich Robert im Vereine mit einem gleichgesinnten Freunde, Piltzing, beinahe ausschließlich den Musikfreuden hin.

Eines Tages geriet dem Zwölfjährigen die Partitur einer Righinischen Ouverture in die Hand und brachte ihn auf den verwegenen Einfall, die stummen Zeichen, welche geheimnisvoll und vielverheißend aus dem Hefte starrten, klingen und ertönen zu lassen. Gedacht, gethan. Ein Orchester von Mitschülern wird gebildet, Schumann dirigiert und ergänzt die fehlenden Baßstimmen am Klaviere. Nach und nach erweiterte sich das Repertoir und wies endlich, zu nicht geringer Befriedigung der kleinen Künstlergesellschaft, sogar ein Werk ihres Kapellmeisters, den 105. Psalm für Chor und Orchesterbegleitung auf.

Durch solche Erfolge kühn gemacht, wagte es Robert sich auch außerhalb des väterlichen Hauses zu produzieren, namentlich bei der Familie Carus, „wo alles Freude, Heiterkeit, Musik war“, wo er zuerst die Quartette unserer klassischen Meister kennen lernte. In den Vortragsabenden des Gymnasiums wirkte er gleichfalls eifrig mit, bald als Deklamator, bald als Klavierspieler, und entwickelte eine solche Fertigkeit auf dem Instrumente, daß der alte Kuntsch den Unterricht mit dem Bemerken einstellte: Robert könne sich nun schon allein weiter forthelfen.

Mittlerweile hatte Vater Schumann, der Treffliche, ohne selbst musikalisch zu sein, die Begabung des Sohnes mit richtigem Blicke erkannt und trug sich alles Ernstes mit dem Gedanken, ihn Musiker werden zu lassen. Praktisch wie er war, wandte er sich sogleich an die rechte Thüre, indem er den damals in vollem Ruhmesglanze erstrahlenden Karl Maria von Weber anging, die Ausbildung des Kindes zu übernehmen. Obschon sich nun Weber bereit erklärt hatte, zerschlugen sich dennoch in der Folgezeit die Unterhandlungen,[S. 10] man weiß nicht aus welchem Grunde. Sicherlich mag ein Teil der Schuld auf die Mutter fallen, welche sich dem Plane ihres Gatten von Anfang an entschieden widersetzte, da in ihren Augen der Künstlerberuf mit „schwankender Zukunft und unsicherem Brote“ gleichbedeutend schien. Robert blieb also am Gymnasium und das Zwickauer Stillleben nahm seinen Fortgang.

Bald nach dem Scheitern dieses Planes wandte sich die Neigung des Knaben wiederum der Poesie zu. Die Werke unserer Dichter, wie sie das väterliche Geschäft in reicher Fülle ihm darbieten konnte, wurden gierig verschlungen; zu einer im Schumannschen Verlage erscheinenden „Bildergalerie der berühmtesten Männer mit beigefügtem Texte“ lieferte Robert im Alter von vierzehn Jahren litterarische Beiträge. Nicht lange darnach finden wir ihn an der Spitze eines Vereins von Studiengenossen, welcher nach dem Muster des Göttinger Hainbundes sich die Kenntnis und Pflege der deutschen Litteratur zum Zweck gesetzt hatte. Schillers Dramen wurden mit verteilten Rollen gelesen; an Goethe wagte man sich noch nicht heran; doch scheint wenigstens der Faust schon damals ein Lieblingsbuch Schumanns gewesen zu sein. Auch Schulze, Houwald, Müllner, Byron haben nebst den griechischen Schriftstellern größeren oder geringeren Einfluß auf ihn ausgeübt.

Das Jahr 1826 brachte zwiefache Trauer und Sorgen. Zwei geliebte Wesen wurden Robert entrissen, das eine ihm über alles teure durch den Tod, das andere in gewisser Hinsicht gleichfalls auf immer. Schwester Emilie verfiel in eine unheilbare Gemütskrankheit und am 10. August erlag der Vater, sein liebreicher, verständnisvoller Führer, einem zehrenden Siechtum. Da vollzog sich, unter dem Eindrucke dieser schmerzlichen Ereignisse eine bedeutende Wandlung in Schumanns ganzem Charakter: der einst so muntere, lebhafte Knabe ward zum stillen, in sich gekehrten, nachdenklichen Jüngling. „Ich habe Ansichten und Ideen über das[S. 11] Leben gewonnen, mit einem Worte ich bin mir heller geworden,“ verzeichnet sein Tagebuch.

Um diese Zeit begann auch die Liebe in Schumanns Brust zu erwachen. Er schwärmte für Nanni, eine reizende Mädchengestalt, und wenige Wochen später hatte eine stolze Schönheit, Liddy, sein Herz gewonnen. Nicht auf lange freilich; denn sie vermochte dem Gedankenfluge Jean Pauls, in dessen Schriften unser Robert eben damals schwelgte, nicht recht zu folgen und seine Entrüstung über solche Einfalt machte der zarten Liebe ein frühzeitiges Ende. Noch einmal traf er darnach mit dem Mädchen auf einem Ausfluge wieder zusammen und begleitete es auf einen Hügel, wo sie den Sonnenuntergang genießen wollten. Da – doch hören wir Schumann selbst, wie er über diese Begebenheit in einem Briefe berichtet: „Der ganze Tempel der Natur lag weit und breit vor den trunkenen Augen: wie eine Thetis hätte ich in diese Blumenströme fliegen und versinken mögen; denke dir, daß ein verblühtes Ideal in der Brust still wieder aufzukeimen begann, daß dieses verlorene Ideal an meiner Seite stand! Und endlich, da die Sonne erst untergetaucht war und Frühlinge von blühenden Rosen aus dem sterbenden Strahle aufdämmerten, als die Höhen der Berge glühten, die Wälder brannten und die unermeßliche Schöpfung in sanfte Rosenmassen zerfloß, da ich so hineinschaute in diesen Purpurocean und alles, alles sich zu einem Gedanken formte und ich den großen Gedanken der Gottheit dachte und Natur, Geliebte und Gottheit entzückt vor mir standen – siehe – da zog im Osten eine schwarze Wolke herauf und ich ergriff Liddys Hand und sagte zu ihr: ‚Liddy, so ist das Leben,‘ und ich wies auf den schwärzlichen Purpur am Horizonte – und sie sah mich wehmütig an – und eine Thräne glitt von ihrer Wange. Da glaubte ich’s wieder gefunden zu haben das Ideal und schweigend pflückte ich eine Rose. Aber ein Donnerschlag und ein Blitzstrahl fuhr im Osten herauf, als ich sie ihr geben wollte – und ich nahm[S. 12] die Rose und zerzupfte sie – jener Donnerschlag hatte mich aus einem schönen Traume aufgeweckt. Ich war wieder auf der Erde und das hohe Bild des Ideals verschwunden, wenn ich an die Reden denke, die sie über Jean Paul führte.“

Bedarf es darnach etwa weiterer Zeugnisse für seine Verehrung des großen Humoristen? Schumann stellte ihn damals über alle anderen Dichter und konnte auch später, als er bereits im vollen Mannesalter stand, noch bitterböse werden, wenn jemand den Wert seines Lieblings herabzusetzen wagte. (Vgl. Hanslick, Aus dem Konzertsaal, S. 392.) „Wenn die ganze Welt Jean Paul läse,“ heißt es in einem anderen Briefe, „so würde sie bestimmt besser, aber unglücklicher; er hat mich oft dem Wahnsinn nahe gebracht. Aber der Regenbogen des Friedens schwebt immer sanft über allen Thränen und das Herz wird wunderbar erhoben und milde verklärt.“ Daß die Gedichte, welche er in jener Zeit verfaßte und die ein hübsches Verstalent verraten, von Jean Paulschen Wendungen strotzen, kann man sich nach der obigen Stilprobe leicht vorstellen. In derselben überschwenglichen Sprache sind auch seine beiden Romane (Juniusabende und Selene), von denen aber nur der erste fertig geworden ist, geschrieben. Doch wäre es irrig, den jungen Schumann für einen fortwährenden Träumer und Sentimentalen zu halten, denn wir vernehmen auch von lustigen Spritzfahrten mit seinen Genossen Rascher und Walther, wobei tüchtig gekneipt, geküßt und schließlich „wankend und schwankend“ nach Heim gezogen wird.

Inzwischen glomm unter der Asche seiner verloschenen Musikerhoffnungen die Liebe zur Tonkunst still, aber unvertilgbar weiter, so daß es nur eines Windhauches bedurfte, um sie aufs neue zur hellen Flamme zu entfachen. Da traf im Sommer 1827 eine Verwandte des Carusschen Hauses, die junge Gattin des Colditzer Arztes Dr. Ernst Carus, in Zwickau zu Besuch ein und „Fridolin“ – so wurde Schu[S. 13]mann von der befreundeten Familie scherzweise genannt – wandte sich, von ihrem seelenvollen Gesange begeistert, mit Leidenschaft wieder der Musik zu. Durch sie machte er die Bekanntschaft mit Schuberts und Mendelssohns Tonwerken, durch sie wurde er zu neuerlichen Kompositionsversuchen angeregt. Allein da sein Vormund, der Kaufmann Rudel, mit der Mutter in der Verurteilung des Künstlerberufes eines Sinnes war, schien jede Aussicht, der Musik leben zu können, versperrt, und Robert wagte auch nicht, teils aus Mangel an Thatkraft, teils aus Rücksicht für die zärtlich geliebte Mutter, dem Wunsche der letzteren zu widerstreben.

Zu Ostern 1828 verließ er das Gymnasium. Wohlbewandert in den klassischen Sprachen – sogar an dem von seinem Bruder Karl verlegten Thesaurus totius latinitatis hat er mitgearbeitet – bestand er die Abgangsprüfung mit glänzendem Erfolge. Bevor er sich aber nach Leipzig begab um Jus zu studieren, geleitete er noch einen jüngst gewonnenen Freund, den Studenten Gisbert Rosen auf seiner Fahrt nach Heidelberg. Schwärmerische Verehrung für den Dichter des „Titan“ verband die beiden, gleichgestimmten Jünglinge, die natürlicherweise Bayreuth als nächstes Reiseziel erkoren und in der alten Markgrafenstadt ein paar selige Stunden dem Andenken ihres Abgottes weihten. Am nächsten Tage gings über Nürnberg und Augsburg nach München, wo sie Heinrich Heine und den Maler Zimmermann kennen lernten. Hier in München trennten sich ihre Wege. Rosen eilte über Augsburg dem Neckar zu, indessen Schumann nach Sachsen zurückkehrte, dem Schicksal grollend, das die Menschen zusammenführt, vereint und wieder voneinander reißt.

[S. 14]

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