Vorwort.

Die deutsche Kulturgeschichte lehrt, daß die Ideale der Musik in vier aufeinander folgenden Zeiträumen sich nach und nach erweitert haben, so zwar, daß zu den bereits erkannten Zielen stets neue und schönere gewonnen werden. Zur Zeit Händels und Bachs gipfelt die Musik noch vorzugsweise in kunstreichem architektonischen Bau; in der Mozartschen Periode kommt dazu die Forderung des sinnlichen Wohlklangs; Beethoven, der Riese, entdeckt sodann die unermeßliche Fähigkeit der Tonkunst, ganz individuelle Gefühle und Stimmungen auszusprechen, und Wagner endlich verschwistert sie auf das Innigste mit der Poesie. Zwischen den beiden letztgenannten Meistern nimmt Robert Schumann zeitlich und ideell eine Mittelstellung ein. Noch ist er in erster Reihe Musiker, aber in oder an seine Tonwerke drängen sich schon vielfach poetische Elemente; der Gebrauch, Instrumentalsätze mit sinnigen Überschriften zu versehen, der bereits gelegentlich bei Beethoven vorkommt, findet sich bei Schumann so allgemein, daß man ihn fast den Programmusikern zuzählen möchte, wäre es nicht anderseits bekannt, daß er jene poetischen Titel meist nach der musikalischen Ausführung der Tonstücke zu verfassen pflegte. Was Schumann vor der älteren Komponistengeneration, deren Studium einzig im Kontrapunkt und Harmonielehre aufging, voraus hat, ist die klassische und litterarische Bildung, wie wir sie auch bei anderen Künstlern seiner Zeit, z. B. Berlioz, Mendelssohn, Meyerbeer, Liszt, Cornelius, Wagner und anderen antreffen. Diese verleiht ihm nicht nur den feineren Sprachsinn, vermöge dessen er in Vokalkompositionen Wort und Ton weit genauer in Übereinstimmung bringen kann, sondern auch die Fähigkeit, sein Urteil und seine Erfahrung in Sachen der Musik schriftstellerisch zu verwerten. Durch sein Beispiel[S. 6] wird allmählich – seit der Mitte der dreißiger Jahre – eine gänzliche Umgestaltung der musikalischen Kritik in Deutschland herbeigeführt und das ästhetische Richtamt gerät aus den Händen schnellfertiger Dilettanten in die Sachverständiger und Künstler. Wird schließlich noch erwähnt, daß Schumann die Mehrzahl seiner gleichstrebenden Zeitgenossen an Tiefe des Gefühls und wirklicher Begabung weit hinter sich läßt, so ist damit seine historische Bedeutung, wenn auch nicht erschöpft, so wenigstens in den wesentlichsten Punkten gekennzeichnet.[1]

[1] Aus der schon breit angeschwollenen Schumannlitteratur seien namentlich folgende Schriften, die auch dem vorliegenden Lebensabriß zu Grunde liegen, genannt: Fr. Liszt, R. Schumann. (Gesammelte Werke IV., 1855.) Wasiliewski, R. Schumann. (Bonn 1857, 3. Aufl. 1880.) Reißmann, R. Schumann, sein Leben und seine Werke. (Berlin 1865.) R. Pohl, Erinnerungen an R. Schumann. (Deutsche Revue, 1878.) Ph. Spitta, R. Schumann, ein Lebensbild. (Leipzig 1882.) G. Jansen, Die Davidsbündler. (Leipzig 1883.) M. Kalbeck, Aus R. Schumanns Jugendzeit. (Endlingers österreichische Rundschau, 1883.) Clara Schumann, R. Schumanns Jugendbriefe (Leipzig 1886.) Jansen, R. Schumanns Briefe. (Neue Folge, Leipzig 1886.) Reimann, R. Schumanns Leben und Werke. (Leipzig 1887.) B. Vogel, R. Schumanns Klaviertonpoesie. (Leipzig 1887.) Erler, R. Schumanns Leben aus seinen Briefen. (2 Bde., Berlin 1887.) Jansen, R. Schumanns schriftstellerische Thätigkeit. (Grenzbote, 1891.)

Ergänzend sei noch auf folgende Werke hingewiesen: Gesammelte Schriften, herausgegeben von Dr. Heinrich Simon (Univ.-Bibl.) 1888; von M. Kreisig (1914). Biographien von A. Niggli (1879), H. Abert (1903), Ernst Wolff (1906), A. Steiner (1911), Walter Dahms (1916). Wasiliewskis Schumanniana (1884); seine Schumann-Biographie erschien 1906 in 4. Auflage. Briefwechsel mit Henriette Voigt (J. Gensel, 1892); Briefe in Auswahl (K. Storck, 1896); Der junge Schumann (Alfred Schumann, 1910); Schumann-Brevier (Friedr. Kerst); Aus Schumanns Kreisen (La Mara, 1911); Sonderheft der „Musik“. Schumanns Faustszenen (S. Bagge, 1879; Manfred Waldersee, 1880); Lieder in ersten und späteren Fassungen (W. E. Wolff, 1914); Formale Eigentümlichkeiten in Schumanns Klavierwerken (R. Hohenemser); Schumann als Schriftsteller (H. Deiters); Clara Schumann (Berthold Litzmann). In französischer Sprache erschienen: A. Marguerite („son œuvre de piano“); R. Pugno („Leçons écrits sur Schumann“); die Biographien von L. Schneider und M. Maréchal (1905) und Camille Mauclair (1906); in holländischer Sprache eine solche von J. Hartog.

[S. 7]

Robert Alexander Schumann.

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