3. Erste Künstlerzeit.

Ich hasse alles, was nicht vom innersten Drange kommt.

Schumann, Jugendbriefe, S. 159.

Überblicken wir Schumanns bisherigen Entwickelungsgang, so fällt sogleich auf, daß er sich erst unverhältnismäßig spät dem Künstlerberufe widmete, daß seine Erziehung auf ganz andere Ziele gerichtet gewesen war, als auf die, welche ihm fernerhin einzig und allein vorschweben sollten und daß ihm theoretische Kenntnisse in der Musik beinahe noch gänzlich fehlten. Dagegen besaß er eine nicht gewöhnliche Fertigkeit am Klaviere, feinen musikalischen Sinn und ein hervorragendes Interpretationsvermögen. Unvergeßlich ist es seinen Heidelberger Freunden geblieben, wie er z. B. Webers[S. 22] „Aufforderung zum Tanze“ vorzutragen und während des Spieles zu erläutern wußte. „Jetzt spricht sie,“ sagte er, „das ist der Liebe Kosen; jetzt spricht er, das ist des Mannes ernste Stimme. Jetzt sprechen sie beide zugleich und deutlich höre ich auch, was beide Liebende einander sagen.“

Solche Eigenschaften, der mächtige Zug der Zeit und die Hoffnung auf baldigen Erwerb wiesen Schumann gebieterisch in die Virtuosenlaufbahn, zu welcher er sich denn auch mit wahrem Feuereifer vorbereitete. In drei bis vier Jahren hoffte er den hochverehrten Moscheles erreichen zu können. Allein während der beseligende Gedanke, nun völlig der Kunst anzugehören, und die Voraussicht künftiger Meisterschaft ihm die Brust mit stiller Heiterkeit erfüllte, stand es nicht eben günstig um seine äußeren Verhältnisse. Die Brüder, über den plötzlichen Wechsel des Berufes ein wenig verstimmt, unterstützten ihn nur sehr spärlich mit Geld, so daß er in allerlei lästige Verlegenheiten geraten mußte. Erst nach einem Besuche Schumanns in Zwickau zu Ostern 1831 erscheint, wahrscheinlich durch Vermittelung der Mutter, welche jetzt immer tapfer auf seiner Seite stand, das frühere herzliche Einvernehmen mit der Familie wieder hergestellt.

„Nun ist der Himmel so schön blau,“ schreibt er bald darauf nach Hause, „daß ich jemand haben möchte, dem ich’s so recht sagen könnte, wie glücklich und sommerlich es in mir aussieht, wie mein inneres ruhiges Kunstleben alle Leidenschaften zurückdrängt, wie ich manchmal recht den Augenblick der Gegenwart fühle. Es ist nämlich eine schöne Sache um einen jungen Dichter und vollends um einen jungen Komponisten. Du kannst gar nicht glauben, was das für ein Gefühl ist, wenn er sich sagen kann: dies Werk ist ganz dein, kein Mensch nimmt dir dies Eigentum und kann dir’s nicht nehmen, denn es ist ganz dein; o fühltest du dieses Ganz! Da der Grund zu diesem Gefühle nur selten kommt, da der Genius nur ein Augenblick ist, so[S. 23] bricht es dann auch in seiner ganzen Schönheit hervor und erzeugt eine Art von beruhigendem Selbstvertrauen, das keinen Tadler zu fürchten braucht.“

Was diese Briefstelle erst andeuten, aber noch nicht offen verraten wollte, kommt schon in den nächsten Monaten zu Tage. Schumann hatte nämlich den Sommer benützt, um einige noch in Heidelberg entworfene Kompositionen auszuführen und konnte schon am 21. September der Mutter das Erscheinen seines ersten Werkes: Thème sur le nom Abegg, varié pour le pianoforte ankündigen. „Wüßtest du, was das für Freuden sind, die ersten Schriftstellerfreuden! Stolz wie der Doge von Venedig mit dem Meere, vermähle ich mich zum erstenmale mit der großen Welt.“

Gewidmet ist die im Walzerrhythmus gehaltene Gelegenheitsarbeit einer fingierten Comtesse Pauline d’Abegg, hinter welcher eigentlich eine Mannheimer Ballbekanntschaft, Meta Abegg, die Verehrte eines Freundes, steckt. Auch in Opus 2, den Papillons, zwölf kleinen, flatternden und schäkernden Stücken, das letzte Kapitel der „Flegeljahre“ Jean Pauls in Töne umgesetzt, bedient er sich noch der Tanzform. Außerdem sollte damals eine Toccata (op. 7) vollendet werden, doch hielt ihn von der Ausarbeitung die während der Komposition der obengenannten Werke gewonnene Einsicht von der Notwendigkeit theoretischer Musikkenntnisse zurück. Er nahm gegen Ende des Jahres, als Wieck mit seiner Tochter auf einer Kunstreise nach Paris begriffen war, bei Heinrich Dorn, Kapellmeister am Leipziger Theater, Unterricht. Freilich wollte das trockene Studium einem Phantasiemenschen seines Schlages gar nicht behagen. „Mit Dorn werde ich mich nie amalgamieren können,“ klagt er an Wieck; „er will mich dahin bringen unter der Musik eine Fuge zu verstehen.“ Allein später, nachdem die Vergangenheit bereits ihr verklärendes Licht über jene Lehrzeit gebreitet hatte, gab er dem Lehrer seine Dankbarkeit mit bewegenden Worten kund. Ihre Berechtigung soll hier nicht[S. 24] näher untersucht werden; genug, daß der Schüler, als Dorn im Frühling 1832 nach Hamburg abberufen wurde, schon so weit vorgeschritten war, um sich mit Nutzen weiter bilden zu können und hinreichende Sicherheit zu besitzen glaubte, um eine so „herkulische“ Arbeit, wie es die Übertragung der Violinkaprizen Paganinis für das Pianoforte war, zu unternehmen. Der kühne Versuch gelang und fand auch gebührende Anerkennung. Namentlich freute sich Schumann über eine sehr wohlwollende Recension seines Werkes in Haslingers „Musikalischem Anzeiger“, die dem Dichter Grillparzer zugeschrieben wird, wahrscheinlich aber von dessen Bruder Camillo herrühren dürfte. In geistreicher Weise sind die leicht schwebenden, auf die raffinierteste Violintechnik berechneten Etüden harmonisch ausgebaut, ohne dadurch beschwert oder herabgezogen zu werden.[2] Aus derselben Zeit stammt auch Opus 4, die Intermezzi, liedförmig entwickelte Tonsätze verschiedenen Charakters. Ihr Titel erklärt sich aus dem ähnlichen Gebrauche dieses Wortes in Eichendorffs, Heines und anderen Gedichtsammlungen.

Trotz dieser schöpferischen Thätigkeit und der emsig fortgesetzten theoretischen Studien brauchten die Vorbereitungen zur Virtuosenlaufbahn keineswegs lässiger betrieben zu werden. Schumann widmete sich eben vom frühen Morgen bis tief in die Nacht der Musik und verkehrte im allgemeinen nur wenig mit der Außenwelt. Aber gerade das Streben nach raschester Vervollkommnung sollte ihm verhängnisvoll werden, denn er zog sich durch ein unglückliches Experiment, welches die Unabhängigkeit der Finger voneinander beschleunigen sollte, eine Lähmung des rechten Mittelfingers zu, die später, infolge verkehrter Behandlung, eine Zeit lang[S. 25] sogar die Hand ergriff und alle seine Virtuosenträume für immer zu nichte machte. Soviel aus Schumanns gelegentlichen Äußerungen zu entnehmen war, hatte er den bezeichneten Finger vermittelst einer selbst erfundenen Vorrichtung, während die übrigen Finger übten, emporgezogen und durch die übergroße Anspannung ein Erschlaffen der Sehne verursacht. Glücklicherweise schien anfangs Aussicht auf Genesung vorhanden zu sein, so daß der Arme nicht gleich verzweifeln mußte, sondern nach dem ersten nicht geringen Schrecken den guten Mut bald wiedergewann. Einstweilen, bis der Finger geheilt wäre, beschloß er, sich mit doppelter Kraft auf die Komposition zu werfen und schrieb, um das Brett zu bohren, wo es am dicksten war, „ganz nach eigenem Sinne und ohne Anleitung“ einen symphonischen Satz, der später auch wirklich in einem Konzerte der Klara Wieck (18. November 1832) zur Aufführung gelangte, obendrein in seiner Vaterstadt. Schumann war zu diesem für ihn hochwichtigen Ereignisse natürlicherweise nach Zwickau geeilt und blieb daselbst den Winter über, mit der Umarbeitung seines Werkes, auf welches er große Hoffnungen setzte, eifrig beschäftigt. In der neuen Gestalt wurde es dann am 12. Februar 1833 im benachbarten Schneeberg gespielt. Schon einige Wochen später kehrte der junge Autor nicht ohne Stolz und Selbstbewußtsein nach Leipzig zurück.

Er bezog eine reizende Wohnung in Riedels Gärten, wie sie ein stilles Dichtergemüt nur wünschen konnte, voll Sonnenschein, Blütenduft und Vogelgesang. Das zweite Heft der Kaprizen und die phantasiereichen „Impromptus sur une Romance de Clara Wieck, dedié à Monsieur Fr. Wieck“ (op. 5), eine Huldigung an das befreundete Künstlerpaar, sind hier im Laufe des Frühlings entstanden. Schumann wandte sich also, offenbar mißtrauisch gegen seine symphonische Begabung wieder der Klaviermusik zu. Zwar trat seine Symphonie noch ein drittes Mal in einem Wieckschen Konzerte im Gewandhause an die Öffentlichkeit, ist[S. 26] aber nie im Druck erschienen. Immerhin diente sie dazu, ihm die Freundschaft namhafter Musiker, Hauser, Pohlenz und Stegmeyer, mit denen er fortan häufig verkehrte, zu erwerben. Schumann war gerade damals viel geselliger als je in späteren Jahren. Er pflegte des Abends, nach beendigter Tagesarbeit das Restaurant zum „Kaffeebaum“ aufzusuchen, wo er im Kreise von Bekannten einige Stunden zubrachte. Es waren fast ausschließlich Künstler und Altersgenossen, die dort zusammenkamen: Wenzel, Knorr, Stegmayer, Ortlepp, Dr. Reuter, Lühe und Lyser. Auf Schumanns Vermittlung hin stellte sich auch Wieck ein, der gelegentlich sogar Klara mitbrachte und – als Ältester – den geistigen Mittelpunkt der Gesellschaft abgab. Robert aber saß seitwärts in einer versteckten Ecke, den Kopf auf den Arm gestützt, die unentbehrliche Cigarre im Munde, mit halbgeschlossenen Augen, wie in Traum verloren. Dann wieder auflebend bis zur Gesprächigkeit und Lebhaftigkeit, wenn ein interessanter Ideenaustausch angeregt wurde, so daß man das Erwachen aus seiner Versunkenheit, das Heraustreten an die Außenwelt beobachten konnte. (Brendel.) Das Gespräch bewegte sich gewöhnlich um die musikalischen Zustände Deutschlands, welche eben in jener Zeit nichts weniger als erfreulich zu nennen waren; insbesondere in Bezug auf die Klaviermusik. Hier dominierten Herz, Hünten, Czerny mit ihrem brillanten Floskelwesen und leeren Klingklang, während die kürzlich verstorbenen Meister Beethoven, Weber, Schubert schier vergessen schienen und jungen, bedeutenderen Talenten, wie Chopin, Mendelssohn und andern keine Beachtung zu teil wurde. Sie begegneten einer Kritik, die, allen neuen und außergewöhnlichen Erscheinungen abhold, dieselben entweder schonungslos herunterriß oder vollständig totschwieg, jedes oberflächliche Machwerk dagegen, sofern es nur in althergebrachter Manier verfertigt war, ungebührlich lobte. So geschah es z. B. in der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“, seitdem die Redaktion[S. 27] aus den Händen des alten, trefflichen Rochlitz in jene G. W. Finks übergegangen. In Berlin führte Rellstab, der Herausgeber der „Iris“ sein gefürchtetes Richtschwert gegen Schumann, Chopin, Mendelssohn und Schubert. Neben diesen zwei kritischen Zeitschriften kommt der Wiener „Musikalische Anzeiger“ (redigiert von Castelli) gar nicht in Betracht; er pries das Beste und Schlechteste, all einerlei.

Da fuhr eines Junitages der Gedanke durch die jungen Brauseköpfe: laßt uns nicht müßig zusehen, greift an, daß es besser werde, daß die Poesie in der Kunst wieder zu Ehren komme, daß der musikalische Zopf und die kritische Honigpinselei ein Ende habe! So entstand der Plan einer neuen Zeitschrift für Musik, in deren Leitung sich Wieck, Knorr, Ortlepp, Schumann und Stegmayer teilen sollten. Freilich bis zur Verwirklichung hatte es noch gute Wege. Hoffmeister, der zur Übernahme des Verlages ausersehen war, zauderte trotz endloser Unterhandlungen. Auch fehlte es nicht an Differenzen zwischen den Herausgebern selbst. Wieck zum Beispiel, der eigentlich bloß seinen Namen hergab, fühlte sich zurückgesetzt, wenn einer der jungen Leute die Betreibung der Sache energisch in die Hand nahm. Ohne Schumanns hingebungsvolle Thätigkeit wäre das Unternehmen sicherlich noch gescheitert. Wie wohl er sich in dem neuen Wirkungskreise befand, läßt sich aus den tollen Streichen ermessen, die er den Sommer über mit seinen Genossen inscenierte. Es kam vor, daß er sie auf der Heimkehr aus dem „Kaffeebaum“ noch um Mitternacht in den Riedelschen Garten lud; das Gitter ward mit Lebensgefahr überklettert, der Kellner des Weinschanks, der sich im Hause befand, herausgetrommelt und unter den rauschenden Bäumen begann ein übermütiges Gelage.

War nun die Überanstrengung durch die Vorarbeiten zur Zeitschrift oder eine Verkühlung schuld oder beides zugleich – er verfiel nach solch einer nächtlichen Schwärmerei in eine schwere Nervenkrankheit. Unglücklicherweise mußte den[S. 28] Genesenden noch die erschütternde Nachricht von dem Tode seiner Schwägerin Rosalie und seines Bruders Julius treffen, wodurch die Erholung neuerdings hinausgeschoben wurde. Erst im Dezember durfte er die Arbeit an der Zeitschrift wieder aufnehmen.

Um dieselbe Zeit, zu Ende des Jahres 1833, hatte ein junger schwäbischer Musikus Leipzig zum dauernden Aufenthalt erkoren und wurde bald nach seiner Ankunft mit dem Schumannschen Freundeskreise bekannt. „In Krauses Keller trat ein junger Mensch an uns heran, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Einige wollten eine Johannesgestalt an ihm finden, andere meinten, grübe man in Pompeji einen ähnlichen Statuenkopf aus, man würde ihn für den eines römischen Imperators erklären. Alle jedoch stimmten darin überein, daß es ein Künstler sein müsse, so sicher war sein Stand von der Natur schon in der äußerlichen Gestalt gezeichnet – nun, ihr habt ihn ja alle gekannt; die schwärmerischen Augen, die Adlernase, den feinironischen Mund, das reiche, herabfallende Lockenhaar und darunter einen leichten, schmächtigen Torso, der mehr getragen schien als zu tragen. Bevor er an jenem Tage des ersten Sehens uns leise seinen Namen „Ludwig Schunke aus Stuttgart“ genannt hatte, hörte ich innen eine Stimme: ‚das ist der, den wir suchen‘ – und in seinen Augen stand etwas Ähnliches.“ Schumann gewann an dem edlen, liebenswürdigen Künstler einen teuren Herzensfreund, die Zeitschrift einen ihrer wärmsten Verfechter. Dank seines werkthätigen Beistandes konnte die erste Nummer schon im April erscheinen.

Ihr von Schumann entworfenes Programm war im wesentlichen eine Paraphrase des Goetheschen Lehrspruches:

„Ältestes bewahrt mit Treue,

Freundlich aufgefaßt das Neue.“

Es lautet: „An die alte Zeit und ihre Werke mit allem Nachdruck erinnern, darauf aufmerksam zu machen, wie nur an so reinem Quelle neue Kunstschönheiten gekräftigt werden[S. 29] können – sodann die letzte Vergangenheit, die nur auf Steigerung äußerlicher Virtuosität ausging, als eine unkünstlerische zu bekämpfen – endlich eine neue poetische Zeit vorzubereiten, beschleunigen zu helfen. – Unerschütterlich steht in uns die Ansicht, daß wir noch keineswegs am Ende unserer Kunst sind, daß noch viel zu thun übrig bleibt, daß Talente unter uns leben, die uns in unseren Hoffnungen auf eine neue reiche Blütenzeit der Musik bestärken und daß noch größere erscheinen werden. – Die Erhebung deutschen Sinnes durch deutsche Kunst, geschieht sie nun durch Hinweisung auf ältere Muster oder durch Bevorzugung jüngerer Talente; mag als das letzte Ziel unserer Bestrebungen angesehen werden. – Wir wüßten nicht, was wir vor anderen Künsten und Wissenschaften voraus haben sollen, wo sich die Parteien offen gegenüberstehen und befehden, noch überhaupt, wie es sich mit der Ehre der Kunst und der Wahrheit der Kritik vereinbaren ließe, den drei Erzfeinden unserer und aller Kunst, den Talentlosen, dann den Dutzendtalenten, endlich den talentvollen Vielschreibern ruhig zuzusehen. Wir schreiben ja nicht, um die Kaufleute reich zu machen, wir schreiben den Künstler zu ehren.“

In kurzer Zeit gebot die Zeitschrift über eine stattliche Anzahl tüchtiger Mitarbeiter; wir nennen unter anderen: Bank, Berger, Dorn, Griepenkerl, Stephen Heller, Kahlert, Keferstein, Kistner, Koßmaly, Krägen, Lorenz, Löwe, Lyser, Mangold, Marx, Nauenburg, Riefstahl, Schüler, Töpken, Truhn, Weißmann, Wenzel, Zuccalmaglio. Für die Redaktion zeichneten Schunke, Schumann, Wieck und Knorr. Man blättere in den ersten Bänden der Zeitschrift nach: das fröhliche, kräftige Leben darin wird noch jetzt Anteil erwecken; auch Versehen kamen vor, wie sie ja im Gefolge aller jugendlichen Unternehmungen sind. Jeder steuerte eben bei, was er hatte. Der Stoff schien damals endlos; man war sich eines edlen Strebens bewußt; neue Götterbilder sollten aufgestellt, ausländische Götzen niedergerissen werden;[S. 30] man arbeitete Tag und Nacht. Es war das Ideal einer großen Künstlerbrüderschaft zur Verherrlichung deutscher, tiefsinniger Kunst, das wohl jedem als das herrlichste Ziel seines Strebens vorleuchten mochte. Und wie denn die Zeitschrift zu günstiger Stunde, unter günstigen Umständen unternommen wurde, einmal weil man des Schneckenganges der alten musikalischen Kritik überdrüssig war und weil wirklich neue Erscheinungen am Kunsthimmel aufstiegen, dann weil die Zeitschrift im Schoß von Deutschland, in einer von jeher berühmten Musikstadt entsprang und der Zufall gerade mehrere junge, gleichgesinnte Künstler vereinigt hatte, so griff das Blatt auch rasch um sich und verbreitete sich nach allen Gegenden hin. Fast alle bedeutenden Tonsetzer dieser Periode: Mendelssohn, Chopin, Hiller, Taubert, Stephen-Heller, Gade, Berlioz, Franz, Verhulst und Sterndale Benett wurden teils durch dieselbe zuerst verständnisvoll gewürdigt, teils geradezu in die musikalische Welt eingeführt – nur gegen Meyerbeer nahm die Zeitschrift eine ablehnende Haltung ein; mit Recht darf man heute behaupten. Im übrigen liegen ihre Verdienste vornehmlich auf dem Felde der Klaviermusik. Hier erzielte sie einen vollständigen Umschwung des Geschmackes; indem fortan gedankenvollere, polyphone Gebilde an Stelle der alten virtuosen Passagenwerke traten. Für die gleichfalls in Aussicht genommene Opernreform in ähnlicher, gedeihlicher Weise zu wirken, blieb ihr dagegen versagt, schon darum, weil es in „Klein-Paris“ kein rechtes Theaterleben gab und den Herausgebern, abgesehen von der unerläßlichen Begabung, auch die Erfahrung im dramatischen Genre abging.

Die Herausgeber! Ist’s denn erlaubt, von ihnen in der Mehrzahl zu sprechen? Wieck war immerfort auf Reisen, Knorr erkrankte, so daß eigentlich nur Schumann und Schunke als Häupter der Leipziger romantischen Schule in Betracht kamen. Schunke wiederum, dem die Feder nicht[S. 31] parieren wollte, war bloß eine moralische Macht, so daß die Redaktionsgeschäfte fast einzig und allein auf Schumanns Schultern lasteten. Jetzt mußten dem Musiker, der bereits 1831 in der Finkschen Zeitung einen schönen Aufsatz über Chopin und 1833 einen über Klara Wieck im „Kometen“ veröffentlicht hatte, seine schriftstellerischen Gaben frommen. Er lieferte nicht allein zahlreiche Beiträge, bearbeitete die eingelaufenen, manchmal recht elend stilisierten Artikel, sondern besorgte auch Korrespondenzen, Verrechnungen, Korrekturen, Anweisung der Honorare u. s. w. – alles ohne irgend einen pekuniären Vorteil. Zum Komponieren blieb ihm unter solchen Umständen allerdings nur spärliche Muße.

Es war ungefähr zur Zeit des ersten Erscheinens der Zeitschrift, als Schumann, nicht ohne längeres Sträuben seinerseits, bei dem kunstsinnigen Kaufmanne Carl Voigt und dessen Gattin Henriette eingeführt wurde. Aber „nur einen Schritt in ihr Haus gethan, und der Künstler fühlte sich heimisch darin. Aufgehängt waren über dem Flügel die Bildnisse der besten Meister; eine ausgewählte musikalische Bibliothek stand zur Verfügung; der Musiker, schien es, war Herr im Hause, die Musik die oberste Göttin.“ Ein beredter Zeuge des regen Künstlerverkehres ist das Album der Frau Voigt, durch die Autographe berühmter Musiker – Mendelssohn, Löwe, Chopin und anderer – mit denen sie teilweise auch Briefwechsel unterhielt, sehr kostbar. (Jansen.) Poetisch und musikalisch begabt – sie war L. Bergers Schülerin im Klavierspiel – hat Henriette (die „Beethovenerin“) auf den ihr freundschaftlich zugethanen Schumann bildend und belebend eingewirkt. Sie wurde auch seine Vertraute in dem etwa gleichzeitig sich entspinnenden Liebesverhältnisse zu Ernestine von Fricken.

Dieselbe, die Tochter eines reichen böhmischen Barons aus Asch, kam im Frühjahr 1834 nach Leipzig, um sich bei Wieck im Pianofortespiel zu vervollkommnen, „ein herrliches, reines, kindliches Gemüt,“ wie Robert sie schildert, „zart[S. 32] und sinnig, mit der innigsten Liebe an mir und allem Künstlerischen hängend, außerordentlich musikalisch – kurz ganz so, wie ich mir meine Frau wünsche.“ Am 5. September verlobte sich Schumann mit ihr, erhielt auch die Einwilligung des Vaters – allein der Brautstand war nicht von langer Dauer. Schon im August des nächsten Jahres wurde das Verlöbnis, aus Gründen, die sich unserer Kenntnis noch entziehen, in aller Freundschaft wieder gelöst.

Inzwischen hatte sich ein tief schmerzliches, aber nicht unerwartetes Ereignis zugetragen. Ludwig Schunke war (7. Dezember 1834) an einer zehrenden Brustkrankeit, Novalis vergleichbar, sanft aus dem Leben geschwunden. Schumann war trostlos. Zu seiner Trauer um den Geliebten gesellten sich noch allerlei, durch die Liederlichkeit des Verlegers der Zeitschrift, E. Hartmann, hervorgerufene Zerwürfnisse, welche endlich dadurch beigelegt wurden, daß Schumann, der nach Schunkes Tode und Knorrs und Wiecks Rücktritt von den Leitern des Unternehmens allein übrig geblieben, die Zeitschrift ankaufte und dem Buchhändler Johann Ambrosius Barth zum Verlag übergab. Herausgeber und Besitzer in einer Person (vom 1. Januar 1835 ab), benützte er das erworbene Eigentumsrecht, um wichtige Verbesserungen im kritischen Teile des Blattes eintreten zu lassen. Musikalische Schöpfungen sind, wie schon bemerkt, in diesem Zeitraume nur wenige zu verzeichnen. Ehe wir uns aber mit ihnen befassen, ist es notwendig, bei dem „Davidsbunde“ zu verweilen, der in den Spalten der „Neuen Zeitschrift“ eine große Rolle spielt. Schumann dachte sich dabei einen idealen, natürlicherweise bloß im Kopfe seines Stifters existierenden Geheimbund fortschrittlicher Künstler, welcher König David, den mannhaften Besieger der Philister, als Schutzpatron verehrte. Unter den Mitgliedern ragen namentlich dreie hervor: Florestan, Eusebius und Meister Raro. Florestan ist der Wortführer der neuen Richtung in der Musik. Rücksichtslos und un[S. 33]gestüm zieht er gegen jedes pedantische Festhalten am alten Zopf zu Felde. „Warum denn rückwärts komponieren? Wem die Perücke gut steht, der mag sich eine aufsetzen; aber streicht mir die fliegende Jugendlocke nicht weg, wenn sie auch etwas wild über die Stirn hereinfällt. Also Locken, Sonatenschreiber und keine falschen...! Wie kommen wir dazu, uns von vorigen Jahrhunderten Vorschriften geben zu lassen?“ Im Gegensatze zu ihm ist Eusebius weich und schwärmerisch, ein mädchenhaft schüchterner Jüngling. Meister Raro endlich vermittelt zwischen beiden; er vertritt die Besonnenheit und Einsicht des gereiften Mannes. Wie diese merkwürdigen Gestalten im Verhältnis zu Schumann aufzufassen sind, erklärt er selbst in einem Briefe an Dorn: „Florestan und Euseb ist meine Doppelnatur, die ich wie Raro gern zum Mann verschmelzen möchte.“ Auch hinter den übrigen Bündlern hat man wirkliche Personen zu suchen; es sind Walt (Rakemann), Julius (Knorr), Jonathan (Schunke?), Serpentinus (Bank), Fritz Friederich (Lyser) und Giara oder Zilia (Klara Wieck). Zur Gestalt Meister Raros soll Friedrich Wieck einige Züge geliehen haben.

Aber nicht allein in der Zeitschrift liebt es Schumann, sich hinter den Namen Florestan und Eusebius zu verbergen. Sie prangen auch als Verfasser auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe seiner leidenschaftlichen Fis-Moll-Sonate (op. 11), deren Wert zum erstenmale Franz Liszt erkannt und in seiner geistreichen Weise dargelegt hat. (Gazette musicale, 1837, Nr. 46.) Freilich will die Bezeichnung „Sonate“ nicht durchwegs passen: die Triebkraft der Phantasie sprengt eben da und dort die überlieferten klassischen Formen. Einen ähnlich stürmischen Charakter trägt das sonst minder bedeutende op. 8 Allegro (seiner Braut gewidmet), welches Schumann an Frau Voigt mit dem Bedeuten sandte, „daß der Verfasser mehr tauge als das Werk und weniger als die, der es zugeeignet ist.“ Bei weitem[S. 34] höher steht dagegen op. 9 der Karneval, ein anmutig belebtes, an pikanten Rhythmen und bunten Modulationen reiches Faschingsbild. Das beständig wiederkehrende Motiv ASCH weist uns auf die persönlichen Beziehungen dieser Schöpfung; es drückt den Namen der Vaterstadt Ernestines in Noten aus. Schumann fand es „sehr schmerzlich“, wie denn das ganze Werk in ernster Stimmung komponiert worden ist. Der Musik wird das aber niemand anmerken; sie charakterisiert das fröhliche Gewimmel im hellerleuchteten Ballsaal ganz meisterlich. Der bedächtige Pierrot schreitet vorüber, Pantalon und Colombine kommen leichten Fußes einhergetrippelt, der Harlekin schlägt seine Capriolen und eine Kokette läßt verführerisch ihre Augen spielen. Die Davidbündlerschaft fehlt auch nicht beim Feste. Wir sehen den wild dreinfahrenden Florestan, den träumerischen Eusebius, Chiara, Estrella (Ernestine), ferner Paganini und Chopin. Die Krone des Ganzen aber bildet der kecke „Marsch der Davidsbündler gegen die Philister“, welch letztere sehr ergötzlich durch die Melodie des Großvatertanzes („Und als der Großvater die Großmutter nahm“) charakterisiert sind. Natürlich werden die Armen zu guterletzt jämmerlich geschlagen und Davids siegreiche Jünger erheben frohlockend ihr übermütiges Jubellied.

[2] Noch freier verfährt Schumann in einem zweiten Hefte, das der Verleger des besseren Absatzes wegen als op. 10 erscheinen ließ; er streift diesmal der Komposition alles Geigenmäßige ab und ersetzt die Klangeffekte des Streichinstrumentes sehr geschickt durch solche, die dem Klaviere eigentümlich sind.

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