4. Klara.

Wem nie von Liebe Leid geschah,

Geschah auch Lieb von Liebe nie.

Gottfried v. Straßburg.

Nicht lange nach der Lösung des Verhältnisses zu Ernestine von Fricken hielt eine neue Liebe Einzug in Schumanns Herzen, eine Liebe, deren Keime wohl schon manches Jahr in seiner Brust geruht haben mochten, ehe sie trieben, sproßten[S. 35] und breit sich entfalteten, eine Liebe, die ihn harte Kämpfe und bittere Schmerzen gekostet, eine Liebe, der die deutsche Kunst einige ihrer schönsten und edelsten Blüten zu verdanken hat. Es war Klara Wieck, die langjährige Freundin, welche Ernestines Stelle dauernd einnehmen sollte. Geboren am 13. September 1819, fand sie schon als Kind ihres Klavierspieles halber allgemeine Bewunderung. Neun Jahre alt ließ sie sich zum erstenmale öffentlich hören, zwei Jahre später begann sie mit dem Vater, dessen vorzügliche Lehrmethode in ihrem Spiele die größten Triumphe feierte, weite Konzertreisen, die über Dresden, Weimar, Kassel, Frankfurt bis Paris führten. Die Aufnahme war überall enthusiastisch. In Weimar trug der greise Goethe das Stuhlkissen eigenhändig für sie herbei und schenkte ihr beim Abschied sein Brustbildmedaillon mit der Widmung: „Der geistreichen Klara Wieck.“ Auch andere berühmte Männer: Spohr, Mendelssohn, Alexander von Humboldt, Chopin, Herz und andere nahmen an ihr lebhaftes Interesse; Schumann verehrte sie „wie der Pilgrim das ferne Altarbild“ und stellte sie in eine Reihe mit Paganini. Über ihre äußere Erscheinung giebt Heinrich Dorn folgende Nachricht: „Meine Klara (denn sowohl von ihrem Vater, als von allen, die sie kannten, wurde sie nicht anders genannt), war 1831 ein reizender Backfisch; zierliche Gestalt, blühende Gesichtsfarbe, zarte, weiße Händchen, üppiges, schwarzes Haar, kluge, glutvolle Augen; alles war an ihr appetitlich.“ Mit Robert, „dem herrlichen, prächtigen Menschen,“ stand sie in geschwisterlichem Verhältnis. „Klara,“ schreibt er seiner Mutter 1833, „die wie immer innig an mir hängt, ist die alte – wild und schwärmerisch – rennt und springt und spielt wie ein Kind und spricht wieder einmal die tiefinnigsten Dinge. Es macht Freude, wie sich ihre Herzens- und Geistesanlagen jetzt immer schneller, aber gleichsam Blatt für Blatt entwickeln. Als wir neulich zusammen von Connewitz heimgingen (wir machen fast täglich zwei- bis dreistündige Märsche),[S. 36] hörte ich, wie sie für sich sagte: „O, wie glücklich bin ich, wie glücklich!“ Wer hört das nicht gern! Auf demselben Wege stehen sehr unnütze Steine mitten im Fußsteg. Wie es nun trifft, daß ich oft im Gespräche mit anderen mehr auf- als niedersehe, geht sie immer hinter mir und zupft an jedem Stein leise am Rock, daß ich ja nicht falle. Einstweilen fällt sie selbst darüber.“ Bald darauf spricht Schumann dem Mädchen mit der Dedikation der Impromptus die Hoffnung aus, „daß die Vereinigung unserer Namen auf dem Titel eine unserer Ansichten und Ideen für spätere Zeiten sein möchte. Mehr bieten kann ich Armer nichts.“ Während des Brautstandes mit Ernestine verblaßte begreiflicherweise das Bild Klaras, die sich obendrein meist auswärts auf Kunstreisen befand. Doch schon im Sommer 1835 schwebt ihm überall ihr „Engelskopf“ mitten unter Festen und Freudenhimmeln vor. Täglich, ja stündlich fühlte er sich mehr zu ihr hingezogen und während des folgenden Winters vollzog sich die Umwandlung des bisher bloß freundschaftlichen Bundes in ein offenes Liebesverhältnis. Klaras rege Beteiligung am Leipziger Musikleben, welches damals durch die Ankunft Mendelssohns einen neuen, mächtigen Aufschwung nahm, brachte sie fortwährend mit Robert in Berührung. Im Februar 1836 endlich, kurz nach dem Tode seiner Mutter (gestorben 4. Februar) erscheint das förmliche „Sie“ im Briefwechsel durch das vertraute „Du“ ersetzt, denn Schumann schreibt: „Vielleicht daß der Vater die Hand nicht zurückzieht, wenn ich ihn um seinen Segen bitte. Freilich giebt es da noch viel zu denken, auszugleichen. Indes vertraue ich auf unseren guten Geist. Wir sind vom Schicksal schon füreinander bestimmt: schon lange wußte ich das, aber mein Hoffen war nicht so kühn, dir es früher zu sagen und von dir verstanden zu werden.“

Nun war Vater Wieck unserem Künstler zwar aufrichtig gewogen und hatte gern zur Verbreitung seiner Werke beigetragen, allein in puncto seiner Tochter verstand der alte,[S. 37] etwas fahrige Herr keinen Spaß. Klara, sein Stolz, die sichtbare Verkörperung seiner illustren Klaviermethode, schien ihm wahrlich zu Höherem bestimmt als die Frau eines noch ziemlich unbekannten und unbemittelten Komponisten abzugeben! Er wies die kühne Werbung rundweg ab und reiste, um eine weitere Annäherung zu vereiteln, mit Klara auf der Stelle nach Breslau. Doch gelang es Schumann, der als Redakteur der Musikzeitung überall Verbindungen hatte, wenigstens geheimen Briefwechsel mit der Geliebten zu pflegen.

Sein nächstes Streben war jetzt auf die Gründung einer sicheren Existenz gerichtet, denn die fünfhundert Thaler Rente, die er von seinem väterlichen Erbteil bezog, reichten wohl hin ihn vor Not und Sorge ums tägliche Brot, den treuen Gefährtinnen des deutschen Musikers, zu schützen, aber nicht zum Unterhalt einer Familie. Durch Verpflanzung der Zeitschrift nach Wien hoffte er ihre Einträglichkeit um ein Bedeutendes zu steigern und betrieb deshalb in aller Stille aber eifrig diese Angelegenheit. So schwand das Jahr unter viel Bekümmernis, für die ihn nur der häufige Umgang mit Felix Mendelssohn einigermaßen entschädigen konnte. Mendelssohn besaß, was Schumann am meisten fehlte: musikalische Durchbildung, Weltgewandtheit, außerordentlichen Formensinn und imponierte damit dem jüngeren Meister bis zu heller Begeisterung. „Er ist der beste Musiker der Zeit, zu dem ich aufschaue wie zu einem hohen Gebirge,“ ruft er aus, während der Schöpfer des „Paulus“, dem Schumanns kostbares Gut, der Gehalt im Busen eigentlich abging, mit der schönen Form im Geiste die künstlerische Bedeutung des Freundes, so sehr er ihn als Menschen hochschätzte, nie begriffen hat. Wehe aber, wenn sich jemand in Schumanns Gegenwart ein abfälliges Urteil über Mendelssohns Musik erlaubte! Das konnte den sonst so stillen, fast apathisch Scheinenden in die größte Erregung versetzen. Übrigens bemerkt er selbst einmal ganz richtig: „In[S. 38] ähnlichen Verhältnissen wie er (Mendelssohn) aufgewachsen, von Kindheit an zur Musik bestimmt, würde ich euch samt und sonders überflügeln.“

Fast täglich trafen die beiden Meister am Mittagstische des Hotels de Baviere zusammen. Außerdem gehörten noch Walther von Goethe, Frank, David und Sterndale Benett zur Tafelrunde. Dem letzteren, der sich damals längere Zeit in Leipzig aufhielt, sind die Etudes symphoniques (op. 13) gewidmet, höchst originelle Variationen, deren prächtiges Finale mit dem beabsichtigten Anklang an ein englisches Volkslied („Wer ist der Ritter hochgeehrt?“) direkt an das Nationalgefühl Benetts appelliert. Daneben vollendete Schumann noch ein Concert sans orchestre (op. 14, später Sonate III genannt) und die herrliche C-Durphantasie (op. 17) „eine tiefe Klage um Klara.“ Anfangs wollte er sie, da ihr eventueller Ertrag für das in Bonn zu errichtende Beethovendenkmal bestimmt war, „Obolus“ oder „Ruinen, Siegesbogen und Sternenkranz“ betiteln, bis er sich später für „Große Sonate“ und schließlich für das weit angemessenere „Phantasie“ entschied. Als Motto trug das Werk den Schlegelschen Vers: „Durch alle Töne tönet im bunten Erdenraum ein leiser Ton gezogen für den, der heimlich lauschet.“

Mit dem leisen Tone ist, wie aus einem Schumannschen Briefe hervorgeht, Klara gemeint. Auf sie weisen uns denn auch die Kompositionen des folgenden Jahres, die Phantasiestücke (op. 12) und die Davidsbündlertänze (op. 6) hin, von welchen namentlich die erste in der Kunstwelt Anerkennung und Liebe gefunden hat. In diesen wunderbaren Stimmungsbildern entfaltet sich Schumanns Talent in seiner ganzen Fülle und Eigentümlichkeit, mag er nun „des Abends“ schwärmen oder seltsame „Traumeswirren“ schildern oder „Grillen“ nachjagen oder die bedeutungsvolle Frage „Warum?“ an das Schicksal richten. Für das gelungenste Stück hielt er selbst das fünfte „In[S. 39] der Nacht“, worin er, als es bereits fertig war, die Geschichte von Hero und Leander zu finden glaubte: „wie er sich ins Meer stürzt, sie ruft, er antwortet, er durch die Wellen glücklich ans Land – dann die Kantilene, wo sie sich in den Armen haben – dann, wie er wieder fort muß, sich nicht trennen kann, bis die Nacht wieder alles in Dunkel hüllt.“ Mit Bezug auf das Schlußstück: „Das Ende vom Lied“, schreibt Schumann an Klara: „Ich dachte dabei, nun am Ende löst sich alles in eine lustige Hochzeit auf, aber am Schluß kam wieder der Schmerz um dich dazu und da klingt es wie Hochzeit- und Sterbegeläute untereinander.“ Ganz ähnlich lautet eine Briefstelle über die Davidsbündlertänze, welchen als Motto der alte Spruch: „In all und jeder Zeit verknüpft sich Lust und Leid; bleibt fromm in Lust und seid dem Leid mit Mut bereit“ vorangesetzt ist. „In den Tänzen,“ heißt es dort, „sind viele Hochzeitsgedanken – sie sind in der schönsten Erregung entstanden, wie ich mich nur je besinnen kann; ein ganzer Polterabend nämlich ist die Geschichte und du kannst dir Anfang und Schluß ausmalen. War ich je glücklich am Klavier, so war es, als ich sie komponierte.“

Vergleicht man die angeführten Stellen miteinander, so ergeben sich aus ihnen wertvolle Aufschlüsse über den Verlauf seines Liebesromanes. Während zur Zeit der Komposition der Phantasiestücke ihn noch bange Zweifel an dem guten Ausgang heimsuchen, sehen wir ihn jetzt in ungetrübter Heiterkeit der Zukunft entgegenschauen. Klaras unerschütterliche Treue war’s, die ihn vor gänzlicher Resignation bewahrte, ja schließlich sogar mit solcher Zuversicht erfüllte, daß er am 13. September 1837, ermutigt durch das freundliche Benehmen des Vaters, um ihre Hand nochmals anzuhalten wagte. Wieck hatte schon vermeint, daß die Leidenschaft der beiden Liebenden, die sich auf stillschweigendes Übereinkommen hin über ein Jahr nicht gesehen, durch die Trennung erkalten werde und mußte nun zu seinem Ärger[S. 40] gewahren, daß die Flamme heller brenne wie zuvor. Überrascht und außer Stande begründeten Einwand zu erheben, gab er bloß unklare, ausweichende Antwort. Er spielte auf Schumanns ungeregelte Verhältnisse an: dieser schränkte sich auf das Äußerste ein. Er ließ verlauten, daß Schumann noch mehr verdienen müsse. Dieser nahm, obgleich die Zeitschrift auch so prosperierte, seinen alten Plan, die Übersiedelung nach Wien, energisch wieder auf, besonders als Klara dortselbst im Dezember große Triumphe gefeiert hatte. Die Unterhandlungen mit Wiener Freunden des Blattes (Vesque von Püttlingen und Joseph Fischhof) zogen sich hin bis zum Herbst des folgenden Jahres, und Schumann schrieb in dieser Zeit drei seiner vorzüglichsten Werke: Die Novelletten (op. 21), die man als Nachklang der Phantasiestücke betrachten kann, ferner die Kreisleriana (op. 16) und Kinderscenen (op. 15).

Jene geben sich, wie ja die Überschrift sagt, als Schöpfungen des berühmten romantischen Musikus Kreisler, mit welchem sich Schumann hier identifiziert. Man kennt diese originelle Gestalt T. A. Hoffmanns, deren excentrisches Wesen und Gebaren durch atemversetzende Synkopenketten sehr zutreffend charakterisiert wird, aus „Kater Murr“ (Universal-Bibliothek Nr. 153–156). Von einer neuen, überaus liebenswürdigen Seite zeigt sich Schumanns Genius in den „Kinderscenen“. Mit welcher Feinheit, bemerkt Liszt, läßt er die verschiedensten Jugendeindrücke aufeinander folgen! Wie harmonisch verteilt er Licht und Schatten im Fortschreiten von Begebenheiten im äußeren Leben des Kindes zur Schilderung seiner Innerlichkeit! Und – um nur bei einem allgemein bekannten Werk einen Augenblick zu verweilen – wie glücklich ist die Aufeinanderfolge der Stücke! Glaubt man doch bei der Erzählung „von fremden Ländern und Menschen“ die aufhorchenden blonden Kinderköpfchen starr nach dem Munde des Erzählers gerichtet zu sehen, bis die „kuriose Geschichte“ ihre erregte Phantasie wieder in das[S. 41] umgebende Leben zurückführt, wo dann mit dem „Haschemann“ der Übergang zum Tummeln und Spielen gemacht wird. Da ist aber ein Kind, dessen Gedanken schon in die Ferne, nach dem Unmöglichen schweifen, das Freude auf Freude, Spiel auf Spiel häufen möchte. Dem bittenden Kinde antwortet man mit weisem, sanftem Vorwurf: „Glückes genug.“ So müssen die kaum sich entfaltenden Seelen schon das schwere Wort von der irdischen Unzulänglichkeit begreifen lernen. Doch dem innigen Sittenspruch folgt eine „wichtige Begebenheit“. Da wenden sich die jungen Gemüter von dem Betrübtsein, das selbst der leiseste Vorwurf ihnen bringt, zu den wechselnden Vorfällen der Wirklichkeit, in denen wieder für einige der Hauptreiz darin liegt, daß sie zu schwärmerischem Nachsinnen, zu „Träumereien“ führen, denen man nirgends besser als „am Kamin“ nachhängen kann. Dort beginnen wieder wunderbare Geschichten voll merkwürdiger Ereignisse, wie der „Ritter vom Steckenpferd“ oder voll Grausens, wenn sie „fast zu ernst“ werden oder „fürchten machen“. Nun aber senkt sich das friedlichste und liebenswürdigste der Gespenster, der Sandmann, über die von wirren Bildern des Tages ermüdeten Augen des „einschlummernden Kindes“ und „der Dichter spricht.“ Er spricht zu den Ruhenden und giebt seinen Segen all den kleinen Ereignissen des Tages, deren Bedeutung sein denkender Geist erhöht; denn im symbolischen Spiegel zeigen sie die großen Begebenheiten des reiferen Lebens, wie sie oft in derselben Folge von denselben Eindrücken angeregt erscheinen.

Anfang Oktober 1838 reiste Schumann, nachdem an seiner Statt Oswald Lorenz die Leitung der Redaktionsgeschäfte übernommen hatte, selbst nach der Donaustadt, um sowohl mit den Behörden und Verlegern die nötigen Unterhandlungen zu pflegen, als auch um das Publikum ein wenig kennen zu lernen. Allein schon nach den ersten Tagen sah er sich in seinen Hoffnungen gründlich getäuscht; der heilige Boden, auf welchem die größten deutschen Tondichter[S. 42] einstens gewandelt, war jetzt der Tummelplatz italienischen Opernklingklangs und ausgelassener Tanzmusik. Man wird den künstlerischen Niedergang Wiens wohl am treffendsten seit dem Falle der Euryanthe (Oktober 1823) datieren, da von diesem Zeitpunkte an die Freunde deutscher Kunst, eingeschüchtert und uneins den fanatischen Parteigängern Rossinis das Feld ganz und gar überließen. Bald nach seiner Ankunft schon bekennt Schumann, „ich passe nicht unter diesen Schlag Menschen; hinge es von mir ab, morgen ging ich nach Leipzig zurück; die Zeitung verliert offenbar, wenn sie hier erscheinen muß;“ ja, nicht einmal das Erscheinen des Blattes sollte er durchsetzen können, da man ihm als Ausländer die Bedingung stellte, daß ein österreichischer Verleger an die Spitze des Unternehmens trete, die Wiener Buchhändlerfirmen aber davon nichts wissen wollten, weil sie für ihren Strauß, Proch u. s. w. von der „revolutionären“ Zeitschrift fürchteten. In den landesüblichen, lobhudelnden Recensententon mit einzustimmen und dadurch in den Augen Norddeutschlands feige, matt und verändert zu gelten, dazu war Schumann natürlicherweise nicht zu bewegen. Von der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens völlig überzeugt, kehrte er im Frühjahr 1839 schweren Herzens nach Sachsen zurück. So ganz fruchtlos sollte übrigens der Wiener Aufenthalt für die Kunst nicht gewesen sein, denn eine Anzahl reizender Klavierwerke ist damals teils neu entstanden, teils vollends ausgeführt worden und zwar folgende: Scherzo, Gigue und Romanze (op. 32), Arabeske (op. 18), Blumenstück (op. 19), Humoreske (op. 20), Nachtstücke (op. 23), Faschingsschwank (op. 26). Von diesen erfordern nur die beiden letztgenannten einige Bemerkungen. Im Faschingsschwank, der in Wien erschienen ist, macht sich nämlich Schumann den Spaß, der hohen Censur ein Schnippchen zu schlagen, indem er recht unschuldig mitten unter allerlei Tanzmotiven plötzlich die in Wien streng verbotene Marseillaise anklingen läßt. Die Nachtstücke hingegen sind darum[S. 43] merkwürdig, weil sich in ihnen die ersten Spuren einer beginnenden Gemütsverdüsterung zeigen. „Es kommt darin,“ schreibt er, „eine Stelle vor, auf die ich immer zurückkomme; da ist, als seufzte jemand recht aus schwerem Herzen: „Ach Gott.“ Ich sah bei der Komposition immer Leichenzüge, Särge, unglückliche, verzweifelte Menschen und als ich lange nach einem Titel suchte, kam ich immer auf den: Leichenphantasie. Beim Komponieren war ich auch oft so angegriffen, daß mir die Thränen herankamen und wußte doch nicht warum. Da kam Theresens (seiner Schwägerin) Brief und nun stand es klar vor mir. Bruder Eduard lag im Sterben.“

Solche melancholische Stimmungen verflogen indessen rasch in dem buntfarbigen, regsamen Wiener Leben. Auch an erhebenden Momenten fehlte es nicht, wozu man den freundschaftlichen Verkehr mit Mozarts Sohne und den Besuch der Grabstätten der großen Tonmeister zählen muß. Auf dem Heimwege vom Währinger Kirchhof war’s, da fiel ihm ein, daß Schuberts Bruder Ferdinand ja noch lebe. Er suchte denselben auf, durchwühlte den Nachlaß des früh Verblichenen und entdeckte darin zu seiner Freude die große C-Dursymphonie, welche sogleich an Mendelssohn zur Aufführung übersendet wurde. Auch gelang es ihm, Breitkopf und Härtel zur Drucklegung des bedeutenden Werkes zu bewegen. Ausführliches über die denkwürdige Episode findet man im dritten Band seiner „Gesammelten Werke“ (Universal-Bibliothek, Nr. 2621 u. 2622).

Nach Leipzig zurückgekehrt, widmete sich Schumann mit allen Kräften der Zeitung, die ihn nach der langen Abwesenheit „wieder so jugendlich anlachte“ wie in den Tagen ihrer Gründung. In richtiger Erkenntnis, daß ihm nur die Vereinigung mit der Geliebten den zu freiem Schaffen unentbehrlichen Seelenfrieden verleihen könne, hielt er sodann im Sommer 1839 zum drittenmale bei Wieck um Klara an. Der alte Starrkopf aber weigerte sich so hartnäckig, daß dem[S. 44] liebenden Paare kein anderer Ausweg übrig blieb, als den Heiratskonsens gerichtlich zu erzwingen. Wie peinlich mußte diese Notwendigkeit unseres Künstlers stille, empfindsame Natur berühren, zumal da Wieck in seiner Wut alle Haltung verlor und sich nicht scheute, eine Schmähschrift gegen den Bräutigam seiner Tochter zu veröffentlichen! Komponiert wurde in dieser aufgeregten Zeit nur wenig: drei Romanzen für Klavier (op. 23). Klara, die in bitterem Kampf zwischen Liebe und Kindespflicht für Robert entschieden hatte, verließ jetzt den Vater und begab sich zu ihrer Mutter, Wiecks erster geschiedener Gattin nach Berlin.

Der gerichtliche Entscheid, dessen Ausfall übrigens nicht zweifelhaft sein konnte, ließ lange auf sich warten. Inzwischen kam das Jahr 1840, zu dessen Beginne sich Schumann durch seinen Freund Keferstein an der Universität Jena um den Doktortitel bewarb. Derselbe wurde ihm auch wirklich in Anbetracht seiner künstlerischen, kritischen und ästhetischen Thätigkeit honoris causa verliehen. Bald darauf hatte der neugebackene Doktor die Freude, seinen verständnisvollen Beurteiler in der Gazette musicale (vergl. S. 33), Liszt, der eben in Leipzig konzertierte, von Angesicht kennen zu lernen. Der geniale König des Klaviers machte auf Schumann einen tiefen Eindruck. „Liszt erscheint mir alle Tage gewaltiger,“ schreibt er, „ich bin mit ihm fast den ganzen Tag beisammen. Er sagte mir gestern, mir ist’s, als kennte ich Sie schon zwanzig Jahre – mir geht’s auch so. Wir sind schon recht grob gegeneinander... Wie er doch außerordentlich spielt und kühn und toll und wieder zart und duftig, daß wir alle zitterten und jubelten!“ Das waren ein paar schön verlebte Tage in dieser schmerzlichen Zeit des Harrens und der Ungeduld.

Endlich, im Sommer, traf der ersehnte Heiratskonsens ein und nun stand der ehelichen Verbindung der Vielgeprüften kein Hindernis mehr im Wege. Am 12. September traute sie Pfarrer Wildenhahn, ein Schulkamerad[S. 45] Roberts, in aller Stille in Schönefeld, einem Dorfe bei Leipzig.

Keine glücklichere, keine harmonischere Vereinigung – sagt Liszt schön und treffend – war in der Kunstwelt denkbar als die des erfindenden Mannes mit der ausführenden Gattin, des die Idee repräsentierenden Komponisten mit der ihre Verwirklichung vertretenden Virtuosin. Robert und Klara Schumann reihen sich in den Sagen der Kunst den glänzenden Beispielen von dem schönen Walten der Natur ein, welche diese beiden Künstler und Liebenden, die auf Erden nur in und durch sich glücklich werden konnten, nicht durch Zeit und Raum trennte, sondern ihnen zu günstiger Stunde in gemeinsamem Vaterlande das Leben gab, damit sie sich begegnen, ihre Geschicke in einem Strome vereinigen, ihre Herzen in ein Meer gemeinsamer, tiefer Anschauungen versenken konnten. Die Annalen der Kunst werden beider Gedächtnis in keiner Beziehung trennen und ihre Namen nicht vereinzelt nennen können, die Zukunft wird mit einem goldenen Schein beide Häupter umweben, über beiden Stirnen nur einen Stern erglänzen lassen, wie auch ein berühmter Bildner (Rietschel) die Profile des unsterblichen Paares schon in einem Medaillon vereinigt hat.

Share on Twitter Share on Facebook