8. Rückblick.

Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.

Antigone.

Wenn unser Auge bei der Betrachtung des Schumannschen Lebensganges an manchen Schwächen und Irrtümern haften mußte, so darf der folgende Abschnitt nun ganz dem Preise seiner bedeutenden Leistungen gewidmet sein. Mag der eine dieser, der andere jener den Vorzug zuerkennen – über ihren hohen Wert ist heutzutage alle Welt einig und zählt ihn, wenn auch nicht zu jenen Gewaltigen, welche die gesamten idealen Bestrebungen des verfließenden Zeitalters kraftvoll zusammenfassend, einem künftigen den Stempel ihres Geistes aufdrücken, so doch zu den Musikern ersten Ranges. Er war ein musikalischer Kernmensch und vermag darum sogar in Kunstgattungen, für welche ihm die spezielle Befähigung abging, in Ehren zu bestehen und die volle Teilnahme des Hörers zu erwecken. Sollen wir aber diese seine spezielle Befähigung genauer umschreiben, was könnten wir Treffenderes vorbringen, als das Urteil, welches er selbst, über einen anderen Künstler (L. Berger) freilich, gefällt hat: „Überhaupt war er in kleinen Formen glücklicher als in größeren, wie dies oft bei Naturen der Fall, die stets ihr Bestes, Tiefstes, Innigstes geben möchten. Schlage man solche Stücke nicht zu gering an. Eine gewisse breite Unterlage, ein bequemes Aufbauen und Abschließen mag mancher Leistung zum Lobe gereichen. Es giebt aber Tondichter, die, wozu andere Stunden brauchen, in Minuten auszusprechen wissen: zur Darstellung, wie zum Genießen solcher geistig konzentrierter Kompositionen gehört aber freilich auch eine gesteigerte Kraft des Darstellenden wie des Aufnehmenden und dann auch die rechte Stunde und Zeit; denn schöne, bequeme Form läßt sich immer genießen und auslegen;[S. 88] tiefer Gehalt wird aber nicht zu jeder Zeit verstanden. Daß Berger auch größerer Formen Meister war, hat er in seinen Sonaten und Konzerten bewiesen. Keineswegs aber geben wir für diese eben jene kleineren, genialeren Arbeiten hin, wie jene Charakterstücke, einige seiner Variationen und vor allem seine Lieder.“

So Schumann. Um die Schönheiten seiner Musik zu empfinden, bedarf es natürlich, wie bei allen tiefer gedachten Kunstwerken einer eingehenden Bekanntschaft. „Als ich Schumann zu spielen anfing,“ erzählt Robert Hamerling,[11] „glaubte ich in seiner Tonsprache dem hellen Klangreize anderer Meister gegenüber etwas Herbes, Dumpfes zu finden, welches jedoch, sobald es nur vom rechten Geschick und Verständnis bewältigt war, in den süßesten Wohllaut sich auflöste. Vor allem will das Individuelle, Charakteristische des Tonstückes bei ihm erfaßt und festgehalten sein und aus diesem Grunde ist die Kenntnisnahme der Überschriften, die er über seine Werke setzt, für den vollen Genuß des Hörers so unentbehrlich, wie für den Vortrag. Was soll der Hörer von den Sprüngen des Harlekins denken, wenn er nicht weiß, daß es eben Harlekinssprünge sind.“ Als Gegensatz zu Mendelssohns ohrenfälligem Formenspiel wurde diese Musik vom Publikum anfangs mit der – gleichfalls unverständlich dünkenden – „Zukunftsmusik“ zusammengeworfen, wozu noch der Umstand beitrug, daß Brendel in seiner Zeitschrift die beiden Richtungen mit demselben Enthusiasmus verfocht. Schumanns Parteigänger protestierten entschieden, aber nicht ganz mit Recht gegen solche Beiordnung, denn thatsächlich finden sich zwischen ihm und der „Weimarer Schule“ gar viele und wichtige Berührungspunkte.

Beiden ist vor allem die geschichtliche Basis: Bach und (der letzte) Beethoven gemeinsam. „Das Tiefkombinatorische,[S. 89] Poetische und Humoristische der neueren Musik,“ bemerkt Schumann, „hat seinen Ursprung zumeist in Bach. Die sogenannten Romantiker stehen Bach weit näher als Mozart, wie ich selbst tagtäglich vor diesem Hohen beichte, mich durch ihn zu reinigen und zu stärken suche,“ und ein andermal gesteht er, daß ihn nur mehr „das Äußerste“ reize; „Bach fast durchweg, Beethoven zumeist in seinen späteren Werken.“ „Es ist wahr, zum Verständnis der Beethovenschen letzten Quartette gehört mehr als bloße Lust zum Hören. Der empfänglichste, offenste Musikmensch wird ungerührt von ihnen gehen, wenn er nicht tiefe Kenntnis des Charakters Beethovens und dessen späterer Aussprache mitbringt. Dann aber, ist er auf dem Wege dahin, so kann auch dem menschlichen Geiste kaum etwas Wunderwürdigeres geboten werden, als jene Schöpfungen, denen in ihrer tiefsinnigen Gestaltung, ihrem alle menschlichen Satzungen überschwebenden Ideenfluge von anderer neuerer Musik gar nichts und im übrigen nur einiges etwa von Lord Byron oder von Jean Pauls und Goethes späteren Werken verglichen werden kann.“ Die Tonkunst ist ihm „die veredelte Sprache der Seele; andere finden in ihr einen Ohrenrausch, andere ein Rechenexempel und üben sie in dieser Weise aus. Aber das wäre eine kleine Kunst, die nur klänge und keine Sprache noch Zeichen für Seelenzustände hätte!“ Auch die Lehre von der Einheit des Kunstgefühls, von der Urverwandtschaft der Künste läßt sich in Schumanns Schriften und Briefen nachweisen. „Die Ästhetik der einen Kunst ist die der anderen; nur das Material ist verschieden. Der gebildete Musiker wird an einer Rafaelschen Madonna mit gleichem Nutzen studieren können, wie der Maler an einer Mozartschen Symphonie. Noch mehr: dem Bildhauer wird jeder Schauspieler zur ruhigen Statue, diesem die Werke jenes zu lebendigen Gestalten; dem Maler wird das Gedicht zum Bild, der Musiker setzt die Gemälde in Töne um.“ Gleich den „Neudeutschen“ möchte sich Schumann vom partikularistischen[S. 90] Standpunkt des Musikers zum höheren, allgemeineren des „Künstlers“ schlechthin erheben. „Sieh dich tüchtig im Leben um, wie auch in anderen Künsten und Wissenschaften,“ ruft er dem Musiker zu und bekennt: „Es affiziert mich alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Litteratur, Menschen; über alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann durch die Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will. Deshalb sind viele meiner Kompositionen so schwer zu verstehen, weil sie an entfernte Interessen anknüpfen, oft auch bedeutend, weil mich alles Merkwürdige der Zeit ergreift und ich es dann musikalisch aussprechen muß.“ Sogar was die Programmmusik anbelangt, stimmt er mit den Neudeutschen in der Kardinalfrage: nach ihrer Berechtigung überein. Er meint zwar einmal, es sei kein gutes Zeichen für ein Tonstück, wenn es der Überschrift bedarf; es wäre dann gewiß nicht der inneren Tiefe entquollen, sondern erst durch irgend eine äußere Vermittlung angeregt; und vom Programm einer Berliozschen Symphonie: „Ganz Deutschland schenkt es ihm; solche Wegweiser haben immer etwas Unwürdiges, Charlatanmäßiges.“ Doch stehen damit zahlreiche andere Aussprüche Schumanns in offenbarem Widerspruch, so daß es den Anschein hat, als sei er in dieser Frage nicht ganz schlüssig geworden. Man höre: Warum könnte nicht einen Beethoven inmitten seiner Phantasien der Gedanke an Unsterblichkeit überfallen? Warum nicht das Andenken eines großen gefallenen Helden ihn zu einem großen Werke begeistern? Warum nicht einen anderen die Erinnerung an eine selig verlebte Zeit? Italien, die Alpen, das Bild des Meeres, eine Frühlingsdämmerung – hätte uns die Musik noch nichts von diesem allen erzählt? Ja, selbst kleinere, speziellere Bilder können der Musik einen so reizend festen Charakter verleihen, daß man überrascht wird, wie sie solche Züge auszudrücken vermag. So erzählte mir ein Komponist, daß sich ihm während des Niederschreibens das Bild eines Schmetterlings, der auf einem Blatte im[S. 91] Bache mitfortschwimmt, aufgedrungen: dies hätte dem kleinen Stücke die Zartheit und Naivetät gegeben, wie es nur irgend das Bild in der Wirklichkeit besitzen mag.... Man irrt sich gewiß, wenn man glaubt, die Komponisten legen sich Feder und Papier in der elenden Absicht zurecht, dies oder jenes auszudrücken. Doch schlage man zufällige Einflüsse und Eindrücke von außen nicht zu gering an. Unbewußt neben der musikalischen Phantasie wirkt oft eine Idee fort, neben dem Ohr das Auge, und dieses, das immer thätige Organ, hält dann mitten unter den Klängen und Tönen gewisse Umrisse fest, die sich mit der vorrückenden Musik zu deutlichen Gestalten verdichten und ausbilden können. Je mehr nun mit der Musik verwandte Elemente die mit den Tönen erzeugten Gedanken oder Gebilde in sich tragen, von je poetischerem oder plastischerem Ausdrucke wird die Komposition sein und, je phantastischer oder schärfer der Musiker aufpaßt, um so mehr wird sein Werk erheben oder ergreifen. Daß sich Schumann zu seinen Symphonien durch äußere Momente anregen ließ, wurde bereits erwähnt, aber selbst in seine Kammermusikwerke spielen, wie es scheint, allerlei poetische Ideen hinein. Umgekehrt, und das ist das Entscheidende, genießt Schumann absolute Musik nicht rein musikalisch, sondern als Poet, als Künstler: „Ich kann nicht unterlassen anzuführen, wie mir einstens während eines Schubertschen Marsches der Freund, mit dem ich spielte, auf meine Frage, ob er nicht ganz eigene Gestalten vor sich sehe, zur Antwort gab: Wahrhaftig, ich befand mich in Sevilla, aber vor mehr als hundert Jahren, mitten unter auf- und abspazierenden Dons und Donnas mit Schleppkleid, Schnabelschuhen u. s. w. Merkwürdigerweise waren wir in unseren Visionen bis auf die Stadt einig.“ Verwahrte sich Schumann nicht ausdrücklich dagegen, so dürfte man ihn (mit Liszt) nach den Überschriften, die er seinen Tonstücken giebt, als Programmatiker betrachten; doch erklärt er zu wiederholten Malen, sie seien erst später ent[S. 92]standen und nur „feinere Fingerzeige für Vortrag und Auffassung.“ Mag dies nun für all seine Werke zutreffen oder nicht – jedenfalls ist Schumann, zwar kein Partner, wohl aber ein Vorläufer der „neudeutschen Schule“, das notwendige Mittelglied zwischen ihr und Beethoven.

Der Glaube, in welchem er komponierte, war der an die unversiegbare Kraft des deutschen Kunstgeistes: „Mir ist oft, als ständen wir an den Anfängen, als könnten wir noch Saiten anschlagen, von denen man früher noch nicht gehört.“ Auch der Hinweis auf die Zukunft kehrt bei Schumann häufig wieder, ja einmal sagt er gar: „Eine Zeitschrift für zukünftige Musik fehlt noch, als Redakteure wären freilich nur Männer, wie der ehemalige, blind gewordene Kantor an der Thomasschule (Bach) und der taube, in Wien ruhende Kapellmeister (Beethoven) passend.“ Aber gleich den Neudeutschen verwirft er bloße Nachahmung dieser verehrten Meister. Persönlichkeit scheint ihm nicht nur das „höchste Glück der Erdenkinder“, sondern auch die vornehmste Eigenschaft jedes wirklichen Künstlers. „Nenne mich beileibe nicht mehr Jean Paul den Zweiten oder Beethoven den Zweiten,“ schreibt er Klara; „da könnte ich dich eine Minute lang hassen. Ich will zehnmal weniger sein als andere, aber nur für mich etwas.“ Noch muß die nationale Tendenz Schumanns hervorgehoben werden, denn er ist eigentlich der erste Komponist, der sein Deutschtum stärker betont, der die Anlehnung an ausländische Muster geflissentlich vermeidet – ganz wie die Neudeutschen. „Die höchsten Spitzen italienischer Kunst reichen noch nicht an die Anfänge wahrhaft Deutscher,“ sagt er, ebenso überzeugungsvoll, als ungerecht, und die Fremdwörter, welche sich zu seiner Zeit auf Titeln und in den Vortragsbezeichnungen breit machten, auszumerzen, war sein eifrigstes Bestreben. Als Brendel bei der Übernahme der Zeitschrift die Absicht aussprach, sie in Zukunft mit lateinischen Lettern drucken zu lassen, protestierte Schumann sehr heftig dagegen und erklärte, daß[S. 93] er dann imstande sei, sie nicht wieder anzusehen. – Endlich hat Schumann mit den Neudeutschen die Doppelthätigkeit als Künstler und Schriftsteller gemeinsam. Bei ihm ist diese Vereinigung zweier Talente, wie Liszt vortrefflich ausführt, „noch durch das Verdienst erhöht, daß er nicht unbewußt dem Drange der Verhältnisse nachgab und, nachdem er diese erkannt, nicht erst die äußerste Notwendigkeit zum Handeln abwartete. Nicht zufrieden, für seine Idee, die damals ebenso wenig allgemein begriffen wurde, als sie es kaum in den nächsten Dezennien sein dürfte, zu eifern, zu predigen, zu arbeiten, zu kämpfen, setzte er für die erkannte Wahrheit Gut und Leben ein. Ein richtiger Blick ist zu allen Zeiten sein Vorzug, seine Kritik liefert ein schönes Beispiel eines prinzipiell strengen, faktisch wohlwollenden Geistes, der anspruchsvoll für die Kunst, nachsichtig gegen die Künstler ist, der gern aus seiner Heimat in den Wolkenschichten als freundlicher Gast in bescheidenen Niederungen einkehrt, dem Vielwollenden vieles verzeiht, redliche Gesinnung und beharrliches Streben ermuntert, sich mutig und voll Zorn gegen reiche Geister erhebt, die ihren Reichtum nicht zum alleinigen Nutzen der Kunst erheben wollen, der selbst im Tadel sanft gegen Schwache ist und im Lobe selbst gebieterisch gegen Erfolgreiche – ehrlich aber gegen alle.“ Schumanns unmittelbaren Schülern kann freilich der Vorwurf nicht erspart werden, die von ihm erlernte stilistische Gewandtheit mehr dazu benützt zu haben, ihren eigenen Witz auf Kosten des Kunstwerkes glänzen zu lassen, als es verständnisvoll und wohlwollend zu beleuchten; allein wer wird den Meister für die Verirrungen seiner Jünger zur Verantwortung ziehen? Er hatte fürwahr eine höhere Meinung von dem ehrwürdigen Amte der Kritik: „Thörichten, Eingebildeten schlägt sie die Waffen aus der Hand,“ sagt er, „Willige schont, bildet sie; Mutigen tritt sie rüstig freundlich entgegen: vor Starken senkt sie die Degenspitze und salutiert.“ Ferner: „Wir gestehen, daß wir für die höchste[S. 94] Kritik halten, welche durch sich selbst einen Eindruck hinterläßt, dem gleich, den das anregende Original hervorbringt. In diesem Sinne könnte Jean Paul zum Verständnis einer Beethovenschen Symphonie durch ein poetisches Gegenstück mehr beitragen, als die Dutzend-Kunstrichter, die Leitern an den Koloß legen, um ihn nach Ellen zu messen.“

Unter den zahlreichen, zum größeren Teile in die „Gesammelten Schriften“ aufgenommenen, kritischen Artikeln Schumanns haben namentlich zwei bedeutenden Einfluß auf den musikalischen Geschmack in Deutschland gehabt; der eine über Berlioz, worin er den Wert dieses zumeist als Halbverrückten behandelten Künstlers unbefangen aufdeckte, ist besonders in methodologischer Hinsicht von außerordentlicher Bedeutung und man hört es noch heute von Musikern, daß sie daraus mehr wirkliches und nützliches Wissen schöpfen, als aus den umfangreichsten Lehrbüchern musikalischer Gelehrsamkeit. In späterer Zeit wurde Schumann allerdings empfindlicher gegen das Bizarre, Extravagante in Berlioz’ Musik, doch blieb es immer sein Stolz, „mit der kritischen Weisheit nicht zehn Jahre hinterdrein gefahren zu sein, sondern im voraus gesagt zu haben, daß Genie in dem Franzosen gesteckt.“ Griepenkerls, von wahrem Fanatismus für Berlioz erfüllte Broschüre: „Ritter Berlioz in Braunschweig“, besprach er, trotzdem gegen ihn selbst polemisiert wurde, überaus freundlich und schloß mit den Worten: „Möge die kleine Schrift gelesen werden; sie enthält manch blitzenden Gedanken und konnte auf so vieles Unwürdige, Ignorantenhafte, was neuerdings über Berlioz geschrieben worden ist, gar nicht ausbleiben.“ Dem merkwürdigen Künstler aber schlage, was um ihn vorgeht, alles zum Besten aus, wie Goethe sagt im Tasso:

„Ruhm und Tadel

Muß er ertragen lernen, sich und andere

Wird er gezwungen recht zu kennen.“

[S. 95]

Ganz anders gestaltete sich hingegen das Verhältnis Schumanns zu einem anderen, nicht minder berühmten Pariser Musiker: Meyerbeer. Nicht als hätte er bei diesem das große Talent verkannt, aber sein unkünstlerisches Streben nach Effekt, die innere Hohlheit seiner Werke stieß den idealistischen, ehrlichen Deutschen ab. Bedenkt man das ungeheuere, durch die bezahlte Tagespresse erzeugte Ansehen, welches Meyerbeer genoß und seinen verderblichen Einfluß auf den öffentlichen Kunstgeschmack (es gab Leute, die ihn Mozart an die Seite stellten!), so muß Schumanns Artikel gegen „Die Hugenotten“ als eine nationale und künstlerische That bezeichnet werden. „Nie unterschrieb ich etwas mit so fester Überzeugung als heute,“ sagte er am Schlusse des Aufsatzes und auch späterhin ist er von seiner Meinung nicht abgekommen. Die erste, nicht günstige Kritik über „Tannhäuser“ scheint, wenigstens indirekt, Meyerbeer verschuldet zu haben, insofern, als Wagners offenkundige Beziehungen zu ihm, Schumanns Argwohn erweckten. Mit welchem Freimut er sein Urteil zurücknahm, sobald er sich von der Unbilligkeit des Tadels überzeugt hatte, hörten wir schon.

Sowohl durch seinen gewählten, reinen und graziösen Stil, als durch die treffende, harmonische Anwendung seiner Bilder gehört Schumann unbedingt zu den hervorragendsten Schriftstellern der dreißiger Jahre. Bis dahin hatte man in Deutschland selten Wissenschaftliches, Vernünftiges und Richtiges über Musik in einem blühenderen Stil als dem bei Lehrbüchern der Arithmetik gebräuchlichen vortragen gehört. Schumann vermied diese Trockenheit der Fachmenschen, die in so wenig anziehender Weise und immer nur vom technischen Standpunkt aus über Musik derartig gesprochen hatten, daß man leicht von ihr selbst hätte abgeschreckt werden können. Er wußte die Laien zu interessieren, denen bisher die musikalischen Zeitschriften meistens für zu viel Langeweile zu wenig Belehrung geboten hatten.

[S. 96]

Wie Jean Paul die zwei kontrastierenden Seiten seines Wesens in „Walt und Wult“ verkörpert hat, so Schumann bekanntlich das Seinige in „Florestan und Eusebius“. In wie feiner Weise macht er sich nun diese Fiktion für seine Kritik zu nutze! Er stellt Florestan als Repräsentanten der abstrakten Kunst hin und Eusebius als das liebevoll auffassende Künstlergemüt und vermochte, indem er bald diesem, bald jenem das Wort erteilte, Doppelkritiken nach den bei der Beurteilung notwendigen zwei Gesichtspunkten zu geben. Noch mehr. Er gewinnt durch diesen Davidsbund auch eine prächtig sinnige Einkleidung für seine kritischen Aufsätze. Als er neu erschienene Tanzlitteratur zu besprechen hat, bedient er sich beispielsweise der Fiktion eines Maskenballes, welchen die Bündler veranstalten und wobei die zu besprechenden Stücke aufgespielt werden. Oder er berichtet über die Gewandhauskonzerte des Oktober 1835 in Form von Briefen, die Eusebius an Chiara (Klara) nach Italien schreibt. Auch recht lustige Episoden weiß er gelegentlich zu erfinden, so wenn bei einer von Franzilla Pixis gesungenen Donizettischen Arie „etwas sehr Nasses“ auf der Backe selbst des gestrengen Kunstrichters Florestan sichtbar wird. Daheim läuft er dann wütend auf und ab, vor sich hinsprechend: „O ewige Schande! O Florestan, bist du bei Sinnen, hast du deshalb den Marpurg studiert, deshalb das wohltemperierte Klavier seciert, kannst du deshalb den Bach und Beethoven auswendig, um bei einer miserablen Arie von Donizetti nach vielen Jahren so etwas wie weinen? Hätte ich die Thränen, zu nichts wollt’ ich sie zerkratzen mit der Faust!“ Darauf setzt er sich unter schrecklichem Lamentieren ans Klavier und spielt jene Arie so wirtshausmäßig, lächerlich und fratzenhaft, daß er endlich beruhigt zu sich sagen kann: „Wahrhaftig, nur der Ton ihrer Stimme war’s, der mir so ins Herz ging!“

Die Idee des Davidsbundes wurde von den Freunden Schumanns ehedem viel bewundert, ja, man dichtete aller[S. 97]hand Tiefsinnigkeiten in sie hinein. „Vor allem mahne uns dieser Name,“ kommentiert Wedel (Zuccamaglio), „an den ewigen, heiligen Bund der Dicht- und Tonkunst. Der Name des gekrönten Sängers, der nur in gottbegeisterten Liedern sich verewigte, deute uns immer das Verhältnis zwischen Kunst und Religion, erinnere uns, daß die Sprache einer Geisterwelt nicht herabgewürdigt werden darf, dem Niedrigen im Menschen zu schmeicheln und das Verwerfliche zu übergolden und zu verbrämen.“ Solche Gedanken lagen wohl Schumann ursprünglich fern. Er war, obgleich gut christlich gesinnt, doch eigentlich keine tief religiöse Natur. Das erklärt sich aus der Geistesrichtung der Periode, in welcher er lebte. Auch auf Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen zu halten, fiel ihm nicht ein, was schon durch den Umstand bewiesen wird, daß er, der doch Protestant war, 1852 für die katholische Kirche in Düsseldorf eine Messe und ein Requiem geschrieben hat.

Schließlich soll noch angeführt sein, daß Schumann in den Jahren 1837–39 darauf sann, dem nur in seiner Phantasie existierenden Bunde wirkliches Leben zu erteilen, einen großen, deutschen Künstlerbund zu begründen. Auch einen anderen derartigen Plan hegte er damals: die Errichtung einer Agentur zur Herausgabe von Musikwerken, „welche den Zweck hätten, alle Vorteile, die bis jetzt den Verlegern in so reichlichem Maße zufließen, den Komponisten zuzuwenden.“ Man sieht, auch an praktischen Vorschlägen ließ es dieser merkwürdige Geist nicht fehlen, so wenig er selbst darnach geschaffen war, sie in Wirklichkeit durchführen zu können. Immerhin muß man seinem richtigen, idealen Wollen die gebührende Anerkennung entrichten.

Robert Schumanns Leben und Schaffen, stellt es nicht treu die Eigenart seiner Zeit, des zweiten Drittels unseres Jahrhunderts dar? Es ist das Zeitalter erneuter Regsamkeit auf dem Gebiete der Kunst, der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens. Überall zeigen sich Keime und Ansätze,[S. 98] viel Enthusiasmus und Fleiß, aber geringe Thatkraft. Es ist das Zeitalter politischer und geistiger Zersplitterung; aber auch der Vorbereitung auf die später gewonnene Einheit; und Schumann strebte weiter: nach Erfüllung wenigstens in der Kunst und setzte sein edles Leben vergebens daran. Erst das künftige Geschlecht sollte ernten, wo jenes gesäet hatte. Dank darum den emsigen Säeleuten und nicht zum mindesten fürwahr unserem Meister. Seine Werke aber mögen im deutschen Volke immer unvergeßlich bleiben!

[11] R. Hamerling, Prosa. Bd. 1: Meine Lieblinge (Hamb. 1891).

[S. 99]

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