Elftes Kapitel.

Worin das Eigenthum in einen unpassenden Geisteszustand geräth.

Es war an einem regnichten Nachmittage, als ein Reisender an der Thür eines kleinen Gasthofes im Dorfe N– in Kentucky abstieg. Im Schenkzimmer fand er eine sehr gemischte Gesellschaft, die vom Wetter hier, um Schutz zu suchen, zusammen getrieben worden war, und der Ort gewährte deshalb die gewöhnliche Scenerie solcher Versammlungen. Große, hagere Kentuckier, in ihren Jagdhemden, die ihre gelenkigen Gliedmaßen, in der ihnen so eigenthümlichen, behaglichen Faulheit über einen unglaublichen Raum ausstreckten; – Gewehre, die aufgestapelt in den Ecken standen, Jagdtaschen, Schrotbeutel, Jagdhunde, kleine Neger, in bunter Mischung durch einander rollend, – waren die charakteristischen Züge des Gemäldes. Auf jeder Seite des Kamines saß ein langbeiniger Gentleman, mit zurück gelehntem Stuhle, seinen Hut auf dem Kopfe, und die Hacken seiner schlammigen Stiefel auf dem Kaminsimse ruhen lassend, – eine Stellung, die, wie wir unserm Leser versichern müssen, entschieden günstig für diejenige Art von Betrachtungen ist, welche in jenen westlichen Wirthshäusern gefunden werden, in denen die Reisenden eine besondre Vorliebe für diese besondre Art und Weise, ihrem Reflektionsvermögen nachzuhelfen, an den Tag legen.

Der Wirth, welcher hinter dem Schenktische stand, war, wie die meisten seiner Landsleute, groß von Gestalt, gutmüthig und gewandt, mit einer unglaublichen Decke von Haar auf seinem Kopfe, auf der er einen großen, hohen Hut trug.

Es trug überhaupt Jeder im Zimmer dieses charaktervolle Zeichen der männlichen Souveränetät, sei es ein Felbelhut, oder ein Palmblatt, ein schmutziger Filzhut, oder ein schöner, neuer chapeau, – dort ruhte er mit ächt republikanischer Unabhängigkeit, und schien in der That das charakteristische Merkmal jeder einzelnen Individualität zu sein. Einige trugen ihn verwegen auf die Seite gedrückt, – das waren muntere, lustige, fröhliche Burschen; Andere hatten ihn bis tief auf die Nasen hinabgedrückt, – das waren jene harten Charaktere, Männer durch und durch, die, wenn sie einen Hut trugen, ihn ganz tragen wollten, und grade so wie es ihnen gefiel; noch Andre ließen ihn weit hinten über fallen, – tief blickende Männer, die von Allem eine deutliche Anschauung haben wollten; während wieder andre, sorglose Männer, welche entweder nicht wußten, oder sich nichts daraus machten, wie ihr Hut saß, ihn nach allen Seiten umher schwanken ließen. Die verschiedenartigen Hüte gewährten in der That ein Feld für ein wahrhaft Shakespearsches Studium.

Verschiedene Neger, in weiten Beinkleidern, liefen geschäftig hin und her, ohne daß man ein besondres Resultat ihrer Geschäftigkeit entdecken konnte, aber mit der ihrem Geschlechte eigenthümlichen Willigkeit, Alles in der ganzen Schöpfung umzukehren, um ihrem Master und seinen Gästen dienstlich zu sein. Denke Dir endlich, lieber Leser, zu diesem Bilde ein munteres, prasselndes Feuer, welches den großen, weiten Rauchfang hinauffährt, – alle Thüren und Fenster weit offen, so daß die Gardinen in der kalten, feuchten Zugluft hin und her wehen, – und Du hast eine Idee von den Annehmlichkeiten eines Kentuckischen Wirthshauses.

Der Kentuckier der jetzigen Zeit ist eine treffliche Versinnlichung der Lehre von ererbten Instinkten und Eigenthümlichkeiten. Seine Vorväter waren gewaltige Jäger, – Männer, die in den Wäldern lebten, und unter dem freien Himmel und dem Lichte der Sterne schliefen; und ihr Abkömmling handelt bis auf den heutigen Tag so, als wenn das Haus sein Lager wäre, – trägt seinen Hut zu allen Zeiten, rollt sich umher und wirft seine Hacken auf die Stühle und Kaminsimse, grade so wie sein Vorvater sich auf dem grünen Rasen umher rollte, und seine Füße auf Stämme und Bäume legte, – hält alle Fenster und Thüren Sommer und Winter offen, – nennt jedermann „Fremder“ mit nonchalant bonhommie, und ist überhaupt die offenherzigste, ungenirteste und gemüthlichste Kreatur der Welt.

In eine solche freie und leichte Gesellschaft trat unser Reisender. Er war ein kleiner, untersetzter Mann, sorgfältig gekleidet, mit einem runden, gutmüthigen Gesichte, und hatte etwas Komisches, Sonderbares in seiner ganzen Erscheinung. Er schien für seine Reisetasche und seinen Regenschirm sehr besorgt zu sein, denn er brachte sie mit eignen Händen herein und widerstand dabei hartnäckig allen Versuchen der Dienstboten, ihm diese Last abzunehmen. Indem er sich etwas ängstlich im Schenkzimmer umschaute, zog er sich mit seinen Kostbarkeiten in die wärmste Ecke desselben zurück, legte diese unter seinen Stuhl, setzte sich nieder, und blickte beinahe furchtsam auf zu dem Ehrenmanne, dessen Hacken vom Kaminsimse getragen wurden, und der ununterbrochen von rechts nach links mit einem Muthe und einer Heftigkeit ausspie, daß Leute von schwachen Nerven und besondern Gewohnheiten sich nothwendig dadurch beunruhigt fühlen mußten.

„Guten Tag, Fremder, wie geht's?“ sagte der so eben beschriebene Herr, indem er eine Ehrensalve von Tabackssaft nach der Gegend des neuen Ankömmling's zu abfeuerte.

„Ziemlich gut,“ war die Antwort des Anderen, während er mit einiger Unruhe der drohenden Ehre auszuweichen suchte.

„Neuigkeiten?“ fragte Ersterer wieder, eine Rolle Taback und ein großes Jagdmesser aus seiner Tasche nehmend.

„Wüßte keine,“ war die Antwort.

„Kauen?“ fragte Jener, indem er dem alten Herrn ein Stück Taback mit ächt brüderlicher Miene hinreichte.

„Nein, danke schön, – es bekommt mir nicht,“ sagte der kleine Mann, zurück rückend.

„Nicht, ah so!“ bemerkte der Andre, während er den Taback in seinen eignen Mund steckte, um daselbst den nöthigen Vorrath von Saft zum allgemeinen Besten der Gesellschaft in steter Bereitschaft zu halten.

Der alte Herr ließ jedesmal einen leisen Schrecken sehen, wenn sein langer Bruder nach seiner Gegend zu feuerte; und als dieser das bemerkte, richtete er gutmüthig seine Artillerie nach einer andern Seite, und begann die Feuerzange mit einem Grade militärischen Talentes anzugreifen, der hinreichend gewesen sein würde, um eine Stadt zu stürmen.

„Was ist das?“ fragte der alte Herr, als er mehrere Anwesende um einen großen Anschlagezettel gruppirt sah.

„Ein Nigger ist bekannt gemacht!“ entgegnete Einer derselben kurz.

Mr. Wilson, denn dies war der Name des alten Herrn, stand auf, und nachdem er sorgfältig seine Reisetasche und seinen Regenschirm zurecht gelegt hatte, schritt er bedächtig dazu, seine Brille hervor zu ziehen, setzte diese auf die Nase, und begann sodann zu lesen:

„Dem Unterzeichneten entlaufen ein Mulattenbursche, Georg. Besagter Georg ist sechs Fuß groß, ein sehr hellfarbiger Mulatte, hat braunes, lockiges Haar, spricht gut, kann lesen und schreiben; wird wahrscheinlich versuchen für einen Weißen zu gelten; hat tiefe Narben auf dem Rücken und Schultern, und trägt an der rechten Hand ein Brandmal mit dem Buchstaben H.

Ich will vierhundert Dollar für ihn lebendig geben, und dieselbe Summe für den vollständigen Nachweis, daß er getödtet worden ist.“

Der alte Herr las diese Anzeige von Anfang bis zu Ende mit leiser Stimme, als wenn er sie studiere.

Der langbeinige Veteran, der, wie vorher erwähnt, die Feuerzange gestürmt hatte, ließ jetzt seine bedeutende Länge nieder, erhob seine hohe Gestalt, schritt nach dem Orte, wo diese Anzeige angeschlagen war, und spie dann eine volle Ladung von Tabackssaft auf dieselbe.

„Das ist meine Meinung darüber!“ sagte er kurz, und setzte sich dann wieder nieder.

„Oho, Fremder, was soll das heißen?“ sagte der Wirth.

„Ich würde dasselbe mit Dem thun, der's geschrieben hat, wenn er hier wäre,“ entgegnete kaltblütig der lange Mann, während er seine alte Beschäftigung, Taback zu schneiden, wieder vornahm. „Jeder, der einen Burschen besitzt wie der, und keinen bessern Weg finden kann, ihn zu behandeln, verdient ihn zu verlieren. Solche Papiere wie das da, sind eine Schande für Kentucky! Das ist meine Meinung grade heraus, wenn Jemand sie wissen will!“

„Das ist 'mal gewiß!“ sagte der Wirth, während er Etwas in sein Buch eintrug.

„Ich habe einen Trupp Burschen, Herr,“ sagte der lange Mann, indem er seinen Angriff auf die Feuerzange von Neuem begann, „und rede mit ihnen so: – ‚Jungens,‘ sage ich – ‚rennt nun, lauft! wenn ihr wollt! – ich will Euch nie nachlaufen!‘ – So halt' ich meine. Laßt sie 's wissen, daß sie fortlaufen können wenn sie wollen, dann grade verlieren sie die Lust. Ueberdies habe ich Freischeine für sie alle ausgefertigt, im Fall es mir 'mal zu bunt wird in den jetzigen Zeiten; und das wissen sie. Ich sage Euch, Fremder, 's giebt keinen Kerl hier, der mehr aus seinen Negern herausbringt, als ich. Glaubt Ihr's? Meine Burschen sind bis nach Cincinnati gegangen mit Füllen, fünfhundert Dollar werth, und haben mir das Geld alles richtig heimgebracht, – mehr als einmal. 'S ist ganz natürlich, warum. Behandelt sie wie Hunde, und Ihr habt Hundewerk; behandelt sie wie Menschen, und Ihr habt Menschenwerk.“ Und der ehrliche Pferdehändler bekräftigte sein moralisches Gefühl dadurch, daß er ein förmliches feu de joie gegen den Kamin losließ.

„Ich glaube, Ihr habt vollkommen recht, Freund,“ sagte Mr. Wilson; „und der hier beschriebene Bursche ist wirklich ein braver Bursche, – kein Zweifel darüber. Er hat für mich beinahe sechs Jahre lang in meiner Sackfabrik gearbeitet, und war mein bester Arbeiter, Herr. Er ist außerdem ein kluger, erfinderischer Bursche. Er hat eine Maschine zum Reinigen des Hanfes erfunden, – eine wirklich werthvolle Sache, die jetzt in vielen Fabriken angewendet wird. Sein Herr hat das Patent darauf.“

„Kann mir's denken,“ sagte der Pferdehändler, „hat es und macht Geld mit, und dann dreht er sich um und brennt den Burschen in die rechte Hand. Wenn ich 'ne gute Gelegenheit hätte, ich wollte ihn zeichnen, meiner Seele, er sollte 's 'ne gute Zeit mit sich herum tragen.“

„Ja, die klugen Burschen das sind alle ungezogene, impertinente Schlingel,“ sagte ein Mann von rohem, ungeschlachtem Aeußern auf der andern Seite des Zimmers; „das ist's warum sie gepeitscht und so gezeichnet werden. Wenn sie sich ordentlich betrügen, würde 's nicht geschehen.“

„Das heißt, Gott hat sie Menschen werden lassen, und 's muß ein harter Druck sein, um sie zu Bestien zu machen,“ sagte der Pferdehändler trocken.

„Kluge Niggers sind gar nichts nütze für 'nen Herrn,“ fuhr der Andre fort, der gegen die Verachtung seines Gegners in einer rohen, bewußtlosen Stumpfheit wohl verschanzt war; – „wozu brauchen sie Talente und solche Sachen, wenn Ihr selbst keinen Nutzen davon haben könnt? Alles, was sie mit thun ist, daß sie Euch betrügen. Habe ein paar solche Burschen gehabt, aber habe sie bald den Fluß hinunter verkauft. Wußte doch, daß ich sie früh oder spät verlieren würde, wenn ich's nicht that.“

„Noch besser, Ihr schickt eine Bestellung hinauf zum lieben Gott, daß er Euch welche schafft ohne Seelen,“ sagte der Pferdehändler.

Hier wurde die Unterhaltung durch das Heranfahren eines kleinen, einspännigen Kabriolet's vor das Wirthshaus unterbrochen. Es hatte ein anständiges Aeußeres, und darin saß ein fein gekleideter Mann mit einem farbigen Diener, welcher fuhr.

Die ganze Versammlung im Schenkzimmer betrachtete den neuen Ankömmling mit der Neugierde, mit welcher Wirthshausgäste an einem regnichten Tage gewöhnlich einen frisch Ankommenden beobachten. Er war sehr groß, und hatte eine dunkle, spanische Gesichtsbildung, schöne, ausdrucksvolle Augen, und dichtes, lockiges Haar, welches ebenfalls rabenschwarz war. Seine schöngeformte, gebogene Nase, seine schmalen Lippen, und die auffallend schönen Formen seiner Glieder erregten bei der ganzen Gesellschaft sofort die Idee von etwas Ungewöhnlichem. Er schritt mit leichter Haltung in das Zimmer, grüßte die Gesellschaft, und deutete dem Kellner durch einen Wink an, wo er seinen Mantelsack niederzusetzen habe, worauf er, mit seinem Hute in der Hand, sich nachlässig an den Schenktisch begab, und seinen Namen als Henry Butler, von Oakland, Grafschaft Shelby, angab. Sich sodann mit gleichgültiger Miene umwendend, schlenderte er an die im Zimmer ausgehängte Bekanntmachung heran, und las sie.

„Jim,“ sagte er zu seinem Diener, „ich glaube, wir sind einem Burschen, der diesem ähnlich sieht, in der Nähe von Bernan begegnet, nicht wahr?“

„Ja wohl, Master,“ sagte Jim, „nur weiß ich nicht, ob's mit der Hand zutrifft?“

„Ich habe natürlich nicht darauf geachtet,“ sagte der Fremde, nachläßig gähnend. Sodann sich zum Wirth begebend, verlangte er ein besonderes Zimmer, da er, wie er sagte, sofort einige Schreibereien zu besorgen habe.

Der Wirth war äußerst bereitwillig, und ein halbes Dutzend Neger, alt und jung, männlichen und weiblichen Geschlechts, groß und klein, sprangen gleich darauf umher, eilig und geschäftig, wie ein Volk Rebhühner, einander auf die Füße tretend und über einander stolpernd in ihrem Eifer, um Master's Zimmer in Stand zu setzen, während dessen er sich nachlässig in einen Stuhl in der Mitte des Zimmers niedergelassen und mit dem ihm zunächst Sitzenden ein Gespräch begonnen hatte.

Der Fabrikant, Mr. Wilson, hatte den Fremden vom ersten Augenblicke ab, wo er in's Zimmer getreten war, mit dem Ausdrucke unruhiger Neugierde betrachtet. Er glaubte ihn irgendwo gesehen und kennen gelernt zu haben, aber er konnte sich nicht besinnen, wo. Jeden Augenblick, wenn der Mann sprach oder lächelte, oder sich bewegte, hob er sich und heftete seine Blicke auf ihn und wandte sich dann schnell wieder ab, wenn die dunkeln, leuchtenden Augen desselben den seinigen mit dem Ausdrucke der sorglosesten Ruhe begegneten. Endlich schien eine plötzliche Erinnerung in ihm aufzuflammen, denn er starrte den Fremden mit einer Miene solcher Verwunderung und solchen Schreckens an, daß dieser auf ihn zuging.

„Mr. Wilson, wenn ich nicht irre,“ sagte er in einem Tone, als erkenne er ihn so eben, seine Hand ausstreckend. „Ich bitte um Verzeihung, ich habe Sie vorher nicht erkannt. Ich sehe, Sie erinnern sich meiner – Mr. Butler, von Oakland, Grafschaft Shelby.“

„Ja – ja – ja,“ sagte Mr. Wilson wie Jemand, der in einem Traume spricht.

Grade in diesem Augenblicke kam ein Negerknabe herein, welcher ankündigte, daß das Zimmer des Herrn bereit sei.

„Jim, sieh nach dem Gepäck,“ sagte der Herr nachläßig, und fügte sodann, sich an Mr. Wilson wendend, hinzu: „Ich würde Sie um eine kurze Unterhaltung über Geschäftssachen in meinem Zimmer bitten, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Mr. Wilson folgte ihm, wie Jemand, der im Schlafe wandelt, und sie gelangten in ein großes Zimmer im oberen Stocke, wo ein frisch angezündetes Feuer prasselte, und verschiedene Dienstboten noch umher flogen, um die letzte Hand an die Ordnung des Zimmers zu legen.

Als Alles gethan war und die Dienstboten sich entfernt hatten, schloß der junge Mann vorsichtig die Thür zu und steckte den Schlüssel die Tasche, schaute sich um, und dann seine Arme auf der Brust über einander schlagend, schaute er Mr. Wilson voll in's Gesicht.

„Georg,“ sagte Mr. Wilson.

„Ja, Georg,“ entgegnete der junge Mann.

„Ich hätte mir's nicht denken können!“

„Ich bin ziemlich gut entstellt, glaube ich,“ sagte der junge Mann. „Etwas Wallnußschale hat meiner gelben Haut ein sanftes Braun verliehen, und mein Haar habe ich schwarz gefärbt. So, sehen Sie, paßt die Bekanntmachung auf mich durchaus nicht.“

„O Georg! aber das ist gefährliches Spiel, was Du treibst. Ich hätte Dir nicht rathen können, es zu thun.“

„Ich kann es auf meine eigene Verantwortung thun,“ entgegnete Georg mit demselben stolzen Lächeln.

Wir müssen en passant bemerken, daß Georg von seines Vaters Seite weißer Abkunft war. Seine Mutter war eine jener Unglücklichen ihres Geschlechtes, die durch ihre persönliche Schönheit dazu bestimmt sind, die Sklavinnen der Begierden ihrer Besitzer, und Mütter von Kindern zu werden, die nie ihren Vater kennen dürfen. Von einer der stolzesten Familien in Kentucky hatte er schöne, europäische Züge und einen stolzen, unzähmbaren Geist ererbt. Von seiner Mutter hatte er eine leichte Mulattenfärbung empfangen, die durch das damit verbundene glänzende, dunkle Auge vollständig aufgewogen wurde. Eine kleine Veränderung in der Farbe seiner Haut und seiner Haare hatte ihm das Ansehen eines Spaniers verliehen, unter welchem er sich jetzt zeigte; und da eine edle Haltung und ein anständiges Benehmen ihm von jeher natürlich gewesen waren, so fand er keine Schwierigkeit darin, die kühne Rolle zu spielen, in der er sich jetzt bewegte, – die eines mit seinem Bedienten reisenden Gentlemans.

Mr. Wilson, ein gutmüthiger, aber außerordentlich zaghafter und vorsichtiger alter Mann, lief unruhig im Zimmer auf und ab, während in seinem Innern der Wunsch, Georg beizustehen, mit einem dunkeln Begriffe von Aufrechterhaltung des Gesetzes und der Ordnung zu kämpfen schien. Während er deßhalb im Zimmer umherstrich, gab er sich etwa auf folgende Weise zu vernehmen:

„So, Georg, vermuthe, Du bist davon gelaufen Deinem rechtmäßigen Herrn, Georg, – (wundere mich nicht) – aber ich muß Dir doch sagen, es thut mir leid, Georg, – ja, entschieden – ich muß Dir das sagen, Georg, – es ist meine Pflicht, Dir das zu sagen.“

„Was thut Ihnen leid, lieber Herr?“ fragte Georg ruhig.

„Je nun, daß ich sehe, daß Du dich gleichsam den Gesetzen Deines Vaterlandes entgegen stellst.“

„Meines Vaterlandes!“ sagte Georg mit starker und bitterer Betonung; „welches andere Vaterland habe ich, als das Grab? – und ich wünschte bei Gott, daß ich schon darin läge.“

„Wie, Georg, nein – nein – das geht nicht; solches Gespräch ist sündhaft, unchristlich. Georg, Du hast einen schlimmen Herrn – das ist wahr, – sein Betragen ist sehr zu tadeln, – ich will ihn nicht vertheidigen; aber Du weißt, wie der Engel Hagar befahl, zu ihrer Herrin zurückzukehren und sich ihrer Hand zu unterwerfen, – und der Apostel sandte Onesimus zurück zu seinem Herrn.“

„Führen Sie mir nicht die Bibel an auf diese Weise, Mr. Wilson,“ sagte Georg mit flammendem Auge, – „ich bitte Sie, thun Sie es nicht! denn mein Weib ist eine Christin, und ich gedenke ein Christ zu sein, wenn ich je dahin gelangen sollte, wohin ich kann; aber einem Menschen in meinen Verhältnissen gegenüber die Bibel anführen ist genug, um ihn Alles aufgeben zu lassen. Ich berufe mich auf Gott den Allmächtigen, – ich bin bereit, mit meiner Sache vor Ihn zu treten und Ihn zu fragen, ob ich Unrecht thue, indem ich meine Freiheit suche.“

„Diese Gefühle sind ganz natürlich, Georg,“ sagte der gutmüthige Mann, sein Taschentuch gebrauchend. „Ja, sie sind natürlich, aber es ist meine Pflicht, Dich nicht darin zu bestärken. Ja, mein Junge, Du thust mir leid, es ist ein schlimmes Ding – sehr schlimm; aber der Apostel sagt: ‚Ein Jeglicher bleibe in dem Berufe, darinnen er berufen ist.‘ Wir müssen uns alle den Winken der Vorsehung unterwerfen, – siehst Du das nicht ein?“

Georg stand da mit zurückgebogenem Kopfe, mit fest unter einander geschlagenen Armen auf seiner breiten Brust, und mit einem bittern Lächeln auf der Lippe.

„Es sollte mich wundern, Mr. Wilson, ob, wenn die Indianer kämen und Sie von Weib und Kindern wegschleppten, und Sie lebenslang bei sich behalten wollten, um ihnen das Korn zu mahlen, – ob Sie es dann für Ihre Pflicht halten würden, in der Lage zu bleiben, in die Sie versetzt worden sind. Ich glaube eher, Sie würden das erste, beste frei umher laufende Pferd, das Sie finden könnten, für einen Wink der Vorsehung halten, – was meinen Sie?“

Der alte Herr starrte mit beiden Augen, als er diese Anschauung der Sachlage hörte; und obgleich er kein großer Denker war, so hatte er doch so viel gesunden Sinn, worin er von manchen Logikern nicht übertroffen wird, – da nichts zu sagen, wo nichts gesagt werden kann. Während er deßhalb beschäftigt war, seinen Regenschirm zu streichen und jede Falte darin auszuglätten, fuhr er mit seinen Ermahnungen in allgemeiner Beziehung fort.

„Du siehst, Georg, Du weißt, daß ich immer Dein Freund gewesen bin, und was ich gesagt habe, habe ich immer nur zu Deinem Besten gesagt. Hier nun, scheint es mir, setzest Du dich einer schrecklichen Gefahr aus. Du kannst nicht darauf hoffen, es auszuführen, und wenn sie Dich fangen, so wird Deine Lage noch schlimmer werden, als sie bisher gewesen ist. Sie werden Dich mißhandeln und halb umbringen, und Dich den Fluß hinunter verkaufen.“

„Mr. Wilson, ich weiß das Alles,“ sagte Georg. „Ich setze mich einer Gefahr aus, aber –“ hier öffnete er seinen Ueberrock und ließ zwei Pistolen und ein Weidmesser sehen. „Hier!“ sagte er, „ich bin bereit für sie! Hinunter nach Süden will ich nimmer gehen. Nein! wenn es dahin kömmt, so kann ich mir wenigstens noch sechs Fuß freien Grund und Boden erringen, – den ersten und letzten, den ich jemals in Kentucky besitzen werde!“

„Höre, Georg, diese Gemüthsstimmung ist schrecklich! – sie ist ganz verzweifelt, Georg. Das bekümmert mich sehr; – so die Gesetze Deines Vaterlandes übertreten zu wollen!“

„Wieder, meines Vaterlandes! Mr. Wilson, Sie haben ein Vaterland; aber welches Vaterland habe ich oder irgend Einer, der von einer Sklavenmutter geboren worden ist? Welche Gesetze bestehen denn für uns? Wir erlassen sie nicht, – wir geben nicht unsre Stimme dazu, wir haben nichts mit ihnen zu thun; Alles, was sie für uns thun, ist, daß sie uns niederschmettern und uns niederhalten. Habe ich denn nicht ihre Reden am 4ten Juli gehört? Haben sie uns nicht allen alljährlich einmal gesagt, daß die Regierungen ihre Gewalt nur durch den Willen der Regierten erhalten? Kann ein Mensch denn nicht denken, der solche Sachen hört? Kann er dies und jenes nicht zusammenreimen und sich daraus Schlüsse ziehen?“

Mr. Wilson's Geist war einer von denjenigen, die nicht unpassend mit einem Ballen Baumwolle verglichen werden können, – sanft, weich, nachgiebig und verworren. Er bedauerte wirklich Georg von ganzem Herzen, und hatte sogar eine dunkle, nebelichte Ahnung von dem Gefühl, welches diesen erfüllte: aber er hielt es für seine Pflicht, beharrlich mit seinen guten Vorstellungen fortzufahren.

„Georg, das ist unrecht. Ich muß es Dir sagen, als Dein Freund, Du weißt, Du thätest besser, Dich mit solchen Ideen nicht zu beschäftigen; die sind ganz unpassend, Georg, ganz unpassend für Burschen in Deinem Verhältniß.“ Und Mr. Wilson setzte sich nieder und begann in heftigster Aufregung an dem Knopfe seines Schirmes zu kauen.

„Nun sehen Sie hier, Mr. Wilson,“ sagte Georg, indem er zu ihm herantrat und sich mit entschiedenem Wesen dicht vor ihn setzte; – „sehen Sie mich jetzt an. Sitze ich hier nicht vor Ihnen als ein Mensch in jeder Beziehung grade so gut wie Sie? Schauen Sie in mein Gesicht, auf meine Hände, auf meinen Körper,“ und bei diesen Worten hob sich der junge Mann stolz auf, „bin ich nicht ein Mensch so gut wie Einer? Wohl, Mr. Wilson, hören Sie, was ich Ihnen sagen will. Ich hatte einen Vater, – er gehörte zu Ihren Kentucky'schen Gentlemen, – der sich nicht so viel aus mir machte, daß er mich dagegen sicherte, mit seinen Pferden und Hunden nach seinem Tode verkauft zu werden. Ich sah meine Mutter zum Verkaufe ausgestellt mit ihren sieben Kindern. Sie wurden alle, eins nach dem andern, vor ihren Augen an verschiedene Herren verkauft; und ich war das jüngste. Sie kam und sank vor meinem alten Master zu Füßen und flehte ihn an, sie mit mir zu kaufen, damit sie wenigstens ein Kind bei sich habe; – und er stieß sie mit dem Hacken zur Seite. Ich sah es, als er es that; und das Letzte, was ich von ihr hörte, war ihr Stöhnen und Schreien, als ich an den Hals seines Pferdes gebunden wurde, um mit ihm fortgeschleppt zu werden.“

„Nun, also?“

„Mein Herr kaufte später meine älteste Schwester von dem Manne, der sie erstanden hatte. Sie war ein frommes, gutes Mädchen, – und so schön wie ihre arme Mutter gewesen war. Sie war gut erzogen worden, und wußte sich gut zu benehmen. Anfangs freute ich mich, daß sie gekauft worden war, denn ich hatte nun eine Freundin in meiner Nähe; aber bald bereute ich es. Ich habe an der Thür gestanden und gehört, wie sie gepeitscht wurde, während jeder Schlag mein entblößtes Herz zu treffen schien, und konnte ihr nicht helfen; und sie wurde gepeitscht, Herr, blos deshalb, weil sie ein sittliches, christliches Leben führen wollte, ein solches, wie Ihre Gesetze einem Sklavenmädchen nicht erlauben zu führen; und endlich sah ich sie geschlossen in dem Trupp eines Sklavenhändlers, um nach New-Orleans auf den Markt gebracht zu werden, – dort hingeschickt blos deshalb, weil sie – und das ist das Letzte, was ich von ihr weiß. – Ich selbst wuchs auf, – lange, lange Jahre, – keinen Vater, keine Mutter, keine Schwester, kein menschliches Wesen bei mir, das sich um mich mehr als um einen Hund kümmerte; nichts als gepeitscht, geschimpft werden, und Hunger leiden. Ich bin oft so hungrig gewesen, daß ich froh war, die Knochen zu finden, die den Hunden vorgeworfen wurden; und dennoch war es nicht der Hunger, nicht der Schmerz der Peitschenhiebe, weshalb ich oft als ein kleiner Knabe lange Nächte wachend und weinend auf meinem Lager zubrachte. Nein, Herr, es war meine Mutter und meine Schwestern, um die ich weinte, – es war, weil ich keinen Freund auf Erden hatte, der mich liebte. Ich habe nie gewußt, was Friede und Annehmlichkeiten des Lebens waren; nie wurde ein freundliches Wort zu mir gesprochen, bis ich in Ihre Fabrik kam. Mr. Wilson, Sie haben mich gut behandelt, Sie haben mich ermuthigt, gut zu sein, lesen und schreiben zu lernen, und etwas aus mir selbst zu machen; und Gott weiß es, wie dankbar ich Ihnen dafür bin. Dann fand ich meine Frau; Sie haben sie gesehen, – Sie wissen, wie schön sie ist. Als ich sah, daß sie mich liebte, als ich sie heirathete, konnte ich kaum glauben, daß ich wirklich lebe, so glücklich war ich; und sie ist ebenso gut wie schön. Aber was kam nun? – Mein Master kommt und nimmt mich von meiner Arbeit fort, von meinen Freunden und Allem, was ich lieb hatte, um mich in den Staub zu treten! Und weshalb? Weil ich, wie er sagt, vergessen habe, was ich sei, um, wie er sagt, mir zu lehren, daß ich nichts als ein Neger sei! Endlich tritt er auch zwischen mich und mein Weib, und verlangt, ich solle sie aufgeben und mit einem andern Weibe leben. Und zu allen diesen Handlungen geben ihm Ihre Gesetze Macht und Vollkommenheit, trotz Gott und Menschen. Mr. Wilson, hören Sie! Es ist hier nicht eine einzige Handlung unter allen diesen, die die Herzen meiner Mutter, meiner Schwester, meines Weibes und mein eignes gebrochen haben, welche Ihre Gesetze nicht billigten, und jedem Manne in Kentucky ohne Widerspruch erlaubten! Nennen Sie nun diese die Gesetze meines Vaterlandes? Nein, Herr, ich habe nicht mehr ein Vaterland, als ich einen Vater habe. Aber ich bin im Begriffe, eins zu erlangen. Ich verlange nichts von Ihrem Vaterlande, als daß es mich in Frieden lasse und mir erlaube, ruhig hinaus zu gehen; und wenn ich nach Kanada komme, wo die Gesetze mich anerkennen und mich beschützen werden, so soll dies mein Vaterland sein, und ich will seinen Gesetzen gehorchen. Aber wenn Jemand versuchen sollte, mich aufzuhalten, so mag er sich vorsehen, denn ich bin verzweifelt. Ich werde kämpfen für meine Freiheit bis zum letzten Hauche. Sie sagen, Ihre Vorväter thaten dasselbe; wohl, wenn es für sie recht war, so ist es auch für mich recht.“

Diese Rede, welche von ihm, theils am Tische sitzend, theils im Zimmer auf und ab gehend, gesprochen wurde, mit Thränen, funkelnden Augen und verzweifelnden Geberden, war für den guten alten Mann zu viel, an den sie gerichtet war, und der inzwischen ein großes, gelbes Taschentuch herausgezogen hatte und sein Gesicht damit herzhaft wischte.

„Laß sie alle zum Henker gehen!“ brach er plötzlich hervor. „Habe ich's nicht immer gesagt, – die verdammten Hallunken! – Ich habe doch nicht geflucht, jetzt? – Gut, Georg, geh' zu, geh' zu! aber sei vorsichtig, mein Junge; schieße Keinen todt, Georg, wenn's nicht – ja, – aber noch besser, Du schießest gar nicht, denk' ich; wenigstens würde ich Niemandem Schaden zufügen, verstehst Du? – Wo ist Dein Weib, Georg?“ fügte er hinzu, während er heftig erregt aufstand, und im Zimmer auf und ab zu gehen begann.

„Fort, fort, mit ihrem Kinde im Arme, Gott weiß, wohin, – dem Nordstern nach, und wann wir uns wieder sehen, und ob wir uns je wieder in dieser Welt, kann Niemand sagen.“

„Ist es möglich! unglaublich! fort von einer so guten Familie?“

„Ja, aber gute Familien gerathen in Schulden, und die Gesetze unseres Vaterlandes erlauben ihnen, das Kind von der Mutterbrust weg zu verkaufen, um die Schulden des Herrn zu bezahlen,“ sagte Georg mit bitterem Tone.

„Gut, gut,“ sagte der brave alte Mann, in seiner Tasche herum fühlend. „Ich glaube vielleicht, ich folge hier nicht ganz meinem Verstande, – aber, laß Alles gehenkt werden, ich will ihm nicht folgen!“ fügte er plötzlich hinzu; „also hier, Georg!“ diesem eine Rolle Banknoten hinreichend, die er aus seiner Brieftasche genommen hatte.

„Nein, nein, mein guter, guter Herr!“ sagte Georg; „Sie haben so viel für mich gethan, und dies könnte Sie in Verlegenheit bringen. Ich habe Geld genug, hoffe ich, um mich so weit zu bringen, wie ich nöthig habe.“

„Nein, aber Du mußt, Georg. Geld ist eine große Hülfe überall; – man kann nicht zu viel haben, wenn's ehrlich gewonnen ist. Nimm es, – bitte, nimm es, nun, – nimm es, mein Junge!“

„Unter der Bedingung, daß ich es später zurückzahlen darf, will ich es annehmen,“ sagte Georg.

„Und nun, Georg, wie lange denkst Du auf diese Weise zu reisen? – nicht lange oder weit, hoffe ich. 'S ist gut angefangen, aber zu dreist. Und der schwarze Bursche, – wer ist das?“

„Ein treuer Mensch, der länger als vor Jahresfrist nach Kanada ging. Nachdem er dorthin gelangt war, hörte er, daß sein Herr über sein Entlaufen so zornig geworden sei, daß er seine arme alte Mutter gepeitscht habe; und er ist deshalb den ganzen Weg zurückgekommen, um sie zu trösten und sie mit fortzunehmen.“

„Hat er sie?“

„Noch nicht; er ist lange Zeit um den Ort herum geschlichen, aber hat noch keine Gelegenheit gefunden. Inzwischen will er mich bis nach Ohio begleiten, um mich zu Freunden zu bringen, die ihm geholfen haben, und dann will er wieder hierher zurückkehren.“

„Gefährlich, sehr gefährlich!“ sagte der alte Mann.

Georg richtete sich auf und lächelte stolz.

Der alte Mann betrachtete ihn von Kopf bis zu Füßen mit einer Art unschuldiger Verwunderung.

„Georg, irgend Etwas hat Dich erstaunlich verändert. Du trägst Deinen Kopf, und sprichst und bewegst Dich grade wie ein anderer Mensch,“ sagte Mr. Wilson.

„Weil ich ein freier Mensch bin,“ sagte Georg stolz. „Ja, Herr, ich habe zum letzten Male zu irgend einem Menschen ‚Master‘ gesagt. Ich bin frei!“

„Sieh Dich vor! Du bist noch nicht sicher, – Du könntest wieder gefangen werden.“

„Alle Menschen sind frei und gleich im Grabe, wenn es dahin kommen sollte, Mr. Wilson,“ entgegnete Georg.

„Ich bin vollständig erstarrt vor Deiner Dreistigkeit!“ sagte Mr. Wilson, – „grade hierher in das nächste Wirthshaus zu kommen!“

„Mr. Wilson, es ist so dreist, und dieses Wirthshaus ist so nahe, daß Niemand je daran denken wird; man wird mich weiter voraus suchen, und Sie selbst würden mich nicht kennen. Jim's Master wohnt nicht in dieser Gegend; es kennt ihn hier Niemand. Ueberdies ist er längst vergessen; Niemand sucht ihn mehr, und Niemand wird mich nach der Bekanntmachung erkennen, glaube ich.“

„Aber das Zeichen an Deiner Hand.“

Georg zog seinen Handschuh aus und zeigte eine frisch geheilte Wunde an seiner Hand.

„Das ist ein Liebeszeichen, was Mr. Harris mir zum Abschiede gegeben hat,“ sagte Georg spöttisch. „Vor ungefähr vierzehn Tagen kam es ihm in den Kopf, mir dies zu geben, weil er, wie er sagte, glaubte, daß ich dieser Tage davon laufen werde. Sieht es nicht interessant aus?“ fügte er hinzu, indem er seinen Handschuh wieder anzog.

„Ich versichere Dich, Georg, mein Blut wird kalt wie Eis, wenn ich daran denke, – an Deine Lage und Deine Gefahren!“ sagte Mr. Wilson.

„Das meinige ist manches lange Jahr kalt gewesen; – jetzt ist es ungefähr im Siedepunkte,“ entgegnete Georg.

„Und nun, mein guter Herr,“ fuhr Georg nach einer Pause von wenigen Minuten fort, „ich bemerkte, daß Sie mich erkannten; und so dachte ich, es wäre am besten, wenn ich eine Unterredung hier mit Ihnen hätte, damit mich Ihre verwunderten Blicke nicht verrathen möchten. Ich reise morgen früh, vor Tagesanbruch, wieder ab, und gedenke morgen Abend in Ohio in Sicherheit zu schlafen. Ich werde bei Tage reisen, in den besten Gasthöfen logiren, und mit den Herren des Landes an einer Tafel speisen. Also leben Sie wohl, lieber Herr; und wenn Sie hören sollten, daß ich gefangen worden bin, so können Sie als gewiß annehmen, daß ich todt bin!“

Georg stand wie ein Fels, und streckte seine Hand mit der Miene eines Fürsten aus. Der gutmüthige, kleine alte Mann drückte sie herzlich, und nahm sodann vorsichtig seinen Regenschirm und suchte tappend seinen Weg zum Zimmer hinaus.

Georg schaute ihm gedankenvoll nach, als der alte Mann die Thüre schloß. Ein Gedanke schien plötzlich in ihm aufzusteigen; er eilte zur Thüre, öffnete sie und sagte:

„Mr. Wilson, noch auf ein Wort!“

Der alte Herr kehrte in's Zimmer zurück, und Georg schloß, wie zuvor, die Thür ab, und stand dann einige Augenblicke lang still, unschlüssig auf den Boden schauend. Endlich seinen Kopf mit plötzlicher Anstrengung erhebend, sagte er:

„Mr. Wilson, Sie haben sich mir in der Behandlung, die ich von Ihnen erfahren habe, als ein Christ gezeigt, – ich wollte Sie um einen letzten christlichen Liebesdienst bitten.“

„Gut, Georg, was ist's?“

„Was Sie vorher sagten, – ist wahr; ich setze mich einer entsetzlichen Gefahr aus. Es gibt auf der ganzen Erde keine lebende Seele, die sich darum kümmert, wenn ich umkomme,“ sagte er mit schwerem Athem und mit großer Anstrengung, – „man wird mich mit dem Fuße auf die Seite stoßen und wie einen Hund einscharren, und kein Mensch wird den folgenden Tag mehr daran denken, – nur mein armes Weib! Arme Seele! sie wird trauern und sich abhärmen. – Wenn es Ihnen nur möglich wäre, Mr. Wilson, ihr diese Busennadel zu senden. Sie gab sie mir einst zum Weihnachtsgeschenke, das arme Wesen! Geben Sie sie ihr, und sagen Sie ihr, daß ich sie bis zum letzten Augenblicke lieben würde. Wollen Sie? wollen Sie es thun?“ fügte er dringend hinzu.

„Ja, sicher, – mein armer Junge!“ sagte der alte Herr, die Nadel nehmend, mit nassen Augen und einem melancholischen Zittern seiner Stimme.

„Sagen Sie ihr dieses Eine noch,“ fuhr Georg fort; „es ist mein letzter Wunsch, – nach Kanada zu gehen, wenn sie irgend hinkommen könne. Gleichviel, wie gut ihre Mistreß sei, – gleichviel, wie sehr sie an ihrer Heimath hänge; bitten Sie sie, nicht dahin zurückzukehren, – denn Sklaverei endet immer in Elend. Sagen Sie ihr, sie solle unser Kind zu einem freien Menschen erziehen, dann werde er nicht das erdulden müssen, was ich erduldet habe. Sagen Sie ihr dies, Mr. Wilson, – wollen Sie?“

„Ja, Georg, ich will es ihr sagen; aber ich hoffe, Du wirst nicht sterben; fasse Muth, – bist ja ein braver Bursche. Vertraue auf Gott, Georg. Ich wünschte nur, Du wärest erst glücklich durch, – das ist mein Wunsch.“

„Gibt es einen Gott, auf den man vertrauen kann?“ sagte Georg in einem Tone so bitterer Verzweiflung, daß der alte Mann dadurch in seiner Rede stockte. „O ich habe mein ganzes Leben lang so viele Dinge gesehen, die in mir das Gefühl erzeugt haben, daß es keinen Gott geben könne. Ihr Christen wißt nicht, wie uns diese Dinge erscheinen. Für Euch gibt es einen Gott, – aber nicht für uns.“

„O nein, sprich nicht so – nicht so, mein Junge!“ sagte der alte Mann beinahe schluchzend; „laß nicht solche Gedanken aufkommen. Es gibt – es gibt einen Gott; Wolken und Dunkel ist um ihn her, aber Gerechtigkeit und Gericht ist seines Stuhles Festung. Es lebt ein Gott, Georg! – glaube an Ihn, vertraue auf Ihn, und Er wird Dir sicher helfen. Er wird Alles in Ordnung bringen, wenn nicht in dieser, doch in einer anderen Welt.“

Die wahrhafte Frömmigkeit und Güte des schlichten, alten Mannes verlieh ihm momentan, während er sprach, eine Art Würde. Georg hielt in seinem verzweifelten Laufe das Zimmer auf und nieder inne, blieb einen Augenblick gedankenvoll stehen und sagte dann ruhig:

„Ich danke Ihnen für das, was Sie mir gesagt haben, mein guter Freund; – ich will daran denken!“

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