Frl. Professor E. Renaudot, Paris. Die Welt und der Komet.


Die Welt und der Komet.
Von Frl. Professor E. Renaudot, Paris.

Im tiefen Schweigen des Alls bewegt sich lautlos, in schnellem, rasenden, den Weltraum durchziehenden Laufe, aus der Leere heraus, ein zwanzig und mehr Millionen Meilen langer, kalter, giftiger Dunst der Sonne und ihren Planeten entgegen.

Diesem dahinrasenden Strom von Gasen folgt, von ihm mitgerissen, ein Haufe von losem Gestein, das teils nicht größer ist als irgend ein Feldstein, teils aber größer als der größte unserer Berge; und all diese Steine und Felsen und Massen folgen nicht nur der seltsamen, alles mit sich reißenden Dunstform, sondern sie drehen sich auch in tollem, ewigem Lauf um sich selber. Trümmer von Welten sind es, die andere Welten mit ihrer Zerstörung bedrohen.

Kein Mensch weiß, seit wieviel Aeonen der tödliche Weltenraumwanderer die Erdbahn schon kreuzt; kein Mensch weiß, wieviel andere seinesgleichen noch da sind, die in unsere Bahn, uns bedrohend, geraten. Zweifellos aber steht es fest, daß wir schon zahllose Male mit den seltsamen Himmelsgebilden, die wir Kometen nennen, zusammengestoßen sind, und daß wir noch unzählige Male mit ihnen zusammenstoßen werden. Und nicht nur wir, sondern alle andern Planeten genau so. Und man kann die Spuren dieser Katastrophen immer noch sehen.

Wenn nun die Erde mit einem Kometen zusammenstieße, was würde dann wohl geschehen?

Unser Trabant, der Mond, gibt uns die, wenn auch stumme, so doch beredteste Antwort auf diese Frage. Die Astronomen unserer Zeit kommen nämlich immer mehr dazu, die meisten, wenn nicht alle, sogenannten „Krater“ der Mondgebirge nicht mehr als solche, sondern als Eindrücke von, mit großer Gewalt auf die Oberfläche des Mondes aus dem Weltenraume gestürzten Körpermassen zu betrachten. Die „Krater“ wären also nichts als die Narben eines zu einer Zeit mit dem Monde erfolgten Zusammenstoßes, als die Mondkruste gerade zu erkalten begann. Wir können diese Kraterformationen ganz genau nachbilden und uns eine förmliche Reliefkarte einer Mondlandschaft anfertigen, wenn wir Steine verschiedener Größe mit großer Kraft auf eine noch nicht ganz erstarrte Lehmmasse werfen.

Selbstverständlich wurde durch jenen, für den Mond so unheilvollen Zusammenstoß auch die Erde getroffen, und sie mußte ganz dasselbe Bombardement aushalten, da eben die Erde größer und ihre Oberfläche zu jener Zeit noch viel heißer war, so verschwanden die Spuren der Eindrücke, und die glühenden Massen der Erde schlossen sich über den fremden Eindringlingen aus dem Himmelsraum.

Aber auch späterhin, als die Erde schon abgekühlter war, muß sie zweifellos mehr als einmal schon mit einem oder dem andern Kometen zusammengestoßen sein. Da aber war der Schild von Wasser, der sie zum größten Teile auch jetzt noch umgibt, ihr großer, sie vielfach vor der Zerstörung, gewiß aber vor tiefen Wunden behütender Schutz.

Sollte es nun noch einmal geschehen, daß wieder ein Komet mit unserem Planeten zusammenstößt, dann wird eine Lawine von Sternen und Meteoren über den unglücklichen Teil der Erde niedergehen, der gerade dem Kometen zugewandt ist.

Vielleicht trifft der Kern des Kometen gerade auf einen der Pole. Dann würde der aus dem Himmel stürzende Felshagel niemanden direkt verletzen, aber das durch die furchtbare Hitze schmelzende Eis würde eine Sturzwelle bilden, die, einer neuen Sintflut gleich, unsere Kontinente überfluten würde, und unsere Atmosphäre wäre mit Dünsten und Gasen und Nebeln erfüllt, so daß das Klima aller unserer Länder auf Jahrzehnte und Jahrhunderte hinaus vollständig verändert würde.

Der Komet von 1907, der eine so große Weltuntergangsangst hervorgerufen hatte, bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von 107500 Meilen in der Stunde auf unser Sonnensystem zu, und der eben jetzt am Himmel stehende zeigt keine gerade wesentlich kleinere Bewegungsschnelligkeit. Würde nun die Erde mit dem Kern solch eines Kometen zusammenstoßen, so würde keine Stadt der Welt ihm Widerstand zu leisten vermögen, und ein Paris, London, Newyork oder Berlin wäre nicht nur in wenigen Sekunden ein glühender, rauchender, brennender Trümmerhaufen, sondern die Hitze würde auch hunderte von Meilen weit in der Runde alles Leben zerstören.

Mondlandschaft. Nach einer teleskopischen Aufnahme. Die sogenannten Krater der Monde sind nichts als bei der Begegnung mit Kometen entstandene Narben.

Die Menschheit aber würde deshalb doch nicht zugrunde gehen, und die Erde würde sich auch von diesem Schlage erholen.

Es ist auch nicht der Kern, den wir bei den Kometen am meisten zu fürchten haben.

Der Kern ist ein so verschwindend kleiner Teil eines Kometen, daß unsere Erde durch hunderte von Kometen hindurchziehen könnte, ohne bei einem einzigen mit diesem festeren Kern zusammenzustoßen. Dieser Kern würde, wie gesagt, den Teil der Erde, mit dem er zusammentrifft, zermalmen und verbrennen, der übrige Teil der Erde würde aber nicht sonderlich durch ihn getroffen werden. Aber der große „Schweif“ des Kometen der aus Millionen und Abermillionen von Kubikmeilen giftiger Gase besteht, würde unsere Atmosphäre umhüllen, die Gase würden sich mit ihr vermengen und sie von einem Pol bis zum andern vergiften.

Sollte der Kern eines Kometen irgend eine Stadt treffen, so würden die Astronomen in der Lage sein, sie vielleicht noch rechtzeitig zu warnen und mehrere Stunden vor dem wirklichen Zusammenstoß würden die entsetzten, schreckgelähmten Bewohner die „Geschosse“ ihres Feindes am Horizont emporsteigen und größer und größer werden sehen. Bei Tage würden sie schwarz aussehen wie Kohle, und sie würden von einer Dunsthülle umgeben sein, die in demselben Augenblicke, wo sie mit unserer Atmosphäre zusammentrifft, in Flammen aufgehen würde.

Bei Nacht würden die großen, den Kometen begleitenden Massen auf der der Sonne zugekehrten Seite gleich poliertem Silber erglänzen, während man den unbeleuchteten Teil nur eben so schwach sehen würde, wie man beim zu- und abnehmenden Mond den unbeleuchteten Teil dieses unseres Trabanten zu sehen vermag. Ein geisterhaft phosphoreszierendes Licht würde alle diese Körper umhüllen und sie zu einem schauerlich schönen, unheimlich hypnotisierenden Anblick machen.

Sollten wir bei solch einem Zusammenstoße dem Kerne entgehen und dann nur mit der Dunstmasse des Schweifes zusammentreffen, so wäre der Effekt für das Auge kein so außerordentlich großer, sonst aber würde er sich weit fühlbarer machen.

Ohne jede vorherige Warnung würden wir plötzlich in die Dunstmasse des Kometen hineingeraten. Vielleicht würde ein mächtiger Sternschnuppenfall eintreten, vielleicht würden Meteore niederfallen und unsere Erde erreichen, vielleicht aber auch nicht. Wahrscheinlich würden wir nichts besonderes sehen und nichts besonderes merken, bis wir plötzlich mitten drin wären in der Katastrophe. An jenem Tage würden die Vögel leblos aus der Luft stürzen; ein Regen aller, ihrer Lebenskraft beraubten fliegenden Insekten würde auf die Erde niedergehen; der Eisbär würde taumelnd neben seiner Beute niedersinken, der Eskimo würde von plötzlicher Angst und Beklemmung getrieben aus seiner Hütte stürzen und bewußtlos vor deren Eingang zusammenfallen. Jedes Wesen, das atmet, würde nach Atem ringen und, sein Bewußtsein verlierend, zusammensinken. Mit Ausnahme der Fische im Wasser und der Würmer unter der Erde würde nichts sich auf Erden bewegen, als die vorher schon von Menschenhand in Bewegung gesetzten Maschinen.

Der Komet und der Schwarm ihn begleitender Trabanten. Den Schweif der Kometen begleitet ein Schwarm im Sonnenlicht leuchtender Körper von der Größe eines Feldsteines bis zu der riesiger Berge.

Kämen die Gase nachts, wenn die Menschheit noch schläft, dann würde der Schlaf wie ein Alb auf ihr lasten. Auftaumelnd würden die Schläfer zu den Fenstern hinstürzen, um sie aufzureißen und Luft! Luft! in die Räume zu lassen, aber die Luft wäre das Gift, und unter seiner Wirkung würde alles dem Tode verfallen. Dem Tode oder dem todesähnlichen Betäubtsein.

Wäre es Tag oder würde die Katastrophe sich abends zur Zeit der gesteigerten Lebensfreude ereignen, dann wäre das Ereignis noch krasser. Frauen und Männer, Pferde, Hunde und Vögel würden auf den Straßen wirr durcheinanderfallen. Die Wagenführer würden von ihren Wagen, die Lokomotivführer von ihren Lokomotiven fallen, und die Wagen und Züge würden über die Leichen von Menschen und Tieren dahingehen und durch diese aus den Geleisen geraten. Die Elevatoren würden in ausgestorbenen Häusern auf- und niedergehen. Die Maschinen würden arbeiten, solange die Kraft da ist, aber niemand wäre da, sie auszunutzen oder zu bedienen. Die Feuer würden erlöschen oder wie rasend um sich greifen. Somit würde die Stille des Todes auf der ganzen Welt herrschen. Einige Stunden lang würde die atmosphärische Hülle unserer Erde so mit Kometengasen durchsetzt werden, die aus Kohlen- und Wasserstoff bestehen. Wären diese Gase sehr dicht, so würde es ein Erwachen überhaupt nicht mehr geben, und dann würden selbst die Fische im Wasser und selbst die Würmer den Gifttod erleiden. Wäre aber die Mischung nicht allzu stark, dann würde die Menschheit krank, matt und abgeschlagen, mit benommenem Kopfe und mit schmerzenden Gliedern erwachen und nach Atem ringen, aber nur eine sauerstoffarme Atmosphäre finden, die so schwer auf ihr lasten würde, daß sie so recht zur Besinnung nicht kommen würde. Diese „wache Betäubung“ würde in ihrem furchtbaren Eindruck durch den Anblick der Katastrophe nur noch erhöht werden; eine dumpfe, starre Verzweiflung würde die Menschheit packen; hier und da würde diese Verzweiflung vielleicht bei Menschen gewaltiger Energie zu einem wilden Ausbruche führen, den meisten aber würde die Kraft dazu fehlen; sie würden wie in dumpfer, fassungsloser Verblödung auf das Unbegreifliche, Entsetzliche hinsehen. Dann aber würde die Reaktion eintreten. Ein Teil des Stickstoffs und Kohlenstoffs würde allmählich absorbiert werden und der Sauerstoff sich wieder erneuern. Der Alb würde weichen, die Erkenntnis des Geschehenen würde allmählich sich Bahn brechen, in wilder Verzweiflung würde jeder nach den Seinigen suchen. Der Mann nach der Frau, die Mutter nach den Kindern! Erschütternde Szenen würden sich abspielen, Szenen des Wahnsinns und Szenen der Liebe, aber immer mehr und mehr würde das Bild sich ändern. Eine immer wachsende Heiterkeit würde mit einem Male alles erfassen. Eine tolle, ausgelassene Freude, Leben! Vergessen wäre alles, mit einem einzigen Schlage, man würde lachen, lachen und springen und einander umfassen und tanzen, und eine wilde Orgie würde sich entwickeln, wie sie die Welt noch nicht gesehen. Die Orgie der Menschheit. Das Blut in meinen Adern würde unter dem Einfluß des überhandnehmenden Sauerstoffgehaltes der Luft brennen wie Feuer, meine Lungen würden sich in wahren Gluten verzehren, ein Taumel wilden, jauchzenden Wahnsinns würde die Menschheit, erfassen und in diesem Taumel würde man zusammenstürzen und enden.

Der flammende Mantel des Kometen wäre zum Sterbekleide der Menschheit geworden.

So — könnte es werden. In zehn, in hundert, in tausend oder hunderttausend Jahren.

Die Prophezeiung ist keine schöne, und ich gebe zu, daß sie in ihren Schilderungen extrem ist. Ich stehe aber keineswegs an, zu betonen, daß nicht jeder Zusammenstoß mit einem Kometen diese katastrophalen Folgen unbedingt haben muß; aber, er kann sie haben. Das ist wissenschaftlich erhärtet. Und nur das habe ich zu schildern; sonst nichts. Immer wieder und wieder kehren alte Kometen zurück, immer wieder und wieder werden neue entdeckt, und es mag hunderte und tausende geben, die wir noch nicht kennen, die wir nicht sehen und die doch da sind und unsere Erde mit unbekannten Gefahren bedrohen? Wer schickt sie?

Sie sind mit den Spionen einer Armee vergleichbar, die sich ungesehen in das feindliche Lager schleichen. Sie stehen mit dem Hauptquartier wohl in engstem Zusammenhang, aber sie gehören zu keinem Truppenteil. Sie nehmen keinen Rang ein. Sie kommen und gehen, wie es ihnen gutdünkt und umgeben sich mit einer geheimnisvollen Atmosphäre, die oft wie eitel Demut aussieht. Und doch kann die ganze Basis der Operationen und deren Erfolg und Mißerfolg von der Tätigkeit dieser Spione abhängen.

Es ist keineswegs ein besonders hinkender Vergleich, den wir da anstellen. Die Kometen gleichen solchen Spionen wahrhaftig. Sie umgeben sich nicht nur mit Geheimnis, sie sind selbst noch Geheimnis. Das Geheimnisvolle liegt in ihrem ureigensten Wesen. Sie bilden eine eigene Klasse. Woher kommen sie? Selbst die Astronomen, die sich mit ihnen beschäftigen und sie zu ihrem Spezialstudium machen, haben noch keine Antwort darauf. Sie treten plötzlich in den Kreis ein, kommen wie sie wollen, vom Osten, Westen, Norden, Süden, gehorchen keinem der Gesetze, dem andere Weltkörper sich unterordnen mußten, sondern scheinen einem besonderen Zentralgesetze zu folgen. Sie entziehen sich fast jeder Berechnung, denn sie trennen sich, spalten sich, verschwinden. Oft kommen sie zur berechneten Zeit wieder, oft verzögern sie ihr Erscheinen um Jahre.

Die Zukunft der Kometen ist somit noch ein großes, unerklärtes Rätsel.

Gehören sie mit zu unserem oder einem anderen Sonnensystem? Waren sie und sind sie zum Teil vom Sonnensystem unabhängig geblieben? Das sind Fragen, die eine endgültige Antwort noch nicht gefunden haben, obwohl man der Lösung des Problems immer näher rückt. Gegenwärtig besteht die Tendenz, sie als den Gesetzen unserer Sonne untertänig zu betrachten. Die alte Idee, als hätten wir es mit Weltenbummlern zu tun, die von Stern zu Stern und von einem Planetensystem zum anderen wandern, ist so gut wie aufgegeben. Wohl ist die Bahn vieler so gestaltet, daß man an eine Wiederkehr der betreffenden Kometen kaum glauben kann, man nimmt aber trotzdem an, daß sie sich der Kontrolle unserer Sonne nie ganz entziehen. Freilich biegen sie oft auch von ihrem Wege ab und machen einen Abstecher in die verbotenen Gebiete nördlich und südlich der Ebene unserer Sonnenumgebung, eine Extravaganz, die sich andere Sterne nicht leisten. Oft bleiben sie weit hinter uns zurück, oft überholen sie uns in unserer unaufhaltsamen Bewegung, dem Herkules, dem Drachen und der Leier zu. Es ist, als wollten sie sehen, ob der Weg frei ist, und sich dann überzeugen, ob auch noch alle Planeten hübsch beisammen sind und in der alten Ordnung marschieren, und als ob einer oder der andere dann davonschießt, um irgend einer unbekannten Kraft Bericht zu erstatten.

Welcher Kraft? Welchem Wesen?

Das wissen wir nicht, und es ist auch keine Wahrscheinlichkeit da, daß unsere Kinder und Kindeskinder es in hundert Jahren wissen werden.

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