1. Eine verblüffende Situation.

Mit der tausendfachen Geschwindigkeit eines Schnellzuges eilt die Erde durch das All den Sternenbildern des Herkules und der Leier zu. Die Sonne und die andern Planeten sind in diesen tollen Lauf alle mit hineingezogen. Den Astronomen ist diese Bewegung unserer Welt längst bekannt; erst in der letzten Zeit aber haben sie vermocht, genauen Aufschluß über die Geschwindigkeit und die Richtung derselben zu geben. Ihre Ursache aber ist bis auf den heutigen Tag noch ein ungelöstes Geheimnis geblieben. Alles, was wir mit Sicherheit darüber wissen, ist, daß die Geschwindigkeit, mit der wir durch das Weltall ziehen oder gezogen werden, zwölf englische Meilen, das sind 18,3 km in der Sekunde beträgt, und daß die Bahn unseres Weges nahezu eine gerade Linie zu sein scheint.

Diese Bewegung scheint absolut nichts mit der jedermann bekannten Bewegung der Erde um die Sonne zu tun zu haben. Im Gegenteil, sie findet in einer grade entgegengesetzten Richtung statt, und sie umfaßt, wie gesagt, das ganze Sonnensystem, und die Sonne, die alle andern Bewegungen ihrer Planeten so sorgsam reguliert, ist dieser Flucht durch das All gegenüber vollständig machtlos und wird mitgerissen, ob sie will oder nicht.

Es ist, als ob irgend eine unsichtbare, gigantische Kraft unser Sonnensystem erfaßt hätte und es im rasenden Laufe hinüber zöge, von einer Seite der Milchstraße zur andern.

Nichts kann diesem rasenden Laufe Einhalt tun, sagen die Astronomen, und die Kraft, die da wirkt, ist unsichtbar, unfaßbar und unerklärlich. Es scheint, als handle es sich um einen großen Mahlstrom im Weltenäther. Merkwürdigerweise aber zeigen alle Berechnungen, daß die gesamte Entziehungskraft des ganzen uns bisher bekannt gewordenen Weltalls zusammen genommen unfähig war, sowohl eine solche Bewegung hervorzurufen und zu begründen, als ihr auf irgend eine Weise auch nur im geringsten Einhalt zu tun.

Es ist eine übermächtige Aetherströmung, in welcher Sonnen und Planeten ebenso machtlos sind, wie es eine Nußschale wäre, die man in den Strudel der Niagarrafälle werfen würde. Und nicht nur unsere eigene Sonne und unser eigenes Sonnensystem wird von dem tollen Strome erfaßt, sondern auch viele andere große Sterne und Sternensysteme, die mit den unsern demselben, geheimnisvollen Schicksal entgegengehen.

Die Kraft nämlich, die diese Bewegung hervorruft, erstreckt sich über Millionen von Meilen nach beiden Seiten von uns. Tatsächlich scheint ja das ganze Weltall in Bewegung zu sein. Die große Mehrheit der entfernten Sterne aber scheint sich langsamer zu bewegen, gleichsam als wären sie an den Ausläufern, oder wenn wir so sagen wollen, an den Ufergrenzen der Strömung gelegen. Ja, man hat sogar geglaubt, daß es eine Art Ur- oder Unterströmung gebe, die bewirkt, daß einige von den Sternen in der einen Richtung, die andern in der entgegengesetzten dahineilen. In jedem Falle handelt es sich um die ungeheuerlichste Kraftäußerung, die sich kein menschlicher Geist in ihrer Größe auszumalen vermag; denn sie umfaßt alles, was wir in dem Begriff der Möglichkeit zu glauben bewußt sind.

Vor der Entdeckung dieser Sonnen- und Planetenflucht durch den Weltenraum hielt man das Sonnensystem für so außerordentlich reguliert, wie das Uhrwerk eines fehlerlosen Chronometers. Sogar Astronomen sprachen von der Unzerstörbarkeit des Systems und bewunderten all das Ineinandergreifen des göttlichen Räderwerkes der Natur. Das alles aber hat sich mit einem Schlag geändert. Es kann ja sein, daß auch dieses wilde Rennen durch das Weltall ein Teil eines Systems ist, das nicht zum Untergang führen mag; aber es sieht denn doch nicht ganz danach aus. Stellen wir uns einmal, um ein Bild im Kleinen zu geben, eine Flotte vor, die mitten auf dem Ozean schwimmt, und die plötzlich von einer gewaltigen Strömung, trotz aller Arbeit der Maschinen, trotz aller Kraft des Steuers und trotz aller Energie der Mannschaft, dem Pole entgegen getrieben wird. Wird sich dann nicht all derer, die auf den Schiffen sind, ein furchtbarer Schrecken bemächtigen? Ganz zweifellos. Wir, hier auf der Erde, befinden uns in einer ähnlichen Lage; aber dieser Lage sind sich nur die Astronomen bewußt, und die übrige Menschheit kennt, merkt und glaubt dies nicht. Und einigen gibt es den Trost, daß weder wir, noch unsere Kinder und Kindeskinder den Schlußakt dieser Komödie, der wir entgegen gehen, mit erleben werden, sondern daß der Vorhang fallen wird, wenn wir alle längst nicht mehr sind.

Wir befinden uns gegenwärtig ungefähr in der Mitte jenes gewaltigen Raumes, den der als Milchstraße bekannte Sternen- und Weltengürtel umfaßt. Billionen von Meilen südlich von unserer gegenwärtigen Stellung liegt eine reiche Sternenregion der Milchstraße, aus der wir gekommen zu sein scheinen, und jenseits davon liegt in ungefähr gleicher Entfernung ein wundervolles Sternenmeer, welchem wir uns unaufhaltsam mit der Geschwindigkeit von 365000000 Meilen im Jahr nähern. In dieser Richtung aber liegt ein großer Riesenstern, die Vena oder Alphalyra, der tausendmal größer ist als unsere eigene Sonne. Und dieser ungeheure Weltenkörper scheint sich uns mit einer noch größeren Geschwindigkeit zu nähern, als wir uns ihm. In unserer allernächsten Umgebung scheint der Weltenraum verhältnismäßig leer zu sein; es gibt keine anderen Sterne in unserer Nähe, wenigstens keine sichtbaren.

Die moderne Astronomie hat aber die beunruhigende Entdeckung gemacht, daß keineswegs alle Sterne am Himmel sichtbar sind, und wir kennen viele, die wir niemals gesehen haben, und die wir nur berechnen können, weil sie große Weltkörper sind und als solche auf die übrigen wirken; und es ist sehr möglich, daß solcher dunklen Sterne viele auf dem unbekannten Wege liegen, den wir jetzt durch das große unendliche All in schwindelndem Laufe zurücklegen.

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