Mittelamerika und die westindischen Inseln.

Mittelamerika. Das Hochland von Mittelamerika, das sich zwischen der Landenge von Tehuantepek und der von Panama ausdehnt, ist ein uraltes Kulturland, das unter der Mißwirtschaft der Spanier einen schweren Rückgang erlebt hat. Es wird von den Nahuavölkern bewohnt, einer Sprachgruppe, die vorzeiten aus ihrer ursprünglichen Heimat in nördlicher gelegenen Gebieten einwanderte, bis Guatemala (Pipilen), San Salvador und Nicaragua vordrang und die bis dahin ansässigen einheimischen Stämme, wie die Totonaken, Olmeca, Tarasken, Otomi, Mixteken, Zapoteken und Maya zurückdrängte. Zu diesen Nahuavölkern gehören unter anderem die Azteken beziehungsweise ihre Vorgänger, die Tolteken, die wahrscheinlich im vierten bis fünften Jahrhundert ankamen. Die Mayavölker, die übrigens wohl auch nicht als die Urbewohner anzusehen sein dürften, entwickelten eine hochstehende Kultur, zu der die Azteken eine ebensolche hinzubrachten; beide Kulturen sind im Lauf der Zeiten mehr und mehr miteinander verschmolzen und haben es zu recht ansehnlicher Blüte gebracht. Beide Völker bildeten wohlgeordnete Staatswesen mit monarchischer, dabei aber doch ziemlich demokratischer Regierungsform. Künste und Wissenschaften, nicht minder Handel und Industrie standen auf hoher Stufe. Leider erlaubt der zur Verfügung stehende Raum nicht, auf die merkwürdigen Kulturzustände der alten Mexikaner näher einzugehen; wir müssen uns auf eine Schilderung der neuzeitlichen Verhältnisse beschränken.

Phot. C. B. Waite.

Abb. 199. Eine Frau aus Tehuantepek in ihrem Festgewand.

Seine auffallendsten Stücke sind der aus leuchtend gefärbten Stoffen hergestellte Rock, das ärmellose Mieder und die große gestärkte Krause.

Das unmenschliche Regiment, das die Spanier seit der Entdeckung des Landes bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hinein in Zentralamerika ausgeübt haben, hat nicht nur dazu beigetragen, die ursprüngliche Lebensweise der Bevölkerung, ihre Sitten und Gebräuche auszurotten, sondern auch die Stämme selbst. In abgelegenen Gegenden, wohin die Strenge der Eroberer nicht reichte, hat sich die altindianische Kultur bis auf unsere Tage noch verhältnismäßig rein erhalten. Der enge Verkehr der Spanier mit den Indianern hat nun ganz allmählich eine Bevölkerung entstehen lassen, in der der Anteil an indianischem Blut recht beträchtlich ist. Sehr großes Gewicht legt man in Mexiko auf den Grad der Blutmischung und hat daher eine ganze Reihe von Bezeichnungen für die verschiedenen Abkömmlinge, je nachdem Indianer- oder Negerblut in ihren Adern rollt beziehungsweise den Mischlingen in einer späteren Generation von neuem spanisches Blut zugeführt worden ist. Ist der Vater ein Spanier, die Mutter eine Indianerin, dann spricht man bei den Abkömmlingen von Mestizen; Kinder aus einer Verbindung von einem Weißen mit einer Mestizin heißen Castizen; kreuzt sich eine Castiza mit einem Spanier, so sieht man deren Kinder wiederum als Spanier an. Nachkommen von einem Spanier und einer Negerin führen die Bezeichnung Mulatten; aus der Verbindung einer solchen Mulattin mit einem Spanier geht ein Morisco hervor; eine Morisca erzeugt mit einem Spanier einen Albino, und erst die Kinder einer solchen Albina mit einem Spanier, die Tornatro heißen, werden wieder als Spanier angesehen. Mischlinge aus der Kreuzung eines Indianers mit einer Negerin heißen Sobo; ein Sobo ferner erzeugt mit einer Negerin einen Chino; der Nachkomme einer China und eines Indianers wird Cambujo genannt, und der Abkömmling schließlich eines Indianers und einer Mestizin Cayote. Das Volk ist im allgemeinen ganz ungebildet und des Lesens und Schreibens unkundig. Öffentliche Schreiber besorgen daher das Schriftwesen (Abb. 198). — Wirkliche Weiße, vor allem Spanier, die von Mischung mit Indianerblut gänzlich frei geblieben sind, kommen wenig vor; schätzungsweise höchstens ein Sechstel der mexikanischen Bevölkerung dürfte aus solchen Weißen bestehen, zu denen auch noch Vertreter anderer Völker gehören, die teils als Kaufleute, teils als Abenteurer eingewandert sind. In der Hauptsache haben sich diese Europäer ganz den Sitten der Spanier angeschlossen, die ihrerseits an den Gebräuchen der Heimat festgehalten haben.

Phot. C. B. Waite.

Abb. 200. Szene aus einem Stierkampf am Fuße des Popotcatepetl,

des „rauchenden Berges“. Stierkämpfe sind eine allgemein beliebte Belustigung des mexikanischen Volkes.

Der mexikanische Indianer, der etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes ausmacht, unterscheidet sich von seinen nordamerikanischen Brüdern insofern, als er sich nicht wie diese auf das Kriegshandwerk verlegt hat, sondern ein friedliebender Ackerbauer geworden ist. Seine Kleidung wechselt nach den klimatischen Verhältnissen; in den Küstengebieten herrscht tropische Hitze, in den Gebirgsgegenden mehr gemäßigtes Klima und in höheren Lagen selbst Kälte. Aber stets ist das Hervorstechende an der Kleidung des Mexikaners die Buntheit der Farben und die Vorliebe für Schmuck (Abb. 199). Das wichtigste Kleidungstück ist die Zarape, eine vielfarbige Decke, die als Überwurf getragen wird, aber nebenbei noch mancherlei anderen Zwecken dient, und der Rebozo, ein mehrere Meter langer Baumwollstreifen (Schal) von oft recht reicher Musterung in blauer, gelber oder violetter Farbe; reiche Frauen tragen einen solchen aus Seide, der von derartiger Feinheit ist, daß er trotz seiner Breite durch einen Fingerring gezogen werden kann. Er wird als Schutz gegen die Sonne über Kopf und Nacken geschlungen und fällt geschmackvoll in Falten herab; oft aber wird er auch zusammengerafft und dient dann zum Tragen von Früchten und anderen Sachen, ähnlich wie unsere Schürze. Der Rebozo scheint aus dem spanischen Schleier hervorgegangen zu sein. Auf dem bloßen Leibe tragen die Indianerinnen noch ein bis zu den Knöcheln reichendes, oft reichbesticktes Hemd. Ihr Kopfhaar, dem sie viel Pflege widmen, durchflechten sie entweder mit bunten Schnüren und wickeln es rund um den Kopf oder sie lassen es als Zöpfe herunterhängen. Für gewöhnlich geht man im ganzen Lande barfuß, doch legen die Männer vielfach auch Sandalen aus Zwirn an.

Festzug bei einer Posada (Weihnachtssitte in Mexiko).

Die Teilnehmer bitten durch Klopfen an die Tür um Obdach für die beiden Heiligen Maria und Joseph.

Die Hauptunterhaltung des Mexikaners bilden Musik, Gesang und Tanz; als Nationaltanz kann der Jarabe gelten. Es gibt auch mystische Tänze, eine Verquickung von Aztekenlehre und christlicher Religion, die an die erste Zeit der spanischen Eroberung erinnern; sie werden zu bestimmten Jahreszeiten von Masken unter Begleitung von Trommeln und Pfeifen aufgeführt und weichen in ihren Einzelheiten nach der Örtlichkeit voneinander ab. Im weiten Süden ist die danza de la conquista, in der dargestellt wird, wie die Azteken bei der Ankunft des weißen Mannes von Furcht befallen werden, der bemerkenswerteste Tanz. Die Fiestas der Kirche, desgleichen die Namenstage der Heiligen sowie der Verwandten und Freunde werden von der Bevölkerung in lustiger Weise gefeiert; Tanz, Glückspiel, Hahnen- und Stierkämpfe bilden dabei die Hauptunterhaltung. Die genannten Tierkämpfe (Abb. 200 und 201) sowie das Kartenspiel (Baraja) sind ungemein fest wurzelnde Unsitten. Nächst dem Cura, das heißt dem Dorfpriester, und der Curandera, der Quacksalberin oder Dorfhexe, ist, was den größten Einfluß auf das Leben des Mexikaners ausübt, der Pulque, ein Nationalgetränk, das aus der Agave hergestellt wird. Wenn der richtige Augenblick gekommen ist, wird diese der Aloe ähnliche mächtige Pflanze gekappt und eine honigartige Flüssigkeit aus ihr gewonnen, die man vierundzwanzig Stunden lang der Gärung überläßt. Dadurch gewinnt man eine starkriechende Flüssigkeit, deren Genuß einen schweren Rausch erzeugt. Allenthalben gibt es im Lande Pulquerias, Verkaufstellen für dieses Getränk, für das der Mexikaner seinen letzten Centavo hergibt. Sie sind auch die Stätten, wo sich für den Fremden die beste Gelegenheit bietet, das einheimische Leben und Treiben zu beobachten.

Phot. C. B. Waite.

Abb. 201. Hahnenkampf, ein anderer in Mexiko weitverbreiteter Zeitvertreib.

Die Tätigkeit der mexikanischen Indianer auf dem Lande geht fast völlig in der Landwirtschaft auf. Die Frauen stellen die zum Leben erforderlichen einfachen Gegenstände her; besondere Fertigkeit zeigen sie in der Anfertigung von Erzeugnissen der Weberei und der Töpferei (Abb. 203).

Die Religion (Abb. 202, 204 und 205) des Mexikaners ist dem Namen nach die der römisch-katholischen Kirche, in Wirklichkeit aber ein Gottesdienst, der gleichsam nur die Fortsetzung der Religion der Azteken und Maya bildet. Die Regierung hat zwar die Kirchenprozessionen abgeschafft, doch kommen sie auf dem Lande noch vor, in den kleinen Indianerdörfern, die aus Bambushütten mit Palmblattdächern bestehen. Dabei geht es recht eigenartig und übrigens auch sehr laut zu. Trommler und Pfeifer eröffnen den Zug der Gläubigen — alle Mexikaner sind sehr fromm —, die an langen Stangen geheimnisvolle Figuren aus buntem Papier tragen. Was letztere zu bedeuten haben, weiß kein Mensch; es fragt auch niemand danach, wie man auch nicht weiß, was die lateinisch gesprochenen Gebete besagen. Der Forscher aber weiß, daß diese seltsamen Figuren aus den Tagen der Vorfahren der heutigen Bevölkerung vor der Zeit der Eroberung durch die Europäer herstammen. Ähnlich verhält es sich mit den geweihten Opfern aus Blumen, die man auf jeden Schrein am Wege — diese sind höchstwahrscheinlich an die Stelle der ehedem bestehenden heidnischen Altäre getreten —, in Dorfkirchen und städtischen Gotteshäusern niederlegt; sie erinnern an die Opfer für den Menschgott Quetzalcoatl der alten Azteken. Die Vorliebe der Eingeborenen für Blumen ist außerordentlich groß. Außer in dem Darbringen von solchen Spenden äußert sie sich noch an den Blumentagen, jenen prunkvollen Festen im April am Vikokanal in der Nähe der Stadt Mexiko; dann sind die aztekischen Chinampas oder schwebenden Gärten eine einzige Blütenmasse, und Quetzalcoatl wird dabei offen als Gott der Natur verehrt.

Phot. The Barratt Photo Agency.

Abb. 202. Eine Büßerin zur Fastenzeit,

die auf den Knien den heiligen Berg Amecamica hinaufrutscht.

Phot. J. Castanos Flores.

Abb. 203. Topfhändler in Mexiko.

Die Töpferei ist eine allenthalben im Lande besonders von Frauen geübte Industrie; ihre Erzeugnisse verraten künstlerische Begabung.

Ein anderes Fest, das alljährlich unter großen Feierlichkeiten acht Tage lang vor Weihnachten begangen wird, sind die Posadas oder die Herberge, so genannt zur Erinnerung an die Herberge von Maria und Joseph zu Bethlehem. Eine Familie oder überhaupt eine befreundete Gesellschaft tut sich zusammen, um abwechselnd die Posadas zu geben, und wählt ein bestimmtes Haus zum Schauplatz der Festlichkeit aus. Das betreffende Haus wird festlich hergerichtet und mit Moos sowie Henno, einem schlingartigen Hängegewächs, das niemals fehlen darf, geschmückt; neben Lampions werden die sogleich zu besprechenden Piñates an der Decke und den Pfeilern aufgehängt. Am Abend begeben sich die Teilnehmer der Posada bei Fackelbeleuchtung unter Absingung der Litanei bis zu einem bestimmten Raum, wo für Maria und Joseph um Aufnahme gebeten wird (siehe die Kunstbeilage). Auf eine bejahende Antwort öffnen die Veranstalter des Zuges die Tür und stellen die Wachsfiguren dieser beiden Heiligen dort hinein. Darauf geht man zum Speisezimmer zurück und zecht die ganze Nacht hindurch. Dieser Vorgang wird an acht aufeinanderfolgenden Abenden, meistens abwechselnd in den Häusern der Teilnehmenden, wiederholt; am neunten kommt dann noch die Figur des Heilands als Kind zu der Gruppe hinzu, und am Tage darauf wird die Piñate zerschlagen. Ursprünglich ein Kochtopf, ist die Piñate auch in ihrer weihnachtlichen Umgestaltung nichts anderes: ein dickbauchiges Gefäß, das in seinem Innern kleine Geschenke birgt; es vertritt die Stelle unseres Weihnachtsbaumes. Natürlich ist der Topf auf der Außenseite vergoldet oder noch häufiger mit einem Tier- oder Menschenkopf versehen und mit Seidenpapierkostümen, Fellüberzügen, Bänder- und Schleifenausputz phantasievoll überkleidet. Die Kinder müssen versuchen, mit verbundenen Augen nach mehrfachem Irreführen im Hofe des Hauses (wie bei unserem Topfschlagen) die Piñate mit einem Stock zu zertrümmern (Abb. 206) und bekommen dann ihren meist aus Leckereien bestehenden Inhalt.

Kirche und Zauberei stehen einander in der Auffassung der Eingeborenen keineswegs feindlich gegenüber, eines ergänzt vielmehr das andere. Die Indianerin denkt eben, daß es nicht schaden könne, wenn sie von beiden Seiten Schutz erhalte; um so kräftiger werde die Wirkung sein. Das Zeichen des Kreuzes schützt selbstverständlich gegen den bösen Blick, aber in gleicher Weise tut dies auch der geheimnisvolle Trank der Curandera, der Dorfhexe; folglich wendet sie beides an. Sollte sie etwa einmal Anlaß haben, auf ihren Mann eifersüchtig zu sein, dann werden ihre Gebete an Gott und die Heiligen durch das Rezept, das ihr die Curandera verabreicht, sicherlich noch wirksamer werden. Überhaupt genießt die Curandera überall eine ganz bedeutende Macht; sie wird stets hinzugezogen und auf ihre Anordnungen großer Wert gelegt. Sie heilt auch Krankheiten und tut dies nicht selten mit Erfolg, da sie mit der Wirkung heilkräftiger Pflanzen bis zu einem gewissen Grade ganz gut vertraut ist, wie es auch ihre Vorfahren waren.

Die Verquickung von Religion und Aberglauben zeigt sich schon recht deutlich beim Erscheinen eines neuen Weltbürgers. Zunächst muß er natürlich, wie es die Kirche erfordert, getauft werden; auch wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind, ist dies die erste Pflicht des Vaters, der er sich auch wohl niemals entzieht. Außerdem wird das Kind aber auch mit allerlei Amuletten behängt, die ihm in seinem ferneren Leben Glück bringen sollen; das Horoskop wird ihm von einem Kenner gestellt und Zaubersprüche ausgesprochen. Die Mutter liebt ihr Kind leidenschaftlich, besonders wenn es sich um einen Knaben handelt; sie trägt es stets mit sich herum, wenn sie unterwegs ist oder arbeitet, wobei es auf ihrem Rücken durch den Rebozo festgehalten wird. Sobald das Kind sprechen kann, muß es zuerst ein Gebet lernen, aber bald auch mit den Überlieferungen und Sagen des Volkes und anderen teils heidnischen, teils kirchlichen Dingen vertraut gemacht werden. Auf diese Weise werden alte aztekische Überlieferungen und Sagen von Geschlecht zu Geschlecht lebendig erhalten.

Phot. The Exclusive News Agency.

Abb. 204. Wasserträger schöpfen aus einem Brunnen,

der vor Ostern durch die Kirche gesegnet wurde.

Das Liebesleben der Mexikaner setzt sehr frühzeitig ein und entbehrt nicht der Romantik, wie sie den Bewohnern des Mutterlandes Spanien eigentümlich ist. Mit vierzehn Jahren pflegt das Durchschnittsmädchen bereits verheiratet zu sein oder hat wenigstens einen Liebhaber. Solche Verbindungen werden im allgemeinen nicht als unsittlich aufgefaßt; dafür ist der Mexikaner doch zu sehr Kavalier, als daß er das Nichtbestehen einer gesetzmäßigen Ehe zum Vorwand nehmen sollte, sich einer etwa daraus entspringenden Verantwortlichkeit zu entziehen.

Das Leben der Frau spielt sich auf dem Felde oder in der Häuslichkeit ab. Sie bebaut den Acker und verrichtet die Hausarbeit; sie spinnt den Faden der Agave und mahlt das Korn, um daraus Tortillas oder flache Kuchen, die Lieblingspeise des Mexikaners, im Hause zu backen. Sie besorgt das Reinigen der Wäsche am Flußufer, sieht nach den Kindern und geht auf den Markt, sowohl um einzukaufen, wie auch um zu verkaufen. Hier hockt sie in einer höchst einfachen Bude, unter einer Matte, die als Schutz gegen die brennende Sonne auf vier Pfosten ruht, und bietet singend ihre Waren feil, die auf einer auf der Erde vor ihr ausgebreiteten zweiten Matte untergebracht sind. Der Herr Gemahl tut indessen nichts: er lungert umher und raucht beständig Zigaretten; außerdem besucht er eifrig die Pulquerias, an denen eine rote Fahne ihm anzeigt, wenn dort frischer Pulque zu haben ist. Er lebt im übrigen, ebenso wie seine bessere Hälfte, sorglos dahin und nimmt das Leben leicht.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 205. Die Verbrennung des Judas, der wichtigste Vorgang während der Karwoche in Mexiko.

Auf ein gegebenes Zeichen flammen auf allen Plätzen Raketen und Feuer auf, in deren Mitte den Verräter darstellende Figuren aufgestellt sind. Judas wird als die Verkörperung des bösen Geistes angesehen.

Der Tod wirft nur vorübergehend einen Schatten auf seine Lebenslust. Von den ärmeren Volksklassen wird der Sarg oft für die Bestattung gemietet; es ist dies auch nur ein leichter Behälter, denn im allgemeinen dürfen die Gebeine der Toten nur ein paar Jahre in der Erde liegen, außer wenn man an die Kirche besondere Zahlungen macht. Aber stets muß eine Messe gelesen und Blumenopfer (an Stelle der sonst üblichen Kerzen) dargebracht werden; auch eine äußere Bekundung der Trauer durch schwarze oder lila Gewänder ist üblich. In den abgelegenen Indianerdörfern, die seit den Tagen der Eroberung wenig berührt wurden, nehmen die Bewohner, wie es scheint, noch altaztekische Gebräuche bei der Beerdigung vor; sie opfern sogar Hunde, Hühner und andere Tiere. Die Curandera besorgt dies auf irgendeine geheimnisvolle und wohl auch widerliche Art, um den allzeit gefürchteten bösen Blick wirkungslos zu machen.

Abb. 206. Zerschlagen der Piñate.

Mexikanischer Weihnachtsbrauch.

Westindien. Westindien oder die Antillen bestehen aus vielen Hunderten von Inseln mit mehreren Tausenden kleiner und kleinster Eilande, die alle von sehr verschiedener Größe sind; Kuba und Haiti sind die größten darunter. Bei der Entdeckung Westindiens durch die Spanier setzte sich die Bevölkerung aus zwei Bestandteilen zusammen, die zu ganz verschiedenen Zeiten vom Festland aus die Inselwelt besiedelt haben müssen, den Aruaken und den Karaiben. Jene scheinen zuerst gekommen zu sein; wann dies geschah, vermögen wir nicht mehr festzustellen, sicherlich lange Zeit vor der Ankunft des Kolumbus. Die Karaiben erschienen erst viel später, nach Annahme einiger Forscher sogar erst kurz vor der Besitzergreifung durch die Europäer. Aruaken und Karaiben kamen offenbar aus Südamerika, vom Quellgebiete des Schingù her; die ersteren waren friedfertige Einwanderer, die letzteren dagegen ein sehr kriegerisches Volk, dem gegenüber die als grausam bekannten Spanier noch milde erscheinen mußten. Heutigestags ist diese indianische Urbevölkerung bis auf wenige Überreste (zum Beispiel zu Parotee Point auf Jamaika, auf Sankt Domingo, Sankt Vincent und Trinidad) vollständig verschwunden; die Spanier haben sie ausgerottet. An ihre Stelle sind Neger (Abb. 207 und 208) getreten, die vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert als Sklaven aus Afrika eingeführt wurden. Diese jetzt freigelassenen Neger machen zusammen mit Mulatten und Kreolen den Hauptteil der westindischen Bevölkerung aus. Die weiße Bevölkerung bildet eine schwache Minderheit; auf Haiti und Sankt Domingo fehlt sie so gut wie ganz. Auf der zuerst genannten Insel leben nur ein paar weiße Familien in Port-au-Prince; die geldleihende Klasse in den Städten auf Haiti sind die Syrier, die das Volk mit Unrecht als Ägypter bezeichnet. Auf Jamaika sind Ostindier als Kuli eingeführt worden. Mit den diesen eigenen weltlichen und religiösen Gebräuchen wird das ohnehin schon bunte Bild Westindiens noch schillernder und strahlender. Die größeren Inseln weisen überdies noch eine mehr oder weniger bedeutende Anzahl von Chinesen auf, die hauptsächlich in den Wäschereien beschäftigt sind, sich aber auch mit anderen, gleichfalls sehr einträglichen, wenn auch recht fragwürdigen Gewerben abgeben.

Phot. H. H. Johnston.

Abb. 207. Negerin von Barbados.

Die Schwarzen Westindiens legen großen Wert auf grelle Farben in ihrer Kleidung.

Die Neger Westindiens, mit denen wir uns bei der folgenden Betrachtung ausschließlich zu beschäftigen haben werden, stehen noch auf derselben Stufe des Aberglaubens wie ihre Vorfahren in der westafrikanischen Heimat, im besonderen dem Kongogebiet. Zwar wird dieser auf denjenigen der größeren Inseln, wo die Weißen eine feste Verwaltung eingesetzt haben, ziemlich im Zaume gehalten, dafür treibt er aber auf den Inseln, wo sie selbst das Regiment führen, im besonderen auf Haiti, um so üppigere Blüten. Die mildeste Form der Fetischanbetung (Abb. 210) trifft man auf Jamaika an, wo die Neger sich dem Namen nach zum Christentum bekennen. Sie befolgen diese Lehre auch wohl äußerlich, aber in ihrem Innern schlummert immer noch der nicht auszurottende afrikanische Instinkt. Er findet seinen Ausdruck in dem Fetischkultus, der Anwendung von Zaubermitteln, die alle Anschläge und Ränke der bösen Geister zunichte machen sollen. Nach der Überlieferung der Neger Jamaikas hat jeder Mensch zwei Geister, einen guten und einen bösen. Jener kehrt nach dem Tode in die afrikanische Heimat zurück; daher geben Angehörige und Freunde des Verstorbenen ihm Bestellungen auf den Weg, die er über das Meer mitnehmen soll. Der böse Geist dagegen verbleibt im Grabe bei der Leiche und kommt nachts in Gestalt eines Duppy hervor (Abb. 209). Diese Duppys entfalten ihre größte Tätigkeit in den beiden entscheidenden Augenblicken des menschlichen Lebens: wenn der Mensch in die Welt eintritt und wenn er aus ihr scheidet; daher werden für diese Fälle besondere Vorsichtsmaßregeln getroffen, um das Vorhaben der bösen Geister zu vereiteln. Der Hals eines Neugeborenen wird sofort mit einer Halskette aus grünen Perlen umschlossen, was vielleicht mit der Anbetung der grünen Schlange zusammenhängt; außerdem werden eine geöffnete Schere (Form des X) und eine Bibel unter sein Kopfkissen gelegt. Vor dem neunten Tage darf das Kind das Haus nicht verlassen, weil sich sonst der Duppy seiner bemächtigen würde. Stirbt jemand, dann wird alles umherstehende Wasser sofort weggeschüttet, da sich sonst ein Duppy in ihm niederlassen könnte. Um ihn zu versöhnen, werden dem Duppy aber Rum und Lebensmittel zur Verfügung gestellt, damit er Hunger und Durst stillen könne. Auch mit Zauberei kann man gegen die Duppys angehen.

Tariana-Indianer vom Rio Negro (Brasilien).

Nach einem Gemälde von Professor Wilhelm Reichardt im Museum für Völkerkunde zu Berlin.

Phot. The Exclusive News Agency.

Abb. 208. Negerinnen Jamaikas,

die zu Weihnachten ihre Festtracht angelegt haben.

Den bösen Einfluß des Duppy nachdrücklich zu bekämpfen, ist Aufgabe des Obeahmann, dem man den Besitz besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten zutraut. Bei der Ausübung seiner Kunst verfährt der Obeahmann nach althergebrachten kabbalistischen Zeichen und geheimnisvollen Zauberformeln; auch gibt er sich damit ab, die Duppys „in Flaschen einzufangen“ und sie einem Feinde auf die Spur zu hetzen, sowie Zaubermittel, seltsame Zusammenstellungen von Federn, Haaren und Pflanzen, unter seine Kunden zu verteilen. Ein Obeahmann könnte gelegentlich auch einmal gefährlich und widerspenstig werden, aber die Regierung weiß dem vorzubeugen. Sollte sie ihre scharfe Überwachung unterbleiben lassen, dann würde die Entwicklung in ihrem Laufe nicht mehr aufgehalten werden können und der Vuduismus bald zu jener schlimmen Form ausarten, wie sie uns auf Haiti entgegentritt.

Phot. H. H. Johnston.

Abb. 209. Gräber vornehmer Neger auf Haiti.

Der „Duppy“ oder Geist des Verstorbenen lebt in seinem Grabe weiter und kommt des Nachts hervor, um Unheil anzurichten. Die religiösen Bräuche der Anhänger des Vuduismus bezwecken vor allem, die Duppys in den Gräbern festzuhalten.

Zwischen der milden und der strengen Form des Vuduismus (Abb. 211) gibt es viele Übergänge und Abweichungen, die von der auf der betreffenden Insel herrschenden örtlichen Verwaltung abhängig sind (dänische, holländische, französische und amerikanische Regierung). In den alten spanischen Kolonien zum Beispiel hat die römisch-katholische Kirche es verstanden, den Fetischkultus in vernünftigen Grenzen zu halten, und ist nur dann scharf gegen ihn vorgegangen, wenn etwa ein zu kühner Obeahmann sich für einen neuen Gott ausgab und den Versuch machte, sich Anhänger zu gewinnen. Der Vuduismus ist hier die öffentliche Anbetung der grünen Schlange. Diese muß, wie wir es von den Göttern der Heiden schon vielfach erfahren haben, versöhnt werden, damit sie die bösen Geister fernhalte. Aus diesem Grunde werden Opfergaben zu einer Notwendigkeit. Hühner, Ziegen und „Ziegen ohne Hörner“, womit junge Menschenkinder gemeint sind, werden dargebracht. Zur Priesterschaft dieses Kultus in der Form, wie sie auf Haiti herrscht, gehören die Loupgarous oder religiösen Kinderräuber. Das „rollende Kalb“ in der Folklore von Jamaika, vor dem die Mütter ihre Kinder warnen, ist zweifellos eine Erinnerung an das frühere Opfern von Kindern. Man stellt es sich als den körperlosen Kopf eines Kalbes mit großen, rollenden Augen vor, der die Kinder beleckt, wovon sie entweder sterben müssen oder sonst verschwinden. Auf Haiti wird das Blut des Opfertieres den Adepten auf die Gesichter gestrichen und von dem amtierenden Priester getrunken. Bei einem Huhn beißen sie den Kopf ab und saugen das Blut aus dem Halse aus; bei einer Ziege reißen sie das Herz aus. Die Feier spielt sich nachts in den dunklen Tiefen des haitischen Waldes ab, dumpfer Tamtamschlag ertönt, Freudenfeuer brennen düster vor einer Kiste, in der die grüne Schlange, der man bei den Festen huldigt, liegt oder liegen soll. Die Szene wird immer wilder und schauerlicher; die Zuschauer beginnen mit dem Loiloichi oder Bauchtanz, der schließlich in eine regelrechte Orgie schlimmster Art ausartet und bis Tagesgrauen anhält, oder doch wenigstens so lange, bis Männlein und Weiblein trunken vor sinnlicher Erregtheit und Ermattung zu tiefem Schlaf auf die Erde sinken. Das größte dieser nächtlichen Feste soll zu Ostern stattfinden und mehrere Tage dauern. Auch die Fastenzeit gibt zu einem ausgelassenen Karneval Anlaß, der in den großen Städten, wie Port-au-Prince, am hellen Tage gefeiert wird.

Phot. H. H. Johnston.

Abb. 210. Ein Fetischbaum auf Haiti.

Nach dem Glauben der westindischen Neger wohnen die Geister der Verstorbenen in bestimmten Bäumen; um sie zu besänftigen, werden wüste Zeremonien in den Wäldern von Haiti abgehalten. Auf Jamaika wird der Baumwollbaum als Fetisch angesehen, und man bespritzt seine Wurzeln mit Rum, um den Duppy fernzuhalten.

Die Musikfreudigkeit der Negerrasse kommt auch bei der Bevölkerung der westindischen Inseln zum Ausdruck. Kein Fest wird gefeiert, ohne daß die Gitarre, ein wahres Nationalmusikwerkzeug, in ihr Recht tritt. Sie wird von den Negern ganz geschickt gespielt. Geradezu als Musiker ersten Ranges aber erweisen sich die Kreolen Kubas und Puerto Ricos. Die Musik auf diesen Inseln ist voll tiefer Empfindung, bevorzugt die Molltonarten und zeichnet sich durch einen ganz eigentümlichen Rhythmus aus, durch den sie sich leicht von der Musik anderer Länder unterscheidet. Sie ist auch in Spanien sehr volkstümlich geworden, wo das Volk diese Weisen aufnahm und sie mit seinen eigenen Volksliedern verschmolz. Die Tanzmusik der „Inseln“ hat sich fast über die ganze Welt verbreitet, und der Tango mit seinen eigenartigen Hüft- und Bauchbewegungen stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Kuba oder Puerto Rico; über Argentinien, wo er nach der Eigenart der Bewohner abgeändert wurde, hat er dann seinen Weg auch nach Europa genommen und hier seine bekannten Auswüchse erfahren.

Phot. H. H. Johnston.

Abb. 211. Tom-toms oder Vudutrommeln,

die bei den heidnischen Fetischtänzen in Westindien gebraucht werden.

Phot. Th. Koch-Grünberg.

Abb. 212. Taulipangjungen in Festtracht.

(Roroimagebiet an den Grenzen Brasiliens, Venezuelas und Britisch-Guyanas.) Der Knabe in der Mitte stützt sich auf ein Rohr, einige andere halten Tanzkeulen über der Schulter.

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