Man versteht unter den nichtslawischen Balkanvölkern die Türken oder Osmanli einerseits und die Griechen, Rumänen und Albanier anderseits. Die ersteren gehören der finnisch-ugrischen Menschenrasse an, sind daher Verwandte der Ungarn und Finnen und stammen, wie man annimmt, aus Nordasien her, die letzteren, wohl ursprünglich Vertreter des nordischen Typus, wanderten bereits in der Vorzeit aus Nordeuropa in die von ihnen heutzutage eingenommenen Gebiete ein und vermischten sich zuerst mit den hier ansässigen Stämmen, wahrscheinlich Angehörigen der mittelländischen Rasse, später mit hinzugewanderten slawischen und türkischen Elementen. Von einem einheitlichen anthropologischen Typus kann daher weder bei diesen, noch bei jenen die Rede sein, denn auch die Türken haben auf ihren langen Wanderungen durch Mittelasien und Südrußland, wo überdies zu der Zeit ihrer Durchquerung Mischvölker schon ziemlich stark vertreten waren, viel fremdes Blut in sich aufgenommen, wozu nicht wenig die Erlaubnis der Lehre Mohammeds beigetragen hat, daß ihre Anhänger sich außer den erlaubten vier rechtmäßigen Gattinnen noch eine beliebige Zahl Sklavinnen halten dürfen, die man den unterjochten Völkern denn auch in reichlicher Menge entnahm. Die Türken haben annähernd vier Jahrhunderte den ganzen Balkan beherrscht und daher großen Einfluß auf die Rassenmischung dieser Völker sowie deren Kulturverhältnisse ausgeübt, anderseits aber auch selbst sehr viel von den Sitten und Gebräuchen dieser angenommen.
Die Kleidung der Türken (Abb. 428) ist eine ziemlich einförmige; sie besteht aus einem langen, kaftanähnlichen Rock, Pluderhosen und einem Fes, der bei festlichen Gelegenheiten mit einem weißen Turban vertauscht wird; dieser ist bei Mekkapilgern mit Gold durchwirkt und bei den Geistlichen, den Hodscha, mit einer purpurroten Verbrämung versehen. Die Türkinnen sind gekennzeichnet durch weite Pluderhosen, seidenes Hemd, gestickte Jacke, gelbe Schuhe und Verschleierung des Gesichts (Abb. 429). Die letztere dürfte kaum auf religiöse Vorschriften zurückzuführen sein — im Koran findet sich keine Stelle, die man in diesem Sinne auslegen könnte, und außerdem trugen die Frauen der Türken bereits lange vor Mohammed ihr Gesicht verschleiert —, sondern wahrscheinlich mit der Sitte der Türko-Tataren zusammenhängen, sich der Frauen durch Raub zu bemächtigen. Da man wohl nur solche Frauen raubte, die einem gefielen, dabei aber Gefahr lief, daß sie auch den Beifall anderer finden möchten, die stärker waren und sie wieder wegnehmen konnten, verfiel man auf den Gedanken, das Gesicht der geraubten Frauen zu verhüllen, um dadurch ein Urteil über ihr Aussehen unmöglich zu machen und ihrer Entführung vorzubeugen. Die Gewohnheit hat sich im Laufe der Zeiten fortgeerbt, scheint aber dank der modernen Reformbewegung auf dem Wege zu sein, mehr und mehr abzukommen.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 428. Türken vor einem Kaffeehaus beim Rauchen des Nargileh,
einer Tabakpfeife, bei der der Rauch, bevor er in den Mund genommen wird, durch ein Gefäß mit Wasser zieht.
Die Nationaltracht der Griechen (Abb. 431) ist den Albaniern (Abb. 430) entlehnt. Sie besteht aus einem Hemd mit weiten, fliegenden Ärmeln, kurzen Beinkleidern, reichbestickter, blauer oder roter, ärmelloser Jacke und dem typischen weißen, in Falten gelegten Röckchen von ähnlicher Form, wie es unsere Ballettmädchen tragen, der sogenannten Fustanella, deren Bund ein Ledergurt umschließt; an ihm werden Patronentasche und Waffen getragen. Dazu kommen noch lange rote Gamaschen, rote Schnabelschuhe mit einem Knauf an der Spitze und ein hoher roter Fes mit lang herabhängender Quaste. Die Frauen (Abbildung 434) tragen ein langes Hemd mit tiefsitzendem Gürtel und darüber einen kurzen, weißen, wollenen Rock; die unteren Enden der Ärmel sind reich bestickt. Das mit Ketten aus aneinandergereihten Münzen geschmückte Haar wird vielfach noch mit einem Fes bedeckt, den ebenfalls eine lange, golddurchwirkte Troddel ziert.
Phot. Bonfils.
Abb. 429. Verschleierte Türkin.
Für die Volkstracht der Rumänen ist die unter den Armen weit ausgeschnittene Pelzweste bezeichnend, die aus dem mit den Haaren nach innen gekehrten Schaffell hergestellt ist und von Männern und Frauen im Winter sowohl wie auch im Sommer getragen wird. Aus demselben Stoff sind auch die schwarze Pelzjacke und der lange Pelzmantel angefertigt. Auf dem bloßen Leibe tragen beide Geschlechter ein Hemd, das bei den Männern meistens kurz ist, selten bis an die Knie hinabreicht, hierüber die in Querfalten gelegte enge Hose, die um die Hüften von einem wollenen oder ledernen, zur Aufbewahrung von Messer, Geldbeutel, Pfeife und Tabak dienenden Gürtel umschlossen wird. Auf dem Kopfe sitzt die hohe, schwere Lammfellmütze oder ein breitkrempiger Filzhut (Abb. 432.) Das weite Hemd der Frauen, das im Gegensatz zu dem der Männer bis an die Knöchel reicht, pflegt an den Ärmeln und am Halse stets reich bestickt zu sein, ebenso der Rock und die übrigen Kleidungstücke (Abb. 438). Eine Eigentümlichkeit der Rumäninnen ist ihre große Vorliebe für kräftige, leuchtende Farben. Sie kommt besonders in der Foça zum Ausdruck, einem schürzenartigen Hüfttuch, das oft genug auch kostbare Stickereien trägt. Dieses breite Tuch wird ganz eng um den Unterkörper geschlungen, so daß es ihn rockartig umhüllt. Neben der Foça tragen die Rumäninnen noch wirkliche Schürzen, die Fransenschürze und die Catrinta; dies sind schmale Stücke Tuch, die, jedes mit einer besonderen Art von Muster bedeckt, vom Gürtel vorn und hinten herabhängen, so daß die Beine frei bleiben (Abb. 403). — Die Tracht der Albanierin weicht von der rumänischen völlig ab (Abb. 435).
Mit Erlaubnis von R. Bong, Berlin.
Bojarenhochzeit.
Nach dem Gemälde von C. B. Lebedeff.
Der Religion nach sind die Türken Anhänger des Islams, und zwar befolgen sie die religiösen Vorschriften äußerst pünktlich (Abb. 427); die übrigen uns hier beschäftigenden Balkanvölker bekennen sich dagegen zum Christentum, vorwiegend griechisch-orthodoxer Richtung. Im großen und ganzen feiern diese die christlichen Feste in ähnlicher Weise, wie dies die Slawen tun.
Bei den Griechen gibt es wie in Rußland eine Wasserweihe am 6. Januar. Schon am Tage vorher gehen die Priester in die Häuser, um Weihwasser und Basilikumzweige zu segnen. Diese balsamische Pflanze gilt allgemein als heilig, da sie der Sage nach aus dem Grabe Christi entsprossen sein soll, woraus sich die Kreuzform ihrer Blätter erklären soll. Es gibt wohl kein Gärtchen im Lande, und sei es noch so ärmlich, in dem man die Pflanze nicht zieht, keinen Strauß, in dem sie nicht vertreten ist. Ein Bündel Basilikumreiser wird in der Stube aufgehängt und als unfehlbares Mittel gegen den bösen Blick hochgeschätzt. Am Vorabend des Erscheinungsfestes (des Tages der Wasserweihe) durchziehen die Kinder mit brennenden Laternen in festlichem Zuge die Straßen des Ortes und singen fromme Lieder. Am nächsten Morgen findet frühzeitig Gottesdienst in den Kirchen statt; am Schlusse desselben sprechen die amtierenden Priester ein Gebet über eine große silberne Urne aus, die Wasser enthält, und segnen ihren Inhalt. Darauf stürzt sich das Volk mit Gläsern auf dieses Gefäß, um etwas von dem geweihten Wasser zu erhaschen und mit nach Hause zu nehmen. Später begibt sich ein Festzug unter Vorantritt der geistlichen Würdenträger in ihren reichverzierten Kirchengewändern zum Hafen, falls es sich um einen Ort an der See oder einem schiffbaren Fluß handelt. Hier hat man einen Raum im Wasser abgegrenzt, in dem sich bereits eine Unmasse von Menschen tummelt. Der oberste Priester wirft das heilige Kreuz in das Wasser, worauf sich ein heftiger Kampf unter den Schwimmern entspinnt, um es aufzufischen und zu bergen. Wem das Glück günstig ist, es zu erhaschen, der darf es durch die ganze Stadt tragen und dabei Gaben sammeln. — Solange die Gewässer nicht eingesegnet sind, verläßt kein Schiffer den Hafen, da man von der Wasserweihe unter anderem auch günstiges Wetter für die Schiffahrt erhofft.
Die verschiedenen Johannestage werden gleichfalls festlich begangen, und zwar ist am volkstümlichsten der Namenstag Johannis des Täufers. Da man in Griechenland nicht seinen wirklichen Geburtstag, sondern den Tag seines Schutzheiligen feiert und viele Leute nach Johannes dem Täufer Yannis genannt werden, so pflegen diese ihren Namenstag gemeinsam zu feiern.
Abb. 430. Albanier
in seiner eigenartigen Tracht, deren Rock an den der Ballettmädchen erinnert.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 431. Griechischer Bauer
mit kurzem, gefaltetem Rock, roten ledernen Schuhen, roter Jacke und fesähnlicher Kopfbedeckung.
Auf der Insel Korfu wird das Fasten, das im übrigen in Griechenland strenger als sonst in der christlichen Kirche innegehalten wird, am Palmsonntag unterbrochen. An diesem Tage strömt alles vom Lande und den kleinen Orten in die Hauptstadt der Insel, um an der großartigen Prozession ihres Schutzpatrons, des heiligen Spiridion, teilzunehmen, natürlich aufs festlichste geputzt und voller Freude darüber, daß man nach dem langen, schweren Fasten sich zum ersten Male wieder dem Genuß von Speise und Trank hingeben darf. Die Teilnehmer an dem Zuge versammeln sich in der Kirche des Heiligen und ziehen von dort unter dem Donner der Kanonen und dem Schmettern der Trompeten in großartiger Prozession stundenlang durch die Straßen, unterwegs in verschiedenen Kirchen Einkehr haltend. Den Zug eröffnen Fahnenträger und eine lange Reihe Geistlicher in golddurchwirkten Gewändern, zahlreiche Schüler, alle in Uniform, und Soldaten; sämtliche Teilnehmer tragen geweihte Kerzen in den Händen. Ihnen schließt sich wiederum eine große Zahl von Priestern an, in ihrer Mitte der ehrwürdige Patriarch mit einer goldenen Krone auf dem weißen Haupte; in den Pausen, die die Musik macht, murmeln alle Gebete. Unmittelbar hinter dem Patriarchen folgt die Hauptsache des Zuges, der heilige Spiridion in eigener Person, das heißt seine wohlerhaltene Mumie. Sie ruht in einem innen mit Purpur ausgeschlagenen Glaskasten mit durchbrochenem Goldrahmen und wird von vier Priestern wie eine Sänfte getragen. Mit dieser Reliquie hat es eine eigene Bewandtnis. Sie gehört nämlich merkwürdigerweise nicht der Kirche, sondern ist Eigentum der korfiotischen Familie Bulgaris, die sie ihrerseits dadurch erworben hat, daß vorzeiten ein Bulgaris mit einem jungen Mädchen sich verheiratete, das die Gebeine des heiligen Spiridion als Mitgift erhielt. Für die Familie Bulgaris nun ist der Besitz der Reliquie zu einer dauernden, nicht zu verachtenden Einnahmequelle geworden. Sie hat damit zugleich allerdings die dauernde Verpflichtung übernommen, stets ein Mitglied Priester werden zu lassen, um durch diesen gegen Gebühren die Wohltaten zu vermitteln, die der Heilige bei allen möglichen Unglücks- und Krankheitsfällen spenden soll. Hinter der Mumie und ihren Trägern folgen wiederum zahlreiche Priester und endlich die Volksmenge, die ebenfalls festlich gekleidet ist und Palmzweige in den Händen trägt. Unterwegs drängt sich immer mehr Volk heran, besonders in die nächste Nähe des Heiligen, um durch ihn Erfüllung seiner Wünsche zu erhalten. Mütter lassen ihre kranken Kinder mit den Händchen den Sarg berühren oder legen sie wohl gar auf die Erde an der Stelle, über die der Zug kommen wird, so daß die Träger über sie hinwegschreiten müssen, andere sammeln den Staub an der Stelle, die jene betreten haben, ein oder fangen das Wachs auf, das von den Kerzen neben dem Sarge herabträufelt. — Damit ist übrigens nur eine Auswahl aus der großen Zahl derartiger Gebräuche gegeben.
Phot. H. H. Johnston.
Abb. 432. Rumänen in Volkstracht.
Die Beinkleider sind aus Wolle oder Hanf, das über sie hinweghängende, durch einen Gürtel zusammengehaltene Hemd aus Leinen angefertigt. Die Jacke ist aus Schafpelz hergestellt, mit der Wolle auf der Innenseite, und außen mit bunten Wollfäden schön bestickt. Eine Lammfellmütze vollendet den Anzug.
Die Feier des griechischen Karfreitags beginnt schon am Abend vorher. Alles strömt dann bereits in die Kirchen, wo neben anderen Feierlichkeiten seidene Gewänder, in die eine Darstellung des im Grabe ruhenden Christus eingestickt ist, auf einer Art Katafalk inmitten des Schiffes ausgestellt und mit zahlreichen Blumenspenden geschmückt werden. — Der Ostersonntag wird auf dieselbe Weise, die schon bei der Darstellung der russischen Gebräuche geschildert wurde, eingeleitet und gefeiert. Die Straßen sind festlich geschmückt, und überall herrscht große Freude, die in allerlei Vergnügungen, namentlich in den Nationaltänzen (Abb. 433, 436 und 442) zum Ausdruck kommt. Auf dem Lande schlachtet jeder Hausvorstand an diesem Tage ein Lamm und bestreicht mit dessen Blut einen der Seitenpfosten an seiner Haustür sowie die obere Schwelle. — Bei den Rumänen besteht die schöne Sitte, daß am Ostermorgen die Frauen der wohlhabenderen Stände die Gefängnisse aufsuchen, um an die Gefangenen kleine runde Kuchen, denen das Kreuz aufgedrückt ist, zu verteilen. Ostern gilt ja auch bei der orthodoxen Kirche allgemein als das Versöhnungsfest. Die ländliche Jugend aber zieht am Osternachmittag in die Eichenwälder, um hier auf dem frischsprossenden Rasen der Waldwiesen das Auferstehungsfest durch ein lustiges Spiel zu feiern. Jedes Mädchen bringt in einem Weidenkörbchen eine Anzahl buntgefärbter Hühnereier mit. Im Walde stellen sich dann Burschen und Mädchen, je in einer Reihe, einander gegenüber auf und beginnen ein Spiel, das Tanz und Ballspiel in sich vereinigt, wozu Fiedel und Dudelsack ihre Weisen ertönen lassen. Die Mädchen werfen tänzelnd den Burschen die bunten, zerbrechlichen Bälle in hohem Bogen zu, wobei sie sowohl im Tanz wie auch beim Werfen eine bewunderungswürdige Geschicklichkeit und Anmut entwickeln. Aber auch die Burschen geben ihnen nichts nach und zeigen ihrerseits eine große Sicherheit im Auffangen, so daß nur selten ein Ei vorbeifliegt. Sind die Körbchen geleert, so beginnt das Spiel von neuem, nur mit dem Unterschied, daß jetzt die Rollen vertauscht werden, die Burschen also den Mädchen die Eier zuwerfen und diese sie auffangen. Auf solche Weise vergnügt man sich bis zum Anbruch des Abends, worauf der nationale Horatanz zu seinem Rechte kommt.
Phot. Th. Jürgensen, Kiel.
Abb. 433. Tanz der Ewzonen.
Um Weihnachten herum ziehen die Kinder in Griechenland von Haus zu Haus, singen Weihnachtslieder und heimsen dafür allerlei Leckerbissen, wie getrocknete Früchte, Nüsse, Oliven und Eier, ein. In Rumänien gehen sie dabei in ähnlicher Vermummung, wie bei uns an dem Feste der heiligen Drei Könige (Abb. 439). Da während der Adventszeit streng gefastet wird, so tut man sich am Heiligen Abend überall besonders gütlich. — Die Zeit der Zwölften wird in Griechenland besonders gefürchtet, denn in diesen Tagen oder, richtiger gesagt, Nächten steigen nach dem Volksglauben die längst verschwundenen heidnischen Götter wieder aus ihrer Versenkung empor, aber nicht in ihrer einstigen schönen Gestalt, sondern in der abergläubischen Einbildungskraft des Volkes zu tückischen Unholden verzerrt, meistens bocksfüßigen Ungeheuern — Anklänge an den alten Vater Silen —, die in Felshöhlen und Waldschluchten hausen, nachts ihr Unwesen treiben und besonders den Frauen nachstellen. Ganz gefährlich sind sie jungen Müttern; ein Kind, das in der Zeit der Zwölf Nächte geboren wird, ist ihnen rettungslos verfallen, es muß sein ganzes Leben lang nachtwandeln und nach dem Tode „umgehen“. Das Aussprechen eines Heiligennamens oder das Hersagen eines frommen Spruches, auch das Hinhalten eines Kreuzes zur rechten Zeit schlägt die bösen Mächte in die Flucht. Daher erblickt man auch an allen griechischen Haustüren große weiße Kreuze, und am Weihnachtsmorgen segnet der Priester feierlich jede Türschwelle, beräuchert sie und besprengt sie mit Weihwasser. Mit dem Morgen des 6. Januar aber ist die Macht der Unholde für ein Jahr wieder einmal endgültig gebrochen; der dritte Hahnenschrei scheucht alle Dämonen in die ewige Finsternis zurück.
Abb. 434. Griechin (Athen)
in der Landestracht.
Am Sankt-Basilius-Abend, der unserem Silvesterabend entspricht, ziehen ganze Scharen festlich gekleideter Kinder und Burschen unter fröhlichen Gesängen durch die Straßen und tragen dabei auf Stangen zierliche, mit bunten Bändern geschmückte Reisigbündel, in deren Mitte ein Glöckchen hängt. Vor jedem Hause lassen sie dieses erklingen, singen Lieder zu Ehren des Heiligen und erwarten von der Hausfrau ein kleines Geschenk in Gestalt von Äpfeln, Nüssen, Feigen oder Eiern, wofür sie ihr ein farbiges Seidenbändchen von dem „Strauße“ einhändigen, das ihr Glück bringen soll. In dieser Nacht vergißt wohl keiner, eine Granatfrucht in den Mondschein zu legen und sie am anderen Morgen in der Kirche einsegnen zu lassen. Nach der Rückkehr aus dem Gotteshause schleudert er die Frucht kräftig zu Boden, so daß sie zerspringt, ruft dabei aus: „Möge das Haus so reich an Segen sein wie dieser Granatapfel an Samen!“ und fügt, gleichsam die Hausgeister beschwörend, hinzu: „Ihr aber, Flöhe, Wanzen, Ungeziefer und Unglück aller Art, fliehet und lasset Gesundheit, Glück und Freude herein!“ — Alles, was am ersten Tage des Jahres geschieht, wird als Vorbedeutung für dasselbe ausgelegt. In den Neujahrskuchen, von dem jedes Familienmitglied, selbst der Säugling, ein Stück erhält, bäckt man eine Münze hinein; wem sie mit seinem Stück zuteil wird, der kann auf Glück rechnen. Ein Stück des Kuchens wird für den Hausaltar, das heißt die Heiligenbilder in der Stubenecke, zurückgelegt. Ein Teil von ihm wird den Armen gegeben, die mit großen Körben bettelnd von Haus zu Haus gehen und reichlich beschenkt werden. Jeder sucht einem anderen irgendein Geschenk zu machen, und wäre es auch nur eine wertlose Haselnuß; selbst die Bettler versäumen nicht, von ihrem Almosen an andere abzugeben. Diese Gebefreudigkeit ist sicherlich als ein Rest der strenae der alten Römer zu deuten.
Wie unter allen auf niederer Kulturstufe stehengebliebenen Völkern Europas, so spielt ganz besonders auch bei den Balkanvölkern der Aberglaube noch eine große Rolle. Vor allem der Furcht vor übelgesinnten Mächten und dem bösen Blick begegnet man allenthalben. Für ganz besonders bedroht hält man, wie dies auch bei der Betrachtung anderer südeuropäischer Völker berichtet wurde, schwangere Frauen und neugeborene Kinder.
Phot. Dr. Träger.
Abb. 435. Albanierin im Brautschmuck.
In Griechenland sind es die Nereiden, die darauf ausgehen, den Frauen, die guter Hoffnung sind, und ihrer Leibesfrucht Schaden zuzufügen, unter anderem auch die Entbindung zu erschweren. Man sucht sich ihrer durch Amulette, bei denen der Jaspis eine große Rolle spielt, zu erwehren. Der Aufenthalt dieser bösen Mächte sind die Platanen oder Pappeln, auch die Quellen, weswegen eine Schwangere solche Stellen meiden muß, sich unter einem solchen Baume nicht aufhalten, neben einer Quelle sich nicht niederlegen darf. Schreitet jemand über eine Schwangere oder über ein neugeborenes Kind hinweg, so ermöglicht er den Nereiden ihre bösen Absichten, bringt jener Unglück und hindert dieses am Wachstum. Man kann dem Schaden dadurch vorbeugen, daß man sogleich wieder zurückschreitet. Der griechische Volksglaube kennt ferner noch andere bösartige Mächte in Gestalt geflügelter, häßlicher alter Weiber, die nachts durch die Lüfte ziehen, in die Häuser kommen, schlafenden Kindern das Blut aussaugen und ihnen sogar schon durch ihren Hauch schaden können. Um die Kinder gegen diese Unwesen zu schützen, legt man ihnen Jaspis in die Wiege, salbt ihnen die Stirn mit geweihtem Öl oder reibt sie mit dem Bodensatz eines Wassergefäßes ein. Gegen den nicht minder gefürchteten bösen Blick muß man das Kind und seine Umgebung ausräuchern, über dasselbe ausspucken oder die Hand mit ausgespreizten Fingern darüber halten, Knoblauch an seiner Wiege befestigen, dem Kinde ein dreieckiges, mit Salz, Kohlen und Knoblauch — diese Pflanze wird als Abwehrmittel gegen allerlei Zauber sehr geschätzt — gefülltes Amulett um den Hals hängen unter gleichzeitigem Hersagen von Verwünschungsformeln, und so fort. Natürlich darf die Wöchnerin in den ersten Wochen ihr Kind nicht aus den Augen lassen, erst recht nicht aus dem Hause gehen; ist sie zu einem Ausgang gezwungen, dann muß sie wenigstens vorher den Hausschlüssel oder einen anderen eisernen Gegenstand berühren. Man behauptet sogar, daß sie in der Zeit, wo sie durch die bösen Mächte gefährdet ist, auch anderen Leuten Unglück bringen könne; daher vermeiden Personen, die einen wirksamen Talisman zu besitzen glauben, damit in die Nähe einer Wöchnerin zu kommen, aus Furcht, derselbe könnte an seiner Kraft Einbuße erleiden. In Albanien machen in den ersten sieben Tagen nach einer Geburt die Nachbarn nachts einen gewaltigen Lärm, einmal, um die bösen Geister zu verscheuchen, und zum anderen, um Mutter und Kind am Einschlafen zu verhindern, da sie im Schlaf jenen leicht zum Opfer fallen könnten. — Außer den bösen Mächten kennt das griechische Volk auch noch wohlgesinnte Göttinnen, die Schicksalsfrauen, drei an der Zahl; sie erscheinen in der dritten Nacht nach einer Geburt, um das Schicksal des Neugeborenen zu bestimmen oder, wie der Ausdruck lautet, „das Glück des Kindes niederzuschreiben“. Man sucht sie natürlich auf alle mögliche Weise gut zu stimmen. Die Rumänen stellen zu diesem Zweck auf den Tisch unter das Heiligenbild allerlei Eßwaren für sie hin. Niemand darf dann in das Zimmer gehen, um nicht zu stören; vielmehr geht jeder in dieser Nacht, wo sie erwartet werden, möglichst frühzeitig zu Bett. Neben die Wiege des Kindes wird eine brennende Kerze gestellt. Selbst die Hofhunde werden für diese Nacht bei den Nachbarsleuten untergebracht, damit sie die Schicksalsgöttinnen durch ihr Gebell nicht verscheuchen. In Mazedonien muß sich unter den dargebrachten Eßwaren ein Honigkuchen befinden, den ein Mädchen gebacken hat, das noch beide Eltern am Leben hat. Dieser Kuchen wird am anderen Morgen an Ort und Stelle an die Hebamme und an Verwandte verteilt. Doch muß man dabei ja darauf achtgeben, daß keine Krume auf die Erde falle; sie könnte möglicherweise in die Hände von übelgesinnten Leuten geraten und Schaden bringen. Die Göttinnen schreiben das Schicksal des Kindes auf seine Stirn; irgendein auffälliges Merkmal oder eine Hautabschürfung an derselben wird als Beweis für diese Niederschrift angesehen.
Nach H. C. Seppings-Wright.
Abb. 436. Griechischer Volkstanz,
der noch heute an den Tanz der Phäaken bei Homer erinnert.
Die Taufe findet für gewöhnlich am achten oder zehnten Tage nach der Geburt, und zwar meistens an einem Sonntage statt. Dieselbe Person, die bereits bei der Eltern Hochzeit Gevatter stand, pflegt bei der Taufe ihres Kindes das gleiche Amt auszuüben. Das Verhältnis zwischen dem Kinde und seinem Paten ist ein so inniges, daß die Mitglieder der beiderseitigen Familien nicht einmal untereinander heiraten dürfen. Ebensowenig ist es gestattet, daß ein Jüngling und ein Mädchen, die denselben Paten haben, die Ehe miteinander eingehen. — Bei den Rumänen schätzt man den Tag nach der Taufe, an dem das Salböl abgewaschen wird, ebenso hoch wie den Tauftag selbst. In das Bad zur Reinigung von dem Öle pflegt man eine Münze und ein Stück Brot zu werfen, was dem Kinde Glück und Reichtum bringen soll, desgleichen Basilikumkraut, um es begehrenswert zu machen.
Die Werbe- und Hochzeitsgebräuche sind bei allen Balkanvölkern ziemlich dieselben, was nicht wundernehmen wird, da sie alle jahrhundertelang unter der gemeinsamen Herrschaft der Türken gestanden haben. Vor Eingehung der Ehe wird im allgemeinen die materielle Frage erörtert, was indessen nicht ausschließt, daß gelegentlich auch Neigungsheiraten vorkommen. Für gewöhnlich bedient man sich eines Vermittlers, der die wichtige Frage der Mitgift zu regeln hat. Sind die Eltern nicht imstande, alle Kosten zu tragen, so nehmen wohl auch die Brüder des Mädchens einen Teil derselben auf sich. Im allgemeinen bleiben die Söhne so lange ledig, bis alle Schwestern unter die Haube gekommen sind, zumal wenn keine großen Altersunterschiede zwischen Söhnen und Töchtern bestehen. Außerdem ist es Sitte, daß die Töchter der Reihe nach verheiratet werden, so daß eine jüngere keine Ehe eingehen darf, bevor nicht die älteren versorgt sind. Bei der Verlobung werden Ringe zwischen den beiden jungen Leuten gewechselt, während die anwesenden Bekannten sie mit wohlriechenden Blüten des Mandelbaumes überschütten und ihnen eine recht baldige „Krönung“ (das heißt Trauung) wünschen. Erfrischungen werden herumgereicht, in manchen Gegenden wird auch ein festliches Mahl eingenommen. Auf Korfu besteht die Sitte, daß ein junges Mädchen, das verlobt ist, fortan eine Menge falscher Haare anlegt, die zu beiden Seiten des Gesichts aufgetufft und mit Streifen von rotem Stoff durchflochten werden. Diese unechten Haare werden später das ganze Leben lang getragen und vererben sich von einem Geschlecht auf das andere. — In Griechenland findet sich vielfach noch die Sitte des Kinderverlöbnisses (siehe die Kunstbeilage).
Verlag Benziger & Co. A.-G., Einsiedeln.
Aus: Netzhammer, Rumänien.
Abb. 437. Rumänische Beerdigung.
Mit Genehmigung der Photogr. Gesellschaft, Steglitz-Berlin.
Kinderverlöbnis in Griechenland.
Nach dem Gemälde von N. Gysis.
Abb. 438. Siebenbürger Rumänin aus dem Komitat Gorgény in der Landestracht.
Zu Berlad in Rumänien findet im Frühling immer noch ein richtiger Heiratsmarkt statt, zu dem Mädchen armer Herkunft von ihren Eltern gebracht werden, um einen Freier zu finden. Die Männer, die sich dort einfinden, gehören auch den ärmeren Klassen an, sie müssen aber, falls sie eine Wahl treffen, den künftigen Schwiegereltern den Nachweis erbringen, daß sie eine Frau unterhalten können; auch erfordert es die gute Sitte, daß die Schwiegermutter zur Bekräftigung der getroffenen Abmachung ein kleines Geldgeschenk von ihnen erhält.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 439. Der Weihnachtstern (Rumänien).
Zwischen Weihnachten und Erscheinungsfest pflegen Knaben mit ihrem „Stern“ am Abend von Haus zu Haus zu gehen und Weihnachtslieder zu singen. Dieser Stern ist aus Holz angefertigt, mit buntem Papier sowie Goldflitter beklebt und mit Papierkrausen und Glöckchen behängt. Das Mittelstück bildet eine Darstellung der Jungfrau Maria mit dem Kinde auf durchscheinendem Papier, das durch ein dahinter angebrachtes Licht beleuchtet wird.
Die Hochzeit findet bei dem griechischen Volke für gewöhnlich an einem Sonntag statt, doch beginnen die Hochzeitsfeierlichkeiten bereits drei, bei den Bewohnern des südlichen Mazedoniens sogar schon acht Tage vorher. Hier wird nämlich am vorausgehenden Sonntag dem Bräutigam feierlich eine Abschrift des Ehevertrags übersandt, der seiner Verlobten dafür einige bescheidene Geschenke überbringen läßt, wie Süßigkeiten, Henna, Schminke und dergleichen, sowie für die Schwiegereltern einen Krug Wein. Während der folgenden vier Tage beschäftigt man sich mit dem Backen des Hochzeitskuchens. Am Freitag werden die Geschenke, die meistens in nützlichen Haushaltsgegenständen bestehen, im Zuge durch die Straßen getragen. Am Samstag fertigt man bei den Rumänen den Brautkranz an; auch pflegt man in Griechenland dann bereits die Braut für den folgenden Tag anzuputzen (Abb. 440). An manchen Orten trägt die Braut auch schon an diesem Vortage den Kranz, wenn der Bräutigam sie besucht. Bei der Ankunft tritt der Brautführer vor und sagt einen artigen Vers auf die Braut. Diese, die ein Gefäß mit Wasser und den Hochzeitskuchen neben sich stehen hat, besprengt zum Scherz die jungen Leute und verteilt an sie von dem Kuchen. Darauf begibt sich der Bräutigam noch einmal nach Hause und übersendet der Braut seine Geschenke, unter denen nie die Gewänder für den nächsten Tag fehlen einschließlich des Schleiers, der Goldschnüre und Blumen. An manchen Orten werden die Hochzeitsgeschenke erst am Samstag in feierlichem Zuge nach dem Hause des Bräutigams geschafft; beim Verlassen des Hauses und bei der Ankunft im neuen Heim werden Flintenschüsse abgegeben. Der nächste Tag ist der eigentliche Hochzeitstag. Die Braut wird von den Brautjungfern angezogen und geschmückt, die ihr auch das Haar kämmen und Orangenblüten hineinflechten sowie lange, bis an die Knie reichende Goldschnüre, für gewöhnlich auch heimlich eine silberne Münze, damit sie sich nie in Geldnot befinde; den Schluß bildet die Anlegung des Schleiers. Bei den Mazedoniern nimmt die Braut hierauf in einem Winkel des Zimmers, der besonders schön ausgeputzt ist, Platz, um ihren Bräutigam zu erwarten. Beim Verlassen des Hauses wird von der Mutter vor diesem und seinen Freunden ein Gefäß mit Wasser ausgegossen, auch ein Gürtel über den Weg gelegt, über den er hinwegschreiten muß. Auf dem Weg nach dem Brauthause wird von den Begleitern gesungen. — Einen wichtigen Bestandteil der Trauung bildet die sogenannte Kranzzeremonie oder die Krönung. Zwei kronenartige Kränze (Abb. 441) von Blumen oder Metall werden Braut und Bräutigam mit Hilfe der Trauzeugen aufs Haupt gesetzt und auf ein gegebenes Zeichen gewechselt. Darauf vereinigt der Priester die Hände des jungen Paares und ihrer Zeugen, und alle gehen dreimal um den Altar herum. Dabei stimmt der Geistliche einen besonderen Gesang, „Jesaias tanzt“, an, während dessen alle Anwesenden die jungen Eheleute mit Süßigkeiten, Weintrauben und Haselnüssen überschütten.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 440. Griechische Braut vom Lande (Gegend von Mandra).
Der Putz ist sehr wertvoll durch die zu ihm verwendeten Münzen und die reiche Goldstickerei am Leibchen.
Nach der Trauung begibt sich alles in das neue Heim (Abb. 443). Hier wird die junge Frau bei den Rumänen von der neuen Schwiegermutter mit Salz und Brot, manchmal auch mit Honig und Butter bewillkommt. Bei den Griechen Mazedoniens empfangen die Mutter des Bräutigams und der Vater der Braut, die der Trauung nicht beigewohnt haben, das junge Paar und bewerfen es mit Zuckerpflaumen, Reis, Baumwollsamen, Gerste und auch Geld, das sich die Kinder, die dann nie fehlen, aufsammeln. Wenn die junge Frau ihr neues Heim betritt, muß sie erst über eine Pflugschar, die auf der Schwelle liegt, schreiten. Bei den Griechen ist es Sitte, daß sie bei ihrer Ankunft viermal über den Rücken des Maultieres, auf dem sie geritten ist, gehoben und dann rückwärts vor die verschlossene Haustür geführt wird. Auf deren Mitte muß sie eine Stelle mit Honig bestreichen, darauf wieder ein paar Schritte zurückgehen und einen Granatapfel gegen die Tür werfen, bis er bricht. Es gilt für eine gute Vorbedeutung, wenn aller Same am Honig hängen bleibt. Jetzt öffnet der junge Ehemann endlich die Tür und bietet seiner angetrauten Gattin ein Stück Brot mit etwas Salz an; diese tupft das Brot in das Salz und ißt davon. Bevor sie aber das Haus endgültig betritt, muß sie erst noch Wasser und Öl berühren. Nach diesem allen hebt der Gatte sie über die Türschwelle und setzt sie in eine Ecke mit dem Rücken gegen die Wand, worauf ihre ganze Aussteuer und alle anderen Geschenke vor ihr aufgebaut werden. Dort muß sie ruhig sitzen bleiben, ohne zu sprechen oder sich zu bewegen, während der Gatte und seine Freunde schmausen. Am nächsten oder an einem der folgenden Tage muß sie sich mit ihren Freundinnen zu der nächsten Wasserquelle begeben und ein Gefäß mit Wasser füllen, um die Najaden der Quelle zu versöhnen, auch eine Münze in diese fallen lassen. Bei ihrer Rückkehr gießt sie ihrem Gatten etwas Wasser über die Hände und erhält von ihm gewöhnlich ein kleines Geschenk.
Phot. C. Chusseau-Flaviens.
Abb. 441. Rumänisches Brautpaar in der Landestracht.
Vor den Brautleuten liegen die Kronen, die man ihnen bei der Trauung aufs Haupt setzt. Die bei der Feier verwendeten, mit Blumen verzierten Kerzen werden von dem jungen Paare das ganze Leben lang aufbewahrt.
Die Hochzeitszeremonien der Türken ähneln im allgemeinen denen der Moslems, über die an anderer Stelle dieses Werkes bereits berichtet wurde. Die Heirat wird meistens durch alte Frauen vermittelt, die von Harem zu Harem ziehen, um mit Gebrauchsgegenständen für das weibliche Geschlecht Handel zu treiben, dabei aber auch nach geeigneten Personen, die sie verkuppeln könnten, Umschau halten. Ist ein Paar, das zusammenzupassen scheint, von einer solchen Frau ausfindig gemacht worden, dann werden Geschenke zwischen den beiden Parteien ausgetauscht. Die Mutter des jungen Mannes sucht daraufhin das Haus ihrer zukünftigen Schwiegertochter auf und bringt rote Seide sowie einige Zuckerpflaumen mit. Nachdem die Seide auf der Erde ausgebreitet worden ist, tritt das junge Mädchen darauf und küßt seiner demnächstigen Schwiegermutter die Hand, die ihm darauf den Segen erteilt und einige Süßigkeiten überreicht. Ein Stück von diesen beißt das Mädchen entzwei und behält die eine Hälfte für sich, während sie die andere der Mutter ihres zukünftigen Gatten für diesen mitgibt. — Die bürgerliche Trauung findet acht Tage nach diesem Verlöbnis statt. Nachdem der Ehevertrag vollzogen und unterschrieben worden ist, erklärt der junge Mann vor dem Imam, dem türkischen Priester, dreimal seinen Willen, mit dem jungen Mädchen die Ehe einzugehen; die Verlobte gibt eine entsprechende Erklärung ab, wobei sie aber hinter der Tür des Frauengemaches steht. Vor dem Schluß der Hochzeitsfeierlichkeiten, die sich oft genug über einige Wochen und selbst Monate erstrecken, dürfen sich die beiden jungen Eheleute nicht sehen.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 442. Teilnehmer an einem Tanz
am Pamagiriatage, einem kirchlichen Fest (Gegend von Mandra).
Phot. C. Chusseau-Flaviens.
Abb. 443. Gäste von einer rumänischen Hochzeit
im Ochsengefährt auf dem Wege von der Kirche.
Die eigentliche Hochzeit beginnt in der Regel an einem Montag; an diesem Tage nämlich senden die Brauteltern die Ausstattung in das künftige Heim ihrer Tochter. Am folgenden Tage wird die Braut durch ihre Freundinnen ins Bad geleitet. Am Mittwoch empfängt ihre Mutter die weiblichen Verwandten des Schwiegersohnes und stellt ihnen ihre Tochter vor. Diese küßt ihrer Schwiegermutter die Hände und nimmt neben ihr Platz. Eine ältere Frau steckt letzterer ein Stück Zucker in den Mund und reicht es darauf der Schwiegertochter als Sinnbild der angenehmen Beziehungen zwischen beiden. Darauf verabschieden sich die Verwandten und gehen nach Hause, kehren aber gegen Abend noch einmal zurück, um der Zeremonie des Hennafärbens beizuwohnen, die unter großer Feierlichkeit mit Musikbegleitung vorgenommen wird. Am Donnerstag begibt sich die junge Frau in die Wohnung ihres Gatten; beim Verlassen des Elternhauses legt ihr der Vater einen Gürtel um, während er wie auch die Mutter über das Scheiden der Tochter Tränen vergießen. Bei ihrer Ankunft begrüßt der junge Ehemann seine Braut, zieht sich dann aber in die Männergemächer zurück, währenddessen die Frauen die Brautgeschenke besichtigen; darauf begibt er sich in die Moschee. Erst nach dem fünften Gebet darf er den Harem betreten und seine Frau zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht sehen, nachdem zuvor eine alte Frau ihr den Schleier abgenommen hat. Ehe diese sich zurückzieht und das junge Paar allein läßt, hat sie noch eine eigentümliche Zeremonie vorzunehmen, nämlich den beiden Eheleuten einen Spiegel vorzuhalten und gleichzeitig deren Köpfe gegeneinander zu halten, so daß ihre Bilder im Spiegel dicht nebeneinander erscheinen. Mit dem Tage der Hochzeit hört für die junge Frau fast jeglicher Verkehr mit der Außenwelt auf; der Mann kann ihr verbieten, die eheliche Wohnung ohne seine Erlaubnis zu verlassen, ebenso ihr den Empfang von fremden Frauen in ihrem eigenen Hause untersagen. Auch die Erziehung der Kinder steht dem Vater zu, doch hat die Mutter das Recht, Knaben bis zum siebenten und Mädchen bis zum neunten Jahre zu beaufsichtigen und zu pflegen. Die Frau ist verpflichtet, ihrem Mann überallhin zu folgen, sofern der neue Wohnsitz nicht weiter als drei Tagereisen entfernt ist. Wenn ein Mann mit mehreren Frauen verheiratet ist — der Koran erlaubt deren bis vier, indessen wird nur in den seltensten Fällen von dieser Vergünstigung Gebrauch gemacht; gegen neunzig Prozent der Türken leben in Einehe —, so muß er alle gleich behandeln, gleichviel wie lange die Ehe mit den einzelnen Frauen besteht oder ob diese Mohammedanerinnen, Christinnen oder Jüdinnen sind. Der Gatte setzt selbständig die Zeit fest, die er bei jeder seiner Frauen zubringt; er darf aber keine von ihnen besonders bevorzugen und bei keiner über die festgesetzte Zeit hinaus verweilen. Geht er auf Reisen, so darf er sich nach Belieben von einer seiner Frauen begleiten lassen, ohne daß die zurückbleibenden berechtigt wären, dies als Zurücksetzung aufzufassen.
Phot. The Illustrations Bureau.
Abb. 444. Vom Begräbnis eines Patriarchen.
Der Tote wird in vollem Ornat durch die Straßen getragen. Andere Verstorbene bringt man im offenen Sarge, das Gesicht unverhüllt, zum Friedhof.
Die Begräbnisgebräuche der Griechen sind im großen und ganzen dieselben wie sie bei den slawischen Völkern geschildert wurden. Die Beerdigung findet meist schon ein bis zwei Tage nach dem Tode statt. In dem Augenblick, wo die Leiche das Haus verläßt, wird ein Krug mit Wasser ausgegossen. In Mazedonien tut man dies auch, wenn ein Leichenzug bei einem Hause vorüberkommt; dabei ruft man aus: „Möge Gott ihm seine Sünden vergeben, damit sie uns nicht erreichen.“ Offenbar handelt es sich bei diesem Brauch um eine Abwehrmaßnahme. Bei den Rumänen (Abb. 437) erfordert es die Sitte, daß, wenn jemand im Sterben liegt, man ihm eine Wachskerze in die Hand gibt; ist er selbst nicht mehr imstande, sie zu halten, dann muß ein Verwandter oder Freund ihm diesen Liebesdienst erweisen. Die Leiche wird mit heißem Wasser gewaschen. Das Leichenwasser darf aber nicht achtlos fortgeschüttet werden; man muß es vielmehr sorgfältig an einem Baum ausgießen und die Stelle mit dem Gefäß bedecken, in dem es gekocht wurde. Es gilt für Sünde, über eine solche Stelle hinwegzuschreiten. — In Griechenland trägt man die Leiche offen ohne Sargdeckel zum Friedhof; der Deckel wird dem Sarge aufrecht vorangetragen (Abb. 444). Bei den Griechen und Albaniern werden die Knochen einige Zeit nach dem Tode, im allgemeinen aber nach drei Jahren, ausgegraben und in kleineren Särgen von neuem beigesetzt. Stirbt ein Albanier im Ausland, so werden seine Gebeine in die Heimat übergeführt, wenigstens aber, wenn das Zurückbringen der ganzen Leiche Schwierigkeiten macht, einige wenige Knochen. Auch Seelensabbate sind den Griechen bekannt, an denen die Kirche feierliche Gedenkgottesdienste veranstaltet; sie finden am Pfingstsamstag statt. An diesem Tage begibt sich die ganze Bevölkerung in großen Scharen zu den Friedhöfen, um zu beten. Das türkische Begräbnis erfolgt nach mohammedanischer Sitte. Die nur mit einem Tuch bedeckte Leiche wird auf einem Brett zur Grabstätte getragen.
Phot. F. Hedges Butler.
Abb. 445. Lappenniederlassung.
Jedes Dorf enthält auch ein Dampfbad, wo die ganze Familie badet; nach dem heißen Bade wälzt man sich zur Abhärtung im Schnee.