Den Teil des Schwarzen Erdteils, der sich südlich von der großen Wüste Sahara ausbreitet und von den Quellen des Nils bis zum Oberlauf des Nigers reicht, bezeichnet die Wissenschaft als Sudan. Aus praktischen Gründen teilt sie dieses weite Gebiet in drei Abschnitte ein: in den Ost-, Zentral- und Westsudan. Die Bevölkerung des Sudans bildeten ursprünglich wohl die nach ihm benannten Neger, aber frühzeitig lagerten sich über diese Urschicht hamitische Elemente, die von Norden und von Osten her mehr und mehr vordrangen und allmählich bis an die Westküste Afrikas gelangten. Zu den Völkerschaften des Sudans zählen, wenn wir im Osten anfangen, die verschiedenen nilotischen Stämme, wie Schuli, Dinka, Schilluk, Djur, Naër, Bari und andere mehr, die durch ihre tiefdunkle Haut auffallen, sowie die bei weitem helleren Mangbattu (Monbuttu) und Niam-Niam (A-Sandeh). Ihnen reihen sich weiter westwärts im Zentralsudan die Bewohner von Darfur, Wadai, Baghirmi, Bornu und Kanem, ferner die Musgu und die Leute der Haussastaaten an. Bei den noch weiter westwärts folgenden Negern des Westsudans treffen wir bereits auf alte Bekannte, wie die Mandingo, Woluffen, Kru, Wei und so weiter. Da wir uns mit ihnen bereits in dem Abschnitte Westafrika beschäftigt haben, so wollen wir an dieser Stelle von ihnen absehen. Auch die Bewohner der Haussaländer haben wir bereits mehrfach berührt, daher können wir uns über sie kürzer fassen.
Bereits in der Vorzeit scheinen hamitische beziehungsweise berberische Stämme in den Sudan vorgedrungen zu sein; in der geschichtlichen Zeit waren es vor allem zwei große Völkerstämme, die von Einfluß waren: die Haussa und die Fulbe. Die ersteren begründeten im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung mächtige Staaten, die letzteren ein Jahrhundert später ebenfalls ein starkes Reich, aber beider Schöpfungen sind längst untergegangen, seitdem die Europäer von diesen Gebieten Besitz ergriffen haben.
Diese verschiedenen Einwanderungen fremder Elemente in die von den Sudannegern ursprünglich bewohnten Gebiete haben der Bevölkerung ihren Stempel natürlich auch in anthropologischer Hinsicht aufgedrückt; durchweg ist ein hamitischer Einschlag nicht wegzuleugnen, bei dem einen Volke tritt er mehr, bei dem anderen weniger in die Erscheinung. Am meisten verraten das hamitische Blut die Neger des Ostsudans. Im besonderen zeichnen sich diese Stämme vor den Schwarzen des Zentralsudans durch ihre große, schlanke Gestalt, hageren, aber dabei doch muskulösen Körperbau, sehr dunkle, tiefbraune, bis ins Schwärzliche gehende Haut, mehr gekräuseltes als wolliges Kopfhaar aus. Eine ihnen eigentümliche Erscheinung ist ihre seltsame Körperhaltung, die als Anpassung an ihre Umgebung zu erklären ist. Diese langbeinigen Gestalten pflegen nämlich stundenlang auf einem Beine zu verharren, wobei das andere im Winkel gegen das Standbein gebogen gehalten wird, so daß die Fußsohle das Knie desselben berührt (Abb. 84). Diese Stellung erinnert an die der Sumpfvögel, weswegen man diese Stämme auch als Sumpfneger bezeichnet hat.
Aus „Die Hamburger Woche“.
Abb. 84. Äthiopier in der für sie bezeichnenden Ruhestellung.
Sie stehen dabei auf einem Bein und halten das andere im Winkel gebogen dagegen.
Die Bekleidung der Niloten ist durchweg eine recht bescheidene. Unter den Männern bildet Nacktheit die Regel, die Frauen behängen sich ihre Hüften meistens mit einem gegerbten Fell oder auch mit einem Blätterbüschel. Bei verschiedenen Stämmen sind als Kleidungstück Tierschwänze beliebt, die man vom Hüftband über das Gesäß herabhängen läßt. Auch künstliche Anhängsel bindet man sich um, die an Pferdeschwänze erinnern, aus feinen Bindfäden hergestellt und mit Ocker rot gefärbt sind. Manchmal haben diese Schwänze eine solche Länge, daß sie hinterherschleifen. — Als Schmuck werden Ringe um die Arme und Beine (Abb. 85) sowie in den Ohren und Lippen getragen, um den Hals Ketten aus Muscheln, Nashornzähnen und anderem mehr. Manchmal sind die Beinringe von einem solchen Gewicht, daß die Leute sich kaum fortbewegen können. Die Armringe laufen bei einigen Stämmen in scharfe Stacheln aus und werben daher gleichzeitig als Waffe (Schlagring) benutzt. Ohrschmuck wird auch getragen, doch werden die Ohrläppchen niemals durch Hineinzwängen größerer Gegenstände verlängert. Dagegen kommen wohl Vergrößerungen der Lippen durch Holzscheiben (Abb. 86) vor. Auch finden wir verschiedentlich Durchbohrungen der Nasenscheidewand und Hineinstecken von kleinen Stäbchen, namentlich Quarzstiften.
Phot. F. Spire.
Abb. 85. Ein Krieger der Acholi,
eines Stammes im Norden des Viktorianils, der einen Schillukdialekt spricht. Bemerkenswert sind die Einschnürungen an Rumpf und Oberarm.
Phot. H. Headlam.
Abb. 86. Dinkafrau vom Stamme der Jar
mit Lippenpflock und zahlreichen Ringen im Ohrrande.
Von sonstigen Körperverunstaltungen seien noch das Herausschlagen der Schneidezähne sowie das Anbringen von Narben (Abb. 93 und 103) erwähnt. Diese Tatauierungsmuster sind oft ganz geschmackvoll und in ihrer Anordnung sehr gefällig. Die Narben dienen verschiedentlich zur Bezeichnung der Stammeszugehörigkeit (bei den Dinka im besonderen Gesichtsnarben). Die Schuli bemalen sich das Gesicht mit rötlicher und grauer Farbe. — Besondere Fürsorge widmen die Nilbewohner des Ostsudans ihrem Haar. Man begegnet bei einzelnen Stämmen den drolligsten Frisuren, die sie dadurch zustande bringen, daß sie sich das Kopfhaar mit Ton, Kuhmist und Gummi einreiben, so daß eine zusammenhaltende Masse entsteht, die sich in die verschiedensten Formen gleichsam pressen läßt. Die Dinka (Abb. 87) zum Beispiel lassen ihr Haar in kleinen Büscheln wie Strahlen allseitig vom Kopfe abstehen, scheren sich aber auch wohl den Kopf bis auf eine stehenbleibende Locke über der Stirn. Ganz kunstvoll verfahren mit ihrer Frisur die Latuka. Jeder ihrer Stämme hat seine eigene wechselnde Mode, doch stimmen alle darin überein, daß sie ihr Haar nach Art eines Helmes (Abb. 88) formen. Verschiedene Jahre sind erforderlich, um diese Frisur zur höchsten Vollendung zu bringen. Sie verflechten ihr dichtes wolliges Haar mit feinem Bindfaden, bis es einer dicken Filzmatte ähnelt, die dann zu einem Helm geformt wird. Der Rand wird mit Garn zusammengenäht und bildet einen dicken Reifen. Ein Stück polierten Kupferblechs in Gestalt einer halben Bischofsmütze wird vorn kronenartig aufgesetzt. Ist der Besitzer reich genug, so benäht er das Ganze noch mit blauen und roten Perlen, die er so hübsch verteilt, daß der ganze Helm wie aus Perlen zusammengesetzt erscheint. Die kupferne Krone wird schließlich noch mit Straußenfedern besetzt und der Rand mit einer Reihe Kaurimuscheln bestickt, so daß dieser kunstvolle Aufbau in der Tat einen höchst würdevollen Eindruck hervorruft. Die Frauen der Latuka tragen das Haar merkwürdigerweise kurz.
Phot. H. Headlam.
Abb. 87. Ein Dinka,
der sich für die Nacht den Kopf mit Holzasche eingerieben hat, um sich gegen die Moskitos zu schützen.
Die nilotischen Stämme leben in walzenförmigen, sich nach oben zu wie ein Kegel verlängernden Hütten, die aus Geflecht und Lehm, manchmal nur aus letzterem aufgebaut sind und ein Grasdach (Abb. 89) tragen. Der Eingang zu ihnen ist oft so niedrig, daß man nur auf allen vieren hineingelangen kann. Die Hütten der Latuka ähneln in ihrer Form Glocken oder, richtiger gesagt, großen Kerzenauslöschern. Ihre Mauern sind nur etwa zweieinhalb Fuß hoch, dafür aber erhebt sich über ihnen das Dach bis zu mehr als zwanzig Fuß Höhe. Die Barihütten (Abb. 91) sind sehr sorgfältig gebaut, schön verputzt und stets von einem kleinen Hofe umgeben, dessen Boden mit einem lehmartigen festen Gemenge aus Ameisenhaufen, Kuhmist und Asche belegt wird. Die Acholi bauen Hütten, deren Dach bis auf die Erde reicht. Die Innenwände werden von ihnen mit Zeichnungen in Rot, Weiß und Hellgrau bemalt; diese Zeichnungen stellen entweder geometrische Muster oder herkömmliche Figuren von Menschen und Tieren dar; ganz eigenartig sind ihre Schlafhütten (Abb. 90).
Phot. Jennings Bramley.
Abb. 88. Latukakrieger mit eigenartiger Haartracht,
die die Form eines Helms hat und vielfach noch mit Federn verziert wird.
Die meisten Niloten sind in ihrer Hauptbeschäftigung Hirten und verfügen über stattliche Herden; besonders bei den Dinka stellen diese einen großen Reichtum dar. Die Latuka erbauen in der Nähe ihrer Viehkrale hohe Plattformen (Abbild. 92), von denen aus sie eine weite Umschau halten können, damit sie beizeiten den Feind bemerken, der etwa einen räuberischen Überfall auf ihre Herden plant. Vieh gilt allgemein als Münze, und der Wunsch, sich die Herden des Nachbarn anzueignen, gehört gleichsam zur Tagesordnung und ist die Ursache der häufigen Raubzüge der einzelnen Stämme, die ihre Kriegführung ausmachen; die Dinka bekämpfen sich besonders auch untereinander. — Beim Umherziehen bedienen sich die Frauen der Araberstämme der Sänften (Abb. 95 und 96), die mitunter recht kostbar sind. Die Baggara reisen auch auf Ochsen (Abb. 108).
Phot. G. H. Morhig.
Abb. 89. Hütte der Dinka zu Lao, Bahr-el-Ghazal.
Die Dinkahütten sind walzenförmig, aus Flechtwerk und Lehm hergestellt und mit Gras oder ähnlichem pflanzlichen Material gedeckt. In Gegenden, die durch Überschwemmungen zu leiden haben, stehen sie auf Pfählen.
Phot. F. Spire.
Abb. 90. Eine Schlafstätte der Acholi.
Ein Bewohner verläßt dieselbe gerade durch eine kleine Öffnung.
Als Waffen benutzt man hauptsächlich Speere und Schilde (Abb. 94), die bei den Acholi mit kleinen Messingknäufen in gleichmäßigen Abständen beschlagen sind. Auch die Speere weisen oft genug feinere Arbeit auf, ebenso die Pfeile. Denn auch Bogen und Pfeil gehören bei einzelnen Stämmen zu den Angriffswaffen. Die Dinka und Schilluk besitzen lange Stöcke, die sie wie Keulen schwingen. Die Bari (Abb. 97 und 98) sind vorzügliche Krieger; schon die Knaben üben sich im Gebrauch von Bogen und Pfeil und erreichen auf diese Weise beizeiten große Geschicklichkeit im Kriegshandwerk. Neben der Viehzucht befassen sich die nilotischen Stämme auch mit dem Anbau von Feldfrüchten, vor allem von Durra; bei einzelnen Stämmen macht der Ackerbau sogar die Hauptbeschäftigung aus. Andere geben sich mit Jagd und Fischfang ab. Die Bari liegen mit Vorliebe der Jagd auf Flußpferde ob, denen sie von ihren Flößen aus beizukommen suchen.
Die Dinka sind bei weitem die zahlreichsten der Nilanwohner, und trotzdem haben sie es bisher nicht fertiggebracht, sich zu einer Nation zusammenzuschließen. Die zahlreichen Stämme, die sich Jieng (daher das arabische Dinkawi, das wieder zu Dinka verenglischt worden ist) nennen, haben nie ein höheres Haupt anerkannt, wie dies zum Beispiel die Schilluk getan haben, sind auch niemals zwangsweise von einem militärischen Machthaber vereinigt worden. Jede Gemeinde regiert sich selbst unter der Führerschaft eines Häuptlings, der, in erster Linie geistiger Führer, das Dorf mit Hilfe der Ältesten leitet. Meistens pflegt in jeder Gemeinde der angestammte Regenmacher diese wichtigste Person zu sein; seinen Rat holt man bei jeglicher Gelegenheit ein, sein Wunsch ist für jedermann Befehl. Nach dem Glauben der Dinka birgt jeder Regenmacher den Geist eines großen Regenmacherahnen in sich. Ein solcher Mann besitzt, wie gesagt, große Macht in der Gemeinde; bei allen wichtigen Fragen wird sein Rat eingeholt, denn dadurch, daß er den Geist eines großen Ahnen in sich trägt, ist er weitsehender und klüger als andere Menschen. Zu alt läßt man die Regenmacher nicht werden, denn würden sie an Altersschwäche oder an einer schleichenden Krankheit sterben, so hätte das Volk darunter zu leiden; es würden Hungersnöte sich einstellen, die Herden sich vermindern, die Leute krank werden und sonstiges Unglück sich einstellen. Daher schützen gewisse Dinkastämme ihren Regenmacher auch nicht vor gewaltsamem Tod oder Beteiligung am Kampf. Sollte er bei einer solchen Gelegenheit sein Leben einbüßen, so würde sein Ahnengeist sofort auf einen geeigneten Nachfolger übergehen. Fühlt ein Regenmacher, daß er alt und gebrechlich wird, dann sagt er seinen Leuten, es sei für ihn jetzt an der Zeit zu sterben. Darauf graben sie ihm ein großes Grab, in das er sich legt. In dem Grabe verharrt er viele Stunden lang, ohne Speise und Trank zu sich zu nehmen; seine Angehörigen, Verwandten und Freunde versammeln sich um ihn, und er erzählt ihnen von der vergangenen Geschichte des Stammes und von seinem Wirken und gibt ihnen Ratschläge für die Zukunft. Hat er dann alles, was er auf dem Herzen hatte, vorgebracht, so deckt man ihn mit Erde zu und erstickt ihn dadurch. Von einem Stamme wird berichtet, daß sie ihren Regenmacher in seinem eigenen Hause erwürgt hätten; nachdem hierauf das Grab fertiggestellt war, hätten sie die Leiche gewaschen, einen Ochsen getötet, ihm die Haut abgezogen, das Grab mit ihr ausgelegt und schließlich den Toten beigesetzt. — Von einigen Stämmen heißt es, daß sie zusammen mit ihrem Regenmacher sogar einen Ochsen begrüben. Allgemein scheint aber üblich zu sein, daß man etwas Milch auf sein Grab sprengt und irgendeinen Gebrauchsgegenstand mit hineinlegt.
Phot. F. Spire.
Abb. 91. Ein Dorf der Bari
auf dem hügligen Gelände längs der Ufer des Weißen Nils. Dasselbe ist von einem Lattenzaun umgeben.
Phot. F. Spire.
Abb. 92. Ein Wachtturm der Latuka,
von dem aus sie weit ins Land hinein Umschau halten.
Phot. Jennings Bramley.
Abb. 93. Ein Latukamann
mit Narbenverzierung (Keloidbildung) auf dem Rücken.
Die Schilluk dagegen stehen unter einem König. Er, seine Kinder, Enkelkinder und Urenkel stellen die Aristokratie dar; über vier Menschenalter hinaus wird königliche Abstammung nicht anerkannt. Für den König sorgt man in jeder Weise und behandelt ihn mit größter Hochachtung. Früher durfte er nicht einmal in den Krieg ziehen, und auch jetzt noch bewegt er sich nie ohne eine Leibgarde von etwa zwölf bis zwanzig Mann, die gut bewaffnet und jederzeit bereit sind, seinem leisesten Wunsch zu gehorchen. Sein Wort ist Gesetz, und die Geldstrafen, die er verhängt, werden aus guten Gründen schleunigst bezahlt. Zeugnis für den großen Einfluß, den er auf sein Volk ausübt, legt die Tatsache ab, daß der stattliche Hügel, auf dem sein Wohnhaus (Abb. 100) steht, trotz der den Schilluk angeborenen Trägheit mit größter Eile und ohne Widerspruch aufgeführt wurde. — Sobald sich an den Königen Spuren schlechter Gesundheit oder hohes Alter bemerkbar machen, fürchtet man, daß dadurch Unglück, wie Mißlingen der Ernte, allgemeine Krankheit, Schwäche des Viehs, über das Volk hereinbrechen könnte. Denn je älter und gebrechlicher ein König wird, um so mehr büßt auch der Geist seines Ahnen an Rüstigkeit ein, und man fürchtet, daß hieraus allgemeines Unglück entstehen könne. Daher tötet man den König, bevor er zu alt wird; sein Geist kann dann sofort auf eine andere, jüngere Persönlichkeit übergehen. Zu diesem Zwecke wurde in früheren Zeiten der König in eine besonders dazu hergerichtete Hütte gebracht, mit ihm eine heiratsfähige Jungfrau (man sagt eine der Töchter seines Bruders), auf deren Schoß er sein Haupt legte; darauf wurde der Eingang zur Hütte fest verschlossen und das Paar dem Hunger und Durst preisgegeben. Einige Monate später öffnete man die Hütte wieder, sammelte die Überreste der beiden in einem Fell und begrub sie in einem besonderen Grabe. Über diesem erstand eine neue Hütte, und diese wurde zu einem Götterschrein. Dieser Brauch soll vor ungefähr fünf Menschenaltern abgekommen sein, wie man sagt wegen der Qualen, die ein König erdulden mußte; dieser, der seine Gefährtin um ein paar Tage überlebte, gab der draußen versammelten Menge den Auftrag, sie dürften unter keinen Umständen seinen Nachfolger auf diese qualvolle Weise so langsam sterben lassen. Eine öffentliche Verkündigung vom Tode eines Königs scheint nicht stattgefunden zu haben; man ließ die Kunde davon ganz allmählich sich verbreiten. Während der so entstehenden Übergangszeit entschieden die mächtigsten Häuptlinge alle kleineren Angelegenheiten, während sie die wichtigeren dem neuen König vorbehielten, der von den Häuptlingen gewählt wurde. — Die Königswahl ist von zahlreichen Förmlichkeiten begleitet. Der neue König wird zunächst in ein Dorf in der Nähe der Hauptstadt Faschoda geleitet, während sich andere Häuptlinge an die nördlichen Grenzen des Reiches begeben und den Priestern eines Schreines im Akurwadorfe mitteilen, sie möchten den heiligen vierbeinigen Schemel und den Nyakang, ein roh geformtes Bildnis des Ahnherrn der Könige, haben. Wenn der Nyakang die Wahl des neuen Fürsten nicht billigt, dann wird nach dem Glauben der Schilluk sein Bildnis so schwer, daß man es nicht von dem Schrein wegnehmen kann. Ist er aber damit einverstanden, dann ziehen die Leute mit dem Schemel und dem Bildnis ab. Sobald sie bei ihrer Rückkehr mit dem neuen König und seinem Gefolge zusammentreffen, entspinnt sich ein Scheinkampf, der für jene stets glücklich abläuft. Darauf begleiten sie den König nach Faschoda. Hier wird der heilige Gegenstand, der Nyakang, in den dortigen Schrein getragen, bald darauf aber wieder herausgebracht und auf dem heiligen Schemel vor dem Eingange niedergesetzt. Der neuerwählte König hält ein Bein des Nyakang, ein vornehmer Häuptling das andere. Ein Ochse wird geschlachtet, doch genießen nur ein paar Auserwählte von seinem Fleisch. Der Nyakang wird schließlich wieder in den Schrein zurückgebracht, der König hochgehoben und auf den Schemel gesetzt; hier bleibt er eine Zeitlang sitzen, manchmal bis Sonnenuntergang, worauf man ihn zu drei neuen, für ihn besonders erbauten Hütten führt. Hier muß er drei Tage lang verharren, erst dann geleitet man ihn in aller Ruhe zu seinem königlichen Wohnort in Faschoda. Nachdem noch einmal ein Ochse getötet und verspeist worden ist, darf der König endlich zum ersten Male öffentlich erscheinen. Die drei neuen Hütten werden zerstört und ihre Bestandteile in den Fluß geworfen.
Die Bari sind in Gruppen eingeteilt, jede von ihnen besitzt einen Häuptling, der als das Oberhaupt in gemeinsamen Angelegenheiten anerkannt wird. Er ist gleichzeitig auch Regenmacher und erfreut sich großen Ansehens, solange ihm der Glaube entgegengebracht wird, daß er imstande sei, den Regen zur rechten Zeit herbeizuführen. Gelingt ihm dies aber nicht, so besteht oder bestand wenigstens früher für ihn die Möglichkeit, daß er umgebracht wurde. Die Regenmacher legen ihre Dörfer stets auf den Abhängen von ziemlich hohen Hügeln an, damit sie den Regen leichter anziehen können, denn erfahrungsgemäß schlägt sich die Feuchtigkeit aus den Wolken am ersten auf Bergen nieder. Zu Anfang dieses Jahrhunderts stand im Ruf eines Hauptregenmachers ein gewisser Ledju; ihm wurden auch noch andere Fähigkeiten zugesprochen: so glaubte man von ihm, er könne veranlassen, daß Frauen reichen Kindersegen bekämen, sobald er ein kurzes Spiel mit einem kleinen Eisenstab über ihnen vollzog. Diesen Stab bewegte er unter Zaubergemurmel über ihren Köpfen, wobei die Steine in den Kugeln an seinem Ende klapperten.
Phot. G. H. Morbig.
Abb. 94. Ein Dinkakrieger in seiner Ausrüstung,
an der der große Schild aus Elefantenhaut bemerkenswert ist.
Phot. H. A. McMichael.
Abb. 95. Eine Kamelsänfte für die Weiber der Kawahla auf dem Marsche.
In dem oberen Teil werden die Kinder untergebracht, soweit sie schon groß genug sind, um nicht mehr steter Aufsicht zu bedürfen.
Zur Vollziehung der Regenzeremonie werden von den Bari hauptsächlich ausgehöhlte Gneisblöcke benutzt, die mit einem der unter den Negern üblichen Wetzsteine Ähnlichkeit haben. Sie werden in einer kleinen Umfriedigung aufgestellt; jeder von ihnen enthält in Aushöhlungen zwei bis acht Stücke Bergkristall oder Granit von Kegel- oder Kreisform. In der Nähe der Steine steht eine größere Anzahl irdener Töpfe; schließlich werden über die hohlen Steine noch viele Eisenstäbe von verschiedener Größe und Form gelegt (Abb. 99). Die Bitte um Regen wird dem Regenmacher für gewöhnlich durch das Dorfoberhaupt und einige Dorfälteste vorgetragen; dazu bringen sie ein Geschenk mit in Gestalt von Hühnern, Schafen oder Ziegen, je nach den vorhandenen Mitteln. Eines oder mehrere dieser Tiere werden getötet und gemeinsam verzehrt, wobei die Regenmacher den Löwenanteil erhalten. Nach der Mahlzeit begeben sich die Hilfsregenmacher zur Umfriedigung, entfernen die Eisenstäbe und lehnen sie gegen eine darüber ausgespannte Schnur. Darauf waschen sie die kleinen Steine und Kristalle mit Wasser aus den Töpfen und legen sie wieder in die ausgehöhlten Steine. Jeder Gehilfe hat seine eigenen Steine, die seiner besonderen Obhut unterstellt und ihm mit Namen bekannt sind; gewöhnlich sind dies Namen früherer Regenmacher. Jetzt findet sich der Hauptregenmacher ein mit einem kleinen Topf voll Fett oder Pflanzenöl. Nachdem er niedergehockt ist, gießt er sich etwas davon in die Hände, reibt die Flächen gegen einander, nimmt die Kristalle und kleinen Steine nacheinander aus ihren Löchern und reibt sie mit Öl ein, indem er singt oder etwas vor sich hin murmelt; dies ist die Bitte um Regen für die Ernte. Er ergreift auch einen der Eisenstäbe, deutet damit in die Richtung der Regenwolke, die er anziehen möchte, und bewegt die Arme auf und nieder, wodurch er die Wolke auf sich niederzuziehen vermeint. Will sie nicht kommen, dann nimmt er den Stab wie ein Krieger, stampft damit mehrmals auf den Boden, macht heftige Gebärden und stößt mit lauter Stimme seltsame Worte aus. Die Eingeborenen setzen sehr großes Vertrauen in das Können des Regenmachers während der Regenzeit. Gelingt es ihm aber nicht, es zu rechtfertigen, dann ist unter Umständen sein Leben bedroht und er kann genötigt sein, die Gegend zu verlassen. Die Regensteine werden als etwas Heiliges angesehen und vererben sich von Geschlecht zu Geschlecht. Jeder Regenmacher besitzt auch einen geweihten Speer, der in einer besonderen Hütte aufbewahrt, aber nur herausgenommen wird, wenn ein Bündnis geschlossen werden soll. Bevor er wieder in sein Heim zurückgeführt wird, muß ein Opfer dargebracht werden. — Bei den Nuba Kordofans, die ähnliche Maßnahmen zur Erzeugung von Regen kennen, wird dieser Speer aus seinem Aufbewahrungsort herausgenommen, um das Tier zu töten, das bei der Feierlichkeit geopfert werden soll.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 96. Eine prunkvolle Kamelsänfte,
wie sie vornehme Frauen bei den Kababisch und Kawahla (beides Araberstämme im ägyptischen Sudan) zu benutzen pflegen.
Phot. Jennings Bramley.
Abb. 97. Barikrieger beim Kungutanz.
Die religiösen Verhältnisse der nilotischen Stämme sind im vorstehenden bereits gestreift worden. Es wäre darüber etwa noch folgendes nachzutragen. Die Dinka gelten für sehr religiös. Sie beten ein höchstes Wesen an unter der Bezeichnung Dengdit, das ist „großer Regen“, oder auch Nyalich, das ist „der in der Höhe“, außerdem aber eine ganze Schar von Ahnengeistern, die sie Jok nennen. Dengdit aber gilt für den obersten Gott, den Schöpfer und Erhalter der Dinge im Weltall; er ist es auch, der Regen sendet aus dem „Regenort“, wo seine besondere Heimat liegt. In den gewöhnlichen Lagen des täglichen Lebens werden jedoch die Jok häufiger angerufen als Dengdit.
Unter den Dinka steht das Totemwesen in großer Blüte. Jeder Stamm zerfällt in eine Anzahl Klane, von denen wieder jeder sein bestimmtes Totemtier, manchmal auch eine bestimmte Totempflanze besitzt. Der Klan sieht in dem Totemtier seinen Ahn, das heißt er leitet seine Abstammung von einem Menschen ab, der als Zwillingsbruder des Tieres geboren wurde. Kein Mann darf sein Totemtier verletzen, muß ihm vielmehr die höchste Ehrerbietung entgegenbringen. Wenngleich die Kinder das Totem ihres Vaters übernehmen, so achten sie doch das ihrer Mutter nicht minder hoch, und dies noch mehrere Menschenalter hindurch. So würde ein Mann, dessen Großmutter väterlicherseits eine giftige Schlange als Totemtier besaß, falls er sähe, daß jemand eine Schlange aus dieser Gattung tötete, diese aus Achtung begraben, denn sie ist der Jok (Geist) der Mutter seines Vaters. Ferner wird ein Mann niemals das Totemtier seiner Frau, und umgekehrt nie eine Frau das ihres Mannes verzehren. Über die Entstehung der Toteme sind mancherlei Geschichten im Umlauf. Die Schlangenmenschen erzählen, daß früher einmal eine Schlange in die Hütte eines Mannes gekommen sei und dort ihre Jungen zur Welt gebracht, darauf den Besitzer der Hütte angeredet und ihm gesagt habe, er dürfe weder sie noch ihre Brut verletzen und müsse, falls von anderer Seite ein Tier ihrer Art getötet würde, wie beim Tode eines Verwandten ein Trauerband aus einem Palmenblatt um sein Haupt binden. Ein anderer Mann vom Schlangentotem berichtete, daß er, wenn er einer Schlange im Walde begegnete, ihr als Zeichen der Freundschaft Staub auf den Rücken streuen würde; damit würde er die Schlange versöhnen, im Falle sie ihm böse gesinnt wäre. Sollte sie sich aber nicht besänftigen lassen und ihn etwa beißen, dann würden beide, er und die Schlange, sterben. Umgekehrt: sollte die Schlange einen Mann mit einem anderen Totem beißen, dann würde dieser wohl davon sterben, die Schlange aber am Leben bleiben. Ein Mann aus dem Löwenklan behauptete allen Ernstes, daß ihm von seiten dieses Tieres keinerlei Gefahr drohe, daß er ungestraft im Freien schlafen könne, während die Leute anderer Klane ihre Hütten vor den Angriffen der Löwen schützen müßten. Sollte ein Löwe infolge eines Splitters in der Pfote oder eines Knochens im Halse Schmerzen empfinden, dann würde er die Hütte des Mannes aufsuchen und sich durch Brüllen bemerkbar machen, um von seinen Qualen Befreiung zu finden. Andere Klane erkennen das Krokodil, den Elefanten, die Hyäne, den Fuchs, das Nilpferd und so weiter als Totem an und berichten über die Art, wie sie zu ihren Totemen gekommen sind, ähnliche Geschichten, wie wir sie oben von den Schlangen hörten. Auch Pflanzentoteme scheinen vorhanden zu sein, diese aber kommen seltener vor und haben weniger Bedeutung. Es gibt auch einen Klan, der den Fluß als sein Totem betrachtet. Als Erklärung hierfür erzählen seine Anhänger folgende Sage. Ein schönes junges Mädchen sei vor langer Zeit vom Wasser ans Ufer gebracht worden. Einige Männer, die dies beobachteten, wollten es ins Dorf bringen; sobald sie es aber anzurühren versuchten, wurde das Mädchen flüssig wie Wasser und verschwand im Flusse; es nahm auch ein Kalb mit. Dieser Klan führt alljährlich, wenn die Regenzeit vorüber ist, eine Kuh mit ihrem Kalb und einen Ochsen zum Fluß, tötet den letzteren am Ufer und wirft ihn samt der lebenden Kuh und dem Kalb als Opfergabe in den Fluß.
Phot. Jennings Bramley.
Abb. 98. Barikrieger beim Kungutanz.
Sie tragen Leopardenhäute um die Schultern, Straußenfedern in den Haaren und haben das Gesicht bemalt.
Trotz der großen Ehrfurcht, die den Totemtieren von den Dinka erwiesen wird, kann man nicht behaupten, daß sie solche regelrecht anbeten. Es scheint, daß man die Totemtiere vielfach mit den Ahnengeistern, den Jok, zusammenwirft, deren Kultus besonders entwickelt ist. Daher mag es kommen, daß man den Totemtieren gelegentlich wohl auch Opfer darbringt. In einem Dorfe befindet sich ein Schrein, der aus dem Stamm eines kleinen Baumes angefertigt und in die Erde geschlagen ist; ein Stück Wirbelsäule und die Hörner einer Ziege hängen an seinen Ästestümpfen, desgleichen ein paar Enden Tau und mehrere kleine Kürbisse, während Knochenreste vom Nilpferd am Fuß des Stammes aufgestapelt liegen. Dieser Schrein ist nach Seligmann folgendermaßen entstanden. Als vor ungefähr vier Jahren die Kinder des Dorfoberhauptes erkrankten und nicht besser wurden, erschien nach einigen Monaten der Geist des Ahnen, der die Krankheit gesandt hatte, einem Manne im Traum und forderte eine Ziege. Dieser trug dem Vater auf, er solle einen Pfosten einschlagen und einen fetten Ziegenbock opfern. Der Stamm wurde hergerichtet und ein Loch gegraben, darauf die Ziege geschlachtet und das Blut wie auch der Inhalt des Darmes in das Loch geschüttet, darauf der Pfosten in dasselbe hineingestampft. Das Fleisch der Ziege aß man, ihre Knochen mit Ausnahme der Wirbelsäule und der Hörner, die man an dem Stamme aufhängte, zerbrach man und warf sie zusammen mit einem eisernen Armband in den Fluß, weil der Vater des Ahnen, der die betreffende Krankheit geschickt hatte, der Zwillingsbruder eines bestimmten Fisches war; damit sollte er beschwichtigt werden. Nachdem noch Fleischstücke in die vier Himmelsrichtungen geworfen worden waren, wurden solche auch auf die Erde vor den Baumstamm gelegt und folgendes Gebet gesprochen: „O mein Großvater, ich habe dir ein Opfer gebracht; laß meine Kinder nicht länger krank sein.“
Phot. F. Spire.
Abb. 99. Regenmacher der Bari
mit den für die Zeremonie erforderlichen Werkzeugen (Gneisblöcken mit einigen Stücken Bergkristall oder Granit, irdenen Töpfen mit Wasser und einer großen Menge Eisenstäbe). Jeder der beiden Leute trägt außerdem einen geweihten Speer.
Eine besondere Art von Götterschrein pflegt eine Dinkawitwe zu Ehren und zur Versöhnung ihres Gatten aufzustellen. In die Erde werden ein paar Ochsenhörner eingepflanzt und über der Stelle ein kleiner runder Erdhügel geformt, aus dem die Hörner hervorragen; für gewöhnlich steckt man noch einen Stock oder einen jungen Schößling in den Hügel, hängt an den Hörnern auch wohl einen Viehstrick auf. Die Ochsen dazu stellen die Söhne; wie sie auch den Schrein selbst für die Mutter herrichten.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 100. Der Fürstensitz des Königs der Schilluk
auf einem künstlich aufgeschütteten Hügel. Der König, der sich der größten Achtung erfreut, geht nie ohne eine Leibgarde von zwölf bis zwanzig Mann aus.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb 101. Heiligtum des Nyakang,
des ersten Schillukkönigs, der zwischen dem Volk und dem höchsten Gotte, Jüok, vermittelt, um von diesem Regen und sonstige Wohltaten zu erlangen. Vor der Tür sind Elefantenzähne in die Erde gesteckt.
Ein großer und mächtiger Ahnengeist ist Lerpiu; er soll bereits seit acht Menschenaltern in dem jedesmaligen Regenmacher sich verkörpert haben und augenblicklich von Biyordit, dem Regenmacher des Vorstammes, Besitz ergriffen haben. Man betet ihn in einer Hütte an, die seinen Heiligenschrein vorstellt (Abb. 102). In ihr bewahrt man einen besonders heiligen Speer auf, und draußen am Pfosten vor ihr hat man die Hörner vieler Ochsen, die dem Lerpiu geopfert wurden, aufgehängt; hinter der Hütte endlich steht noch ein geweihter Strauch, in dem die Jok während der großen Zeremonie des Regenmachens verweilen sollen. Diese Zeremonie, die im Frühjahr, ein paar Tage nach Neumond, abgehalten wird, besteht in einem Opfer an Lerpiu, damit dieser Dengdit bewege, Regen zu senden. Zwei Ochsen werden morgens zum Schrein geführt, worauf Biyordit sie an die Pfosten bindet und sämtliche Männer, Frauen, Knaben und Mädchen unter Trommelbegleitung um den Schrein herumtanzen. Nach einiger Zeit verlassen ihn alle mit Ausnahme der alten Leute. Biyordit spießt die Ochsen auf und schneidet ihnen die Kehle durch; während das Opfer zubereitet wird, singen die alten Leute: „Lerpiu, unser Vorfahr, wir haben dir ein Opfer gebracht; sei so gut und laß Regen fallen.“ Das Blut des einen Tieres wird in einem Kürbis aufgefangen, gekocht und von den angesehenen alten Männern des Klans genossen. Etwas von dem Fleisch, das mit sehr viel Fett gekocht wurde, bleibt ein paar Monate in der Nähe des heiligen Busches für die Jok übrig und wird schließlich von denjenigen aufgezehrt, die kein eigenes Vieh besitzen. Das Fleisch des anderen Ochsen wird sofort ganz verzehrt; seine Knochen werden fortgeworfen, die Hörner aber zu denen, die bereits den Pfosten zieren, hinzugefügt.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 102. Ein Heiligtum des Lerpiu,
des großen und mächtigen Geistes, der sich in dem jeweiligen Regenmacher des Vorstammes der Dinka verkörpert. Die davor angebrachten Hörner sind die Reste der Opfer, die dem Geist bei der Regenzeremonie dargebracht wurden.
Phot. Jennings Bramley.
Abb. 103. Ein Latukamann
mit Narbenverzierung im Gesicht.
Bei den Schilluk erfreut sich großer Verehrung Nyakang, wie wir bereits hörten. Nyakang war ihr erster König, ein halbgöttliches Wesen, insofern er wohl Gestalt und sonstige Eigenschaften eines Menschen hatte, aber niemals starb, sondern verschwand und als Geist in seinen Nachkommen, den Königen, die ihm folgten, weiterlebt. Seit seinem Fortgang spielt er die Vermittlerrolle zwischen den Menschen und dem höchsten Gotte Jüok, der als gestaltlos und unsichtbar sich überall befindet, die Menschen erschaffen hat und für die Ordnung im ganzen Weltall sorgt. Dieser steht so hoch, daß er nur durch Nyakang, seinen Vertreter, mit Bitten angegangen werden kann. Dem Nyakang werden Opfer dargebracht, auf daß er den Gott Jüok bestimme, er möge den Menschen Regen und andere Wohltaten senden.
Die Schilluk scheinen auch zu glauben, daß die Geister der Abgeschiedenen überall gegenwärtig seien und manchmal ihren Hinterbliebenen im Traume erscheinen, um ihnen zu helfen und guten Rat zu erteilen. Jedoch darf man daraus nicht schließen, daß bei den Schilluk deswegen eine Totenverehrung bestehe. Ihre ganze Religion gipfelt eben nur in dem Kult des Nyakang, des halbgöttlichen Vorfahren der Könige. Diese Verehrung hat nun viele Schreine entstehen lassen (Abb. 101 u. 105). Nyakang besitzt deren nicht weniger als zehn, die alle Gräber heißen, obgleich man weiß, daß niemand darunter begraben liegt. Sie unterscheiden sich in ihrem Äußeren nicht von den Schreinen der anderen Schillukkönige, die wirkliche Grabstätten sind; an diesen, namentlich aber an den Schreinen des Nyakang werden Feierlichkeiten abgehalten.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 104. Nubafrau vom Dschebel Ehri
mit Tatauierung.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 105. Die Außenwand eines Schreins des Nyakang mit Malereien.
Nyakang war der erste König der Schilluk und genießt bei ihnen göttliche Verehrung.
Die Nuba (Abb. 104, 107 und 109) des nördlichen Kordofan haben bereits den Islam angenommen; die Hügelbewohner des südlichen Teiles dieser Provinz dagegen halten noch ziemlich an ihrer alten Religion fest. Trotzdem finden sich unter ihnen vielfach schon Gräber orthodoxer Scheiche oder heiliger Männer (Abb. 110). Es sind dies eirunde, mit Haferbrei bestrichene Steine, die man mit Opfergaben umgibt. Im übrigen haben die südlichen Nuba noch manche ihrer alten Gewohnheiten und abergläubischen Gebräuche bewahrt. So ruhen sich die Frauen auf ihrer Reise aus, indem sie sich an gewisse freiliegende Steinmassen anlehnen, die Soba genannt werden (Abb. 83), vielleicht nach der Königin Saba, die einst hier regiert haben soll, vielleicht auch in Erinnerung an Soba, die Hauptstadt des alten christlichen Königreichs Alloa, deren Überreste man noch an den Ufern des Blauen Nils, etwas südlich von Khartum, antrifft. Eine große Rolle im Leben dieser Nuba wie der Sudanneger überhaupt spielt der Ringkampf (Abb. 111, 112, 113). Männer und Weiber liegen ihm ob, die ersteren etwa so lange, bis sie mehrere Kinder haben, die letzteren bis zu ihrer Verheiratung. Zu seiner Ausübung ist große Geschicklichkeit und Kraft erforderlich; die stärksten und besten Kämpfer erfreuen sich daher auch der Bewunderung des anderen Geschlechts. Die männlichen Wettkämpfer gehen nackt bis auf einen Gürtel, der mit Federbüscheln und Schafschwänzen behangen ist. Der Geschlagene muß einmal mit beiden Füßen zugleich in die Luft springen, der Sieger wird, von seinen Freunden umgeben, mit Holzasche besprengt und mit biegsamen Stöcken leicht geschlagen, angeblich um ihn dadurch zu kräftigen und Krankheit zu verhüten. Den Wettkämpfen der jungen Mädchen zuzusehen, ist den Jünglingen nicht gestattet; jedoch kommt es öfters vor, daß sie dies von einem Felsen oder einem Baume aus in einiger Entfernung tun. Die Siegerinnen finden natürlich die meiste Gunst in ihren Augen. Vor Beginn des Ringkampfes knien die Mädchen, nur mit einem Blättergürtel bekleidet, in zwei Reihen, das Gesicht einander zugekehrt, nieder. Eine alte Frau eröffnet den Kampf, indem sie aus jeder Reihe ein junges Mädchen vorführt, die nun regelrecht miteinander ringen. Jede von beiden schlingt die Hände um den Rücken der Gegnerin, verschränkt die Finger ineinander und versucht unter heftiger Anstrengung die andere zu Fall zu bringen. Die Niedergeworfene steht ohne ein Wort zu sagen auf und tritt in ihre Reihe zurück, die Siegerin dagegen wird von ihrer Partei mit lautem Geschrei begrüßt und mit Gesang und Tanz gefeiert. Tänze und Spiele sind überhaupt bei den Niloten sehr beliebt.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 106. Eine kinderlose Frau der Hameg vom Dschebel Gule,
die einen Stein auf dem Kopfe trägt und auf diese Weise schwanger zu werden hofft.
Über besondere Gewohnheiten der Nilotenfrauen (Abbild. 114 und 115) aus Anlaß von Schwangerschaft, Niederkunft und Wochenbett wissen wir so gut wie nichts. Die Nubaweiber in den südlichen Bergen Kordofans tragen auf dem Kopfe einen Stein (Abb. 106), um in andere Umstände zu kommen.
Ebensowenig ist uns etwas Näheres über die Kindheit und Erziehung dieser Stämme bekannt. Bei den Dinka geht die Namengebung ohne besondere Förmlichkeiten vor sich. Der erste Knabe wird gewöhnlich nach dem Großvater väterlicherseits, entsprechend das erste Mädchen nach der Großmutter genannt. Spätere Kinder kann man nach den Namen der Kühe benennen, die für den Brautpreis der Mutter gezahlt wurden. Die Dinka formen als Spielzeug für ihre Kleinen ungeschlachte Lehmfiguren, die Rinder vorstellen, ein deutlicher Beweis für die große Wichtigkeit, die sie der Viehzucht beimessen.
Aufnahmezeremonien scheinen zu fehlen, aber alle Dinka und auch Schilluk lassen ihren Kindern die unteren Schneidezähne ausbrechen. Hübsch ist der Zug dieser Stämme, daß sie alle Knaben, die sich zu derselben Zeit der Prozedur unterworfen haben, als Gefährten ansehen und es ihnen zur Pflicht machen, sich gegenseitig das ganze Leben lang beizustehen. Den Prinzen bei den Schilluk dagegen läßt man die Zähne stehen, wohl in dem Gedanken, dadurch jene Sitte, die alle Menschen gleich macht, zu umgehen und den Unterschied zwischen einem Königsohn und dem gewöhnlichen Volke zum Ausdruck zu bringen.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 107. Nubafrau vom Dschebel Ehri
mit Tatauierung.
Phot. R. v. Goldsmidt Rothschild.
Abb. 108. Baggaraaraber aus Südkordofan,
ein Stamm, der viel Negerblut in sich aufgenommen hat. Sie sind Viehzüchter, treiben aber auch Jagd, um Fleisch und Häute sowie gelegentlich Elfenbein zu gewinnen. Obwohl sie über gute Pferde verfügen, dient ihnen als Tragtier der Ochse.
Unter allen Stämmen ist es üblich, die Braut zu kaufen; der Brautpreis besteht fast nur aus Vieh und beträgt bei den Dinka etwa zehn Kühe. Je reicher ein Mann ist, um so mehr Frauen kann er sich leisten; daher findet man die meisten Frauen auch bei den ältesten Männern, was vielfach zu ehelicher Untreue führt. Während der Verlobung bleibt das junge Dinkamädchen so lange im Hause ihrer Mutter, bis der Brautpreis von ihrem Zukünftigen voll ausgezahlt ist. Nach Erledigung dieses Geschäftes stiftet der Vater des Mädchens einen Ochsen, der geschlachtet und verzehrt wird; auch ein Tanz findet aus diesem Anlaß statt. Abends wird die Braut in das Haus der Mutter des Bräutigams geführt. Dieser schlachtet nun gleichfalls einen Ochsen und bestreicht mit dem Inhalt des Dickdarms Brust und Schultern des Mädchens. Damit scheint der Hochzeitszeremonie Genüge geschehen zu sein.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 109. Eine Nubafrau von Tasumi.
Die Nuba pflegen ebenso wie die eigentlichen Niloten den Kindern die unteren Schneidezähne auszubrechen und die Unterlippe zu durchbohren; durch die Öffnung wird ein Quarzstift gesteckt, der sich beim Sprechen beständig bewegt.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 110. Grabmal eines Heiligen am Dschebel Gule.
Die Bergnuba im Gebiet zwischen dem Weißen und Blauen Nil sind zwar noch nicht unbedingte Anhänger des Islams, aber gelegentlich bringen sie doch auch dem Grabmal eines mohammedanischen Heiligen Opfer dar.
Phot. F. Spire.
Abb. 111. Acholikrieger beim Kampfspiel.
Bei den mehr arabisierten Kababisch kommen häufig auch Kinderverlobungen vor. Die Eltern des Knaben schicken denen des Mädchens in diesem Falle Geschenke, und beide Teile warten ab, bis ihre Kinder das erforderliche Alter erreicht haben. Ist dieser Zeitpunkt eingetreten, so setzt der Feki, ein Mann, der im Rufe eines Heiligen steht, einen bestimmten Tag für die Hochzeit fest. Alle Vereinbarungen bezüglich der Heirat machen die beiderseitigen Väter untereinander ab, dagegen wird der Brautpreis nur an die Mutter ausgehändigt. Ein Mann würde es für unter seiner Würde halten, diesen anzunehmen. Ein begüterter Kababisch läßt vor die Türe seiner Braut zwei bis drei weibliche Kamele führen und schlachtet diese am anderen Morgen. Die Mutter der Braut und die des Bräutigams bekommen jede ein besonderes Stück des Fleisches, der Rest wird für die Hochzeitsgäste aufgehoben. Darauf bauen die Angehörigen des Mädchens in ihrem Dorf ein kleines Zelt, in dem der Bräutigam sechs Tage lang wohnen muß; währenddessen versorgt ihn seine zukünftige Schwiegermutter mit Speise. Am siebenten Tage wird ein vorläufiges Zelt in der Nähe errichtet, in das Angehörige der Braut diese geleiten. Dabei wird von den Frauen getanzt und gesungen. Der Bräutigam reitet auf dem besten Pferde, das er sich beschaffen konnte, auf dieses Zelt zu, weigert sich aber nach seiner Ankunft, von seinem Roß zu steigen, bis der Vater ihm ein Geschenk versprochen hat, das bei einem Minderbemittelten meistens aus zehn bis fünfzehn Schafen besteht, dagegen aus fünf bis hundert weiblichen Kamelen, wenn es sich um einen wohlhabenderen Mann handelt. Nach Vereinbarung dieses Geschenkes steigt der Bräutigam ab und betritt das Zelt in Begleitung eines kleinen Knaben, der sein Schwert trägt. Die Braut tritt jetzt heraus, wird dreimal um das Zelt herumgeführt und kehrt dann in Begleitung einer Wärterin in dasselbe zurück. Diese vier Menschen verweilen nun eine Zeitlang darin, wobei Bräutigam und Braut kein Wort sprechen dürfen. Darauf wird letztere wieder in das Zelt ihrer Mutter zurückgeführt, während sich der angehende Ehemann sieben weitere Tage in dem nämlichen Zelt aufhalten muß. Mittlerweile bauen die Angehörigen der Braut ein bleibendes Zelt an der Stelle des vorläufigen und statten es mit allerlei Gegenständen aus dem Haushalte der Brautmutter aus. Der Bräutigam stiftet ein Stück Vieh, das vor dem Eingang zum Zelt getötet wird, worauf er sich hineinbegibt und die Ankunft der Braut erwartet, die reichgeschmückt, von den Frauen begleitet, erscheint. Wenn sie die Schwelle überschritten hat, enthüllt der Bräutigam dreimal ihr Gesicht, das sie jedesmal wieder von neuem bedeckt, dann faßt er unter ihr Gewand, reißt ihr den mit Lederfransen besetzten Gürtel ab und wirft ihn auf einen Baumzweig, der vor dem Zelt in die Erde gestoßen ist; währenddessen ruft das draußen stehende Volk dem Paare allerhand gute Wünsche entgegen.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 112. Nuba beim Ringkampf,
einem bei beiden Geschlechtern sehr beliebten Sport. Bei den Ringkämpfen der Frauen, die die Bergbewohner einmal im Jahre abhalten, dürfen Männer nicht zuschauen.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 113. Die Verwandten eines Siegers im Ringkampf in Festkleidung.
Phot. C. G. Seligmann.
Abb. 114. Negerweiber beim Tanz (Kordofan).
Unter den Sklaven der Kababisch, eines Araberstamms in den Ebenen des nördlichen Kordofan, der über große Rinderherden verfügt, befinden sich ziemlich viele Negerabkömmlinge.
Phot. H. Headlam.
Abb. 115. Negerweiber beim Tanz (Kordofan).
Die Teilnehmer klatschen dabei in die Hände und schlagen die Trommel.
In dieser Nacht bleibt das junge Paar endlich zum ersten Male allein. Es bleibt dort eine ziemliche Zeit lang wohnen, die zwischen einem Monat bis zu zwei Jahren schwankt; darauf siedelt es in das Zelt über, das seither den Eltern des Bräutigams gehört hatte, wo dann das junge Paar für immer Wohnung nimmt, während die Alten sich ein neues Zelt herrichten.
Phot. H. H. Johnston.
Abb. 116. Kleidung der Nkimbogeheimgesellschaft.
Wenn die jungen Leute alle Weihen empfangen und die Geheimsprache der Gesellschaft erlernt haben, dürfen sie ein besonderes Gewand anlegen, das einem Reifrock gleicht und aus Gras oder aus Palmfasern angefertigt ist. Gesicht und Oberkörper sind mit Ton weiß gefärbt.