Das weite ostasiatische Gebiet und die ihm vorgelagerten Inseln werden von einer Völkergruppe eingenommen, die man kurzweg als Mongolen bezeichnet. Den reinsten mongolischen Typus (Abb. 472) trifft man bei den Südmongolen an; er ist gekennzeichnet durch eine kleine, untersetzte Gestalt (im Mittel gegen hundertsechzig Zentimeter) mit verhältnismäßig langem Rumpfe und kurzen Unterextremitäten, hochgradige Kurzköpfigkeit, rundliches bis breitovales, nach unten spitz zulaufendes, gleichzeitig ausgesprochen flaches Gesicht, stark vorspringende Wangenbeine, flache und breite Nasenwurzel, eher konkaven als geraden Nasenrücken, dicke Nasenflügel mit querstehenden Nasenlöchern, grobes, straffes, schwarzes Haar, spärlichen Bart und eine gelbliche Hautfarbe. Besonders charakteristisch ist für die Mongolen ihre sogenannte Schlitzäugigkeit, die dadurch hervorgerufen wird, daß die Lidspalte von außen oben nach innen unten verläuft und der innere Augenwinkel von einer Falte (Mongolenfalte) bedeckt wird. Nach dem Norden zu verfeinert sich dieser Typus zum sogenannten mandschu-koreanischen (gekennzeichnet durch stattlichere Körpergröße, weniger breites Gesicht, weniger vorspringende Backenknochen, mehr entwickelte Nase). Die anderseits weiter nach Süden vorgeschobenen Abteilungen der südlichen Mongolen sind verschiedentlich Mischungen mit den Vertretern der afrikanischen (Negrito) und indo-australischen Grundrasse, sowie mit solchen arischer Abstammung eingegangen.
Ostasien umfaßt drei große Reiche, China, Korea und Japan. Alle drei schließen sich nicht nur in anthropologischer, sondern noch mehr in kultureller Beziehung zu einer engeren Gemeinschaft zusammen, unterscheiden sich aber in sprachlicher Hinsicht. Die Chinesen sprechen eine einsilbige, die Koreaner und Japaner eine mehrsilbige Sprache.
Abb. 471. Chinesische Frau von hohem Rang aus Hongkong.
China, das „himmlische Reich der blumigen Mitte“, wie seine Bewohner es nennen, ist ein uralter Kulturstaat, der auf ziemlich der gleichen Stufe der Zivilisation viele Jahrhunderte hindurch verharrte und erst neuerdings aus seinem Dornröschenschlaf aufgerüttelt wurde. Dementsprechend sind seine Bewohner auch in ihren Sitten und Gebräuchen sowie in ihrem ganzen Denken und ihren Auffassungen, besonders auch in religiöser Hinsicht so konservativ geblieben wie kaum ein anderer Staat der Erde. Allerdings machen sich innerhalb des großen chinesischen Volkes gewisse Unterschiede bemerkbar, die in der Hauptsache dem Umstande zuzuschreiben sind, daß eine das Land in ostwestlicher Richtung durchschneidende Hochgebirgsmasse es in zwei Teile gliedert und auch verschiedene geographische Bedingungen schafft. Der Norden Chinas ist mehr eben, reich an Löß, untersteht einem gemäßigten Klima und ist besonders für den Anbau von Weizen, Gerste, Bohnen und so weiter geeignet, außerdem bietet er Gelegenheit zu ausgedehntem Landverkehr; hingegen ist der Süden mehr gebirgig, besitzt ein subtropisches Klima, läßt daher vorwiegend Reis, Tee und Zuckerrohr gedeihen und verschafft den Bewohnern ohne viel Zutun einen ziemlichen Wohlstand. Diese verschiedenen klimatischen Verhältnisse sind auf den Charakter des chinesischen Volkes nicht ohne Einfluß geblieben. Die Nordchinesen stellen ein durch harte Landarbeit erstarktes, auf althergebrachten Grundsätzen verharrendes nüchternes Bauernvolk dar, das von jeher die Stütze der monarchischen Verfassung war, die Südchinesen aber sind ungleich beweglichere, in ihrem Fühlen und Wollen mehr schöpferisch veranlagte, daher auch für Neuerungen mehr empfängliche, begabte Leute, die sich schwerer der Autorität eines festen konstitutionellen Staatsgebäudes unterzuordnen verstehen. Daher kommt es auch, daß die republikanischen Bestrebungen, die in der jüngsten Zeit von außen her nach China hineingetragen wurden, in Südchina mehr Boden fassen konnten.
Das Denken und Fühlen der Chinesen steht in vielen Punkten dem europäischen Geiste fern. Eine Zahl guter Eigenschaften zeichnen den Charakter des Chinesen aus, wie Fleiß, Intelligenz, Genügsamkeit, Sparsamkeit, Höflichkeit, Gastfreundschaft, vor allem aber ein hervorragend ausgeprägter Familiensinn und damit zusammenhängend ein willenloses Unterordnen unter die Autorität von Familie und Staat. Dieser zuletzt erwähnte Umstand zeitigt bei ihm aber auch wieder eine gleichsam negative Eigenschaft, das ist die Teilnahmlosigkeit für alle öffentlichen Angelegenheiten und der Mangel an Vaterlandsliebe. Der Chinese ist ein echter Stoiker, der sich um nichts bekümmert, sofern er nur sein Auskommen hat. Sein ganzes Streben und Denken ist daher darauf gerichtet, Reichtümer zu sammeln. Er erreicht auch immer dieses Ziel, da er ein gewiegter, schlauer, oft auch gewissenloser, aber auf der anderen Seite auch wieder äußerst fleißiger, vor keiner Dienstleistung sich scheuender, stets dienstbereiter, in seinen Ansprüchen sehr genügsamer Geschäftsmann ist. Leider übt er infolge dieses seines rührigen, unter Umständen auch unehrlichen Wettbewerbes und seiner überlegenen Intelligenz einen schädlichen Einfluß auf den Handel aus, besonders außerhalb seiner Heimat.
Phot. B. Hagen.
Abb. 472. Zweiundzwanzigjährige Chinesin.
Der Chinese kleidet sich in unten zusammengeschnürte Beinkleider und ein langes, rockartiges Obergewand, das je nach der Jahreszeit von verschiedener Dicke (im Winter wattiert) ist, eventuell durch Überziehen weiterer Gewänder verstärkt wird (Abb. 471 und 473). Auch die kleinen Kinder packt man bereits in stark wattierte Kleider ein, so daß sie beinahe ebenso breit wie lang aussehen und, wenn sie einmal hingefallen sind, ohne Hilfe nicht aufzustehen vermögen, sondern wie ein Häuflein Unglück liegen bleiben. — Die chinesische Kleidung hat den Nachteil, daß sie ein schnelles Vorwärtsschreiten nicht gestattet. Da außerdem der Chinese sehr bequem ist, zumal er mit dem Alter auch recht behäbig wird, so ziehen es wohlhabendere Leute vor, sich entweder auf einem Karren (Nordchina) ziehen oder in einer Sänfte (Südchina) tragen zu lassen. Für jeden Rang der Zivil- und Militärbehörden sind besondere Abzeichen Vorschrift. Unterschiede in der Stickerei vorn oder hinten auf der Jacke oder am Rock sowie in der Farbe des Knopfes oben auf dem Hut deuten die Rangabzeichen an, die niemand tragen darf, der diesen Rang nicht einnimmt. Personen der höchsten Rangstufe tragen einen Korallenknopf, die hinter ihnen im Range folgenden einen blauen, die der dritten Stufe einen solchen aus Kristall und die der vierten einen einfachen aus Messing. Die Farbe der Sänfte bezeichnet in gleicher Weise den Stand ihres Besitzers; die höchsten Vertreter dürfen sich eines Tragstuhles aus grünen Bambusstäben, die der nächstniederen Klasse eines aus blau gefärbten und die der dritten Rangklasse nur aus Naturholz bedienen. Neben dem Hut wird von allen Chinesen noch eine aus Roßhaar geflochtene Mütze mit einer roten Seidentroddel getragen; gegen die Kälte legen beide Geschlechter Ohrenklappen an oder setzen eine pelzverbrämte Kappe auf. Für vornehm gelten lange Fingernägel, weil ihr Träger dadurch kundgibt, daß er keine Arbeit verrichtet; um sie zu schützen, bedient man sich futteralähnlicher Hülsen (Abb. 473).
Wir können uns einen Chinesen kaum ohne Zopf vorstellen, und doch ist dieser „Schweineschwanz“ keineswegs eine althergebrachte Eigentümlichkeit des chinesischen Volkes, wie man immer glaubt, sondern eine von auswärts eingeführte Mode, welche die im Jahre 1368 siegreich einziehenden Mandschu, beziehungsweise ihre Fürsten dem Volke aufzwangen. Jedoch ist diese Neuerung in China niemals heimisch geworden, denn mit dem Sturze der Mandschudynastie, die vor wenigen Jahren erfolgte, gaben viele Chinesen trotz jahrhundertelangen Bestehens diese Sitte wieder auf.
Phot. Fleet Agency.
Abb. 473. Ein vornehmer Chinese
mit langen Nägeln, die von denen, die es erschwingen können, durch silberne Hülsen geschützt werden.
Phot. Charles Hose.
Abb. 474. Einschnüren eines chinesischen Frauenfußes.
Phot. Charles Hose.
Abb. 475. Chinesischer Frauenfuß,
„Goldene Lilie“ genannt.
Phot. Richard Little.
Abb. 476. Röntgenaufnahme eines chinesischen Frauenfußes,
die zeigt, wie die Zehen nach unten gebunden sind.
Anders verhält es sich mit einem für unseren Geschmack unverständlichen Schönheitszeichen mit den verkrüppelten Füßen der Chinesinnen (Abb. 474). Ein möglichst kleiner Fuß gilt für berückend schön; selbst männliche Stutzer streben danach, diese Zierde sich dadurch anzueignen, daß sie nachts die Füße hochhalten und am Tage mittels Draht die Zehen in die Höhe drängen, um auf diese Weise einen kleinen Fuß vorzutäuschen. Die Frau wird daher nur nach der Kleinheit ihres Fußes gewertet, nicht nach ihren sonstigen Schönheitsattributen, und ein kleiner Fuß wiegt unter Umständen eine große Mitgift auf. Einem Mädchen aus ärmeren Ständen, das über recht kleine Füße verfügt, wird dadurch die Möglichkeit gegeben, in eine höhere Gesellschaftsklasse einzutreten; auf der anderen Seite auch wieder ist über ein Mädchen, das keinen verkrüppelten Fuß besitzt, von vornherein das Urteil gesprochen; es ist für immer zur Ehelosigkeit verdammt. Für den Chinesen bleibt der kleine Fuß der entzückendste und pikanteste Körperteil seiner besseren Hälfte; der genießt ganz besonders ihre Gunst, dessen Blicken sie ihren Fuß einmal enthüllen sollte, was nur äußerst selten geschieht. Denn wie Chinesen versicherten, ruft der Anblick eines verkrüppelten Fußes bei ihnen einen hochgradigen Sinneskitzel hervor. Das Entblößen eines Frauenfußes gilt in hohem Grade für unschicklich, ja selbst für unsittlich; das geht sogar so weit, daß Europäer, die den nackten Fuß einer Prostituierten sehen wollten, bei ihr auf Widerstand stießen. Darstellungen von nackten Frauenfüßen finden sich auch nur in der pornographischen Literatur, und nach den Füßen einer Chinesin sehen, ist gleichbedeutend mit unsittliche Gedanken hegen. Der Ursprung des Fußverkrüppelns ist in Dunkel gehüllt; die Legende berichtet, daß eine kaiserliche Nebenfrau im sechsten Jahrhundert nach Christi Klumpfüße gehabt haben soll, die ihr hoher Herr und Gebieter schön fand, und daß daraufhin sich alle Hofdamen veranlaßt sahen, ihren Füßen durch Bandagieren dieselbe Form zu geben. Auf jeden Fall hat sich diese Gewohnheit schon seit langen Zeiten im himmlischen Reiche Bürgerrecht erworben, und alle namhaften Dichter haben die „Goldenen Lilien“ unzählige Male besungen. Allerdings ist sie nicht überall im Lande und nicht gleichmäßig verbreitet; im Norden des Reiches begegnet man den verkrüppelten Füßen häufiger als im Süden, bei den wohlhabenderen Volksschichten öfter als bei den niedrigeren, und in der Stadt ebenfalls häufiger als auf dem Lande. Merkwürdigerweise war am kaiserlichen Hofe die Verunstaltung des Frauenfußes nach dem Sturze der Mingdynastie und der Herrschaft der Mandschu, die an ihrer Stelle ans Staatsruder gelangten, verpönt. Trotz wiederholter kaiserlicher Verbote hat sich diese schreckliche Unsitte aber beim Volke bisher nicht abschaffen lassen. — Die Verkrüppelung wird durch stetigen Druck und Zug einer straffen, aber nicht direkt schnürenden Binde im Verlaufe eines Jahrzehnts erzeugt. Für gewöhnlich beginnt man damit bei den Mädchen im Alter von vier bis acht Jahren, unter Umständen aber auch schon im zartesten Kindesalter. In einzelnen Gegenden, wo die Eltern ihr Mädchen zur Feldarbeit ausnutzen wollen, warten sie bis zu zwölf, dreizehn und auch vierzehn Jahren; sie begnügen sich dann damit, alle Zehen unter den Fuß zu binden, so daß sie mit ihrer Rückenfläche auf dem Boden aufliegen, und ihn auf diese Weise kürzer machen. Verbreiteter ist dagegen ein anderes Verfahren, das weit elegantere Füße schafft; hierbei wird ein hohler Metallzylinder unter die Fußwölbung geschoben und über ihn die ganze vordere Fußpartie nach unten gebogen. Diese Manipulation ist ziemlich schmerzhaft; ein chinesisches Sprichwort besagt, daß jedes Paar gewickelter Füße ein Tränenbad koste, und doch wird sie von den Kindern meist gut ertragen, denn man sieht die Kleinen dessenungeachtet tagaus, tagein auf der Straße sich tummeln. Die Binden werden jeden Morgen, nachdem der Fuß gebadet und massiert worden ist, und dies geschieht ein ganzes Jahrzehnt lang, ungefähr bis zur Pubertät, von neuem umgelegt. Meistens bandagieren sich die erwachsenen Chinesinnen ihren Fuß noch weiter, damit er seine Formen behalte. Das Ergebnis dieser Verunstaltung ist grauenerregend. Zwar wird zumeist, um den Fuß besonders klein erscheinen zu lassen, durch den Schuhmacher noch etwas nachgeholfen, insofern er den Schuh nach hinten möglichst weit und möglichst hoch herausarbeitet, wodurch der vor dem Spann liegende Abschnitt auffällig verkürzt erscheint, indessen sollen Füße von nur sieben bis neun Zentimeter Länge keineswegs eine Seltenheit sein. In solchen Fällen, wo die Mutter ihr Meisterstück vollbracht hat, steht das Fersenbein steil aufgerichtet, seine Längsachse ist zur Vertikalen geworden; das Fersenbein hat eine Drehung um neunzig Grad erfahren (Abb. 475 und 476). — Die Muskulatur des Unterschenkels wird dadurch natürlich mehr oder minder zum Schwinden gebracht, das Gehen somit den Chinesinnen ungemein erschwert, jedoch nicht in dem Maße wie man glauben könnte. Sie können nach Aussagen von Augenzeugen nicht nur gehen, sondern auch tanzen und selbst auf einem Pferd oder einem Seil akrobatische Kunststücke treiben. Allerdings wird so etwas bei hochgradiger Verunstaltung, wie sie die Modedame aufweist, kaum möglich sein; diese muß sich, um sich fortbewegen zu können, eines Stockes oder der Unterstützung ihrer Dienerin bedienen oder sich tragen lassen. Auf der Straße läßt sich die Chinesin, auch die des mittleren Standes, tragen oder fahren.
Phot. The Baptist Missionary Society.
Abb. 477. Chinesische Haartrachten.
Das Denken und Empfinden der Chinesen ist in vieler Hinsicht dem unserigen diametral entgegengesetzt. Dem Europäer, der zum ersten Male China aufsucht, fällt dies unter anderem dadurch auf, daß sie Dinge des täglichen Lebens ganz anders als wir erledigen. Bei der Begrüßung zum Beispiel geben sich die Chinesen nicht die Hand, sondern schütteln sich ihre eigenen Hände, indem sie sie gleichzeitig derart ineinander schließen, daß die Finger der rechten Hand über die linke und der rechte Daumen über den linken zu liegen kommt, sich sehr oft verbeugen und mit den Füßen scharren. Gehen sie aneinander vorbei und haben sie keine Lust sich zu begrüßen, dann halten sie einen geöffneten Fächer zwischen sich, wobei sie meinen, daß sie dadurch sich gesellschaftlich unsichtbar machen, ohne die Höflichkeit zu verletzen. Die Zeitung beginnt man auf der letzten Seite und von unten nach oben, sowie von rechts nach links zu lesen. Wenn man ein Haus baut, dann fängt man mit dem Dache an, das man auf Pfeiler stützt, und sodann erst errichtet man die Mauern. Fährt man in einem Boot ans Land, so steht der Bootführer mit dem Gesicht gegen den Bug gewendet und stößt die Ruder. Der Zimmermann zieht den Hobel auf sich zu und sägt von sich weg. Wenn man vom Tode eines nahen Verwandten spricht, muß man eine lächelnde Miene aufsetzen, damit der andere nicht in die peinliche Lage kommt, sein Beileid auszusprechen. Wenn ein Vorgesetzter in einer Sänfte vorübergetragen wird, muß der ihm zufällig begegnende Untergebene so tun, als ob er ihn nicht kenne; denn falls er ihn grüßen würde, müßte der Vorgesetzte aus Höflichkeit aus der Sänfte steigen und ihm Guten Tag wünschen.
Wie ich schon hervorhob, haben sich im Laufe der Zeiten die Sitten in China wenig geändert. Schon vor mehr als zweitausend Jahren kleideten sich die Söhne des Reiches der Mitte in dieselben Gewänder, auch die gefütterten, wie heutzutage, puderten, schminkten sich die Frauen und steckten sich künstliche Blumen in die Haare (Abb. 477), fächelten sich beide Geschlechter und nahmen die Speisen mit dünnen Stäbchen, wie in der gegenwärtigen Zeit. Man unterhielt sich schon seit alters durch das Schachspiel, das bereits 2345 vor Christi Geburt erfunden worden sein soll, und erfreute sich an der Musik, von der damals schon die zwölf Halbtöne der Oktave bekannt waren.
Aus „Anthropos“.
Abb. 478. Chinesischer Schauspieler in einer Frauenrolle,
eine junge Gattin darstellend, die sich nach ihrem abwesenden Gatten sehnt.
Auch heutzutage spielt die Musik bei allen feierlichen Gelegenheiten im Leben der Chinesen eine große Rolle. Wann eine solche solenne Festmusik stattfindet und wieviel Instrumente dabei tätig sein müssen, ist durch strenge Etikette geregelt; je wichtiger der Akt, desto umfangreicher das Orchester. In ganz eigenartiger Weise tritt die Musik im chinesischen Theater in Wirksamkeit. Bei gesteigerten Gemütsbewegungen, sei es im Trauer- oder im Lustspiel, namentlich bei Aktabschlüssen hört mit einem Male die eintönige Rezitation auf und es setzt eine Arie ein, nachdem schon vorher eine gellende Musik den Schauspieler unterbrochen hat. Die üblichen musikalischen Werkzeuge sind ein Flaschenkürbis mit darauf sitzenden Bambusflöten, eine einfache Holzkiste, deren Innenseiten mit einem Hammer geschlagen werden, ein glockenförmiges, oben mit einer, vorn mit drei und hinten mit zwei Öffnungen versehenes Tongefäß, an einem Metallrahmen hängende Glöckchen, wobei aber nicht direkt auf diese selbst, sondern auf den Rahmen geschlagen wird, damit das Ganze zum Tönen kommt, in einem ähnlichen Gestell aufgehängte klingende Steine, die mit Klöppeln angeschlagen werden, ferner Geigen, Mandolinen, Gitarren, Pauken, Trommeln, Trompeten, Becken, Xylophone und so weiter.
Aus „Anthropos“.
Abb. 479. Chinesische Bühne.
Die Szene stellt einen Akt aus Dschan Bei Yüan (Die Eroberung von Bei Yüan) vor.
Die Chinesen sind von alters her auch leidenschaftliche Liebhaber des Theaters. Die Bühne pflegt ein von drei Seiten offener, überdeckter Pavillon zu sein, an den sich im Hintergrunde ein Gebäude anschließt; den Zuschauerraum gibt die Dorfstraße ab (Abb. 479). Die Schauspieler von Beruf werden zu der niedrigsten Menschenklasse gerechnet und sind von allen Ehrenämtern, desgleichen auch ihre Nachkommen, ausgeschlossen. Frauenrollen werden ebenfalls von den Herren der Schöpfung gespielt, die dann mächtig geschminkt und gepudert, zumeist wie mit Tünche überzogen, auftreten (Abb. 478). Ihre buntschillernden Kostüme sind fast immer recht kostbar und mit wundervollen Stickereien bedeckt; ein Kopfputz erhöht die theatralische Wirkung. Die Handlung nimmt auf historische oder mythische Ereignisse Bezug und besteht in uns unverständlichen Gesten der Arme und Bewegungen der Beine, die oft in seltsame Sprünge ausarten. Auf der mit nur spärlichen Requisiten ausgestatteten Bühne herrscht meist ein furchtbarer Lärm, da ein Schauspieler den anderen durch eine laute Stimme, zumeist in hoher Fistellage, zu übertreffen sucht. Die Wiedergabe eines historischen Heldenromans sieht sich wie eine Burleske an. Werden Kostümumwandlungen nötig, dann stellen sich einige der Mitwirkenden vor die betreffende Person, die den Wechsel auf der Bühne hinter dieser lebenden Schutzwand vollzieht. Pausen werden durch das Auftreten mächtiger Gestalten mit grotesken Masken und Vorführung von Tänzen ausgefüllt, die entweder kriegerischer Natur sind und mit andauerndem Lärm und wildem Umherschwingen der Schwerter und Lanzen einhergehen oder in ruhigeren ballettartigen Bewegungen bestehen.
Phot. F. W. Carey.
Abb. 480. Chinese im Kang.
Phot. F. W. Carey.
Abb. 481. Aufzug beim Ying Chun- oder Frühjahrsbegrüßungsfeste in Yünnan.
Phot. F. W. Carey.
Abb. 482. Szene vom Ying Chun-Feste.
Ein mächtiger Stoffdrachen wird durch die Strassen getragen.
Unter großer Ausgelassenheit wird in China das Neujahrsfest, das San-Lin, gefeiert; die große Bedeutung dieses Tages erklärt sich, wenn man bedenkt, daß der erste Tag des neuen Jahres für den allgemeinen Geburtstag der gesamten Bevölkerung gilt; jeder Chinese rechnet daher sein Alter von dem Beginne des Jahres an, in dem er geboren wurde, und ein Kind, das eine Woche vor Jahresschluß das Licht der Welt erblickte, ist am ersten Tage des neuen Jahres bereits ein Jahr alt. Schon wochenlang vorher macht sich das Nahen dieses wichtigen Festes bemerkbar. Der Kaufmann schließt seine Bücher ab, treibt seine ausstehenden Forderungen ein und läßt saumseligen Schuldnern die Ladentore ausheben, damit die stets umherschweifenden bösen Geister Eingang finden, außerdem bemüht er sich, sein Lager in den letzten Wochen nach Möglichkeit zu räumen. Im Hause wird große Reinigung vorgenommen. Auf den Höfen werden Opferaltäre errichtet, auf denen den Göttern noch schnell, ehe das Jahr zur Neige geht, allerlei Kuchen und Früchte dargebracht werden. Die Reichen errichten dazu große Pavillone und behängen sie kunstvoll mit bunten Stoffen und Papierlaternen. Die Tempel werden das ganze Jahr lang nicht von so vielen Menschen aufgesucht, wie in den letzten Tagen. Überall auf den Straßen werden zahllose rote Papiere angebracht, auf denen die Wünsche, meistens für „langes Leben, Gesundheit, Reichtum, Liebe zur Tugend, und natürlichen Tod“ geschrieben stehen. Alle Türen, Fenster, Hallen, Bäume, Sträucher, Wagen, Tiere, Boote und sonstigen Gegenstände werden mit roten Papieren behängt, auf denen man Glück und Segen herabfleht. So ist mittlerweile die Neujahrsnacht herangerückt. Alles geht in prächtige Festgewänder gekleidet, die Kinder in possierlichen Putz gesteckt, auf die Straße, um sich die Beleuchtung der Häuser und das Feuerwerk anzusehen, das zum Austreiben der bösen Geister angezündet wird; allenthalben wird dabei ein ohrenbetäubender Lärm gemacht. So lebhaft und laut es in der Nacht zugeht, so still und stumm ist es am Morgen des Neujahrstages. Die Straßen liegen wie tot da, alle Läden, Geschäftsräume und Ämter sind geschlossen; kein Verkehr, kein Geschäft findet statt. Erst gegen Mittag kommt Leben hinein, die Männer erscheinen, die Vornehmeren in ihrer Sänfte, die Ärmeren zu Fuß, um sich gegenseitig Neujahrsbesuche abzustatten und ihre Visitenkarten abzugeben, auf denen für gewöhnlich Kinder, Standeserhöhung und langes Leben gewünscht werden. Die chinesischen Visitenkarten sind von roter (der Glücks-) Farbe und haben eine ganz ungewöhnliche Größe; sie messen etwa zwanzig Zentimeter in der Länge. Auch im Hause selbst werden ähnliche Glückwünsche dargebracht. Die Kinder werfen sich vor ihren Eltern zum Kotau nieder, die Schüler vor ihren Lehrern, die Diener vor ihrer Herrschaft, die niederen Beamten vor den höheren und die Eltern vor den Ahnentafeln ihrer Vorfahren, denen sie außerdem in Schalen Reis und Reiswein vorsetzen. Ein jeder Gast erhält eine Schale Tee kredenzt, in die man als Zeichen des Wohlstandes eine Mandel oder Olive hineinlegt. Am Abend nimmt man das tolle Leben von der Neujahrsnacht wieder auf, und nun setzt ein mehrtägiges Feiern ein, bei dem die Ausgelassenheit keine Grenzen kennt. Währenddessen bleiben Geschäfte und Bureaus geschlossen; alle Arbeit ruht. Und wenn sie auch nach fünf Tagen im allgemeinen wieder aufgenommen wird, so hält doch das Feiern noch wochenlang an. Der siebente Tag ist im besonderen dem schönen Geschlecht gewidmet; dann erscheinen die Damen in großen Scharen in den öffentlichen Gärten, um sich zu unterhalten, und am vierzehnten und fünfzehnten Tage pflegen alle Mitglieder einer Sippe zu einem gemeinschaftlichen Festmahle zusammenzukommen; das ist der Höhepunkt des Festtrubels. Das Ganze findet seinen Abschluß in dem Laternenfest, bei dem Laternen von allen Farben, Größen und Formen an Stöcken durch die Straßen in großer Prozession getragen werden.
Karnevalähnliche Aufzüge pflegen wohl bei allen größeren Festlichkeiten veranstaltet zu werden, so auch in großem Stile bei dem Begrüßungsfest des Frühlings (Ying Chun). Bei diesem trägt man große papierne Drachen durch die Gassen (Abb. 481 und 482). — Bei dieser Gelegenheit soll auch einer uralten Sitte gedacht werden, die Schiller in einem Gedichte verherrlicht hat, des Pflugfestes der Chinesen, bei dem der Kaiser alljährlich vor der Öffentlichkeit höchst feierlich in eigener Person den Pflug lenkte und die Saat mit den Händen ausstreute. Dieser Brauch soll bereits im Jahre 2800 vor Christo von dem zweiten der legendenhaften Kaiser, namens Chin Nong, vorgeschrieben worden sein und hatte sich bis in unsere Tage hinein erhalten.
Phot. F. W. Carey.
Abb. 483. Strafe für Räuber in China, wie sie früher üblich war.
Die Chinesen sind im allgemeinen große Feinschmecker und verfügen aus diesem Grunde auch über eine Unmasse von Delikatessen, die unter Umständen sich viel kostspieliger stellen als die teuersten Gerichte unserer Speisekarte; aber für unseren Gaumen dürften die meisten von ihnen grauen- und ekelerregend sein. Am höchsten werden Haifischflossen geschätzt, beinahe ebenso getrocknete Austern und Vogelnestersuppe (von einer Seeschwalbenart), deren Ruf bereits bis in die vornehmen europäischen Gasthäuser gedrungen ist (wohl die teuerste Delikatesse der Welt). Weitere beliebte Gerichte, die auf die chinesische Tafel kommen, sind Tintenfische, künstlich, zumeist jahrzehntelang gereifte, fälschlich faul genannte Eier, getrocknete Würmer, stinkende Fische, Ratten-, Mäuse-, Katzen-, Hundebraten; daneben aber auch Schweinebraten und eine Unmasse von Gemüsen und Früchten, von denen uns bittere Melonen und Bambussprossen eigenartig anmuten. Für das Volk besteht die Hauptnahrung in Reis, daneben aber kommen auch eine ganze Reihe von Gemüsen, Wurzeln und Früchten sowie allerlei Erzeugnisse des Meeres auf den Tisch, auch Seetang wird gern gegessen. Man nimmt den Bissen mit langen Eßstäbchen aus Holz oder Elfenbein auf und führt ihn damit auch zum Mund; Messer und Gabel kennen die Chinesen bei ihren Tafelfreuden nicht. Die Getränkekarte ist bei ihnen sehr bescheiden; die Weingewinnung kennen sie nicht. Wenn wir von dem Sekt absehen, der bei den Diners der reichen Chinesen neuerdings mehr und mehr Eingang findet, kennt man nur den warmen Reiswein, der auf keinem Tische fehlen darf. Für die große Masse aber ist Tee das Hauptgetränk; in seiner Zubereitung sind die Chinesen ja bekanntlich Meister. Wenig bekannt dürfte sein, daß man aus Teeblättern auch einen schmackhaften Salat bereitet.
Wir können den Abschnitt über die chinesische Küche nicht verlassen, ohne noch einer schrecklichen Unsitte zu gedenken, die vordem in China verbreitet gewesen sein muß, aber in gewisser Form bis in die jüngsten Tage hinein noch ihr Dasein gefristet hat, nämlich das Verzehren von Menschenfleisch. Besonders wird sie auf den Schlachtfeldern geübt, den Beweis hierfür haben wir in verschiedenen der letzten Kriege erhalten. Die Soldaten rissen den Schwerverwundeten Herz und Leber aus dem Körper und verzehrten sie, oder, wenn solche im Übermaß vorhanden waren, so daß sie sie nicht auf einmal aufessen konnten, trockneten sie dieselben für später in der Sonne. Der Chinese hält nämlich diese Eingeweide, im besonderen die Leber, für den Sitz des Mutes und glaubt dadurch, daß er sie verzehrt, diesen auf den eigenen Körper zu übertragen. Vor kurzem wurde noch berichtet, daß ein Ehepaar seine Schwiegermutter, weil sie angeblich den Tod ihres Enkelkindes verschuldet hatte, tötete, das Herz aus dem Leibe riß und den übrigen Körper in Stücke zerschnitt, die dann gekocht und unter die Leute als Nahrungsmittel verkauft wurden. Zu Zeiten großer Hungersnöte ist es allgemeiner Brauch, Menschenfleisch nicht nur heimlich, sondern auch öffentlich zum Verkauf aufzubieten. — Pietätvolle Kinder lassen sich als Kräftigungsmittel für ihre Eltern Fleisch aus Arm und Bein schneiden. Damit berühren wir das Kapitel über chinesische Medizin.
Phot. Archibald Little.
Abb. 484. Chinesische Fischer mit Kormoranen an ihrer Bootspitze,
die zur Jagd auf Fische abgerichtet sind.
Die Vorstellungen der chinesischen Ärzte über die einzelnen Organe des Körpers sind nur mangelhafte und ganz schiefe. Aus Sektionen können sie sich keinen Rat holen, da für einen Chinesen der Gedanke entsetzlich ist, als Verstümmelter das Totenreich zu betreten. Die chinesische Medizin kennt nur fünf Organe, die sie zu dem ganzen Weltall in eine mystische Beziehung der Harmonie, beziehungsweise bei Erkranktsein, der Disharmonie setzen. In jedem dieser Organe herrscht eines der fünf Elemente (zum Beispiel im Herzen das Feuer) vor und jedes steht auch noch mit einem der fünf Planeten, der fünf Tages- und Jahreszeiten und der fünf Geschmacksarten in Verbindung. Auf Grund solcher verworrenen Ansichten stellt der chinesische Arzt nun seine Diagnose. Er prüft zu diesem Zweck das Gesicht, die Zunge, die Haare und so weiter, vor allem den Puls. Letzterer entspricht an einer bestimmten Körperstelle einem bestimmten Organ; es gibt zweihundert Pulsarten, aus deren Beschaffenheit der Arzt nun die Krankheit erkennt und seine Anordnungen trifft, die Angaben des Kranken sind ihm nebensächlich. Die Behandlung besteht in dem Schlucken einer Unmasse von Medikamenten, die manchmal höchst problematischer Natur sind und in ekelerregenden Stoffen bestehen.
Das Opiumrauchen ist ein über ganz China verbreitetes Laster, das große Verheerungen in gesundheitlicher Hinsicht unter der Bevölkerung angerichtet hat und daher mit Recht von der Regierung neuerdings aufs schärfste verfolgt wird. Die Opiumraucher finden sich in bestimmten Räumen, den sogenannten Opiumhöhlen, ein, auf deren Diwanen sie sich niederlegen (Abb. 470). Aus dem Opiumbehälter nehmen sie ein Stückchen von etwa Erbsengröße, trocknen es an der Flamme mittels einer Nadel erst etwas aus, stecken es in den Pfeifenkopf, zünden die Masse an und ziehen den Rauch in wenigen, aber tiefen Zügen bis in die Lungen ein. Die Anzahl der Pfeifen, deren ein Raucher nötig hat, um sich in den gewünschten Zustand von Wohlbehagen zu versetzen, ist nach dem Grade der Angewöhnung sehr verschieden; ein Chinese, der dreißig bis vierzig Pfeifen am Tage raucht, wird noch als mäßiger Raucher angesehen.
Die Chinesen sind tüchtige Handwerker, die besonders auf dem Gebiete der Seidenindustrie, sowie der Herstellung von ausgelegten Gegenständen, Bronzen, feinem Porzellan, Papier, Lackarbeiten und Schnitzereien Vorzügliches und direkt Künstlerisches leisten. Auch in der Industrie zeigt sich wieder das Festhalten am Althergebrachten, denn die Herstellungsmethoden sind zumeist noch sehr primitive. — Von der Landwirtschaft der Chinesen war bereits oben die Rede. Sie geben sich auch mit der Züchtung bizarrer Zwergbäume ab, die in Blumentöpfen weiter gedeihen. Interessant ist das Fangen der Fische mittels abgerichteter Kormorane vom Boot aus (Abb. 484).
Phot. N. P. Edwards, Littlehampton.
Abb. 485. Chinesischer Wachmann,
der entgegen dem Gebrauch bei uns sich durch ein Gong bemerkbar macht, um den Dieb zu warnen.
Die Rechtspflege in China ist eine sehr traurige. Es gibt weder Richter, noch Verteidiger, noch Staatsanwälte. Der Mandarin des Ortes oder des Bezirkes übt allein das richterliche Amt in öffentlicher Sitzung aus und verhängt die Strafen; über Todesstrafe verfügt allein der Kaiser. Die gewöhnlichsten Strafen sind Stockhiebe, auch häufig bestehen sie in dem Kangtragen. Der Kang (Abb. 480) sind zwei schwere Bretter, die, mit Ausschnitten an der Innenseite versehen, um den Hals des Verbrechers, ähnlich wie eine mittelalterliche Halskrause, gelegt werden. Dieses Werkzeug, das gegen fünfzehn Kilogramm wiegt, muß für die ganze Dauer der Strafe, manchmal monatelang getragen werden. Dazu kommen als weitere Strafmittel allerlei Marterwerkzeuge, wie Daumen- und Beinschrauben und so weiter (Abb. 483). Oft übt das Volk auch Lynchjustiz aus und hängt den Übeltäter an einem Baume auf, ohne ihm ernstlich Schaden dabei zu tun; in dieser lächerlichen Haltung ist er für eine halbe Stunde dem Gespötte der Vorübergehenden preisgegeben (Abb. 486). — Wie die chinesischen Gebräuche auch sonst vielfach im direkten Gegensatze zu den unserigen stehen, so sehen wir auch den chinesischen Polizisten sich durch eine Trommel, die er anschlägt, dem Verbrecher bemerkbar machen (Abb. 485).
Phot. F. W. Carey.
Abb. 486. Strafe für einen Hühnerdieb in Yünnan,
der so aufgehängt dem Gespötte der Vorübergehenden ausgesetzt wird.
In China gibt es drei Religionen, zwei volkstümliche, den Konfuzianismus und den Taoismus, und eine von auswärts eingeführte, den Buddhismus. Konfuzius (geboren 551 vor Christo), chinesisch Kung-fu-tse, das heißt Kung, der heilige Meister, schuf die nach ihm benannte Lehre; eigentlich erfand er sie nicht, sondern sammelte in den ihm zugeschriebenen heiligen Büchern (Khing und Shu) die alten von der Urzeit an überlieferten religiösen Ansichten des Volkes, die nicht eine Religion im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr Lebensweisheit und Moraltheologie vorstellen. Der Taoismus rührt von Laot-se (geboren 604 vor Christi Geburt) her; seine in dem Tao-teh King niedergelegte Lehre beschäftigt sich vorzugsweise mit dem Tao, das ist dem geraden Wege, was sich vielleicht mit Vernunft oder Natur übersetzen läßt. Während diese beiden Religionssysteme auf chinesischem Boden entsprossen sind, drang der Buddhismus als eine fremde Religion im ersten Jahrhundert nach Christo aus Indien in China ein. Kaiser Ming-ti erkannte im Jahre 65 diese neue Lehre als dritte Staatsreligion für sein Reich an. Alle drei Religionen wirken in China friedlich nebeneinander. Dabei leben aber auch noch animistische Vorstellungen im Volke fort von Baumanbetungen und Verehrung der Wasser- und Windgeister (Feng Shui) (Abb. 487). Die Furcht vor bösen Geistern macht sich vielfach in den Gewohnheiten der Chinesen bemerkbar, so unter anderem darin, daß sie vor jeden Hauseingang einen Wandschirm stellen oder die Tür nur in einem bestimmten Winkel offenstehen lassen in der Annahme, daß alle bösen Geister geradeaus gehen und bei dieser Anordnung schwer den Eingang finden. Vor allem zeigt sich der Ausfluß des alten Dämonenglaubens in den Gebräuchen bei der Geburt eines Kindes.
Phot. Arthur Sowerby.
Abb. 487. Dorfgottheiten in Schansi.
Ein häufiger Brauch in Schansi ist, daß Götter zwei Dörfern angehören. Sie werden in dem Tempel des einen Dorfes sechs Monate aufgestellt, um dann in demjenigen des anderen untergebracht zu werden.
Aus Hardy, John Chinaman at Home.
Abb. 488. Reich verzierte Hochzeitssänfte,
die von dem Bräutigam ins Haus der Braut gesandt wird, um diese abzuholen.
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GRÖSSERES BILD
Aus Reitzenstein, Liebe und Ehe.
Abb. 489. Schmückung einer chinesischen Braut.
Sie erhält unter anderem Blumen, an denen zwei Knabenpuppen, die eine grün, die andere rot, beide mit einem Kürbis in der Hand, hängen — ein Symbol der Fruchtbarkeit. Der Bräutigam betritt das Zimmer und nimmt neben der Braut Platz.
(Malerei auf Seide. Museum für Völkerkunde, Berlin.)
Die Geburt geht unter Beihilfe einer Hebamme vor sich. Diese Frauen pflegen ihre Tätigkeit durch ein bemaltes Schild vor ihrem Wohnhause bekannt zu machen, das auf der Vorderseite diese ihre Beschäftigung („Empfangsfrau“) kundgibt und auf der Rückseite irgend einen glückverheißenden Spruch oder eine geschickte Anpreisung ihrer gesegneten Tätigkeit, wie „flinkes Roß“ oder „leichtes Gefährt“ enthält. Bei jeder Geburt spielen Amulette eine große Rolle, um die bösen Geister zu bannen. So zieht die Gebärende besondere Strümpfe an, die der Dalai Lama eingesegnet hat, oder verschluckt Pillen aus Papier, auf dem Zaubersprüche geschrieben stehen, oder man hängt in ihrer Nähe zwei Zauberschwerter auf, das sind zwei Stäbe in Schwertform, die sich aus etwa hundert aufeinander gereihten, womöglich recht alten, Kashmünzen, zusammensetzen. Die Nabelschnur wird von der Hebamme in eine Holzkohle enthaltende Urne getan, die man sorgfältig versiegelt und zehn Jahre hindurch, mitunter auch das ganze Leben lang, aufbewahrt und im letzteren Falle mit ins Grab gibt. Manchmal wird sie auch getrocknet, um pulverisiert dem Kinde bei Blattern als Heilmittel gegeben zu werden. Die Nachgeburt muß von der Mutter der Wöchnerin, oder falls diese nicht mehr am Leben ist, von der ältesten Schwägerin am dritten Tage nach der Niederkunft unter einem Steine vergraben werden, damit sie niemand findet. Denn da sie ein von Apothekern sehr gesuchter Artikel ist, um daraus ein Heilmittel zur „Herstellung der Lebenskraft“ anzufertigen, so wird sie häufig gestohlen. Man gibt das Mittel auch einer Schwangeren vor der Entbindung ein. Einem scheintoten Kinde wird ein mit Öl getränktes Stück Papier auf den Nabel gelegt und angebrannt, damit die dabei sich entwickelnde Hitze durch den Nabel in den Magen ziehe und die Lebensgeister erwärme. Nach der Geburt werden rote Kerzen in der Wochenstube angezündet und die Anwesenden bemühen sich, nur Angenehmes zu erzählen, denn der neue Erdenbürger darf nur Freudiges hören und sich nicht erschrecken. Die Wöchnerin gilt für kürzere oder längere Zeit als unrein; kein männliches Wesen und kein Fremder dürfen in ihre Stube kommen. Zum Zeichen dessen hängt man an einem der Türklopfer ein Schloß auf und teilt auf einem Stück roten Papiers mit, daß ein Knabe oder ein Mädchen angekommen ist. Kein Mensch wird dann wagen einzutreten. Der Vater sieht sofort nach der Geburt im Kalender nach, ob die Stunde günstig ist. Erblickt ein Knabe um die Mittagstunde das Licht der Welt, dann wird er nicht nur am Leben bleiben, sondern auch ein bedeutender Mann werden; ein Mädchen dagegen wird sterben. Wird ein solches um Mitternacht geboren, dann wird es wohl sein Leben behalten, aber unglücklich werden; ein Knabe aber wird beständig Freude im Leben haben. Am dritten Tage gibt man dem Kinde den ersten Namen, den sogenannten Milchnamen (im Gegensatz zu dem Familiennamen), der meistens auf irgend ein Ereignis, das bei der Geburt auffiel, zum Beispiel starken Regen, Bezug nimmt. Geht der Knabe zur Schule, dann erhält er den Schulnamen, manchmal wechselt er auch diesen noch, während Mädchen Zeit ihres Lebens denselben Vornamen führen. Am achtundzwanzigsten Tage wird ein großes Fest gefeiert, zu dem die Freunde sich mit ihren Glückwünschen und Geschenken einfinden. Die Mutter überreicht dem Vater das Kind, der es als das seine anerkennt. Es wird auch am Kopfe rasiert, nur zwei kleine Büschel bleiben an den Schläfen stehen. Um den Einfluß böser Geister zu bannen, wird an ihm noch die Zeremonie des Tordurchschreitens vorgenommen. Es wird unter lauten Zymbalschlägen in feierlichem Zug durch einen Torrahmen getragen, der mitten in einem Zimmer aufgestellt ist, und erhält Speisen, Papiergeld und so weiter angeboten. Hat das Kind das erste Lebensjahr vollendet, dann werden neue Opferspenden dargebracht und daran anschließend ein neues Fest veranstaltet. Nachdem Räucherkerzen angezündet worden sind, breitet man vor den Ahnentafeln auf einer Platte im Kreise eine Geldwage, ein Buch, Schmucksachen und so weiter aus, setzt das Kind mitten hinein und beobachtet, welchem Stück es seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet; man schließt daraus auf seinen zukünftigen Beruf. Nach vollendetem zehnten Jahre wird wiederum ein Fest abgehalten, und dies wiederholt sich alle Dezennien. Die Kleider für ganz junge Kinder werden nach dem Muster der Priesterkleidung angefertigt; hierdurch, wie durch alle möglichen Zaubermittel, Glücksächelchen und Bildnisse besonderer Schutzgottheiten, die man ihnen umhängt, soll der Schutz der Götter gewonnen werden. Beständig ist die Mutter darauf bedacht, daß dem Kinde ein böser Geist nichts antue. Aus diesem Grunde wird manchmal ein Knabe als Mädchen und ein Mädchen als Knabe angezogen, um die Geister irrezuführen.
Aus Reitzenstein, Liebe und Ehe.
Abb. 490. Chinesischer Brautzug nach dem Hause des Bräutigams.
Die erste Sänfte enthält die Braut, die zweite die Brautmutter. Die Braut wird dabei in einer roten Sänfte getragen. Die vorangehenden Laternenträger sind bei den oberen Gesellschaftsklassen mit rotpunktierten grünen Röcken, bei den übrigen mit schwarzen Röcken bekleidet.
(Malerei auf Seide. Museum für Völkerkunde, Berlin.)
Mit sieben Jahren beginnt für die Knaben der erste Unterricht, der in dem Lesenlernen und Schreiben der Tausende von Schriftzeichen und in dem Auswendiglernen klassischer Bücher besteht. Nach einigen Jahren wird ihnen die höhere Bildung zuteil, insofern sie über Abfassung von Briefen, behördlichen Verordnungen, Kontrakten und so weiter Unterweisung empfangen und sich mit literarischen Kompositionen und poetischen Erzeugnissen beschäftigen. Nach abgeschlossenem Bildungsgang legen die jungen Leute ihre Examina ab, zu denen ein jeder, mit wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel die Barbiere und Schauspieler, zugelassen wird. Es ist dies eine uralte Einrichtung, die bereits auf ein mehr als tausend Jahre langes Alter zurückblickt. In vielen Gegenden legen die Kandidaten, wenn sie in Ehren bestanden haben, ein besonderes Gewand an, das mit vielen Bändern geschmückt ist, gehen umher, machen bei ihren Bekannten Besuche und nehmen deren Glückwünsche entgegen. Über dem Haupteingang des Hauses, in dem sie wohnen, wird ihr Name und akademischer Rang mit großen goldverzierten Buchstaben aufgetragen, ein sinnreicher Tribut an die Gelehrsamkeit, durch den in die Eintönigkeit der schmalen Straßen etwas Abwechslung gebracht wird. Neuerdings beginnen mehr und mehr europäische Erziehungsmethoden in China Eingang zu finden, auch der Mädchenbildung wird jetzt mehr Beachtung geschenkt. Man läßt den Mädchen bis zu einem gewissen Grade auch schon eine Erziehung zuteil werden, das heißt ihnen Unterricht im Lesen und Schreiben, sowie in der Anfertigung von Handarbeiten, im besonderen Sticken geben. Bis dahin beschränkte sich ihre Ausbildung in dem Einüben von Begrüßungen, Verbeugungen und anderen Förmlichkeiten. In Südchina schickt man die Mädchen sogar in Pensionate.
Phot. Messrs. Thomson.
Abb. 491. Ein Chinesenpaar in Andacht vor dem Schrein ihrer Vorfahren.
Phot. Mrs. Cecil Holiday.
Abb. 492. Chinesisches Brautpaar,
der Bräutigam in Mandarinenkleidung, aber ohne Rangabzeichen (Perlenhalsband und Stickerei auf der Vorderseite des Rockes), die Braut in prunkvollem Kopfputz, der ihr Gesicht ziemlich verbirgt.
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GRÖSSERES BILD
Das Weib nimmt bei den Chinesen eine ganz untergeordnete Stellung ein. Bereits die Geburt eines Mädchens wird in der chinesischen Familie selten mit Freuden begrüßt und manchmal geradezu als ein böses Geschick verwünscht, sobald keine Knaben vorhanden sind. Dies hängt mit der Sitte der Ahnenverehrung, mit der Ansicht der Chinesen, daß die Seelen der Vorfahren nur durch die Huldigung ihrer männlichen Nachkommen ein glückliches Dasein führen, zusammen. Daher wird es allgemein als Familienunglück angesehen, wenn kein Sohn vorhanden ist, der den Ahnen die täglichen Ehren erweisen und Opfer darbringen kann, damit sie in der Unterwelt nicht ewig hungern und dürsten brauchen. Außerdem ist ein männlicher Nachkomme stets eine Stütze der Eltern, zumal er auch nach seiner Verheiratung in ihrem Hause verbleibt und sie unterhält. Kommt noch hinzu, daß er literarische Ehren erwirbt und eine gute Stellung erhält, so gereicht dies nicht nur seinen Erzeugern, sondern auch den Vorfahren zur Zierde. Eine Tochter dagegen fällt bis zu ihrer Verheiratung den Eltern nur zur Last und vermag sie späterhin nicht zu unterstützen, da sie in die Familie des Gatten übersiedelt. — Der Chinese heiratet für gewöhnlich jung, meist vor dem vollendeten zwanzigsten Lebensjahre; es ist aber nichts Ungewöhnliches, daß Knaben von sechzehn mit Mädchen von vierzehn Jahren die Ehe eingehen. Verlobungen finden häufig schon viel früher statt. Liebe knüpft sehr selten den Bund fürs Leben, sondern fast stets der Wille der Eltern, gegen den das junge Mädchen nicht ankämpfen darf. Sie bekommen die Schwiegertochter oft zu einem sehr niedrigen Preise oder gar umsonst von einer Familie, die zu arm ist, um eine Tochter aufzuziehen. Es ist in China üblich, daß die Schwiegertochter in das Haus der Eltern des Bräutigams zieht, wo sie für immer verbleibt und mitarbeiten muß; oft genug erfährt sie hier die grausamste Behandlung, besonders von seiten der Schwiegermutter, die das ganze Hauswesen der Sitte gemäß beherrscht, sogar tyrannisiert. Dieser Übelstand hat den Selbstmord vieler chinesischer Frauen zur Folge, da sie die Mißhandlungen und Kränkungen nicht auf die Dauer auszuhalten vermögen. In Südchina soll es sogar einen Geheimbund junger Mädchen geben, „die Gesellschaft der goldenen Regenbogen“, deren Mitglieder sich verpflichten, eher sich das Leben zu nehmen, als zu heiraten. — Der Heirat geht als Regel die Verlobung voraus, von der einer nur mit großer Schwierigkeit und unter großem Geldaufwand loskommen kann. Stirbt der Jüngling vor der Hochzeit, so gehört seine Braut trotzdem seiner Familie an und wird als seine Witwe angesehen. Einer der seltsamsten Gebräuche ist ihre Trauung mit dem Geiste ihres verstorbenen Bräutigams. Er wird durch eine Tafel vertreten, die eine weibliche Verwandte bei der Trauung trägt und die nachher in den Ahnensaal kommt; im übrigen spielt sich die Zeremonie so ab, als ob der Bräutigam noch lebte. Drei Tage nach solcher Hochzeit legt die Braut Trauer an und richtet sich lebenslänglich als Witwe ein; sie adoptiert auch einen Sohn, der den Familiennamen des Verstorbenen weiterführt und die Pflege der Ahnen übernimmt. — Nachdem ein Austausch von Geschenken stattgefunden hat, wird die im Brautkleid aufs schönste geschmückte Braut (Abb. 489 und 492) auf einer Hochzeitssänfte (Abb. 488) in das Haus der Schwiegereltern getragen (Abb. 490), wo sie sofort diesen sowie den Großeltern, ganz gleich ob sie leben oder nicht, ihre Ehrerbietung erweist; Vater und Mutter sitzen dabei, und das Paar kniet vor ihnen nieder. In gleicher Weise muß es der Ahnentafel seine Ehrerbietung erweisen (Abb. 491) und abwechselnd aus demselben Becher Reiswein trinken. Damit ist die Ehe geschlossen.
Phot. Gebr. Haeckel.
Abb. 493. Chinesische Halbweltdame.
Das Los der Chinesin ist, sobald sie in das Haus ihres Gatten übergesiedelt ist, ein trauriges; sie gilt ihm nicht als Gefährtin, sondern als Sklavin, wird dementsprechend auch behandelt und unter Umständen auch verprügelt. Etwas mehr Achtung genießt sie erst, sobald sie einem oder mehreren Söhnen das Leben gegeben hat, und in dem Maße als sie älter wird, gewinnt sie an Ansehen in ihrem eigenen Hause, bis sie schließlich im Kreise ihrer Söhne und Schwiegertöchter dieselbe ehrfurchtgebietende Stellung einnimmt, wie vordem ihre eigene Schwiegermutter. — Verheiratete Frauen pflegen sich täglich zu besuchen, ihre Freundinnen zu kleinen Gesellschaften einzuladen, auf denen, wie bei uns, viel geklatscht wird, und häufig in die Tempel zu gehen. Neuerdings macht sich mehr und mehr eine Wandlung in der Lebensweise der Frauen bemerkbar. Während bis dahin es streng verboten war, daß die beiden Geschlechter miteinander zusammen kommen, haben neuerdings in Peking einige Prinzessinnen und Frauen der guten Gesellschaft die europäische Mode des zu Hause Empfangens eingeführt, bei welcher Gelegenheit sich beide Geschlechter dann treffen. — Dem Manne steht das Recht zu, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, und dies aus achterlei Gründen: wegen ungebührlichem Verhaltens gegen seine Eltern, wegen Unfruchtbarkeit, Ehebruch, Abneigung, Eifersucht, böser Krankheit, Schwatzhaftigkeit und Diebstahl an seinem Eigentum. Erst seit dem Jahre 1873 hat auch die Frau ein gewisses Recht auf Scheidung erlangt, die sie unter Beistand des Vaters oder eines Verwandten vor dem Richter einreichen kann.
Daß eine Witwe sich wieder verheiratet, gehört nicht zum guten Ton. Wohl tut dies eine Frau der niederen Schichten aus Armut, aber in den Familien der Vornehmen und Reichen kommt eine zweite Ehe selten vor; die Wiederheirat würde dem zweiten Mann nur zur Schande gereichen. Auf der anderen Seite fällt auch wieder ins Gewicht, daß die Frau, die dem Gedächtnis des Verschiedenen treubleibt, dessen Erbin wird; sie bekommt alle beweglichen und festen Hinterlassenschaften, kann über sie schalten und walten wie sie will, verfügt über das ganze Haus mit allen Nebenfrauen, Dienern und Sklaven und kann dieselbe väterliche Gewalt über ihre Kinder wie der verstorbene Familienvater ausüben. Unter Umständen kann ihr nach dem Tode auf höhere Anweisung von Peking aus die Ehre zuteil werden, daß ihrem Andenken eine Ehrenpforte errichtet wird, die den gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechtern verkündet, wie gewissenhaft sie ihre Pflichten als Witwe erfüllt hat. — Für die chinesische Witwe ist eine Mindesttrauer von drei Jahren vorgeschrieben; trauert sie ihr ganzes Leben lang, so wird ihr dies hoch angerechnet.
Phot. G. C. Binstead.
Abb. 494. Szene aus einem chinesischen Begräbnis.
Es werden Gerichte, Früchte, Waren und so weiter auf Tischen zum Gebrauch für den Toten im Jenseits im Zuge mitgetragen und am Grabe niedergestellt. Die eßbaren Dinge werden von den Leidtragenden verzehrt.
Die Chinesen, wie überhaupt alle Ostasiaten, gelten im allgemeinen für ziemlich wollüstig, und ihr moralisches Leben entspricht wenig unseren europäischen Sittlichkeitsbegriffen. Daher ist unter ihnen das Prostitutionswesen ungemein verbreitet. Die chinesischen Freudenmädchen (Abb. 493) sind in luxuriösen Bordellen untergebracht, die wegen ihrer blauen Jalousien die blauen Häuser (Tsing Lao) genannt werden. In den Städten, die an Flüssen liegen, dienen dem gleichen Zwecke die sogenannten Blumenboote, eigens dazu gebaute, am Lande verankerte Schiffe. Ihre Insassen sind meistens armer Leute Kinder, die diesen entweder entführt oder von ihnen im frühesten Alter gekauft worden sind, um sie systematisch für ihren Beruf vorzubereiten. Bereits mit sechs bis sieben Jahren werden sie in ihn eingeführt, indem sie die älteren Kurtisanen und deren Besucher bedienen müssen. Sodann erhalten sie im Singen und Lautespielen, sowie im Lesen, Schreiben und Malen Unterricht, um die sie besuchenden Gäste auch genügend unterhalten zu können, sobald sie mit etwa vierzehn Jahren ihr Gewerbe aufnehmen. Daher spielten die Blumenmädchen in früheren Zeiten eine ähnliche Rolle in China wie die Hetären im alten Griechenland. Die Jünglinge suchten sie auf, um von ihrer Bildung und guten Erziehung etwas zu profitieren. Heute soll dies teilweise auch noch der Fall sein, wenngleich bei diesen Besuchen das sexuelle Moment wohl mehr im Vordergrund steht.
Phot. G. C. Binstead.
Abb. 495. Ein Pavillon mit Papiergeld;
er enthält in seinem Innern auch eine Tafel mit Inschriften, die die Titel und den Rang des Verstorbenen anzeigen.
Auch die männliche Prostitution ist in China in solchem Maße verbreitet wie wohl nirgends auf der Welt; besonders sollen die nördlichen Provinzen und das Küstengebiet ein wahres Eldorado für die Homosexualität abgeben. Diese männlichen Liebesdiener setzen sich hier größtenteils aus jungen Männern zusammen, die von früher Jugend an, ähnlich wie ihre weiblichen Kolleginnen, besonders für diesen Zweck vorbereitet werden; es sind die sogenannten Sian-Kôn. Im Alter von vier bis fünf Jahren werden sie ihren Eltern abgekauft, auch wohl geraubt und in besonderen Lusthäusern auferzogen. Hier erfahren sie eine besondere Pflege, um eine schöne Körperform zu erhalten, und werden für ihren zukünftigen Beruf noch besonders geschult. Diese Sian-Kôn finden in ihrer Blütezeit dann ihren Liebhaber, der sie aushält; andere richten sich selbständig ein, wohnen in Bordellen und empfangen hier den Besuch ihrer Verehrer geradeso wie die Freudenmädchen. Neben dieser gleichsam organisierten Prostitution gibt es noch die freie, die Gelegenheitsprostitution; es gehören ihr zumeist Schauspieler, Lastträger, Wagenschieber, Straßenbummler und ausgediente, ihres Jugendreizes verlustig gegangene Männer der ersten Gruppe an. Ein besonders starkes Kontingent stellen dazu die Schauspieler; das Theater in Peking ist gewissermaßen der Nährboden für sie, wo sie sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum sich besonders breit machen und sich nicht selten der Gunst reicher Chinesen erfreuen. „Der Saal, das Parterre, die Logen sind mit einer Schar junger Leute angefüllt von oft weiblichem Gang, aber in männlicher Kleidung aus Stoffen von glänzenden Farben und feinstem Gewebe; sie gehen von Tisch zu Tisch, spenden ein Lächeln hierhin, geben einen Wink dorthin, nehmen von diesem einen Leckerbissen, von anderen einen Scherz zweifelhaften Charakters entgegen und lassen sich schließlich an einem Tische bei Leuten nieder, denen sie bekannt sind, oder welche ihnen den Eindruck des Reichtums erwecken“ — alles dieses, wie wir es an unseren Prostituierten in bestimmten Lokalen beobachten.
Totenzeremonie der Chinesen in Tientsin.
Ein großer Drache wird von Männern in Schlangenlinien durch den Ort bewegt; ein Chinese mit einer goldenen Kugel auf einer Stange, die die Sonne darstellen soll, und die der Drache zu verschlingen versucht, läuft ihm voran, zwei andere Personen greifen ihn mit Messern von der Seite an. Die ganze Prozession zieht auf einem großen offenen Platz umher, von kleineren Drachen und einer Musikkapelle begleitet, die die Totengeister verjagen soll.
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GRÖSSERES BILD
Phot. F. W. Carey.
Abb. 496. Chinesischer Leichenzug,
der je nach dem Rang des Verstorbenen an Ausdehnung zunimmt.
Phot. F. W. Carey.
Abb. 497. Pferd und Diener, in Papier ausgeführt, bei einem chinesischen Leichenbegängnis
zum Gebrauch für den Toten im Jenseits.
Ist ein Chinese erkrankt, so nimmt er zunächst seine Zuflucht zu dem Übernatürlichen, da vielleicht einer der bösen Geister, möglicherweise ein erzürnter Vorfahre, die Krankheit verhängt haben könnte. Deshalb wirft sich die Familie vor dem Ahnenaltar nieder und fleht um Genesung. Tritt diese nicht ein, dann wendet man sich an den Arzt, aber zunächst nur, um die Diagnose von ihm zu erfahren, das heißt ob das Leiden von einem Geiste der Vorfahren ausgeht oder von einem „bettelnden“ Geiste; darunter versteht man Geister, die entweder keine Angehörigen mehr haben oder von diesen keine genügende Verehrung erfahren, oder solche, die im Kriege, auf der hohen See oder im fremden Lande verendeten; sie sind zu „Bettlern“ verdammt, leben von der öffentlichen Fürsorge, und rächen sich daher durch Heraufbeschwören von allerlei Unheil, wie Hungersnot, Überschwemmungen, Krankheit und so weiter. Die Behandlung in solchem Falle ist einfach, der beleidigte Geist muß versöhnt werden. Zu diesem Zwecke verbrennt man Papiergeld (in Form kleiner Boote, Nachahmung der Silbertaels) entweder bei erzürnten Vorfahren vor dem Hausaltar oder bei erzürnten Bettelgeistern vor der Haustüre. Als letzte Zuflucht wird noch ein Bonze geholt, der mit Beschwörungen gegen die bösen Geister vorzugehen hat. Läßt sich auch hierdurch die Auflösung des Kranken nicht aufhalten und steht sein sicheres Ende bevor, so trifft man bereits Vorbereitungen zum Begräbnis. Man nimmt dem Sterbenden Maß zu einem Leichengewande, das wattiert sein muß, weil die Seele kalte Gegenden zu passieren hat — auch ein Fußofen wird ihm aus diesem Grunde mitgegeben — und spricht in seiner Gegenwart ruhig von seinem bevorstehenden Ende. Damit noch nicht genug, trägt man ihn auch meistens aus dem Zimmer heraus oder gar auf die Straße, denn er darf nicht in seinem Bette sterben, weil sich vielleicht ein Geist im Bette oder Zimmer aufhält, der die Überlebenden dann heimsuchen könnte. — Die Leiche wird in einen Sarg gelegt und dieser versiegelt. Beim Begräbnis (Abb. 494 bis 496) werden besondere Leute gemietet, die möglichst viele und laute Klagen anstimmen. Jedoch findet das Begräbnis nicht sofort statt, sondern es können Wochen, selbst Monate vergehen, ehe man den Leichnam der Erde anvertraut. Je höher der Verblichene im Range stand, um so später erfolgt die Beisetzung. Reiche Chinesen werden einbalsamiert und während dreier Monate — bei dem verstorbenen Kaiser dauerte es sechs Monate lang — auf einem Katafalk, um den beständig große rote Kerzen brennen, in ihrem Staatszimmer vor dem Altare der Ahnen aufgebahrt; die Wände des Raumes schmücken große Vorhänge aus weißem Tuch, auf dem in Tusche fromme Wünsche, religiöse Ausrufe und Lobpreisungen auf den Toten geschrieben stehen. Bei den ärmeren Leuten wird der Sarg bald der Erde überliefert, aber der Tote noch drei Jahre lang als anwesend im Hause gedacht, und in seinem Namen werden alle Anordnungen, seien sie zivilrechtlicher, behördlicher oder religiöser Natur getroffen. Solange die Trauer dauert, darf die Erbschaft nicht angetreten werden; auch ist es verboten, irgend ein Fest, nicht einmal eine Hochzeit oder Verlobung, währenddem zu feiern. Jedoch fällt dem ältesten männlichen Familienmitglied die Pflicht zu, dem Verschiedenen seine weitere Verehrung in dem Darbringen von Nahrung, Geld und Kleidern in Papier zu bezeigen; aus diesem Grunde geht das Verlangen eines jeden Chinesen dahin, sich einen männlichen Nachfolger zu verschaffen; wenn ihm dies Glück versagt ist, adoptiert er sich einen solchen; stirbt er, bevor sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, so stellt ihm die Familie pflichtgemäß einen Nachfolger. Alle Jahre unternimmt die gesamte Bevölkerung einen Umzug zu den Gräbern der Toten und bringt ihnen Opfer dar; diese Zeremonien, bei denen ein großes Gepränge entfaltet wird, beginnen in den ersten Tagen des April und dauern zwei bis drei Wochen; alle Familienstreitigkeiten müssen dann beseitigt werden. Die Familienmitglieder begeben sich sämtlich zum Grabe ihres Angehörigen, das Oberhaupt stellt ein Opfer, aus Lebensmitteln, Früchten und Wein bestehend, auf das Grab und zündet Lichter an, dazu legt es alle möglichen Gegenstände, die der Tote im Jenseits gebrauchen könnte, wie Wagen, Boote, Pferde, Sänftenträger, Diener, Geld und so weiter, allerdings nur in Nachahmung aus Papier (Abb. 497 und 498), begießt sie mit Alkohol und zündet das Ganze an. Während dieser Feierlichkeit macht die Familie neun Kotau, das heißt Verbeugungen vor dem Grabe. — Die „bettelnden“ Geister verfallen der öffentlichen Wohltätigkeit; man bringt ihnen ebenfalls an besonders dazu festgesetzten Tagen solche Opfer dar; eine jede Familie trägt zu dieser öffentlichen Fürsorge nach Maßgabe ihres Einkommens bei, und die Summe, die hierbei einkommt, ist nicht unbeträchtlich; nach Yates sollen jährlich gegen fünfzig Millionen dafür ausgegeben werden.
Phot. F. W. Carey.
Abb. 498. Sänfte mit vier Trägern, aus Papier angefertigt, bei einem chinesischen Leichenzug.
Die Banner zur Linken geben die Würden des Toten bekannt, diejenigen in der Mitte zeigen an, daß er gütig und gerecht war.
Kinder werden gewöhnlich in kleinen Kisten beigesetzt, sehr arme Leute hüllen die Leiche in Strohmatten und legen sie einfach auf das Grab Erwachsener. Da ein Baby noch keine Zähne hat und auch nicht essen kann, ist es nach der Ansicht der Chinesen noch kein Mensch und braucht nicht wie dieser begraben zu werden. Daher stiften wohltätige Leute „Babytürme“, in denen die kleinen Kinder armer Leute mit Würde und Anstand beerdigt werden können. Reiche Leute haben am Rande des Familienfriedhofs einen Begräbnisplatz für Kinder, da ein Kind nicht mit Erwachsenen zusammen begraben werden darf. Eine der rührendsten Sitten in China ist das Suchen der Seele eines toten Kindes durch seine Mutter. Diese zieht mit einer Laterne und einem Kleidungsstück ihres Lieblings aus, um nachzusehen, wo er seine Seele habe fallen lassen; sie bewegt die Laterne hin und her und ruft das Kind mit den Worten: „Komm heim, komm heim!“ — eine Mutterstimme, sagen die Chinesen, reiche tausend und aber tausend Li (ein Li = vierhundertzweiunddreißig Meter) weit — und eine andere Frau antwortet darauf mit „Ich komme“; man glaubt dann, daß das Seelchen der Mutter nach Hause folge. — Eine höchst phantastische Totenzeremonie in Tientsin zeigt unsere farbige Kunstbeilage.
Abb. 499 und 500. Steinfiguren an dem Weg zu den Minggräbern bei Peking.
Mandarine, bedeutende Personen, sowie Leute, die durch Mildtätigkeit und Güte diese Ehre verdient haben, werden auf öffentliche Kosten in kostbaren Mausoleen, die aus Granit oder Nephrit gebaut, mit gebrannter Emaille geschmückt sind und ein Wohngebäude mit Saal für Totenzeremonien enthalten, beigesetzt. Weltberühmt sind die Gräber der Kaiser aus der Mingdynastie, im besonderen das Grabmal des Herrschers Yung-Lo bei Peking. Eine kilometerlange Allee von seltsam geformten steinernen Riesentieren (Abb. 499 und 500), Kriegern und Ministern, von denen ein jedes Bildnis aus einem einzigen Felsblock gehauen ist, führt zu einem großen Hügel, auf dem sich das Grab dieses berühmten Kaisers inmitten alter Eichen, Zedern und Sykomoren, ein Tempel auf einer weißen, von einer skulpturenreichen Balustrade umgebenen Marmorterrasse erhebt, und dessen gelbes Dach auf sechzig, drei Meter im Umfang messenden Holzsäulen ruhend die goldene Ahnentafel beschattet. Ursprünglich scheint man im Altertum bei chinesischen Begräbnissen auch Menschenopfer dargebracht zu haben; bis vor wenigen Jahrhunderten war dies nachweislich noch bei kaiserlichen Begräbnissen der Fall.
Eine ebenso entsetzliche Unsitte, die noch bis vor ganz kurzem geübt wurde, war das Lebendigbegraben. Dieses schauerliche Los traf gewöhnlich solche Leute, die für ihre Familie oder Gemeinde eine moralische oder physische Gefahr bedeuteten, wie leidenschaftliche Spieler, unverbesserliche Opiumraucher, Diebe und Raufbolde, sowie Aussätzige. Der chinesischen volkstümlichen Auffassung erscheint diese Unsitte aber gar nicht so ungeheuer, denn ihr zufolge ist das Leben nach dem Tode nur eine Fortsetzung des Lebens auf der Erde.
Deko; Ende des Buches