Östlich und nördlich von dem Festlande Australien breitet sich in der Richtung nach Amerika zu eine aus unzähligen Eilanden bestehende Inselwelt aus, die man insgesamt als Ozeanien bezeichnet. Innerhalb ihrer Bevölkerung lassen sich zwei Typen unterscheiden, eine schwarze und eine braune Rasse; dementsprechend führen die Inseln, auf denen die erstere vertreten ist, die Bezeichnung „Melanesien“, das heißt schwarze Inseln; die übrigen, mit denen wir uns zuerst beschäftigen, werden „Polynesien“ und „Mikronesien“ genannt.
In der polynesischen Inselflur treffen wir dicht hinter Fidschi, wenn wir nach Osten fahren, zunächst die Tonga- und Samoagruppe, noch weiter östlich die Cookinseln, Tahiti mit seinen Eilanden, die Paumotu- und die Marquesasinseln und stoßen schließlich, in der gleichen Richtung weiter gehend, auf den am weitesten vorgeschobenen Posten, die Osterinsel. Fast ebenso einsam liegen im Norden die Hawaiinseln da, während in entgegengesetzter Richtung, nämlich nach Südwest, gleichfalls isoliert Neuseeland liegt, die größte der Inseln des Stillen Ozeans.
Nordwestlich von Polynesien und nördlich von Melanesien finden wir Mikronesien, das heißt die kleinen Inseln. Innerhalb dieses Archipels unterscheidet die Wissenschaft wieder einzelne Gruppen, die Karolinen mit den Palauinseln sowie den Marianen oder Ladronen, die Marshallinseln, die Gilbertinseln und die Ellice- (oder Lagunen-) Inseln. Mit Ausnahme der beiden letzten Gruppen ist Mikronesien deutscher Kolonialbesitz.
Die Bevölkerung Polynesiens ist am reinsten in den Samoanern vertreten, daher möchte ich diese auch als den polynesischen Typus hinstellen. Die Samoaner sind von hoher Statur — Körpergrößen von hundertachtzig Zentimeter und darüber sind bei der männlichen Bevölkerung keine Seltenheit —, sie haben eine durchweg schöne, ebenmäßige Gestalt, die besonders beim weiblichen Geschlecht, bei dem es trotz der kurzen dicken Beine wirkliche Schönheiten gibt, auffällt (Abb. 2 und 3). Sie besitzen eine hellbraune Hautfarbe, welliges oder fein gelocktes Haar von schwarzer bis braunschwarzer Farbe, kurzen Schädel, regelmäßiges Gesicht mit oft leichter Andeutung der Mongolenfalte, eine kleine, breite Stumpfnase mit kleinen, runden Nasenlöchern und etwas vorspringende Lippen. Im allgemeinen zeichnen sich die Polynesier durch eine Reihe guter Eigenschaften wie Rechtschaffenheit, Friedlichkeit, Gastfreundschaft, Ordnungsliebe, Reinlichkeits- und Schönheitssinn aus. Damit hängt auch die peinliche Sorgfalt zusammen, die sie der Pflege und Ausschmückung ihres Körpers, besonders auch des Kopfhaares, widmen.
Phot. M. Kiepenheuer.
Abb. 2. Samoanerin in gewöhnlicher Kleidung,
mit zierlich geschnitztem Fächer in der Hand, auf Tapamatten ruhend, die auch die Wand bedecken.
Abb. 3. Samoaschönheiten mit hübschem Halsschmuck und Blumen im Haar.
Leider haben Kleidung und Schmuck der Polynesier seit der Entdeckung der Inseln infolge des sich mehr und mehr ausbreitenden europäischen Einflusses eine große Veränderung erfahren. Hier, wo die klimatischen Verhältnisse so äußerst günstig liegen, bedurfte der Körper kaum des Schutzes gegen die Witterung, in seiner Bekleidung nahm vielmehr ein schlichter und einfacher Schmuck die erste Stelle ein (siehe die Kunstbeilage). Tatauierungen — diese Schreibweise, die mit dem polynesischen Worte „tatau = kunstgerecht“ zusammenhängt, nicht die veranglisierte „Tätowierung“ ist die richtige — galten für den wichtigsten und vornehmsten Zierat; nichttatauiert zu sein war eine Schande. Daher nahm das Auftragen der Zeichnungen (Abb. 4 und 5) fast immer auch den Charakter einer religiösen Zeremonie an. Währenddessen stand der „Patient“ unter verschiedenen Verboten (Tabu), die sich an manchen Orten sogar noch auf andere Dorfbewohner ausdehnten. Der Vorgang spielte sich überall in fast der gleichen Weise ab. Als Werkzeug benutzte man einen Gegenstand, der einer kleinen Zimmermannsaxt glich; seine Schneide war aus Knochen hergestellt und am vorderen Ende mit einer Anzahl Zähne wie beim Kamm versehen. Jetzt bedient man sich auf Mikronesien der Stahlnadeln. Der Operateur, der das Tatauieren als Beruf ausführt und deswegen eine hochgeachtete Stellung einnimmt, zieht die Umrisse der Zeichnung auf den Körper und führt die Farbe ein, indem er mit einem kleinen Stabe auf das mit schwarzer Farbe getränkte Beilchen schlägt (Abb. 7). Die ganze Ausführung eines vollständigen Musters nimmt für gewöhnlich mehrere Monate in Anspruch infolge des bei der Operation entstehenden Schmerzes und der manchmal unerwartet hinzutretenden heftigen Entzündung. Während die Tatauierung vorgenommen wird, singt ein Mädchenchor Rituallieder, wovon, wie man in früheren Tagen glaubte, der Erfolg der Operation abhängig war. Auf den Marshallinseln pflegt man die Jünglinge immer gleichzeitig zu einer bestimmten Jahreszeit zusammen zu tatauieren, wofür eine besondere Hütte gebaut und den Göttern Speiseopfer dargebracht werden; denn die Gottheiten des Tatauierens nehmen in der heimischen Götterwelt einen sehr hohen Rang ein. Ein ausgedehnter Kultus wurde mit den Tatauierungen von den Maori auf Neuseeland getrieben; das dazu verwandte Werkzeug war nicht gezähnt, sondern besaß einen geraden Schneiderand; mit ihm wurden Rillen in die Haut geritzt, wodurch die Operation sich schmerzhafter gestaltete. Das ganze Gesicht wurde mit ineinandergreifenden Spiralen und Linien bedeckt, sogar bis auf die Lippen herab (Abb. 6), wo der Schmerz besonders heftig empfunden wurde. Das Tatauieren auf dieser Insel war das Vorrecht der regierenden Klasse; mit der Tatauierung waren für den Betreffenden strenge Tabu verknüpft. Seiner Person wurde während des Vorgangs eine so hohe, heilige Ehrfurcht entgegengebracht, daß er es nicht einmal wagte, selbst seine Nahrung zu sich zu nehmen aus Furcht, sie könnte ihm verhängnisvoll werden; daher wurde er von anderer Hand gefüttert. In einem besonderen mit Schnitzerei verzierten Holztrichter gab man ihm zu trinken. Die Tatauierungen der Häuptlinge spielten im ersten Verkehre zwischen Maori und Europäern eine interessante Rolle insofern, als in den uns hinterlassenen Papieren, die sich auf die Abtretung von Land beziehen, der Häuptling als Unterschrift einen Teil seines tatauierten Gesichtes hinzeichnete.
Aus: Kraemer, Samoainseln.
Abb. 4. Tatauierungsmuster eines Samoaners,
a) von der Hinterseite, b) von der Vorderseite des Oberschenkels und der Hüfte.
Aus: Kraemer, Samoainseln.
Abb. 5. Tatauierungsmuster einer Samoanerin,
a) von der Rückseite, b) von der Vorderseite des Oberschenkels.
Ein eigentümliches Schmuckstück, das Tiki-Tiki der Maori, verdient besondere Erwähnung (Abb. 11). Es besteht aus einer kleinen merkwürdigen Figur aus Nephrit oder Jadeit, die für gewöhnlich von dem Familienoberhaupt um den Hals getragen wurde und den primitiven Ahnen vorstellen soll. Man vererbte es von Generation auf Generation als kostbares Familienstück, und daher gilt es noch heutigentags für die meisten Eingeborenen als unveräußerlich. — Die Marshallinsulaner dehnen die für die Aufnahme des Ohrschmucks angefertigten Löcher in ihren Ohren dermaßen aus, daß sie diese Ohrschlinge manchmal über den Kopf streifen können. Ein typischer Schmuck, den Eingeborene von hohem Rang auf Tonga, Samoa (und auch Fidschi) tragen, besteht in einer Halskette von Walfischzähnen (Abb. 8), die abgeschliffen und zu einem klauenartigen Gehänge aufgereiht sind, während der Maori aus guter Familie das Recht hat, als Haarschmuck die Feder des Huiavogels zu tragen (Abb. 10). — Ein sehr hübscher Zug der Ozeanier ist entschieden ihre große Vorliebe für Blumen als persönlichen Schmuck, wie wir dies besonders bei den Hawaiern und den Samoanern wie auch bei anderen Stämmen beobachten können, die sich täglich frische Kränze aus farbenprächtigen Blumen und, in früherer Zeit, leuchtend bunten Federn winden (Abb. 3 und 15).
Phot. A. J. Iles.
Abb 6. Ein Maorihäuptling der alten Schule
mit schöner, aber nicht ganz vollständiger Gesichtstatauierung und dem für die Maori charakteristischen Mantel von Flachsblättern, der einen ausgezeichneten Schutz gegen den Regen bietet.
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Zu Halsketten werden vielfach auch Muscheln verwendet (Abb. 14), die entweder in ganzen Stücken oder, wie in Mikronesien üblich, in kleine Scheibchen geschnitten und auf ein Band aufgezogen werden. Die Herstellung der Scheibchen erfordert eine langwierige Arbeit; die Muschel wird in passende Stücke zerbrochen, von denen jedes mit einer Art primitiven Drillbohrers durchlöchert und bis auf einen zierlichen Kreis durch sorgfältiges Abschleifen verkleinert wird. Auf den Gilbertinseln trägt man mit Vorliebe Halsketten, die aus den Schneidezähnen eines verstorbenen Vorfahren hergestellt sind, und hält solchen Schmuck hoch in Ehren.
Abb. 7. Tatauieren auf Samoa.
Die Muster der Zeichnung werden auf der straff gezogenen Haut mit dem Tatauierinstrument, das zuvor in einen schwarzen Farbstoff getaucht wurde, durch Aufschlagen eines Stäbchens eingegraben.
Die eigentliche Kleidung bestand in Polynesien vordem allgemein aus Matten und Tapastoffen (Abb. 8 und 13); beide werden noch jetzt bei Tänzen und zeremoniellen Veranstaltungen verwendet. Die Tapa (Abb. 2) ist eine Art Filz, der aus der Rinde des Papiermaulbeerbaums durch beständiges Klopfen, manchmal so dünn wie Papier, hergestellt wird. Was die moderne Kleidung anbetrifft, so pflegen die Männer ein Hüftentuch aus europäischem Stoff und eine Jacke zu tragen; Rock und Hosen finden jetzt mehr und mehr Aufnahme. Die Frauen dagegen sind mit einem Gewand, Holoku genannt, bekleidet, das lang herabfallend einem Nachthemd gleicht. Die frühere Bekleidung (Abb. 12) kommt aber noch bei Tänzen zum Vorschein. Abseits von den größeren Plätzen verzichten die Männer meistens auf das Obergewand. Leider ist die Einführung der europäischen Kleidung nicht von Vorteil gewesen, da sie den Körper der Eingeborenen verweichlichte und die Neigung für Erkältungskrankheiten erhöhte; Influenza und Lungenentzündung richteten seitdem viel Unheil unter ihnen an. Von den hochzivilisierten Tonganern, bei denen heute ein Frack kein ungewöhnlicher Anblick mehr ist, wird bei feierlichen Gelegenheiten oft über dem europäischen Kleid noch die primitive Matte getragen, die häufig genug durch ihr altertümliches, abgenutztes Aussehen zu dem modernen Kleidungsstück einen auffälligen Gegensatz bildet.
Aus: Kraemer, Samoainseln.
Abb. 8. Samoanisches Mädchen in Mattenkleidung
und mit einer Halskette von Walfischzähnen.
Auf Neuseeland wurde die Tapa niemals angefertigt, denn hier besaß man in dem einheimischen Flachs ein viel besseres Kleidermaterial. In früheren Tagen trugen beide Geschlechter daraus hergestellte Faltenröcke, dazu einen vielfach noch mit Federn geschmückten Schultermantel (Abb. 6 u. 10), der bei der Arbeit und beim Tanz abgelegt wurde. Das Weben von Stoffen, das hauptsächlich von den Weibern betrieben wurde, trug den Charakter einer heiligen Zeremonie; es wurde von besonderen Priestern gelehrt, und an die verschiedenen Stadien des Webens knüpften sich besondere Zaubersprüche. Außerdem mußten dabei die unvermeidlichen Tabu beobachtet werden, auf deren Vernachlässigung Strafen durch übernatürliche Wesen folgten. — In Mikronesien bestehen die Kleider, obgleich hier wohl an einigen Plätzen Tapa gewonnen wird, aus Blättern und Matten. Auf den Marshallinseln sieht man die alten Gewänder nur noch selten; sie bestehen beim Manne in einem Bastrock, eigentlich aus zwei durch ein Band miteinander verbundenen Büscheln mit langen Fransen; das Band kommt auf den Damm zu liegen, und die beiden Quasten werden vorn und hinten hochgenommen und durch einen Leibgürtel in dieser Lage festgehalten, über den sie nach vorn und hinten fallen, so daß die beiden Seiten des Oberschenkels und die Hüften unbedeckt bleiben und beim Gehen die Tatauierung an diesen Stellen sichtbar wird. Das Kleid der Frauen setzt sich aus zwei Matten zusammen, die hinten und vorn getragen werden. — Auf den Gilbertinseln verhält sich die Art der Bekleidung gerade umgekehrt; die Männer tragen hier Matten, die Frauen aber faltenreiche Röcke aus Pandanusblättern (Abb. 13). Auf den Karolinen dagegen, wo bereits der Webstuhl in die Erscheinung tritt, besteht die Männerkleidung in prächtig gewebten Gürteln aus Pflanzenfasern und für zeremonielle Zwecke in einem kurzen Rock aus schmal geschnittenen und oft strahlend gelb gefärbten, sorgfältig gekräuselten Kokosblättern. Die Nationaltracht der Frauen ist ein weiter, aus Borte gewebter Rock, der von der Taille bis auf die Knie reicht. — Eine besondere, auf den Gilbertinseln bestehende Sitte, die sich auf die Toilette bezieht, mag noch hervorgehoben werden. Hier sammeln die Frauen am Riff einen Wurm, der eine große Menge Jod enthält, und verreiben ihn auf ihrem Körper, wodurch diesem ein Duft mitgeteilt wird, der ihre Anziehungskraft sehr steigert.
Eine seltsame Rüstung trifft man auf den Gilbertinseln an. Sie besteht in einem aus Kokosfasern dicht geknüpften Beinkleid und einem Panzer aus dem gleichen Material, der auf der Rückseite einen sich fächerartig hinter dem Kopf erhebenden Nackenschutz besitzt und vorn noch eine Brustplatte oder einen Gürtel aus der hornartigen Haut des Stachelrochens trägt; dazu kommt ein Helm aus der Haut des Igelballonfisches und Handwaffen (Speere und Dolche), die auf beiden Seiten dicht mit Haifischzähnen besetzt sind (Abb. 16 und 18).
Aus: Kraemer, Samoainseln.
Abb. 9. Samoanisches Langhaus.
Im Vordergrund ist ein Fischnetz zum Trocknen ausgespannt, rechts im Hintergrund steht eine Bananenpflanzung, links vorne ein Apfelsinenbaum.
Aus Kraemer, Samoa.
Zwei Mädchen aus Tutuila.
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Phot. A. J. Iles.
Abb. 10. Eine Maorimutter mit einer Feder des Huiavogels im Haar.
Sie trägt ihr Kind in altgewohnter Weise in ihrem Mantel, der aus Flachsblättern und Kiwifedern besteht. Vielfach sind die Maorifrauen um Kinn und Lippen tatauiert, wie dies früher alle Frauen von Rang dieses Volkes waren.
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Eine hundertjährige Berührung mit den Europäern hat fast alle ursprünglichen Gebräuche und Sitten der Polynesier zerstört; nicht zum mindesten hat dazu ihre Bekehrung zum Christentum beigetragen. Da beinahe alle ihre Gebräuche und besonders ihre politischen Einrichtungen auf ihrer alten Religion aufgebaut waren, so hat das Aufhören der letzteren das Verschwinden der ersteren, wenigstens zum größten Teile, zur Folge gehabt. Mit Mikronesien ist es in dieser Hinsicht weniger schlecht bestellt; wir finden dort noch viele Überreste der ursprünglichen Lebensweise, und obgleich das Christentum hier ebenfalls bedeutende Fortschritte zu verzeichnen hat, so können wir doch noch den Spuren des alten Glaubens, besonders auf den entfernteren Inseln, vielfach begegnen.
Phot. Josiah Martin.
Abb. 11. Tiki-Tiki der Maori aus Jadeit,
das gewöhnlich von dem Familienoberhaupt getragen wird.
Abb. 12. Festgewänder der Eingeborenen auf Tahiti.
Der Aberglauben der Polynesier setzt bereits vor der Geburt des Kindes ein. Das erste Anzeichen der Schwangerschaft wird auf Samoa mit einem kleinen Fest gefeiert. Auf den Gilbertinseln wird damit, wenn es die erste Schwangerschaft ist, eine umständliche Zeremonie verbunden. Gegen Ende des zweiten Monats wird von einer alten weisen Frau aus den Schalen von ungefähr fünfzig Kokosnüssen eine Pyramide aufgebaut und in deren Spitze das Herzblatt einer Kokospalme gesteckt. Darauf heißt sie die Schwangere sich auf einer Matte daneben setzen, nimmt von einem dazu besonders bereiteten Brote aus Taroknollen und Kokosnußkernen ein ungefähr einen Fuß langes Stück, rollt es zwischen den Händen, berührt damit die angehende Mutter an verschiedenen Körperstellen und murmelt gleichzeitig Gebete an die Göttin Eibong des Inhaltes, daß das zu erwartende Kind schön und wohlgestaltet ankäme und, wenn es ein Knabe sei, dieser später die Liebe und Zuneigung junger Mädchen gewinne, oder, wenn es ein Mädchen sein sollte, dieses die Liebe eines reichen Mannes oder eines tapferen Kriegers finden möge. Darauf bricht sie ein Stück von dem Gebäck ab, reicht es der jungen Frau und den Rest dem jungen Ehemanne zum essen. Bis zum Morgen am vierten Tage schläft die Alte dann mit der Schwangeren jede Nacht neben der Kokospyramide. Jetzt melden sich Adoptiveltern für das Kind, da es Sitte ist, dieses nach Beendigung der Säugezeit anderen Eltern zu übergeben. Am Ende des dritten Monats begibt sich das junge Paar mit seinen Verwandten und der weisen Frau an einen unbewohnten Ort. Letztere stellt hier Speisen und Getränke unter einem Baum auf, um den der Adoptivvater des Gatten der Schwangeren mit ihr dreimal herumgeht; dann nehmen beide unter dem Baume Platz und werden von der alten Frau mit Speise versorgt. Hieran schließt sich ein allgemeiner Schmaus mit Tanz und Gesang. Am Schluß des vierten Monats endlich geht die Alte mit der Schwangeren und dem Adoptivvater ihres Mannes zu einem Kreuzwege. Hier nimmt sie der jungen Frau die Bekleidung ab und verbrennt sie. Dafür legt sie ihr eine neue um die Hüfte, die der Schwiegervater mitgebracht hat. Gleichzeitig wird ihr gesagt, daß sie mit dem Ablegen des Kleides ihrer Kindheit nun zu den Frauen gerechnet werde, und daß sie ihrem Manne sich recht angenehm erweisen und vor allen Dingen ihm treu bleiben müsse. Hierauf gehen sie nach Hause, wo wiederum ein Schmaus mit den Verwandten stattfindet. Außerdem läßt sich die Schwangere von dem Augenblick an, in dem sie sich guter Hoffnung fühlt, ihr bis dahin kahl geschorenes Kopfhaar wachsen und schneidet es erst wieder ab, wenn das Kind ungefähr ein Jahr alt geworden ist.
Aus: Kraemer, Hawaï.
Abb. 13. Marshallinsulanerin (Ralikgruppe) in alter Mattentracht.
Die aus Pandanusblättern geflochtenen Matten weisen hübsche Muster auf.
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Auf der Insel Jap (Karolinen) stellt die Schwangere, wenn sie die ersten Anzeichen ihres Zustandes verspürt, den Geschlechtsverkehr mit ihrem Manne ein und hält diese Enthaltsamkeit auch noch acht bis zehn Monate nach der Niederkunft inne. Der Mann entschädigt sich inzwischen in seinem Klubhaus, wo er sich eine oder mehrere Liebsten hält. Auch auf den Gilbertinseln lebt der Ehemann während der Schwangerschaft mit einer anderen Frau in seinem eigenen Hause weiter, während die Gattin sich in das Haus von Verwandten begibt.
Verschiedentlich bestehen für die Schwangere auch sonstige Verbote. Auf den Karolinen hat sie mehrere Arten von Kokosnüssen und Brotfrüchte zu vermeiden und darf nur Kokosmilch als Getränk zu sich nehmen. Auf Samoa glaubten die Eingeborenen, daß das Übertreten der bestehenden Vorschriften sich damit rächt, daß das Neugeborene mit einem schwarzen Mal auf die Welt kommt, wodurch die Sünde der Mutter offenbar wird, und zwar soll dieses Kainsabzeichen in seinem Aussehen dem Gegenstand entsprechen, an dem die Mutter gesündigt hatte. So wurde einmal behauptet, daß ein solches Mal dem Leberlappen eines Schweines gleiche, den die Schwangere heimlich entwendet und gegessen hätte, ein anderes Mal, daß es einem Hühnerkopfe ähnlich wäre, weil sie sich mit einer Nachbarin um das Eigentum einer brütenden Henne gestritten hätte, und anderes mehr.
Abb. 14. Karolinerinnen von Saipan
in Festtracht.
Abb. 15. Mädchen von Nauru,
mit Grasröckchen bekleidet und mit blumengeschmücktem, herabwallendem Haar.
Aus: Kraemer, Hawai.
Abb. 16. Krieger der Gilbertinseln bei einem Kampfspiel.
Auf der Insel Nauru wurden in den Häuptlingsfamilien ähnliche strenge Verbote peinlich genau beobachtet. Es durften zum Beispiel keine Kokosnüsse berührt werden, die in einem Umkreise von dreißig Meter um die Hütte herabfielen. Die Schwangere durfte keine Speise essen, die der Mann oder die Eltern schon berührt hatten; vom fünften Monat an durfte im Hause kein Nagel eingeschlagen, überhaupt kein Geräusch gemacht und nichts von der Wand genommen werden, bis das Kind geboren war. Wir sehen hier bereits, daß sich die Verbote auch auf den Mann erstrecken. Auf der Insel Jap darf er vom vierten Monat der Schwangerschaft an keine Bananen oder abgefallene Kokosnüsse essen, keine Bäume fällen, weil sonst die Glieder des Kindes brechen oder es eine Wolfsscharte bekommen könnte, keine Scholle verzehren, weil es dann kraftlos würde, ebensowenig Schildkrötenfleisch, weil es sonst ohne Finger geboren würde, keine Krabben oder gesprenkelte Fische essen, weil es sonst ebenfalls gesprenkelt zur Welt käme, keinen Bindfaden drehen, weil sich sonst die Nabelschnur um den Hals legen könnte, kein Haus einreißen, weil sonst Abort eintreten würde, und anderes mehr. — Fruchtabtreibung ist über ganz Polynesien eine sehr verbreitete Unsitte; vielfach ist sie an Stelle des früheren Kindsmordes getreten. Für die Einleitung des künstlichen Abortes sind mancherlei Beweggründe maßgebend, einmal die Abneigung gegen eine zahlreiche Familie, entweder weil die Frau fürchtet, wegen ihrer vielen Kinder dem Gespötte der Nachbarinnen zum Opfer zu fallen, oder weil sie Angst hat, daß sie dadurch bald verwelke und altere, oder auch weil sie sich wegen vermeintlicher Untreue ihres Mannes an ihm rächen will, zum anderen auch aus Angst, es könnten durch eine große Familie Nahrungsschwierigkeiten entstehen, schließlich bei Unverheirateten auch aus Scham vor der Schande. Die Abtreibung wird meistens von Frauen vorgenommen, die dies als Gewerbe betreiben und sich dadurch einen guten Verdienst sichern. Die Methoden, die sie anwenden, bestehen entweder in dem Eingeben gewisser Speisen oder Tränke, oder man bedient sich auch vielfach rein mechanischer Hilfsmittel, die allerdings äußerst primitiv und roh sind. — Meistens zieht sich die Schwangere kurz vor der Geburt von der Familie zurück; vielfach wird für sie eigens eine kleine Hütte errichtet, die manchmal ganz primitiver Natur ist, so daß die Wöchnerin und auch ihr Kind den Unbilden der Witterung ausgesetzt sind. Diese Absonderung hängt mit dem Glauben zusammen, daß niederkommende Frauen unrein sind. Auf Neuseeland gilt nicht nur ihre Person, sondern alles, was mit ihnen in Berührung kommt, als unrein. Auf Samoa zieht sich die Schwangere bereits im achten bis neunten Monat in das elterliche Haus zurück, ebenso auf den Gilbertinseln in das der Pflegeeltern, die das zu erwartende Kind adoptieren wollen, oder sie bleibt vorläufig noch in ihrem eigenen, siedelt dann aber in das Haus der Adoptiveltern über. Gegenüber dieser Absonderung fällt es auf, daß einige Beobachter angeben, daß die Gebärende öffentlich vor allen Dorfbewohnern niederkommt, so daß diese den ganzen Vorgang genau mitansehen können, so zum Beispiel auf Neuseeland und Hawai. Meistens vollzieht sich die Niederkunft ohne Mithilfe anderer, aber auf einzelnen Inseln sind Frauen dabei behilflich. So stehen bei den Maori die Großmutter mütterlicherseits oder in ihrer Behinderung die Großmutter väterlicherseits, auf Samoa zwei weise Frauen der Gebärenden bei; auch auf Fidschi üben Weiber schon berufsmäßig Geburtshilfe aus. Manchmal assistiert auch der Ehemann.
Abb. 17. Stillende Mikronesierin,
in der Seitenlage auf flacher Erde liegend.
Aus: Kraemer, Hawai.
Abb. 18. Krieger der Gilbertinseln
in ihren aus Kokosnußfasern geflochtenen Panzern und Helmen aus der Haut des Igelballonfisches. Der Eingeborene zur Linken hält eine Lanze mit Haifischzähnen, während die Lanze seines Nebenmannes mit Zinken versehen ist, welche die Haifischzähne am Speer des Gegners wegreißen sollen.
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Die Nabelschnur wird meistens von der Mutter selbst mittels eines Bambusspans, eines scharfen Steines oder einer Muschelschale abgetrennt; an anderen Orten tun dies die Helferinnen oder auch der Mann. Vielfach wird der Nabelstrang auch mit den Zähnen durchbissen. Auf den Marquesasinseln ist es bei der Geburt von Häuptlingskindern sogar vorgeschrieben, daß die Großmutter die Nabelschnur mit ihren Zähnen abbeißt. Dieser mangelhaften Behandlung ist das überaus häufige Vorkommen von Nabelschnurbrüchen unter der polynesischen Bevölkerung zuzuschreiben. An die Abnabelung des Kindes knüpfen sich verschiedene Zeremonien. Auf Samoa schlägt man die Nabelschnur bei einem Knaben mit einer Keule durch, um anzudeuten, daß er ein tüchtiger Krieger werden solle, bei einem Mädchen trennt man sie mit einem Messer auf einem Brette ab, auf dem die Tapa geklopft wird, mit dem Wunsche, daß aus dem Kinde eine tüchtige Hausfrau werden soll; Kriegskeule und Tapabrett versinnbildlichen die Hauptbeschäftigung der beiden Geschlechter. Auf den Fidschiinseln dürfen die Nachbarn aus dem Hause, in dem ein Kind geboren wurde, vier Tage lang kein Feuer holen, weil sonst der Wundverlauf am Nabel ein ungünstiger sein würde. Auf Viti Lewu sendet ein Priester an dem Tage, an dem der Abfall der Nabelschnur zu erwarten steht, Gebete zu den Göttern, um Gesundheit und langes Leben für das Kind herabzuflehen, und segnet die Speisen, die ihm gereicht werden. Auf Neuseeland wird der abgefallene Rest der Nabelschnur in der Muschel, mit der sie abgeschnitten wurde, in fließendes Wasser gelegt; schwimmt diese mit ihrem Inhalte weiter, dann ist dies eine gute Vorbedeutung dafür, daß das Kind glücklich werden wird, sinkt sie dagegen unter, so heißt es, daß es früh sterben oder ihm sonst ein Unglück zustoßen wird.
Über Zwillinge bestehen manche abergläubische Vorstellungen. Sind sie ungleichen Geschlechtes, so wird auf Nauru das männliche Kind getötet, weil man annimmt, daß beide im Mutterleibe, weil verschiedenen Geschlechtes, miteinander Unzucht getrieben haben, was für ein schweres Verbrechen gilt. Auf Jap wird von Zwillingen der eine an den Bruder des Vaters oder in Ermangelung eines solchen an einen anderen nahen Verwandten fortgegeben, aus Furcht, es könnte sonst eins der Kinder sterben. Das aus dem Haus gegebene Kind bleibt Eigentum dessen, der es bekommen hat, und darf, im Falle das andere stirbt, nicht zurückgefordert werden.
Phot. Josiah Martin.
Abb. 19. Tanz samoanischer Frauen und Männer,
der in außerordentlich ausdrucksvollen und gleichmäßigen Bewegungen der Arme und Hände besteht.
Sogleich nach der Niederkunft pflegt die Wöchnerin, um auf diese nunmehr wieder zurückzukommen, ein Bad in der See oder einem nahen Flusse — auf größeren Inseln wird die Gebärhütte bereits in der Nähe eines solchen angelegt — zu nehmen und gleichzeitig auch ihr Kleines, das sie selbst säugt (Abb. 17), zu baden. Weiter muß sie meistens auch noch längere oder kürzere Zeit in ihrer Hütte in voller Abgeschlossenheit von den Männern zubringen. Auf Tahiti erstreckte sich diese Abschließung bis zu drei Monaten für die wohlhabenderen Wöchnerinnen. Während dieser Zeit mußten sie gefüttert werden; der Vater hatte stets ungehinderten Zutritt, die übrigen Verwandten durften nur die Hütte betreten, wenn sie ihre Kleider abgelegt hatten. Alles, was das Kind, besonders mit seinem Kopf, berührte, wurde sein Eigentum. Nach Ablauf dieser Periode brachten die Ärmeren Reinigungsopfer dar, die Reichen hingegen veranstalteten ein großes Fest, Oroa genannt. Auf den Palauinseln bleibt der Gatte von seiner Frau zehn Monate lang streng geschieden; er hält sich im Junggesellenhaus auf und darf seine Wohnung nur, um das Essen einzunehmen, betreten.
Phot. A. J. Iles.
Abb. 20. Nasengruß der Maori,
denen die Sitte, sich zu küssen, wie den Naturvölkern des Orients im allgemeinen, unbekannt ist. Das eine der beiden Mädchen trägt einen Mantel aus Flachs mit Schnüren verziert, das andere einen Überwurf aus Federn.
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Auf den Marianen verteilt man unter die bei der Geburt Beteiligten Reis und Fische; zum Ausdruck der Hochachtung für den Vater bestreut man den Weg, den er zum ersten Male nach der Geburt seines Kindes beging, mit Reis. Auf der Insel Truk (Karolinen) pflegt der Vater bei diesem freudigen Ereignis sich wohlriechende Kräuter an den Gürtel zu stecken und beim Ausgang die Lanze mit der Spitze nach unten zu halten, weil ihm sonst die Seele des Kindes nachfolgen könnte. Auf Nauru führen die jungen Leute nach der Geburt eines Kindes zum Zeichen ihrer Freude einen Ringkampf auf. Bei den Maori Neuseelands ist das Neugeborene tabu und darf von niemand berührt werden, bevor es nicht von diesem Banne erlöst worden ist. Dies geschieht in der Weise, daß der Vater auf einem kleinen Feuer etwas Tarowurzel röstet, das Kind in den Arm nimmt, dessen Körper an verschiedenen Stellen damit berührt und sodann die Wurzel ißt. Doch ist damit die Befreiung von dem Tabu noch nicht erreicht, denn am andern Morgen kommt die älteste Verwandte des Kindes mütterlicherseits und nimmt die gleiche Zeremonie an dem Vater selbst vor. Erst wenn diese beiden Handlungen (Tautane und Reahine genannt) vorüber sind, ist das Kind von seinem Tabu befreit und erhält seinen Namen.
Phot. J. J. Lister.
Abb. 21. Sitztanz auf Samoa.
Eine samoanische Taupu mit ihren Gefährtinnen einen der für Polynesien so charakteristischen Sitztänze ausführend, die in anmutigen Bewegungen der Arme und des Oberkörpers bestehen.
Die Namensgebung erfolgt in Polynesien meistens bald nach der Geburt und wird vielfach von Festlichkeiten (Tänzen, Wettkämpfen und Gelagen) begleitet. Auf der Insel Jap mußte die Schwester des Vaters diesen nach dem gewünschten Namen des neugeborenen Kindes fragen und ihn dann der Mutter mitteilen; auf Nauru wählte eine alte Verwandte den Namen aus und auf Rotuma sogar der Häuptling. Bei den Maori ging die Namensgebung mit besonderen Feierlichkeiten in Gegenwart der Eltern und Verwandten vor sich. Ein Priester tauchte einen grünen Zweig ins Wasser und besprengte damit das Haupt des Kindes, wobei er geheimnisvolle Wünsche murmelte; die Mutter durfte bei der Besprengung nicht zusehen.
Meistens wird das Kind von der jungen Mutter gesäugt. Auf Fidschi glaubte man früher, daß eine andere Milch als die der eigenen Mutter dem Kinde sicher den Tod bringe; ja, man trieb diese Vorsicht so weit, daß die Mutter, wenn sie aufs Feld ging, für den Säugling eigene Milch in einem Bambusröhrchen hinterließ. Früher war langdauerndes Säugen der Kinder sehr verbreitet; besonders auf den Karolinen betrachteten die Frauen es für eine Ehrenpflicht, ihre Kleinen jahrelang, oft bis zum zehnten Lebensjahre zu säugen; auf Samoa sah ein Beobachter einmal eine Mutter sogar drei aufeinanderfolgenden Kindern zu gleicher Zeit abwechselnd die Brust reichen und auf den Marianen ein anderer einen sechsjährigen Jungen abwechselnd aus der Mutterbrust trinken und aus einer Tabakspfeife einen Zug tun. Natürlich wird neben der Muttermilch überall den Kleinen auch andere Nahrung verabreicht, die die Mutter ihnen meistens vorkaut, wie zum Beispiel Kokosnüsse, Bananen, Taro und anderes mehr.
Phot. J. J. Lister.
Abb. 22. Sitztanz auf Samoa.
Phot. J. J. Lister.
Abb. 23. Sitztanz auf Samoa.
Auf Samoa wird der Beginn jedes neuen Lebensabschnittes des Kindes durch Feste gefeiert. Sobald es sitzen kann, gibt dies zu einem Feste Anlaß; seine ersten Kriechversuche ebenfalls; wenn es zum ersten Male steht, wird dies wiederum durch ein Fest gefeiert, und so geht es weiter. Wenn die Knaben größer geworden sind, helfen sie meistens ihren Vätern beim Fischen oder auf den Plantagen, während die heranwachsenden Mädchen am Riff Nahrung suchen, Wasser aus der Quelle holen oder sich mit der Anfertigung von Tapa und Matten beschäftigen. Auf Samoa umfaßt der Unterricht der Knaben auch die Ausbildung im Kochen, denn man hält es für richtig, daß auch ein Mann sich darauf versteht, eine Speise zuzubereiten.
Phot. J. Turner-Turner.
Abb. 24. Ein Häuptlingserbe aus Samoa,
der durch seinen Rang berechtigt ist, den aus Mädchenhaar gefertigten Kopfschmuck zu tragen. In den Händen hält er das samoanische Kopfmesser.
Abb. 25. Eröffnungsszene eines „Eva“, eines Tanzes der Bewohner von Rara Tonga (Cookinseln),
der manchmal die Taten der Helden und Halbgötter der Vorzeit zur Darstellung bringt.
Die sittlichen Verhältnisse der Polynesier werden von den Forschungsreisenden verschieden beurteilt, und es scheinen in der Tat zwischen den einzelnen Inselgruppen in dieser Hinsicht Unterschiede zu bestehen. Vielfach in Polynesien und fast überall in Mikronesien herrscht für die jungen Leute beiderlei Geschlechts bis zur Ehe vollständige geschlechtliche Freiheit. Die unverheirateten Männer leben in ihren Junggesellenhäusern zusammen und führen hier längere oder kürzere Zeit ein freies Liebesleben mit den jungen Mädchen, gelegentlich auch mit Frauen. Diese Weiber, auf den Karolinen Armengol (Dirnen) genannt, sind meistens aus anderen Dörfern geraubt worden, manchmal nur scheinbar, denn vorher wurde ein Einverständnis mit ihren Eltern erzielt, oder sie liefen freiwillig den Junggesellenhäusern zu. Sie bilden hier das Gemeinschaftsgut der Männer, sowohl der ledigen wie der verheirateten. Auf den Karolinen erhalten die Mädchen für diesen Liebesdienst Geld, das sie sich sammeln und in die Heimat zuruckbringen, wo es vielfach der Häuptling sich aneignet und verteilt. Auf den Marshallinseln besteht auch die gastliche Prostitution; ein Mädchen wird im Männerhause dem Fremden überlassen, der sich durch kleine Geschenke dafür erkenntlich zeigt; diese fallen dem Häuptlinge zu. Auf den Palauinseln läuft die Ehefrau, wenn ihr Mann sie schlecht behandelt, in das Junggesellenhaus; hier muß dieser sie dann durch Geld loskaufen; gibt er kein Geld für sie, so verliert er das Anrecht auf seine Gattin, und sie bleibt so lange im Junggesellenhaus, bis ein wohlhabender Eingeborener sie auslöst. — Homosexuelle Neigungen wurden auch unter den Polynesiern beobachtet; besonders unter der Bevölkerung Tahitis kamen sie häufiger vor, bei den sogenannten Mahus, die in Kleidung und Gebärden die Weiber nachahmten, unter ihnen lebten, weibliche Arbeiten verrichteten und mit Männern geschlechtlich verkehrten.
Phot. J. Turner-Turner.
Abb. 26. Junge Samoanerin,
deren langes Haar der Sitte gemäß später für einen Häuptlingskopfputz verwendet wird.
Die Brautwerbung der jungen Leute bietet im allgemeinen nichts Charakteristisches; sie pflegte meistens als ein einfaches Geschäft und für gewöhnlich ohne jegliche Umschweife von den beiden Hauptbeteiligten betrieben zu werden. Jedoch ist gelegentlich auch wirkliche Herzensneigung dabei im Spiele. Von den Samoanern zum Beispiel erzählt Kubary eingehende Einzelheiten über das Liebeswerben des Jünglings um seine Auserkorene und die Liebesneigung der letzteren zu ihm. Küsse werden unter den Liebenden nicht ausgetauscht, wie wohl nirgends bei den Naturvölkern, aber die moderne Kultur hat auch schon verschiedentlich diese europäische Gewohnheit nach dem fernen Osten verpflanzt. Dagegen ist unter den Maori zwischen Freunden, Verwandten und Liebenden das Aneinanderdrücken der Nasen eine allgemein übliche Liebesbezeigung (Abb. 20).
Abb. 27. Schlußszene eines „Eva“ von Rara Tonga.
Die Spieler der obenstehenden Szene haben am Schlusse des Tanzes ihre Gesichtsmasken abgenommen und auf die Spitze ihrer Kriegspeere gesteckt.
Eine gewisse Formalität wird von den Samoanern bei der Werbung beobachtet, zumal, wenn es sich um Leute von Rang handelt. Will zum Beispiel ein Häuptlingssohn auf Samoa eine Taupu des benachbarten Dorfes heiraten, so macht eine dazu aus den Verwandten des jungen Mannes erwählte Abordnung ihrem Vater einen unverbindlichen Besuch, um das Mädchen in Augenschein zu nehmen. Sind sie mit der Wahl zufrieden, so macht eine größere Gesandtschaft einen feierlicheren Besuch und bringt Geschenke in Gestalt von Schweinen und Taro mit. Nimmt sie der Vater des Mädchens an und zeigt dieses selbst keinen Widerstand, dann gilt die Angelegenheit als erledigt, und man kann nun an die Vorbereitungen zur Hochzeit gehen. Schlägt dagegen der Vater die Geschenke aus, ist aber das Mädchen nicht abgeneigt, dann wird eine zweite Gesandtschaft abgeschickt, die sich aus einflußreicheren Personen zusammensetzt und zu ihren Mitgliedern auch den jungen Bewerber zählt. Sollte auch diese zweite Mission nichts ausrichten, so kann nur noch der Häuptling in eigener Person, von seinem ganzen Gefolge begleitet, anfragen. Dieser Schritt wird indessen nur dort unternommen, wo der Häuptling und seine Untertanen diese Verbindung durchaus wollen. Dieses Mal muß der Vater des Mädchens nachgeben. Die Verwandten des Bräutigams bereiten eine Menge Geschenke, aus Sachen bestehend, die die Männer angefertigt haben, für die Verwandten der Braut vor, diese selbst aber erhält von ihrer Familie eine große Aussteuer in Gestalt von Stoffen und der sehr geschätzten und hübsch geflochtenen Matten. Nach dem Austausch der Geschenke und einem großen Schmaus geht der Bräutigam mit der Braut in sein Dorf zurück. Seine Hütte ist meistens auf einer Plattform aus Steinen gegenüber dem Schlafraum des Häuptlings durch einen Knappen seines Vaters erbaut worden, wofür ersterer als Entgelt einen Anteil an den schönen Aussteuermatten erhält. Letztere werden in der Tat unter die Einwohner des Dorfes, namentlich unter die Knappen des Häuptlings, die eine privilegierte Kaste bilden, verteilt.
Abb. 28. Ein Tonganer,
dessen Haarfrisur für eine Festlichkeit mittels Ton hergestellt wurde.
Die Hochzeitsgebräuche sind seit der Einführung des Christentums so ziemlich in Vergessenheit geraten. Zwar lag ihnen überhaupt keine ernstere Bedeutung zugrunde, zumal die Eheschließung früher lediglich ein Zivilvertrag war und daher religiöser Riten entbehrte. Bemerkenswert war auf Samoa und Tonga ein Brauch, bei dem die Unschuld einer Braut von hohem Rang öffentlich auf die Probe gestellt wurde; heutzutage ist er in Vergessenheit geraten. — In Mikronesien spielt sich die Hochzeit etwas feierlicher ab. Auf den Karolinen zum Beispiel führt der Bräutigam das Mädchen seiner Wahl in sein Haus; dort wird sie offiziell von der Schwiegermutter anerkannt, die ihr den Rücken mit Kokosnußöl einreibt. Darauf bekommt sie eine Kranzkrone aufgesetzt, und das Festessen beginnt.
Auf den Gilbertinseln sind die Männer sehr eifersüchtig; die Eingeborenen wagen daher kaum, mit einer jungen Frau zu sprechen, weil sonst der Gatte leicht zu Gewalttätigkeiten gereizt wird. Ein großer Prozentsatz der Leute trägt die Spuren solcher Reibereien in Gestalt von Narben an sich, die ihnen von dem eifersüchtigen Gatten mittels der üblichen Waffen aus Haifischzähnen beigebracht wurden. Recht drollig ist der Ursprung der Sitte, daß ein Mann, der auf dem Palmbaum mit der Palmweinernte beschäftigt ist, laut singen muß. Bei einer Gelegenheit glaubte einmal ein Häuptling von einem Manne, der in dieser Weise beschäftigt war, annehmen zu dürfen, daß er sich in dem Baumgipfel versteckt habe, um die in der Nähe badenden Frauen des Häuptlings zu sehen; er erschoß ihn daraufhin kurz und bündig. Daher beweisen die Eingeborenen ihre bona fides in der Weise, daß sie so viel wie möglich Lärm machen, wenn sie oben in der Baumkrone beschäftigt sind. — Bei den Gilbertinsulanern besteht auch das Recht, daß ein Mann, der die älteste von mehreren Schwestern geheiratet hat, noch die übrigen als Frauen nehmen darf, vorausgesetzt, daß er dazu Lust hat und sich diesen Luxus zu leisten vermag. Anderseits darf kein anderer diese Schwestern ohne seine Erlaubnis heiraten.
Aus: Hesse-Wartegg, Samoa.
Abb. 29. Samoaner beim Reinigen ihrer Wäsche am Vaisinganofluß bei Azin.
Von den Unterhaltungen der Polynesier steht der Tanz oben an; er darf bei keiner zeremoniellen Veranstaltung fehlen. Gegenstand des Tanzes sind gelegentlich die Taten der Vorfahren und Halbgötter (Abb. 25 und 27). Merkwürdigerweise besteht er vielfach weniger in den Bewegungen der Füße, wie bei den sogenannten klassischen Tänzen, sondern vielmehr in einem Spiel der Hände und Arme (Abb. 19). Dies zeigt sich besonders an den Sitztänzen, die für Samoa typisch sind (Abb. 21 bis 23), obgleich wir ähnlichen, wenn auch unbedeutenderen Vorstellungen in Mikronesien begegnen. Auf Samoa laden die Bewohner eines Dorfes häufig die eines andern zu einem Tanze ein; ein solcher vollzieht sich unter großen Förmlichkeiten und fängt gewöhnlich mit einem oder mehreren dieser Sitztänze an, bei dem die Taupu, die Häuptlingstochter, in Begleitung von zehn Dorfschönheiten die Hauptrolle spielt. Bei solchen zeremoniellen Gelegenheiten trägt sie und der Erbe des Häuptlings, sofern ein solcher anwesend ist, einen eigenartigen, wertvollen Kopfputz, der aus Menschenhaar angefertigt und mit drei aus ihm hervorragenden perlmuschelbesetzten Stäben, sowie einem Band aus buntschillernden Muscheln quer über die Stirn verziert ist (Abb. 24 und 26). Ein Chor, der hinter den Aufführenden sitzt, begleitet ihren Tanz mit Liedern und schlägt den Takt dazu auf Matten, die um einen Bambusstamm gerollt sind. Hieran schließen sich stehende Tänze, die einen mimischen Charakter tragen und Vorgänge des täglichen Lebens, zum Beispiel das Aufspeeren von Fischen und den Schildkrötenfang zur Darstellung bringen. Die Bewegungen der Tänzer sind äußerst anmutig, und der Ruhm einer besonders gewandten Taupu breitet sich weit über die Grenzen ihres eigenen Landes aus. Auch auf Neuseeland gibt es Sitztänze, bei denen die Mädchen die Einzelheiten einer Kanufahrt oder eines ähnlichen Vorganges vorführen. Noch ein Tanz verdient Erwähnung, es ist der Handklatschtanz auf den Gilbertinseln, bei dem vier Tänzer den Takt zu ihrem Liede angeben, indem sie sich gegenseitig auf die Hände schlagen, wie unsere Kinder dies beim Händeklatschen tun. Von den markanteren Tänzen wollen wir den Hula der Hawaier nennen, der deswegen interessant erscheint, weil die weiblichen Tänzer teilweise noch den alten Blätterfaltenrock und Blumenkränze tragen, die das anmutige Kostüm vorzivilisierter Zeiten ausmachten (Abb. 30 bis 32). Die Bewegungen dieses Tanzes, sowie mancher anderen Polynesiens, sind oft genug recht lasziv und dazu angetan, die geschlechtlichen Begierden der Teilnehmer und Zuschauer wachzurufen; nicht selten endigen sie in sexuelle Orgien und einen allgemeinen geschlechtlichen Verkehr. — In den direkt Kraft und Energie erfordernden Tänzen (Kriegstänze) stehen die Neuseeländer unübertroffen da (Abb. 33 und 34). Leider sind diese Tänze bei weitem nicht mehr das, was sie noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts waren, als unter dem Gestampfe von Hunderten von Füßen, die mit einem einzigen Schlage aufsetzten, die Erde erdröhnte und die Verzerrungen im Gesichte der Tänzer, die ihre Augen rollen ließen und die Zunge möglichst weit hervorstreckten — beides ein erstrebenswertes Ziel der Übungen — großen Schrecken einflößten.
Phot. H. J. Shepstone.
Abb. 30. Eine Musikbande beim Hulatanz,
die Trommeln sind aus großen Kürbisfrüchten hergestellt.
Phot. H. J. Shepstone.
Abb. 31. Hulatanz der Hawaierinnen
in moderner Kleidung, abgesehen von den Rasseln um die Fußgelenke.
Wellenreiten der Hawaiinsulaner,
welche diesem Sport, der jetzt auch an den Küsten Australiens und des Stillen Ozeans ausgeübt wird, mit Begeisterung huldigen.
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GRÖSSERES BILD
Außer dem Tanz kennen die Polynesier noch viele andere Unterhaltungen, die sie mit der Jugend zivilisierter Länder gemeinsam haben, nämlich das Drachensteigenlassen, Kreiselspiel, Stelzenlaufen, Ringkampf (Abb. 35), Fadenspiel (Abnehmen von Figuren aus Bindfaden von der Hand einer Person auf die einer anderen), Rätselraten, das Lafospiel und anderes mehr. Auch Ballspiele sind nichts Ungewöhnliches. Auf den Gilbertinseln spielen Personen gleichen Geschlechtes miteinander; ein Spieler wirft den Ball, einen in ein Tuch gehüllten und mit einem Kokosfaserband umwickelten Stein, in die Höhe und schlägt ihn mit der Hand nach der anderen Seite hinüber; wird er dort aufgefangen, so bekommt diese Partei einen Punkt, im anderen Falle zählt die Partei des Werfenden einen solchen. Schaukelspiele haben in Polynesien weite Verbreitung; besonders abwechslungsreich sind sie auf den Gilbertinseln. Ein beliebtes Spiel ist hier zum Beispiel folgendes: An der Spitze einer überhängenden Palme wird ein Seil befestigt und in seiner Endschlinge eine Matte als Sitzgelegenheit für ein junges Mädchen gehängt. Sobald diese Schaukel nun vorwärts schwingt, springt einer der zahlreich versammelten jungen Männer auf, hält sich am Seil fest und begleitet das Mädchen auf seinem Flug in die Luft; wenn sich beide dann der Erde nähern, springt er herab und ein anderer nimmt bei dem nächsten Schwung nach vorn seine Stelle ein; in dieser Weise geht das Spiel weiter. Als einst ein Eingeborener gefragt wurde, warum gerade immer ein Mädchen den Schaukelplatz einnehme, gab er zur Antwort, daß das Spiel für die jungen Männer sonst keinen Reiz haben würde.
Phot. H. J. Shepstone.
Abb. 32. Eine Hawaierin beim Hulatanz.
Dieser Nationaltanz hat sich trotz aller Bemühungen der Missionare bis auf die heutige Zeit erhalten.
Mit dem Einzug der Zivilisation ist auch das Kricketspiel nach Polynesien gekommen; besonders auf Tonga nahm es eine große Verbreitung an. Ein anderes Spiel, das gleichfalls einen westlichen Beigeschmack verrät, aber doch aus den voreuropäischen Tagen stammt, ist das auf Samoa und noch weit mehr in Mikronesien sehr beliebte Schausegeln. Hierfür werden besondere Boote gebaut von dem Typus der üblichen Auslegerfahrzeuge der betreffenden Gegend, aber mit dem Unterschied, daß die Ausleger verhältnismäßig lang und die Fläche des Segels groß zum Rumpfe des Schiffes ausfallen. Zu einer bestimmten Jahreszeit werden dann Wettfahrten unternommen, bei denen sich ein großer Eifer zwischen den Besitzern der Fahrzeuge und selbst zwischen den einzelnen Dörfern entwickelt. Ein früher auf Hawai viel geübter Sport, dessen Spuren noch jetzt angetroffen werden, war das Hörnerschlittenfahren. Auf primitiven Schlitten sauste der junge Häuptling die steile Hügelseite so rasend schnell herab, daß man glaubte, es gälte sein Leben oder zum mindesten seine Glieder.
Phot. Muir & Moodie.
Abb. 33. Maori zum Hakatanz versammelt.
Der links außen befindliche Maori trägt ein Gewand, das aus Hanffasern hergestellt und mit Federn vollständig bedeckt ist.
Von sämtlichen Wassersportarten bereitet das Wassertreten den Polynesiern die größte Freude. Der junge Polynesier schwimmt mit einem kleinen Brett in die See hinaus, taucht unter die sich heranwälzenden Wellen, bis er die äußere Linie der Sturzwellen erreicht hat, wartet hier eine besonders große Welle ab, wirft sich, sobald ihre innere Höhlung ihn streift, auf sein Brett und wird mit großer Geschwindigkeit ans Land getragen. Manche Eingeborene besitzen darin eine solche Fertigkeit, daß sie ihre Wellenfahrt sogar stehend zurücklegen, wozu eine große Geschicklichkeit gehört, einmal beim Stehenbleiben auf dem Brette und zum anderen beim Ausweichen der Korallenbänke (Abb. 36 und farbige Kunstbeilage).
Kanuwettfahrten bilden gleichfalls einen beliebten Sport, besonders bei den Maori. Mit zwanzig Paddlern hintereinander besetzt, erzielen diese Kanu eine beachtenswerte Schnelligkeit. Am eigenartigsten und aufregendsten sind jedoch die Hindernisrennen mit Kanus über quer über die Rennstrecke gelegte, auf eingetriebenen Pfählen ungefähr einen Fuß höher als die Wasseroberfläche ruhende Stangen. Nähert sich ein solches Kanu, das mit zwei Paddlern besetzt ist, dem Hindernis, so wirft sich der Paddler am Bug rückwärts, dadurch hebt sich das Vorderteil scharf empor und gleitet über das Hindernis hinweg nach der anderen Seite, wo das Paddeln wieder aufgenommen wird (Abb. 37).
Ein Sport, der den Bewohnern der Gilbertinseln und der ihnen benachbarten kleinen Insel Nauru eigentümlich ist, besteht in der Jagd auf Fregattenvögel (Abb. 38 bis 40), die als Lieblingstiere in Dörfern gehalten werden. Die wilden Vögel werden durch gezähmte angelockt und, sobald sie herangekommen sind, schleudern die im nahen Versteck lauernden Jäger einen langen Bindfaden, an dem ein walnußgroßes Stück harten Korallenkalkes oder einer Tridacnamuschel befestigt ist, über den Fregattenvogel hinweg, so daß die Schnur über seine ausgebreiteten Flügel fällt. Ehe er sich davon befreien kann, wird er von den Vogelfängern ergriffen. In der Regel müssen bei einem Wettkampf dreißig Vögel auf diese Weise eingefangen werden. Da sich keine Frau der Fangstelle nähern darf, so malen sich die Jünglinge, die an der Jagd beteiligt sind, einen schwarzen Ring auf das Gesicht, um dadurch ihre Beschäftigung zu bekunden. — Vogelfang mit Schlingen, einst ein beliebter Sport auf Samoa, wird bis zu einem gewissen Grade auch heute noch betrieben. Es werden dafür als Lockmittel Tauben verwendet, die in offenen, in den Wald gehängten Bauern angebunden sind und durch ihren streitsüchtigen Charakter vorbeifliegende Vögel zum Kampfe herausfordern und in das Bauer locken sollen, um darin von den im Versteck liegenden Jägern gefangen zu werden. Die auf solche Weise erbeuteten Vögel werden als Lieblingstiere gehalten und sorgfältig mit Taro gefüttert, selbst wenn die eigene Nahrung knapp wird. Den Vögeln des Häuptlings wird eine besondere Achtung gezollt und sie werden, wenn man sich mit ihnen abgibt, mit denselben feierlichen Redewendungen angeredet, in denen man zu ihrem Herrn spricht.
Phot. H. J. Iles.
Abb. 34. Darsteller eines mimischen Tanzes der Maori.
Die Tänze, die einen mimischen Charakter tragen, kommen in der Tat einer Pantomime gleich. Die Tänzer tragen den früher üblichen Rock aus Flachsfasern.
Von den Sterbe- und Totengebräuchen wollen wir nur die alten Sitten auf Samoa etwas eingehender schildern. Fühlte in früheren Zeiten ein Familienvater sein Ende bevorstehen, dann ließ er durch ausgesandte Boten sämtliche Angehörige um sich versammeln. Alle feinen Matten, die die Familie besaß — sie stellten einen hohen Wert dar — wurden vor ihm angehäuft, damit er zum letzten Male an diesem seinem Reichtum sein Herz erfreue. Darauf brach ein lautes Klagen und Weinen aus, und die Götter des Todes wurden um Mitleid angefleht; dabei schlugen sich die Jammernden die Köpfe mit Steinen blutig oder ritzten sich die Haut mit Haifischzähnen. Wenn trotzdem der Tod sich einstellte, so wurden diese Götter, deren Hilfe man soeben noch angerufen harte, gehörig beschimpft, weil sie nicht geholfen hatten. Der Leichnam wurde nun von alten Frauen mit Kokosnußöl eingerieben und auf einem Lager von Rindenstoffen aufgebahrt, in seltenen Fällen, das heißt wenn es sich um Häuptlinge handelte, auch einbalsamiert. Währenddessen schaufelten die jungen Leute in der Nähe der Hütte ein nur wenige Fuß tiefes Grab und bekleideten den Boden und die Seiten mit Korallenstücken; sie legten die Leiche bald nach dem Tode hinein und schlossen die Grube ebenfalls mit Korallensteinen. Auf dem darüber errichteten Hügel häuften sie in den folgenden Tagen Lavasteine auf, so daß oft ein nach oben stufenweise sich verjüngender Kegel entstand. Im Sterbehause war es den Angehörigen verboten, Speise und Trank zu sich zu nehmen bis die Beerdigung beendet war, nur die Totenfrauen durften davon eine Ausnahme machen, sie wurden aber gefüttert, weil ihnen jegliche Speise zu berühren untersagt war. Nach der Beisetzung dagegen fand ein Leichenschmaus statt, mit einem sich daran anschließenden, bis tief in die Nacht hinein dauernden wilden Tanz. Starb jemand nicht in seiner Behausung, sondern durch Zufall im Freien oder eines gewaltsamen Todes, so glaubte man, daß seine Seele in irgend einer Tiergestalt umherirre und, falls sie nicht eingefangen und mit dem Körper begraben würde, als böser Dämon (Aïtu) sehr schaden könne. Daher breitete man an der Stelle, wo der Tod den Verstorbenen ereilt hatte, ein großes Stück Tapa aus und wartete, bis irgend ein Tier, entweder eine Eidechse oder Heuschrecke oder auch nur eine Ameise, sich darauf zeigte. Sofort schlug man in der Annahme, daß dieses Geschöpf die Seele beherberge, das Tuch über ihm zusammen und legte es dem Toten mit ins Grab. Von nun an hatten der Verstorbene und seine Angehörigen Ruhe; ersterer konnte nunmehr seine Reise nach der Unterwelt antreten, deren Eingang auf die stark vulkanische Insel Sawai verlegt wurde. Das Abfangen der Seele ist noch heute üblich. — Geht das Leben eines Häuptlings auf Samoa seinem Ende zu, dann ist natürlich das Sterbegefolge ein noch viel größeres, denn es versammeln sich um ihn alle seine Lehnsleute. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die Anwesenheit seiner Schwester, damit jedweder, wenn auch nur geringfügiger Streit zwischen beiden beigelegt werde, denn der Fluch einer Schwester gilt für das größte Unheil. Auf der ganzen Insel wird nach dem Tode umfangreiche Trauer angelegt. Vielfach zieht der Tod eines Häuptlings besondere Folgen nach sich. Auf Hawai führte der Heimgang des obersten Herrschers in früheren Tagen eine Neueinteilung aller Ländereien, die seine untergeordneten Häuptlinge im Leben von ihm erhalten hatten, und oft genug dieserhalb Streitigkeiten und selbst Kämpfe unter ihnen herbei. Auf Tonga wurde gelegentlich des Todes König Georgs I. ein strenges Tabu auf alle Arten von Beschäftigungen erlassen; diese Einstellung jeglicher Arbeit und der große Aufwand beim Begräbnis brachten die ohnehin schon in finanziellen Nöten sich befindliche Insel beinahe zum Bankrott.
Phot. F. Danvers Power.
Abb. 35. Ringkampf auf den Elliceinseln.
Der Ringende fordert seinen Gegner dadurch zum Kampfe auf, daß er ihn dreimal auf die Brust schlägt. Der Kampf ist entschieden, wenn einer der Ringer einmal zu Boden geworfen ist.
Phot. H. J. Shepstone.
Abb. 36. Wellenreiten der Samoaner,
ein beliebter Sport der Eingeborenen, die darin große Geschicklichkeit an den Tag legen und oft stehend auf den schmalen Brettern ans Land gleiten.
Phot. Josiah Martin.
Abb. 37. Kanuwettfahrt auf Neuseeland,
eine sportliche Übung, in der sich die Frauen in gleicher Weise wie die Männer auszeichnen.
Als Grabstätten dienten bereits vor der Berührung mit Europäern auf Hawai, den Cookinseln sowie auf Neuseeland Felshöhlen; die Gebeine verehrungswürdiger Vorfahren wurden oft gesammelt und in zierliche Pakete gelegt. Bis vor kurzem bewahrte man noch auf der Penrhyninsel die in Matten eingewickelten Toten im Hause hängend auf. Meistens finden sich die Gräber auf regelrecht angelegten Friedhöfen; auch sie werden auf irgend eine Weise kenntlich gemacht, zum Beispiel durch einen Hügel (Abb. 41), dessen Größe den Rang des Verstorbenen anzeigt, oder, wie auf den Marshallinseln, durch Aufstellen von Paddeln am Kopf- und Fußende und anderes mehr. In vielen Teilen Polynesiens legt man den Besitz des Verstorbenen auf sein Grab, selbst wertvolle Sachen, wie einmal eine Nähmaschine. Die dort niedergelegten Gegenstände werden indessen von niemand berührt, geschweige denn fortgenommen, so großen Wert sie auch besitzen mögen; denn das Tabu, das sich auf Tote bezieht, ist fast noch strenger als das für Lebende. — Vielfach herrscht neben dem Glauben, daß die Toten in der Nähe zurückgeblieben sind, auch Furcht vor Gespenstern. Auf Niue hält man sich Hunde, deren Bellen übernatürliche Besucher fernhalten soll. Dagegen hegen die Bewohner von Penrhyn freundlichere Gefühle für die Heimgegangenen, denn sie bauen Hütten über ihren Gräbern, in denen sie schlafen, und hoffen, daß ihre Geliebten ihnen im Traume erscheinen. Ebenso ist auf den Paumotuinseln die Sitte, auf den Kirchhöfen zu schlafen, sehr verbreitet.
Phot. J. Danvers Power.
Abb. 38. Stangen mit zahmen Vögeln auf Nauru,
die als Lockmittel dienen. Der Eingeborene spritzt Wasser aus seinem Munde, das den Vögeln zum Trinken dient.
Phot. J. Danvers Power.
Abb. 39. Jagd auf Fregattenvögel auf Nauru.
Auf einem tragbaren Gestell sitzen Lockvögel, die durch ihr Geschrei die wilden Vögel anlocken.
Von der früheren Religion sind auf Polynesien nur noch wenige Spuren vorhanden. Der Glaube an die hohen Götter des Meeres, des Himmels, der Erde und des Krieges ist heutzutage geschwunden. Nur dort, wo die christliche Religion noch nicht hingelangt ist, treffen wir noch Verehrung der alten Götter an; so hat auf Mikronesien, wo für die kleinen Koralleneilande die beständige Gefahr besteht, daß sie durch eine Sturmflut hinweggeschwemmt werden könnten, der Hauptgott des Sturmes noch Ansehen. Die meisten mikronesischen Götter werden durch Tiere oder Pflanzen verkörpert, so der Regengott durch einen Sternfisch, der Kriegsgott durch einen Haifisch, der Donnergott durch einen Kastanienbaum. Die Opfer, die man diesen Gottheiten darbringt, werden einfach unter einem Baume niedergelegt; Menschenopfer waren in Polynesien nie üblich. Obwohl auch die Sitte des Tabu schon sehr im Abnehmen begriffen ist, spielt sie doch verschiedentlich noch eine nützliche Rolle, zum Beispiel wenn ein Häuptling ein Tabu auf Ernten setzt, damit sie nicht vorzeitig eingeholt werden, oder wie auf den Paumotuinseln auf eine bestimmte Lagune mit Perlenfischerei, damit für eine gewisse Zeit ihre Ausnutzung verhindert werde, oder auf bestimmte Äcker, damit sie nicht bestohlen werden. Äußerlich wird dieses Verbot durch besondere Kennzeichen bekundet, wie durch Aufstellen einer aus Blättern angefertigten Figur eines Hornhechtes oder Haifisches — wer das Tabu bricht, ist in Angst, er könnte beim nächsten Baden von einem solchen Tiere angegriffen werden —, oder einfach durch Anbinden eines Blattes um den Stamm eines Baumes auf der Plantage, Aufhängen von Kokosnüssen auf dem sichtbaren Stumpfe eines Baumes und anderes mehr. Derartige Zeichen verfehlen ihren Zweck nie, denn der Eingeborene glaubt bestimmt, daß ihn ein Unglück, Krankheit, Blitz oder dergleichen treffen werde, sofern er ein solches Warnungszeichen nicht beachtet.
Phot. J. Danvers Power.
Abb. 40. Plattform für den Fang des Fregattenvogels auf Nauru.
Junge Leute auf Nauru werden erst als heiratsfähig betrachtet, wenn sie mindestens vierzig Fregattenvögel gefangen haben.
Einer großen Verbreitung erfreut sich noch der Aberglaube, daß man jemand durch Zauber mit einer Haarlocke, einem Fetzen Zeug oder einem Speiserest von einer Person Unglück zufügen könne. Auch Wahrsagerei wird noch viel betrieben, ebenso wird noch an Gottesurteile geglaubt. Auf Samoa zum Beispiel sucht man bei einem Diebstahl den Täter in der Weise zu bekommen, daß man alle Beteiligten um eine Schüssel mit Kava versammelt, in der ein kleiner geknoteter Faden schwimmt, und aufpaßt, in wessen Trinkschale beim Verteilen sich der verräterische Faden zeigt.
Phot. J. J. Lister.
Abb. 41. Tonganerwitwe am Grabe ihres Gatten.
In der Regel hegen die Polynesier mit großer Sorgfalt die Gräber ihrer Toten. Die Witwe auf diesem Bilde gießt Öl auf die letzte Ruhestätte ihres Gatten.
Die primitive Methode des Kochens, wie sie in Polynesien und Mikronesien üblich ist, bietet viel des Interessanten. Man kocht oder vielmehr röstet die Speisen in heißer Asche eines offenen Feuers. Zu diesem Zwecke wird in den Erdboden eine Grube oder Furche in gewünschter Größe ausgehoben, mit Brennholz angefüllt, darauf eine Anzahl Steine gelegt und das Holz angezündet. Sobald dieses niedergebrannt ist, und die Steine glühend rot geworden sind, wird die Grube von Asche und Kohlen gereinigt, und auf die noch glühend heißen Steine kommen die Gerichte, die gar werden sollen, zu liegen, alle in aromatische Blätter gewickelt. Darüber werden Erde und Matten gedeckt, um die Hitze an dem Entweichen zu verhindern (Abb. 42). Für gewöhnlich, doch nicht überall, gießt man noch Wasser auf die Blattpakete, bevor der Ofen geschlossen wird; man kocht dann mittels Dampf. Nach Ablauf einer gewissen Zeit, etwa einer Stunde oder noch mehr, je nach der Größe des Ofens und der Menge der Speisen, wird letzterer wieder aufgedeckt, und Fleisch und Gemüse sind bei dieser Behandlung völlig gar gekocht. Auf Neuseeland, wo noch Vulkane, im besonderen sogenannte Geiser in Tätigkeit sind, bietet die Natur den Menschen eine viel bequemere Kochmethode dar, nämlich heiße Quellen (Abb. 43), die in ihrer Temperatur zwischen kochend und warm abwechseln. Der Maori braucht seine Speisen, die er gar haben will, nur in einem Netz in eine solche kochende Quelle oder in den daraus ausströmenden Dampf zu halten, und die Natur besorgt in kurzer Zeit das weitere. Nebenbei werden diese Quellen auch noch allgemein zum Baden benutzt.
Phot. Josiah Martin.
Abb. 42. Kochen in Erdöfen auf Neuseeland.
Die auf den glühend heißen Steinen gar gekochten Speisen sind außerordentlich schmackhaft.
Aus „Kolonie und Heimat“.
Klubhaus der Palauinsulaner.
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Phot. A. J. Iles.
Abb. 43. Eine natürliche Küche auf Neuseeland.
Die heißen Quellen dieses an Geisern so reichen Landes liefern seinen Bewohnern Wasser in allen Wärmegraden, das zum Kochen wie zum Baden verwendet wird.
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Das Feuer wird durch Reiben zweier Hölzer, von denen das eine hart, das andere weich sein muß, gewonnen. Man reibt das harte angespitzte Stück mit starkem Druck in einer Rille auf der Unterlage hin und her, bis die durch Reibung erzeugte Hitze den dabei entstehenden feinen Staub zum Glühen bringt, und entfacht diesen durch Anblasen und Auffangen mittels trockenen Grases zu einer Flamme. — Die Nahrung der Polynesier besteht in den Früchten der Kokos- und Pandanuspalme, des Brotfruchtbaumes, den Wurzelknollen des Tarogewächses — auf Hawai ist Poi (Abb. 1) eine daraus hergestellte sehr beliebte teigartige Speise —, in Schweinen, Hühnern und den Erzeugnissen des Meeres (Fischen, Krebsen, Muscheln und Schildkröten). Ein Hauptleckerbissen der Samoaner ist der Palolo, ein Wurm der Eunicegattung, der zu bestimmten Zeiten in großen Massen unter Festlichkeiten gesammelt wird. Eine andere eigenartige Speise bereiten die Marshallinsulaner aus Pandanusnüssen. Man kocht diese, preßt den Saft heraus, nachdem die Frucht mit der Schale geschrappt worden ist, und setzt ihn der Sonnenhitze zum Eintrocknen aus, wodurch eine Art Teig in Form von Eierkuchen entsteht. Eine Anzahl dieser Kuchen wird lagenweise aufeinander gelegt und bildet so eine große Wurst, die mit Blättern umwickelt und fest verschnürt wird. Solche Rollen haben manchmal eine Länge von fast drei und einen Umfang von nahezu zwei Meter (Abb. 44). Sie halten sich sehr lange Zeit, und je nach Bedarf werden Stücke davon abgeschnitten.
Aus: Kraemer, Samoainseln.
Abb. 44. Eine große Rolle mit konservierten Lebensmitteln,
wie sie auf den Marshallinseln aus Pandanusnüssen bereitet werden. Diese Rollen werden aufbewahrt und dienen als Proviant für längere Reisen.
Phot. J. W. Walters.
Abb. 45. Zubereitung der Kava.
Die Wurzel des Rauschpfeffers wird zerstoßen oder gekaut, dann wird die Masse mit Wasser gemischt und hierauf durch ein Faserbündel geseiht.
Eine eingehendere Behandlung erfordern die Zubereitung der Kava (Abb. 45), des Nationalgetränkes der Polynesier, sowie die Zeremonien des Kavatrinkens. Die Gewohnheit des Kavatrinkens erstreckt sich nicht nur über ganz Polynesien, mit Ausnahme der südlichen Gebiete von Neuseeland und die Chataminseln, und Mikronesien (Karolinen), sondern kommt auch auf Neuguinea und verschiedenen anderen Inseln Melanesiens vor. Der Kavatrank wird aus der Wurzel einer Pfefferart, des Rauschpfeffers (Piper methysticum For.) gewonnen. Die ursprüngliche Methode der Zubereitung bestand darin, daß man die zerkleinerte Wurzel vollständig, etwa zehn Minuten lang, zerkaute, sie mit dem dabei angesammelten Speichel, von dem nichts verschluckt werden durfte, in ein Gesäß ausspie und das Ganze hierin mit Wasser oder auch Kokosmilch verdünnte. Auf den Tonga- und Marquesasinseln, auch auf Fidschi waren es Jünglinge oder Knaben mit guten Zähnen und gesunder Mundhöhle, die das Kauen der Wurzel besorgten, auf Samoa und Tahiti aber junge Mädchen, die sich vorher die Hände waschen und den Mund ausspülen mußten. Auf Samoa im besonderen fiel dieses Amt einer Häuptlingstochter, der Dorfjungfrau oder Taupu zu (Abb. 46), die allgemein ein großes Ansehen genießt. Schon in der frühesten Jugend wird eine Häuptlingstochter für diesen Posten ausgewählt, den sie bis zu ihrer Verheiratung ehrenamtlich bekleidet. Sie wird bis ins kleinste hinein in allen geselligen Talenten, besonders im Tanzen, ausgebildet; auf ihre äußere Erscheinung wird großer Wert gelegt und nirgends geht sie hin, ohne von zwei Anstandsdamen begleitet zu sein, denn ihr guter Ruf muß sorgfältig behütet werden. Natürlich ist sie von aller anstrengenden Arbeit befreit. Zur Reifezeit nimmt sie ihre gesellschaftlichen Pflichten auf, die darin bestehen, daß sie, wenn großer Besuch ins Dorf kommt, die Wirtin macht, die Gäste begrüßt und bei festlichen Gelegenheiten die Kavabowle darreicht (früher auch vorher kaute), sowie den Tanz anführt. — Die Sitte des Kavakauens ist jetzt vielfach abgekommen zugunsten des Reibens mit Steinen. Auf Samoa benutzt man auch Maschinen.
Aus: Hesse-Wartegg, Samoa.
Abb. 46. Samoanische Taupu im Blumenschmuck und mit einem Halsband aus Walfischzähnen.
Das Kavatrinken spielt bei den meisten Zeremonien (Abb. 48) eine sehr große Rolle und ist das unvermeidliche Vorspiel für alle Erörterungen politischer Angelegenheiten. Auf Tonga setzen sich bei einer solchen Zeremonie alle diejenigen, deren Rang es zuläßt, in einem Oval nieder, das eine Ende nimmt der erste Häuptling ein, das andere aber bleibt offen, denn hier steht die große hölzerne Schüssel für die Zubereitung der Kava, und hinter ihr sitzt, dem präsidierenden Häuptlinge gegenüber, der Zubereiter und an jeder Seite ein Gehilfe, der eine mit einem Fächer bewaffnet, um die Fliegen fernzuhalten, der andere mit mehreren großen Schalen Wassers. Hinter ihnen kauern die Zuschauer, deren Rang nicht gestattet, in dem Kreise der Auserwählten Platz zu nehmen. Die zerkleinerte Wurzel wird in die Schüssel getan; diese Tatsache kündet der Zubereiter mit einer stereotypen Phrase an, worauf einer der dem präsidierenden Häuptlinge zur Seite sitzenden Matabule, das ist Knappen, ihm mit dem Worte „Mische“ antwortet. Ein Gehilfe gießt nun Wasser auf, und der Zubereiter knetet die Masse mit beiden Händen, bis sie die erforderliche Festigkeit angenommen hat. Die Flüssigkeit wird dann durch ein Büschel aus Hibiskusfasern mittels Auswindens filtriert und das Getränk ist mundfertig. Die Gehilfen füllen nun die aus halben, dünn geschliffenen und fein geglätteten Kokosschalen hergestellten Trinkbecher an und der Matabule ruft die Namen derjenigen auf, denen sie gebracht werden sollen, wobei sehr wichtig ist, daß die Reihenfolge in der anerkannten Rangfolge gewahrt wird. Der Empfänger klatscht in die Hände, um zu zeigen, wo er seinen Platz hat. — Auf Samoa, wo die Eingeborenen mit großer Hartnäckigkeit an der alten Sitte des Kavatrinkens festhalten, spielt sich die Zeremonie in ziemlich der gleichen Weise ab. Bei der Verteilung des Trankes an hohe Häuptlinge wird indessen nicht ihr Name, sondern der ihres Bechers ausgerufen. In früheren Tagen war die Zeremonie des Kavatrinkens noch mit religiösen Riten verbunden. Sobald das Kavatrinken einen offiziellen Anstrich hat, sind überall die Frauen von der Teilnahme ausgeschlossen, sonst aber nehmen sie dieses Getränk sehr gern zu sich, und auf Viti Lewu und Tonga soll es wirkliche Kavakränzchen geben, die ausschließlich von Frauen besucht werden. — In kleinen Mengen oder in schwacher Lösung getrunken, bildet die Kava ein ungemein erfrischendes und kühlendes Anregungsmittel, in größeren Mengen übt sie eine leicht narkotisierende Wirkung aus, die das Gefühl von Behaglichkeit, Zufriedenheit und Glückseligkeit schafft.
Großen Fleiß und peinliche Sorgfalt verwenden die Polynesier auf den Bau ihrer Wohnstätten, namentlich auf den ihrer Klubhäuser (siehe die Kunstbeilage), die sie kunstvoll verzieren, eine bedeutende Leistung in Anbetracht der primitiven (Stein-)Werkzeuge, die ihnen vor Einführung der Metallinstrumente hiefür zur Verfügung standen.
Phot. Freih. v. Rummler.
Abb. 47. Bewohner der Insel Jap mit Ringgeld.
Phot. Josiah Martin.
Abb. 48. Feierliches Kavatrinken auf Tonga.
Der präsidierende Häuptling sitzt links auf einer Matte, ihm gegenüber befindet sich die Schüssel mit der Kava. Der davorsitzende Tonganer kämmt eben das Faserbündel aus, mit dem er die Kava durchgeseiht hat. Neben dem Häuptling sitzt je ein Matabule, die als Vorsichtsmaßregel für den Häuptling zuvor von der Kava trinken.
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GRÖSSERES BILD
Schließlich sei noch ein eigenartiges Münzsystem auf Mikronesien, speziell auf den Karolinen erwähnt. Es besteht aus kreisförmigen, Mühlsteinen ähnlichen Steinen, die in der Mitte durchbohrt sind (Abb. 47). Der stolze Besitzer mehrerer dieser mächtigen Steine gilt für reich. Indessen eignen sich diese „Münzen“ nicht für den praktischen Gebrauch, sondern mehr zur Zierde, zumal sie vor den Häusern aufgestellt zu werden pflegen. Leichter zu handhaben sind die niedrigeren Werte, zum Beispiel ganze Perlmuschel- oder Muschelscheibenschnüre, wie sie auf ganz Ozeanien üblich sind.
Aus „Kolonie und Heimat“.
Abb. 49. Hausboot der Fidschiinsulaner.