Als Nordafrika bezeichnen wir die französischen Provinzen beziehungsweise Schutzstaaten Marokko, Algerien und Tunis, sowie die italienische Provinz Tripolis. Ursprünglich wurden diese Gebiete wohl von Menschen bevölkert, die mit der Urbevölkerung der europäischen Mittelmeerländer gleicher Abstammung waren, anscheinend auch eine ganz nahe Verwandtschaft mit den Urhamiten besessen haben müssen. Ihre heutigen Nachkommen sind die Berber Marokkos und die Kabylen Algeriens. Zu ihnen gesellten sich bereits in der Vorzeit von Europa her, über damals wahrscheinlich zahlreicher vorhanden gewesene Inselbrücken, nordeuropäische (urgermanische) Völker hinzu, die jener Urbevölkerung vielfach ihren Typus aufprägten, denn anders lassen sich die zahlreichen blonden oder wenigstens hellfarbigen und helläugigen Elemente unter den Berbern — Tissot behauptet, daß solche unter der heutigen Bevölkerung Marokkos etwa zu einem Drittel, unter den Riffberbern sogar bis zu zwei Dritteln angetroffen werden — nicht erklären. Um die Mitte des elften Jahrhunderts erfolgte von Osten her die Einwanderung von Arabern, also von semitischen Elementen, die sich zu Herren des Landes aufwarfen und es bis heute geblieben sind. Sie wohnen meistens in den Städten und größeren Ortschaften, während die Berber mehr auf dem Lande angesiedelt sind.
Die Berber sind schlanke, aber kräftig entwickelte Gestalten (Abb. 502 und 503) von einer Körpergröße, die über das Mittelmaß hinausgeht. Ihr Schädel ist vorwiegend lang, desgleichen ihr Gesicht lang und schmal, die Nase gerade oder gebogen (siehe die Kunstbeilage und Abb. 501). Sehr auffallend ist, wie schon gesagt, das Vorkommen hellfarbiger Elemente unter ihnen, die sonst dunkles Haar, ebensolche Augen und tiefbrünetten Teint ausweisen. Sie (und ebenso die Kabylen) sind kriegerisch veranlagte Leute (siehe die farbige Kunstbeilage sowie Abb. 504 und 505), die sowohl unter sich wie auch besonders mit der Regierung des Sultans in beständiger Fehde leben; die meisten von ihnen leben unabhängig, andere wiederum zahlen eine Abgabe, aber gewöhnlich nur auf kräftiges Drängen des Sultans. Trotz dieser ihrer Liebe zum Rauben und Plündern ist der Charakter der Berber von größerer Offenheit und Geradheit als der der Araber; im besonderen rühmt man ihnen große Gastfreundschaft nach. Infolge des jahrhundertelangen Zusammenlebens mit den Arabern sind die Berber vielfache Mischungen mit ihnen eingegangen, zumal beide Teile Anhänger des Islams sind, die Religion also keinen Hinderungsgrund dafür abgibt. Vollblutaraber gibt es also heutigestags wohl nur wenige, am meisten noch in den Zeltdörfern in einzelnen ebenen Teilen des Landes, sowie jenseits des Atlasgebirges in den breiten, meistens ausgetrockneten Flußtälern am Nordrande der Wüste, wo sie ein Nomadenleben (Abb. 506 und 509) führen oder auch etwas Ackerbau treiben. Je weiter nach Osten zu, um so zahlreicher werden die arabischen Elemente gegenüber den berberischen. Die nordafrikanischen Araber — in Tunis und Algerien Mauren genannt — verleugnen ihre semitische Abstammung nicht. Sie sind etwas kleiner als die Berber, auch schlanker gebaut als diese. Das ovale Gesicht ist von hellerer Hautfarbe, die Nase gebogen. Auch in der Charakteranlage erinnert der Araber sehr an seine semitische Abstammung.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 515. Kabylenfrau (unverschleiert).
Ein drittes Volkselement in Nordafrika bilden die Juden. Sie sind für das Land sehr wichtig, da in ihren Händen nicht nur der gesamte Handel, sondern auch die Industrie ruht. Die meisten von ihnen stammen von portugiesischen und spanischen Flüchtlingen ab, die Ende des sechzehnten Jahrhunderts und auch noch später infolge der Judenverfolgungen einwanderten, und weisen daher den vornehmen Typus der sogenannten Spaniolen, nicht den zumeist häßlichen der nordeuropäischen Juden auf. Durch besondere Schönheit zeichnen sich die marokkanischen Jüdinnen aus, zumal in ihren Mädchenjahren. Leider wird dieser Liebreiz schon frühzeitig durch das gewohnheitsmäßige Nudeln sehr beeinträchtigt, eine Unsitte, die sie mit den Araberinnen wie überhaupt mit allen Orientalinnen teilen. Denn Wohlbeleibtheit (Abb. 507) gilt im Orient allgemein als Ideal weiblicher Schönheit. Besonders in der Zeit zwischen Verlobung und Vermählung stopfen sich die jungen Jüdinnen Marokkos, um recht dick zu werden, täglich mit vierzig bis sechzig zigarrenförmigen Nudeln aus Weizenmehl, dazu mit Süßigkeiten; die in Tunis mästen sich mit dem Fleisch junger Hunde und mit Fettlebern, bis die gewünschte Körperfülle erreicht ist.
Schließlich wollen wir nicht vergessen, die zahlreichen Mischlinge zu erwähnen, die aus einer Kreuzung nicht nur der Araber mit den Berbern, sondern auch zwischen diesen und den im Laufe der Zeiten eingewanderten zahlreichen Römern, Vandalen, Spaniern, Italienern und anderen Völkern der Mittelmeerländer hervorgegangen sind. Auch Neger haben hieran teilgenommen, die noch ihren Geisterkultus treiben (Abb. 508 und 516).
Phot. A. J. R. Tremcarne.
Abb. 516. Geisterkultus bei den Negern Nordafrikas.
Das Bild zeigt ein von einem Buschgeist oder Dschinn (Joguwa) besessenes Weib.
Die Kleidung der nordafrikanischen Eingeborenen ist im allgemeinen die in den islamitischen Ländern übliche. Bei den einfacheren Stämmen des Sahararandes beschränkt sie sich auf ein umgebundenes Fell; wer sich aber mehr leisten kann, legt sich eine Tobe, ein weites, bis an die Knie reichendes Hemd, zu. Darüber wird meistens noch ein Umschlagetuch aus Baumwolle, zur kälteren Jahreszeit oder auf Reisen aus Wolle, der sogenannte Burnus, von den Männern getragen. Als Kopfbedeckung kommen der Fes oder bei reicheren Leuten der Turban und als Fußbekleidung gelbe Lederpantoffel hinzu. Die jüngeren Männer nehmen heutzutage mehr und mehr europäische Kleidung an. Das Haar wird meistens kurzgeschnitten getragen, die Riffberber lassen sich den Kopf scheren und nur auf der rechten Seite des Hinterkopfes ein Büschel stehen, das sie in kleine Zöpfchen flechten. Frauen und Mädchen (Abb. 511) pflegen weite Beinkleider aus farbigem Stoff, ein weißes Musselinhemd und eine farbige, meistens mit Gold, Silber und Seide kunstvoll bestickte Jacke anzulegen und über den Hüften einen silbernen Gürtel zu tragen. Auf dem Kopfe haben sie eine bestickte Mütze, an den Füßen Sandalen aus feinem Marokkinleder. Bei den ärmeren Stämmen beschränkt sich die Gewandung auf zwei Stücke groben, für gewöhnlich blaugefärbten Stoffes. Stets aber wird großes Gewicht auf recht viele Ketten aus Silber und Münzen im Haar und um den Hals, sowie auf nicht minder zahlreiche Ringe und Spangen um Hand- und Fußgelenke gelegt; reichere Frauen vervollständigen ihren Schmuck durch Perlen, Diamanten und andere Edelsteine (siehe die Kunstbeilage und Abb. 512). Ein altes Überbleibsel aus der Vorzeit sind die Fibeln oder Gewandnadeln (ganz noch in der ursprünglichen einfachen Form gehalten) zum Zusammenstecken der Kleidungstücke (Abb. 513). Natürlich geht die Mohammedanerin auch hier außerhalb ihres Hauses stets verschleiert; ärmere Weiber begnügen sich damit, durch Vorziehen ihres Gewandes das Gesicht zu verhüllen. Bei Ausgängen hüllen sich die Frauen in ein großes wollenes Tuch, den Haik, das über den Kopf geht und bis auf die Augen herabreicht, von der linken Hand über der Brust zusammengehalten und mit der rechten bis über die Nase hochgehoben wird. In solcher Umhüllung gleichen sie lebendig gewordenen Wäschebündeln von manchmal nicht ganz einwandfreier Beschaffenheit. Die Kabylenfrauen (Abb. 510 und 515) halten sich hinsichtlich der Verschleierung nicht so streng an die Vorschrift des Islams.
Phot. Lehnert & Landrock.
Marokkanische Schönheit.
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Phot. Lehnert & Landrock.
Marokkanischer Beduinenscheich.
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Sehr kostbar pflegt die Kleidung der Jüdinnen zu sein. Ihre Hauptstücke bestehen aus Samt und Seide; sie sind in der verschwenderischsten Weise mit echtem Gold besetzt. Dazu kommen die sonstigen Schmucksachen, Ketten, Ringe, Spangen und so weiter, die in ihrer Kostbarkeit oft bis zu zweitausend Mark Wert vorstellen sollen. Der junge Ehemann schenkt seiner Neuvermählten an kostbaren Gewändern, Schmucksachen und anderen wertvollen Dingen, soviel nur in seinen Kräften steht. In Tunis tragen die Jüdinnen, die sich rühmen, von den ursprünglichen Ansiedlern abzustammen, die bereits zu Salomos Zeiten herüberkamen, eine ganz eigenartige, schwer vergoldete spitze Kappe, über die sie noch einen seidenen Schal ziehen.
Phot. Mary Tremearne.
Abb. 517. Eine über die Haustür gemalte Hand als Schutz gegen den bösen Blick.
Wenngleich der Araber behauptet, daß er sein ganzes Vertrauen auf Allah setze (Abb. 514), so lebt er dennoch in ständiger Furcht, daß irgendein böser Geist, von ihm Dschinn genannt (Abb. 518), seinen Untergang beschlossen oder irgendein Mitmensch ihm mit dem bösen Blick etwas angetan habe. Um dies zu verhüten, bedeckt er sich mit allerlei Talismanen, die in frommen Sprüchen aus dem Koran, magischen Zeichen oder Figuren bestehen, oder mit verschiedenen Zaubermitteln in Gestalt eines Fisches, einer Menschenhand, eines Schwertes, Schlüssels, Halbmondes und anderer ähnlicher Dinge. Ja noch mehr, nicht nur seine eigene Person sucht er dadurch zu schützen, sondern auch sein Eigentum; er hängt zu diesem Zweck ein Hufeisen über seine Tür und bemalt seine Hausgegenstände und Tiere mit den angeführten Figuren, beziehungsweise hängt sie ihnen um. Ein sehr beliebtes Zeichen ist hierfür die menschliche Hand (Abb. 517), die in schwarzer oder roter Farbe über fast jeder Türe prangt, auf die Haut der Haustiere gestrichen oder mit Blut auf die Instrumente, die bei gewissen religiösen Handlungen Verwendung finden, gemalt, wie auch von den Schönen des Landes in Silber um den Hals getragen wird. An vielen Gebäuden ferner füllt man die Mauerritzen mit Papier aus, auf dem Koransprüche geschrieben stehen, mischt solche Papierstückchen auch wohl unter den Mörtel, mit dem die Häuser aufgeführt werden.
Phot. A. J. N. Tremearne.
Abb. 518. Eine Borizeremonie.
Einer der Tänzer hält sich für besessen von dem Bori oder Dschinn Mai-Aska, der als Barbier der Geisterstadt gilt. Er schickt sich an, die anderen zu rasieren.
Da die Araber Nordafrikas so tief im Aberglauben stecken, nimmt es nicht wunder, wenn man hört, daß Wahrsager und Kristallschauer sehr gesucht von ihnen sind. Gewahrsagt wird aus Mustern, die auf Sandhaufen gezeichnet werden, durch Zählen von Bohnen oder durch Schriftzeichen; auch das Weissagen aus den Eingeweiden der Opfertiere und andere derartige Verfahren sind noch gebräuchlich. Christen und Juden sind für den Araber Fremde, daher schreibt er ihnen auch böse Kräfte zu. Bekommt er am Morgen den einen oder den anderen als erste Person, die ihm begegnet, zu Gesicht, so legt er dieses Zusammentreffen als eine üble Vorbedeutung aus. Auch die schwarze Farbe gilt für eine solche; daher begegnet ein Araber ungern einem Neger, selbst einem solchen seines Glaubens, und noch weniger gern Amseln. Dagegen ist Weiß die Farbe der Freude und der guten Vorbedeutung; ein junges Mädchen, das Milch austrägt, gilt für ein erfreuliches Vorzeichen.
Um Regen herbeizuführen, der bei der unter den nordafrikanischen Himmelstrichen herrschenden Trockenheit meistens sehr erwünscht ist, werden ebenfalls allerlei geheimnisvolle Maßnahmen getroffen. Eine der interessantesten ist der Ghonja. Ist eine große Dürre eingetreten, dann kleidet man eine Wasserkelle wie eine Puppe (Ghonja) an und führt sie im Zuge durch die Straßen; die alten Weiber und die Kinder singen dabei: „Ghonja hat sein Haupt entblößt. Gib ihm zu trinken! O Herr, gib uns Regen!“ oder so ähnlich. Die Puppe und die mit ihr Hantierenden werden zuletzt mit Wasser begossen.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 519. Kabylenknabe im Alter der Beschneidung.
Um die Liebe des anderen Geschlechtes zu gewinnen, gibt es eine Unmenge Zaubermittel. Durch solche Hilfsmittel kann man auch Uneinigkeiten zwischen Verliebten stiften, wenn man ihre bevorstehende Hochzeit nicht gern sieht. Zu diesem Zwecke nimmt man Wasser, mit dem ein Toter gewaschen wurde, und schüttet es über das betreffende Mädchen. Daraufhin entstehen zwischen dem verlobten Paare Streitigkeiten, die eine Auflösung seines Verhältnisses zur wahrscheinlichen Folge haben. Glaubt eine Frau in Marokko, daß die Zuneigung ihres Gatten im Abnehmen begriffen sei, so läßt sie sich Honig von der Stirn bis zum Kinn über das Gesicht herablaufen und fängt ihn unten mit einem Löffel auf. Darauf sticht sie sich mittels eines Feigenblattes in die Zunge, mischt das daraus hervorquellende Blut mit sieben Salzkörnern und mengt es unter den Honig; weiter läßt sie Blut in den Löffel tropfen, das von der Stelle zwischen den Augenbrauen stammt, und fügt darauf noch weitere sieben Salzkörnchen hinzu. Das Ganze vermischt sie mit so viel Erde von ihren Fußspuren, wie erforderlich ist, um drei Silbermünzen zu bedecken, und tut alles zusammen in das Essen ihres Mannes, worauf bei diesem die im Erkalten begriffene Liebe wieder entfacht werden soll.
Da der Wunsch nach Kindern unter den Mohammedanerinnen ein recht reger ist und auf der anderen Seite die Frau, die ihrem Gatten keine solchen schenkt, der allgemeinen Verachtung preisgegeben ist, auch schwer einen zweiten Mann bekommen kann, so greift sie in ihrer Angst nach allerhand Amuletten und Zaubersprüchen, die ihr zur Erreichung ihres Zieles behilflich sein sollen. Wir haben diese verschiedenen magischen Zeichen und Gegenstände bereits kennen gelernt; für besonders wirksam werden solche Formeln, Zeichen und Figuren gehalten, wenn sie mit einem Myrtenzweig und einer Tinte aus Safran und Rosenwasser auf Gazellenhaut aufgetragen und dann in einem stählernen Behälter aufbewahrt werden. Auch werden von unfruchtbaren Frauen Pilgerfahrten nach heiligen Orten oder Schreinen unternommen, wo sie vielfach an einem besonderen Baum Zeugfetzen aufhängen.
Wenn eine schwangere Kabylin eine schwere Geburt bereits durchgemacht hat und eine solche von neuem befürchtet, trägt sie zur Erleichterung ihrer Niederkunft in den Falten ihres Haiks eine Mischung von Öl und Eichelasche mit sich herum oder bindet sich auf einen ihrer Oberschenkel einen Feuerstein auf; ebenso trägt sie wohl an ihrem rechten Oberschenkel ihren eigenen Haarkamm mit dem darauf geschriebenen Wunsche einer leichten Geburt.
Die Geburt eines Kindes wird auch in Nordafrika von den einheimischen Stämmen mit großer Freude und lautem Lärm begrüßt, besonders aber, wenn ein Sohn angekommen ist. Die Geburtshelferin meldet dies bei den Kabylen mit einem lauten „Yu, yu“ an, worauf sich alle Männer des Dorfes versammeln und Freudenschüsse abgeben. Die Großeltern beschenken das Neugeborene, festlich angetan, mit mancherlei Gaben und wünschen ihm Glück, und mit Stolz befestigt man auf der Stirn der Wöchnerin das Thabazimth, ein rundes, broschenähnliches Schmuckstück, zum Zeichen, daß sie der Familie einen Erben und dem Dorfe einen Verteidiger gegeben hat. Der glückliche Vater zahlt der Gemeinde eine Abgabe, oft verdoppelt er sie aus eigenem Antrieb. Um den bösen Blick oder die Dschinns zu bannen, werden Mutter und Kind mit Salz bestreut. Am siebenten Tage nach der Geburt pflegen sich die Bekannten einzufinden und das Kind zu beschenken. Dabei findet für gewöhnlich eine religiöse Festlichkeit statt.
Sind die Mädchen etwa sieben Jahre alt geworden, dann färbt man ihnen die Hände mit Hennah, fettet ihnen das Haar ein und flicht es fest zu einem Zopf; von da an gelten sie für Jungfrauen und müssen an der Öffentlichkeit auch den Schleier tragen. Die Knaben (Abb. 519) werden zu ungefähr der gleichen Zeit, bald etwas früher, bald später, beschnitten. Auch hierbei werden Festlichkeiten abgehalten.
Mit Genehmigung von Richard Bong in Berlin.
Arabischer Schleiertanz.
Nach dem Gemälde von F. M. Bredt.
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Die Brautwerbung ist die bei den islamitischen Völkern überhaupt übliche. Wenn die Brautgeschenke dargebracht sind, wird der Hochzeitstag festgesetzt. An diesem begeben sich die Brautjungfern mit der Braut zum Bade, waschen sie dort und schmücken sie mit neuen Kleidern. Da Wert darauf gelegt wird, recht prunkvoll aufzutreten, so werden vielfach besonders kostbare Kleidungstücke und Schmucksachen von guten Bekannten geborgt. Auf dem Wege nach dem Bade besprengen andere Frauen die Braut mit Weihwasser als Symbol der Fruchtbarkeit. Die eigentlichen Hochzeitsfeierlichkeiten dauern für gewöhnlich drei Tage, der Abend des zweiten Tages ist aber der bedeutungsvollste für die Braut, denn an ihm findet das Hennahfest statt. Nachdem sich die versammelten Gäste an den ihnen vorgesetzten Leckerbissen gütlich getan haben, sorgt man noch für ihre Unterhaltung durch Vorführung von Tänzen (siehe die Kunstbeilage), die von einer weiblichen Kapelle oder blinden männlichen Musikanten begleitet werden; solche sind außer den allernächsten Angehörigen die einzigen männlichen Wesen, denen man Zutritt zu den Frauengemächern (Abb. 520) gewährt. Vielfach sind die Tänze (Bauchtanz) und die Darbietungen der Musikanten ziemlich obszöner Natur. Auch Lieder und Geschichten werden aus diesem Anlaß vorgetragen (Abb. 522). Überhaupt sind Geschichten- und Märchenerzähler allgemein beliebt; man trifft sie vielfach auf den Straßen an, umgeben von einer aufmerksamen Zuhörerschaft (Abb. 521). Die Braut und ihre Begleiterinnen sind bei dem Gelage zunächst nicht zugegen, zumal sich bisweilen Männer unter den Gästen befinden; sie kommen aber herunter, wenn sich diese zurückgezogen haben. Wie während der ganzen drei Tage ihrer Hochzeit muß die Braut auch jetzt wieder still auf einem erhöhten Holzschemel oder Stuhl sitzen; ihre Füße ruhen dabei auf dem Brautkoffer, der ihre Ausstattung enthält, oder auf einem Schmuckkasten mit kostbarem Inhalt, ihre Hände ausgestreckt auf den Knien; sie darf sich nicht bewegen, auch ihr Gesicht nicht zum Lächeln verziehen, sondern muß ganz still und ernst dasitzen. Darauf wird das Hennahfärben an ihr vorgenommen. Meistens tut dies eine hierfür bestellte Frau, die dazu einen großen Korb mit Hennah und zwei gestickte Taschen mitbringt. Sie kaut Hennahblätter in ihrem Munde zu einem Brei und färbt der Braut damit die Handflächen, die Fußsohlen und manchmal auch das Gesicht an der Haargrenze. Besondere Sorgfalt wird auf die Färbung der Hände verwendet. Es werden auf ihnen zwei Striche gemacht, der eine vom Daumenballen zum vierten Finger und der andere über die Fingerspitzen bis zum ersten Gelenk; die Ränder dieser Striche werden noch mit Zierpunkten und geschwungenen Linien verziert. Nun werden die Hände fest verbunden, worauf sie von der Braut in die erwähnten Taschen gesteckt werden. Der Verband darf nicht eher abgenommen werden, bis die Farbe genügend in die Haut eingedrungen ist; um die Sache zu beschleunigen und am Hochzeitstage nicht zu lange deswegen warten zu müssen, lassen manche Mädchen das Färben schon vorher an sich vornehmen. Inzwischen wird die Braut verschleiert und, wenn die Hennahzeichen trocken geworden sind, ins Brautgemach geführt.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 520. Im Frauengemach (Nordafrika).
Bei den Juden geht, wie schon erwähnt, der Hochzeit das Mästen des jungen Mädchens voraus. Die Hochzeitsfeierlichkeit spielt sich hier in ganz anderer Weise als bei den Mohammedanern ab. Sie findet in der Synagoge oder im Schlafzimmer der angehenden Eheleute statt. Die Ankunft des Bräutigams wird von den Frauen mit einem eigenartigen Ruf oder Kururua begrüßt; er wird hineingeleitet, bindet sich eine seidene Schärpe um den Hut und nimmt zur Linken der Braut Platz. Der Rabbi segnet das Paar ein, betet für sein Wohlergehen, legt seine Hände ineinander und läßt die Ringe wechseln. Sodann nimmt er ein Glas Wein in die eine Hand, breitet die andere über die Neuvermählten aus und bietet beiden zum Trinken an, worauf das Glas zertrümmert wird. Man verabreicht auch Wein in kleinen Gläsern an die nahestehenden Freunde und Verwandten, sowie Süßigkeiten an alle Teilnehmer der Trauung.
Über die Sittlichkeit der nordafrikanischen Stämme scheinen die Ansichten auseinanderzugehen; zumeist wird allerdings berichtet, daß man streng auf Moralität sowohl vor wie in der Ehe halte, indessen kommen auch Ausnahmen vor. Eine solche macht der ganze Stamm der Uled Nail in Algerien. Hier gehen sämtliche Mädchen in Begleitung ihrer Mütter oder älteren Schwestern in die von Fremden und Nomaden gut besuchten Oasenstädte und geben sich dort für mehrere Jahre dem Gewerbe der Prostitution hin. Nachdem sie sich damit ein kleines Vermögen erworben haben, kehren sie in ihre Heimat zurück und bekommen als begüterte Frauen hier leicht einen Gatten.
Phot. A. B. Liley.
Abb. 521. Ein Geschichtenerzähler.
Es sind dies bei der maurischen Bevölkerung sehr beliebte Persönlichkeiten. Manche dieser Erzähler füllen die Pausen durch Musikvorträge aus einem Tamburin oder einer zweisaitigen Geige aus; andere lassen sich von ihren Dienern im Chor begleiten.
Ist ein Araber ernstlich erkrankt, dann wird der Priester gerufen, um zu sehen, was er für ihn tun kann. Der Sterbende wird von ihm aufgefordert, zu beichten und sein Glaubensbekenntnis herzusagen; das genügt für sein Seelenheil. Daneben kommt aber auch wieder der Aberglaube zu seinem Recht. Man holt ein Huhn und schneidet ihm die Kehle durch. Ein Knabe muß es dann eine Strecke weit in einer bestimmten Richtung forttragen. Begegnet ihm dabei niemand, dann darf man auf Genesung des Kranken rechnen; sollte er aber doch auf jemand stoßen, obwohl man die Nachbarn davor zu warnen pflegt, ihm in den Weg zu laufen, so ist dies eben Kismet, wie der Mohammedaner zu sagen pflegt, das Schicksal, der Wille Allahs. Die Leichen- und Bestattungsgebräuche sind die gleichen, wie wir sie bereits von der islamitischen Bevölkerung Ägyptens oben kennen gelernt haben. Die Beisetzung erfolgt in einem Grabe, auf das eine Platte aus Marmor oder aus gemauerten Ziegelsteinen, die angeweißt werden, zu liegen kommt. Ein darauf angebrachter Fes oder Turban bezeichnet ein männliches Grab. In der Mitte der Platte wird ein Loch angebracht, das man mit Opfergaben aus Brot und Wasser versieht, damit der Geist des Verstorbenen daran merke, daß die Hinterbliebenen ihn nicht vergessen haben.
Phot. H. H. Johnston.
Abb. 522. Szene von einer Berberhochzeit.
Der Brautführer trägt ein Lied vor.
Schlussverzierung
Druck der
Union Deutsche Verlagsgesellschaft
in Stuttgart.