Die Bevölkerung des Landes der Pharaonen besteht in der Hauptsache aus hamitischen Elementen, zu denen sich im Laufe der Zeiten semitische und in geringerem Grade auch Negerstämme hinzugesellten. Schon in der Vorzeit muß dieselbe ziemlich die gleiche wie heute gewesen sein, denn wir begegnen auf den Figuren der alten Malereien und Bildwerke aus der Pharaonenzeit bereits den gleichen Köpfen und Zügen sowie der gleichen Hautfarbe, die wir jetzt noch auf der Straße antreffen.
Der Religion nach unterscheiden sich die Ägypter in Kopten und Fellachen; die ersteren sind Anhänger des christlichen, die letzteren des islamitischen Glaubens, aber in ihrem Äußeren sind sich beide Teile ziemlich gleich, höchstens kann man sagen, daß die Kopten vermöge ihrer Religion sich mehr davor gescheut haben, arabisches, das heißt semitisches Blut in sich aufzunehmen. Es ist daher falsch, die Fellachen zu Arabern zu stempeln, zu behaupten, daß sie ausschließlich von den mohammedanischen Eroberern des Landes abstammten, wie es vielfach geschieht. Zwar mag ihre Eigenschaft als Anhänger des Islams sie selbst dazu geführt haben, daß sie sich als Verwandte der Araber betrachteten und dementsprechend die Besonderheit ihrer ägyptischen Nationalität aus den Augen verloren haben, aber in Wirklichkeit sind sie mit den Kopten eines Stammes. Beide sind Nachkommen der alten Nilbewohner aus der Zeit der Denkmäler und Sphinxe.
Wenngleich diese religiöse Spaltung naturgemäß manche Unterschiede in den Gebräuchen, besonders in den Festen und Fasten, zur Folge gehabt hat, so sind diese doch keineswegs so groß, wie man annehmen könnte, nicht einmal in religiösen Dingen. So kommt es vor, daß ein alter Moslem zur Jungfrau Maria betet und den christlichen Heiligen bei gewissen Gelegenheiten und an bestimmten Orten Opfergaben darbringt, und die Mosleme sowohl Christus wie auch seine Mutter verehrt.
Nach einem Gemälde von R. Ernst.
Abb. 499. Am Tage vor einer mohammedanischen Hochzeit.
Auch in ihrer Kleidung gleichen sich Christen und Mohammedaner Ägyptens. Die oberen Klassen tragen meistens europäische Kleidung, mit Ausnahme des mohammedanischen Fes und des christlichen Tarbusch. Der junge Mann aus dem unteren und dem Mittelstande in den Städten trägt über seiner Landestracht einen kurzen Rock nach europäischem Schnitt an Stelle des feinen schwarzen Gewandes, das der reiche Fellache auf dem Lande sich umhängt. — Die nationale Tracht besteht in weiten Beinkleidern, einem weichen Hemd, einer kurzen Weste ohne Ärmel und einer langen, bis zu den Knöcheln reichenden Jacke aus gestreiftem baumwollenem oder seidenem Stoff, die vorn offen ist und lange Ärmel aufweist. Sie wird meistens durch einen Gürtel über den Hüften geschlossen gehalten. Zur Winterszeit gehört zur Kleidung noch ein großer schwarzer Mantel aus Tuch oder Seide, der alles umhüllt. Nur in ihrer Kopfbedeckung unterscheiden sich die beiden Religionen: der Mohammedaner trägt einen türkischen Fes mit kurzer, schwarzer Troddel, der Kopte einen Tarbusch aus weicherem Stoff und von dunklerer Farbe mit langer, blauer Troddel. Fes und Tarbusch werden beständig getragen und gelten als Abzeichen männlicher Würde; es einem vom Kopfe zu schlagen, kommt der schwersten Beleidigung gleich. Keine Kopfbedeckung zu besitzen, ist das Zeichen schrecklicher Armut und in dieser Beziehung etwa dem Barfußgehen unter Europäern gleichbedeutend.
Phot. Em. Frechon, Biskra.
Abb. 500. Mohammedaner beim Abendgebet.
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Alle Ägypter der oberen Klassen tragen das Haar ganz kurz geschnitten. Die Fellachen rasieren sich den Kopf für gewöhnlich kahl und lassen nur auf dem Wirbel ein langes Büschel stehen. Diese sonderbare Haartracht erklären sie selbst auf zweierlei Weise. Die einen meinen, daß man dieses Büschel stehen lasse, damit der Engel sie daran festhalten könne, wenn sie nach dem Tode von der Brücke al-Sirat, die ins Jenseits führe und an Schmalheit einer Messerklinge gleichkomme, herabfallen sollten; andere dagegen sagen, man wolle dadurch Vorsorge treffen, daß ein ungläubiger Feind, der ihren Kopf etwa abgehauen hätte und mit sich schleppte, ihn an diesem Haarbüschel ergreifen könne, nicht aber ihn mittels der Mundöffnung einhake und dadurch den Mund entweihe, der so oft Allah gepriesen und zeitlebens Gebete aus dem Koran gesprochen habe.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 501. Junges Volk in Marokko.
Die Frauenkleidung gleicht im großen und ganzen der der Männer. Auf dem Lande gehen die Frauen im Sommer so gut wie nackt, nur mit einem Schurz bekleidet, Knaben überhaupt vollständig nackt. Die Städterinnen legen weite Hosen, eine lange Unterjacke (Yelek), einen Gürtel und eine Jacke und beim Ausgang darüber noch ein langes, weites, schwarzseidenes Oberkleid (Tôb) an. Das Haar tragen die Frauen in unzählige kleine Zöpfchen geflochten, in die sie mit schwarzer Seide noch Münzen binden. Auf dem Kopfe tragen sie eine Art Turban mit einer Verzierung aus Gold oder vergoldetem Metall, Kûrs genannt, und darüber einen schwarzen oder weißen Schleier, der das ganze Gesicht bedeckt und nur die Augen freiläßt. Typisch ist ferner noch ein eigenartiges Schmuckstück zwischen den Augen, eine kleine Walze aus Gold oder Messing, um die zwei Rillen herumlaufen. Die Fellachinnen begnügen sich mit einem Kopfschleier, mit dem sie auch ihr Gesicht bedecken können. Schmuck um Hals, Arme, Finger und an den Ohren ist sehr beliebt. Die Männer tragen keine Ohrringe, obwohl ihnen als Kindern die Ohrläppchen durchstochen werden; nur die Stutzer in Oberägypten hängen sich oft einen schweren einzelnen Ring in das eine Ohr.
Die Nahrung der Ägypter ist eine recht bescheidene, man kann fast sagen, erbärmliche, was größtenteils auf den vielen Fasten beruht, die einen ziemlichen Teil des Jahres in Anspruch nehmen. Sie leben meistens von Brot oder Fladen aus Weizen- und Hirsemehl, gerösteten Getreidekörnern, Früchten, Erbsen, Bohnen, Linsen, Eiern, Milch, Käse und Fischen; als Leckerbissen kommen gelegentlich Geflügel, Hammel-, Ziegen- und Büffelfleisch auf den Tisch. Den Kopten ist der Genuß von Schweine- wie auch von Kamelfleisch verboten. Zur Zeit der Fasten besteht die tägliche Nahrung nur aus Erbsen, Bohnen und Fischen. Wein rühren die Mohammedaner nicht an, obwohl davon sehr viel für die unter ihnen lebenden Griechen und Italiener, die ohne ihn nicht leben können, eingeführt wird.
Die Fellachen leben meistens auf dem Lande und treiben Ackerbau, dabei wenden sie noch ganz dieselben ursprünglichen Bearbeitungsweisen an wie ihre Vorfahren vor Tausenden von Jahren. So dreschen sie noch heutigestags das Getreide mit Hilfe eines Dreschschlittens aus und bewässern ihre Ländereien mit dem Schöpfrade. Sie wohnen in elenden Hütten, die aus Nilschlamm errichtet sind.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 502. Typen junger Berberinnen.
Von allen Mohammedanern können die Ägypter für die duldsamsten gelten; auch nehmen sie ihre Glaubensvorschriften verhältnismäßig leicht. So führen sie selten eine Wallfahrt nach Mekka aus, beobachten nicht immer so streng ihre Fasten und sind saumseliger in der Ausführung sonstiger religiöser Gebräuche; doch verrichten sie für gewöhnlich wohl ihre Zwangsgebete mit den üblichen Fasten und Kniebeugungen (Abb. 500) und enthalten sich des Weingenusses. Ganz frei von Fanatismus sind sie aber nicht. Dies kommt unter der Landbevölkerung manchmal gelegentlich der Zikrs zum Ausdruck; es sind dies eine Art Erbauungspredigten, die oft eine Zugabe zu einem Feste vorstellen, stets jedoch im Anschluß an die Dorfvergnügungen gelegentlich des „Großen Bairamfestes“ und anderer wichtiger Feste abgehalten werden. Die Teilnehmer eines Zikrs versammeln sich gewöhnlich bei einer Moschee oder dem Grabe eines Heiligen und setzen sich in zwei Reihen einander gegenüber; meistens sind es streng religiös gesinnte Männer, das weniger gläubige Publikum sieht zu und spendet seinen Beifall. Man beginnt im Sitzen den Namen Allah zu rufen, anfänglich langsam, und dieses Wort mit leichtem Kopfnicken zu begleiten. Bald werden die Worte hastiger ausgesprochen und dementsprechend auch die Bewegungen des Kopfes verstärkt. Hierauf stehen beide Reihen unter sichtlicher Anstrengung auf und stoßen den Oberkörper vorwärts und rückwärts; verschiedene andere Bezeichnungen der Gottheit treten jetzt an Stelle des Namens Allah, und man sieht den Gesichtern deutlich ihre Verzückung an. Schließlich dreht sich der ganze Körper wie im Wirbel; der Schweiß perlt von den Gesichtern der Anbeter, die nur noch ein heiseres, atemberaubendes „Hu, Hu, Hu!“ (Er, das heißt der Eine Gott) ausstoßen können. Befinden sich Epileptiker in der Gesellschaft, die für besonders heilig gelten — und an solchen fehlt es wohl nie — dann bekommen sie ihren Anfall und sinken um; auch die übrigen Teilnehmer fallen erschöpft zur Erde. Die Sekte der Derwische in Kairo führt ähnliche Tänze mit Verzückungen auf. Viele Fellachen, besonders die Sakkah oder Wasserträger, gehören zu dieser Sekte, sie unterscheiden sich aber von der übrigen Landbevölkerung äußerlich nicht. Dagegen tragen die Derwische in Kairo, wo sie in Klöstern zusammenwohnen, eine hohe weiße Kopfbedeckung, die sie als solche kennzeichnet. Die niederen Mitglieder des Derwischordens sind ganz ungebildete Leute, die meistens zerlumpt im Lande umherziehen und sich den Lebensunterhalt zusammenbetteln; sie leisten aber nichts auf dem Gebiete der guten Werke. Dagegen sind die Derwische, die höhere Stellen im Orden einnehmen, oft sehr begabte Menschen, die sich für ihre Person von den Verzückungen der übrigen fernhalten, wenn sie sie auch nicht gerade mißbilligen.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 503. Junge Berberin von schönem Wuchs.
Eines der bemerkenswertesten Feste des Islams in Ägypten (Abb. 497) ist die Reise der heiligen Sänfte („Mahmal“) nach Mekka. Die althergebrachte Sitte, das Mahmal der Stadt auf dem Rücken eines Kamels nach diesem heiligen Orte des Islams tragen zu lassen (siehe die farbige Kunstbeilage), wird jetzt nur noch als Zeichen der Höflichkeit von seiten des ägyptischen Herrscherhauses ausgeübt. Nebenbei gesagt, hat noch niemand in dieser Sänfte gesessen, und es sitzt auch jetzt keiner darin. Sie ist eigentlich ein pyramidenförmiger Aufbau, der reich mit Goldstickereien behängt ist und viele Inschriften trägt. Das Kamel, das die Sänfte auf seinem Rücken mitführt, wird von der gesamten hohen Geistlichkeit zu Fuß begleitet, natürlich unter militärischer Eskorte. Der Statthalter, sein Stab und eine Abteilung Kavallerie reiten voran, den Schluß bildet der von einem Kamel getragene Shek el-Gemel oder Shek el-Hagg als Leiter der Wallfahrt. Früher war es üblich, daß dieser über die Rücken der Gläubigen hinwegritt. Der Aufbruch und die Ankunft der Karawane ist Gegenstand großer Begeisterung unter der Bevölkerung; ungeheure Menschenmassen pflegen sich dabei anzusammeln.
Die Prozession des Mahmal.
Eines der bemerkenswertesten Feste in Ägypten wird jedes Jahr in Kairo gefeiert, wenn das Mahmal oder die heilige Sänfte nach Mekka gebracht wird. Der Umzug ruft stets größte Begeisterung hervor.
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Phot. Neurdein Frères.
Abb. 504. Algerische Reiter.
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Ein seltsamer Brauch, der wahrscheinlich auf ein hohes Alter zurückblickt, wurde bis vor kurzem alljährlich in Kairo geübt, das „Durchschneiden des Khalîg“. Der Khalîg war ein Kanal, der vordem durch die Stadt führte, jetzt aber zugeschüttet und in eine Straße umgewandelt worden ist. Zur Zeit des Tiefwasserstandes des Nils wurde der Eingang dieses Kanals durch einen Deich abgedämmt, der dann, wenn der Nil anstieg, jedes Jahr feierlich durchbrochen wurde, um die Fluten des Stromes in ihn hineinzulassen. Dabei wurde ein kleines Schiff, das mit kleinen Geschützen ausgerüstet und an seinen Masten und Rahen mit bunten Wimpeln geschmückt war, in feierlichem Zuge unter lautem Tamtamschlag und Geschützdonner zum Kanaleingang geschleppt und hierauf der Deichdurchstich mit großer Festlichkeit vorgenommen.
Phot. H. S. W. Edwardes.
Abb. 505. Ein Reitersmann der Tuareg auf der Reise vor der Stadt Blida.
Ein Reisender läßt sich niemals unverschleiert sehen. Das Pferd ist mit Amuletten behängt.
Eine bei allen Festlichkeiten stets wiederkehrende Erscheinung sind Kampfspiele mit kurzen schweren Stöcken oder mit einschneidigen Schwertern, in deren Handhabung die Ägypter sehr gewandt sind. Diese Spiele werden nach ganz bestimmten Regeln gehandhabt, um zu verhindern, daß sie etwa in einen richtigen Kampf ausarten. Die Dorfbewohner bilden einen Ring, und zwei von ihnen nehmen in der Mitte mit gekreuzten Beinen auf der Erde Platz. In dieser Stellung fangen sie mit Stöcken ihr Gefecht an, zugleich müssen sie sich bemühen, sich allmählich auf die Füße zu stellen, ohne mit den Händen nachzuhelfen. Das Spiel wird nach und nach immer schneller und wilder, harte Schläge dürfen aber nicht ausgeteilt werden. Wird der Kopf des Gegners getroffen, so gilt dieser für besiegt, und ein neuer Kämpe tritt aus dem Kreis hervor, um sich mit dem Sieger zu messen. Waffentänze kommen nur bei den Wüstenstämmen Oberägyptens vor. Die geschilderten Spiele werden meistens in der Nähe einer Moschee, am Grabe eines Heiligen oder an irgendeiner geweihten Stätte abgehalten, die oft durch einen heiligen Stein oder Baum gekennzeichnet ist. An einem solchen heiligen Platze in der Nähe von El Kab in Oberägypten lassen die Gläubigen winzige Teile ihrer Speise oder ihrer Gewänder als Opfergabe in Tonkisten zurück.
Phot. Em. Frechon, Biskra.
Abb. 506. Algerische Frauen auf der Reise.
Auf jeder Seite des Kamelrückens sitzt eine Frau in einem käfigartigen Gestell, das ziemlich unbequem und heiß ist.
Ägypten ist von jeher das Land der Tänzerinnen gewesen. Die berühmtesten von ihnen gehören einem besonderen Stamme an und heißen Ghawazu. Sie führen ihre Tänze unter Begleitung eines zither- oder violinenähnlichen Musikinstruments sowie einer Rohrpfeife auf und begleiten sich daneben noch selbst mit Kastagnetten. Diese Tänze bestehen in schreitenden und drehenden Bewegungen und vor allem in einem Zittern der Muskeln der leicht verschleierten Hüftgegend, in dessen Ausführung die Ghawazu eine unbegreifliche Geschmeidigkeit und Fertigkeit bekunden, und arten öfters in ein ziemlich laszives Schauspiel aus, das die männlichen Zuschauer sinnlich erregen soll, wozu noch feuriger Augenaufschlag, herausforderndes Lächeln und andere pantomimische Liebeserklärungen beitragen. Diese Vorstellungen finden auf offener Straße, in Höfen, in Kaffeehäusern sowie in den Haremen (gelegentlich gewisser Festlichkeiten, wie Hochzeit, Geburt und so weiter) statt; je nach dem Stande der Zuschauer sind die Tänzerinnen mehr oder weniger bekleidet und ihre Darbietungen freier. Besonders schlüpfrig fallen sie vor Männergesellschaften aus. Ganz besonders gilt dies von dem für Ägypten geradezu spezifischen Bauchtanz (Abb. 498). Eigentlich ist diese Bezeichnung irreführend, denn es handelt sich hier nicht nur um Bewegungen des Bauches, wenngleich dieser in erster Linie daran beteiligt ist, sondern um solche des ganzen Oberkörpers; die Beine bleiben dabei ruhig oder bewegen sich nur wenig. Das Bezeichnende für ihn sind die Leidenschaft und die Wollust, die in den Bewegungen zum Ausdruck kommen.
Naturaufnahme von Dr. G. Buschan.
Abb. 507. Tunesische Jüdin.
Phot. A. J. N. Tremearne.
Abb. 508. Geisterkultus bei den Negern Nordafrikas.
Eine schwarze Ziege wird beräuchert, in besonderer Weise gefüttert und hierauf den Geistern geopfert.
Neben den Tanzmädchen gibt es auch Tanzknaben, die Khewalin; diese tragen gewöhnliche männliche Kleidung, lassen sich aber ihr Haar wie Mädchen lang wachsen und durchflechten es geradeso wie diese mit Münzen.
Die Ägypter, vor allem die Fellachen, sind sehr abergläubisch; sie schreiben den Zaubermitteln und Amuletten jeglicher Art große Macht zu. Daher trägt jeder Bauer ein derartiges Schutzmittel in einer kleinen Lederhülle auf dem bloßen Körper. Oft ist es nur ein Koranspruch, den ihm ein öffentlicher Schreiber aufgeschrieben hat, denn für gewöhnlich sind die Fellachen des Schreibens unkundig. Auch ist bei dem Fellachen der Glaube an Geister stark eingewurzelt, die er für bösartig hält. Besondere Scheu hat er vor den Gräbern der alten Ägypter; denn diese hält er für den Sitz der Teufel oder Afrîts. Dessenungeachtet hat er an vielen Orten, besonders in Theben, die alten Grabstätten in Wohnhäuser umgewandelt. Kein Fellache begibt sich an einem dunkeln Abend ins Freie, aus Furcht vor diesen mächtigen Teufeln, auch wird er sich hüten, einen modernen Begräbnisplatz zu überschreiten, obwohl alle, die hier ruhen, seine Mitgläubigen waren und man im Leben nichts gegen sie einzuwenden gehabt hatte.
Die Geburtsgebräuche der beiden Religionen in Ägypten unterscheiden sich nur durch den christlichen Taufritus. Die Geburt eines Knaben wird mit besonderer Freude aufgenommen; reiche Fellachenfamilien lassen sich dann Tänzer, sowohl Ghawazu wie Khewalin — die letzteren schicken sich mehr bei der Geburt eines männlichen Familienmitgliedes — aus der Stadt kommen. Am siebenten Tage wird das Kind den Freundinnen der Mutter in großem Staat vorgeführt, in einem Siebe geschüttelt und feierlich im Harem umhergetragen.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 509. Kinder eines nomadisierenden Stammes vom Nordrande der Wüste.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 510. Kabylenfrau (unverschleiert).
Der nächste wichtige Vorgang im Leben eines Ägypters, sei er Mohammedaner oder Christ, ist die Beschneidung. Dieselbe wird für gewöhnlich beim Alter von etwa sechs bis acht Jahren vorgenommen, unter Umständen auch später und selbst noch in den zwanziger Jahren. Dabei werden die Knaben stets aufgeputzt, und zwar in Weiberkleidung gesteckt, auch mit Weiberputz behängt; nur auf dem Kopfe tragen sie ein männliches Abzeichen, nämlich einen Turban. Am Vorabend, „der Nacht der Hennah“, versammeln sich die Frauen im Harem, kneten kleine Kerzen aus Teig und Hennahblättern, setzen sie auf einen Prunkteller und zünden sie an. Unter Gesang und Paukenschall ziehen sie mit dem Teller, dem der Knabe folgt, durch das ganze Haus und beschenken die Mutter. Für die Nacht legen sie sich und ebenso dem Beschneidungsanwärter ein Stück Hennahpflaster in die Handhöhlung, so daß diese am anderen Morgen eine rotbraune Färbung aufweist. Am nächsten Tage findet großer Umzug statt. Der Kandidat wird in seiner Weibertracht von einem Diener auf einem Pferde durch die Straßen geführt; dabei hält er sich beständig ein besticktes Tuch vor den Mund. Ihm voran schreiten ein Diener des die Handlung vornehmenden Barbiers und ein paar Musikanten; ersterer trägt ein Schild seines Herrn, einen hölzernen Halbzylinder mit vier kurzen Beinen, dessen Rückseite mit einem Vorhang und dessen Vorderseite mit Spiegelscheiben und Kupferbeschlag bedeckt ist. Dem jugendlichen Reiter schließen sich die Verwandten an. Zur Verringerung der Kosten verbindet man einen solchen Aufzug öfters mit einem Hochzeitszug; häufig pflegt man auch zwei Knaben auf ein Pferd zu setzen. Noch feierlicher und großartiger gestaltet sich die Sache in den gelehrten Familien und bei den Wohlhabenderen. Am Tage vorher begibt sich der Knabe unter Begleitung seiner festlich gekleideten Mitschüler und zahlreicher Angehöriger, Verwandter und Freunde in eine Moschee, um hier seine Gebete zu verrichten. Dann wird er in festlichem Zuge zum Elternhause zurückgeleitet. Die Schulkameraden, die teils aus silbernen Flaschen wohlriechende Wässer auf die Zuschauer sprengen, teils ein silbernes Weihrauchgefäß schwingen, singen religiöse Wechselgesänge; Diener teilen aus einer silbernen Kaffeekanne an bessergekleidete Spaziergänger Kaffee aus, die ihnen dafür einen halben Piaster zu geben pflegen; auch einige Lehrer nehmen an dem Festzuge teil und stimmen gleichfalls Lobgesänge auf den Propheten an. Ein Knabe im Zuge trägt die vom Lehrer verzierte Schreibtafel des Beschneidungsanwärters an einem Tuche um den Hals. Dieser ist, wie schon erwähnt, nach Weiberart gekleidet und hält sich ein besticktes Taschentuch vor den Mund. Ihm folgen Weiber unter lautem Freudengeschrei, von denen eine beständig Salz hinter ihm ausstreut, um ihn vor dem bösen Blick zu bewahren. Vor dem elterlichen Hause und auch noch drinnen im Harem werden die Wechselgesänge von Knaben und Frauen fortgesetzt. Währenddessen lassen die letzteren auf die Schreibtafel des Knaben ihre Geschenke fallen, die nachher von ihm feierlichst dem Lehrer überreicht werden. Hieran schließt sich ein Festmahl, für die Frauen oben im Frauengemach, für die Männer und Knaben unten. Erst dann findet die Beschneidung in einem besonderen Raume in Gegenwart von zwei männlichen Verwandten statt. Wohlhabende Eltern lassen zur Erhöhung der Festfreude Fecht- und andere Spiele veranstalten.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 511. Kabylenmädchen in charakteristischer Tracht.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 512. Wohlhabende Nordafrikanerin mit reichem Schmuck.
Von einer Werbung des jungen Mannes um seine Frau ist in Ägypten nicht viel die Rede. Entweder seine Mutter bringt die Heirat zustande oder ein Vermittler von Beruf. Der Jüngling bekommt seine Auserwählte vorher niemals zu Gesicht (siehe die farbige Kunstbeilage), außer wenn es sich um gewöhnliche Fellachen handelt, die täglich zusammen arbeiten. Man vermählt sich sehr jung, Kinderhochzeiten aber sind unbekannt. Ist die Heirat ausgemachte Sache, dann findet sich der älteste männliche Verwandte der Braut ein, um die Brautsumme ins reine zu bringen. Nach Zahlung des festgesetzten Betrages wird der Ehevertrag unterschrieben oder, da er nicht immer schriftlich aufgesetzt wird, vor Zeugen wenigstens anerkannt, und zwar im Hause der Braut. Bei den Muselmanen setzen sich der männliche Vertreter der Braut und der Bräutigam auf die Erde und reichen sich die Hände, über die ein Fikih ein Taschentuch ausbreitet; dabei spricht er die vorgeschriebenen Verlöbnisworte, die ihm die beiden Männer nachsprechen. Darauf findet ein Fest statt. Während der nächsten acht bis zehn Tage sendet der Bräutigam der Braut täglich Geschenke; diese schickt ihm dafür die Möbel, die sie in die Ehe mitbringt, ins Haus. Der Bräutigam bewirtet jeden Abend Gäste bei sich. Die Braut sucht jetzt das öffentliche Bad auf; sie geht dabei unter einem Baldachin (Abb. 499), den ihre männlichen Verwandten tragen, und wird von Weibern begleitet, die schrille, zitternde Freudenlaute ausstoßen. Bei ihrer letztmaligen Anwesenheit im elterlichen Heim bewirtet sie Freunde und Verwandte und sammelt Geldbeträge von ihnen ein in einem Klumpen Hennah, in den die Eingeladenen Münzen stecken. Dieser letzte Abend, bei dem die Gäste außerdem noch durch bezahlte Sänger unterhalten werden, heißt deshalb Hennahabend. Am nächsten Abend zieht die Braut in feierlichem Zuge in das Haus des Bräutigams ein; die Straße, in der es liegt, hat man mit Lampions sowie mit roten und grünen Fähnchen geschmückt. In den Städten pflegt die Braut zu Fuß zu gehen oder auf einem Esel unter einem Baldachin zu reiten, auf dem Lande aber sitzt die Fellachenbraut, besonders wenn sie einer wohlhabenden Familie entstammt, auf einem stattlichen Kamel und hat einen prunkvollen, zeltähnlichen Baldachin über sich, der gewöhnlich von zwei sich kreuzenden Palmenzweigen getragen wird. Oft reiten auch noch zwei oder drei ihrer Freundinnen mit auf dem Tier. Selten wird eine Kamelsänfte benutzt. Hinter der Braut reiten Musikanten mit Pauken, ebenfalls auf Kamelen, und das ganze Dorf begleitet den Zug. Vor ihrem neuen Heim steigt die Braut ab, wird aber, ehe sie eintritt, noch in ein besonderes Zelt geführt, in dem sie mit ihren weiblichen Verwandten zu Abend speist. Inzwischen begibt sich der Bräutigam, von Fackelträgern und Musikanten begleitet, zur Moschee, um zu beten. Vor seiner Rückkehr hat die Braut ihr neues Heim bereits betreten, wo sie der Bräutigam zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht sieht. Flößt sie ihm sogleich Abscheu ein, dann kann er sich auf der Stelle wieder von ihr losmachen; er braucht nur die Formel der dreifachen Scheidung auszusprechen. Für gewöhnlich geht er aber nicht gleich so weit, sondern wartet einen geeigneteren Zeitpunkt ab. Der Koran gewährt nämlich dem Manne die weitgehendste Freiheit bei der Scheidung. — Von der Erlaubnis, sich vier Frauen und als Konkubinen Sklavinnen zu halten, ist man neuerdings sehr abgekommen; die meisten Muselmanen geben sich mit einer Frau zufrieden. Die Kopten kennen ihrer Religion entsprechend natürlich nur die Einehe. Ihre Hochzeitsfeierlichkeiten ähneln denen in anderen christlichen Ländern. In der Kirche findet eine Trauung statt, bei der der Braut eine Krone aufgesetzt wird. Man hält sodann eine Messe ab, und allen Teilnehmern wird das Abendmahl gereicht.
Nach einem Gemälde von H. Seppings Wright.
Kriegsspiel in Marokko (sogen. Fantasia).
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Sowie der Tod eingetreten ist, muß die Leiche mit dem Gesicht nach Mekka zu gelagert und noch am selben oder spätestens am nächsten Tage beerdigt werden. Inzwischen klagen und schreien die Frauen des Hauses unaufhörlich. Die Leiche wird in eine Art Sack gehüllt und auf einer Bahre zum Grabe getragen; vorauf gehen Männer, die das Glaubensbekenntnis „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein größter Prophet“ und im Anschluß daran „Die Gnade Gottes sei mit ihm und Friede“ singen. Hinter der Bahre, die von Freunden getragen wird, gehen die Frauen in Haufen und stimmen ein gleichsam heulendes Begräbnisgeschrei an; sie schlagen sich dabei auf die Brust, bewerfen sich den Kopf mit Staub und zerraufen sich das Haar. Zunächst kommt die Leiche noch in die Moschee, wo der Imam sie einsegnet, dann wird sie auf den Friedhof getragen, wo die letzten Förmlichkeiten vollzogen werden. In der ersten Nacht nach dem Begräbnis, der „Nacht der Einsamkeit“ — so genannt, weil in ihr die Seele des Verstorbenen, noch mit dem Leibe verbunden, für sich allein auf dem Friedhof zurückbleibt, um erst am andern Tage entweder nach dem Ort der Seligen oder nach dem Gefängnis der Verdammnis zu wandern — kommen die Freunde und Bekannten der Leidtragenden in deren Hause zusammen, um ihnen ihr Beileid auszusprechen und bei Kaffee und Tabak sich zu unterhalten, während jene entweder sich dabei beteiligen oder sich in einem Winkel des Hauses ihrem Schmerz überlassen. Zu gleicher Zeit finden sich zwei bis drei Schulmeister ein, die zuerst eine einfache Mahlzeit einnehmen und dann das siebenundsechzigste Kapitel des Korans herbeten, auch unaufhörlich den Namen „Allah“ ausrufen, um Gott zu zwingen, sich der armen Seele des Heimgegangenen zu erbarmen. — An den nächstfolgenden Tagen setzt sich das eintönige Klagen der Weiber fort und wiederholt sich sogar noch jahrelang an bestimmten Tagen.
Phot. Lehnert & Landrock, Tunis.
Abb. 513. Nordafrikanerin mit Gewandnadeln (Fibeln)
in ursprünglicher Form.
Männer tragen keine Trauerkleidung, die Frauen aber legen Schwarz an und lassen für gewöhnlich ihr Haar ungeflochten. Eine Woche später besuchen sie das Grab und legen zerbrochene Palmzweige darauf. In Oberägypten opfern sie oft noch ein Lamm oder eine Ziege am Grabe. Diese Zeremonien wiederholt man gelegentlich bis zum vierzigsten Tage nach dem Tode. — Die Begräbnisgebräuche der Kopten sind denen der Mohammedaner ziemlich ähnlich, ausgenommen die Riten, die bei diesen den Vorschriften der christlichen Religion entsprechen.
Phot. Em. Frechon, Biskra.
Abb. 514. Betende Mohammedaner aus Algerien.
Vor dem Gebet werden die Sandalen abgelegt.