Vorderasien.

Die Bevölkerung Vorderasiens (Syriens und Palästinas) bildet ebenso wie die Turkistans eine zusammengewürfelte Gesellschaft. Denn dieses Gebiet, die Brücke, die von Asien nach Europa führt, wurde in der gleichen Weise von den aus Zentral- und Nordasien nach Westen vorstürmenden Völkerstämmen zu den verschiedensten Zeiten überflutet. Dazu kommt noch, daß die Osmanen von ihren Kriegszügen her die Frauen der heterogensten Rassen mit heimbrachten und ihren Harems einverleibten, so daß die Rassenmischung dadurch noch mehr gesteigert wurde.

Als die Urbevölkerung Vorderasiens werden allgemein die Hittiter oder Kheta der Bibel angesehen, ein Volk, das nach der Überlieferung auf den Denkmälern und nach den assyrischen Berichten der zentralasiatischen Bevölkerung verwandt gewesen sein muß. Zu ihnen gesellten sich bereits in der Urzeit von Süden (Arabien) her die Semiten und von Norden nordeuropäische oder diesen verwandte Völker (vor allem die Amoriter). Aus einer Mischung von Hittitern und Amoritern sind die Juden Palästinas hervorgegangen, die sich von hier aus über ganz Nord- und Mitteleuropa sowie Nordamerika ausbreiteten (die sogenannten Akenaschim). Die südeuropäischen und afrikanischen Juden dagegen (die sogenannten Sephardim) stehen den eigentlichen Semiten (Arabern) näher. Wenngleich die Osmanlitürken (Abb. 358) die politische Herrschaft über ganz Vorderasien ausüben, so bilden die Armenier doch das wichtigste Rassenelement. Sie sind die unveränderten Nachkommen der alten hittitischen Urbevölkerung und weisen noch heute ziemlich denselben Typus auf, wie er uns auf den alten Denkmälern entgegentritt. Es sind große, stämmige Menschen von dunkelbräunlicher Hautfärbung, dunklen Augen, schwarzem Kopf- und Barthaar, sehr kurzem Schädel, breiter, langer, im Rücken gekrümmter Nase (Judennase) und dicken, etwas umgestülpten Lippen. Sie sind nicht nur über einen großen Teil Vorderasiens, sondern auch über Osteuropa verbreitet. Dort, wo sie an die Scholle gebunden sind, betreiben sie vorzugsweise Ackerbau, wie ihre Vorfahren; in der Fremde aber beschäftigen sie sich mit Handel und gelten für sehr geschickte, ja selbst sehr gerissene und schlaue Kaufleute, Händler, Bankiers und Makler („Juden des Orients“).

Ein anderes, den Armeniern in hohem Grade feindselig gegenüberstehendes Rassenelement sind die wilden Kurden, ein Volksstamm, der, seinem Äußeren nach zu urteilen, viel arisches Blut in sich aufgenommen haben muß. Zumeist sind die Kurden umherschweifende Nomaden, deren Lieblingsbeschäftigung in Raub und Kampf besteht, weswegen sie gefürchtete Grenznachbarn der Perser sind; ein Teil von ihnen ist ansässig geworden und betreibt Ackerbau. — Zu den genannten Völkern kommen noch eine ganze Reihe anderer, weniger wichtiger, die ihre Sitze hauptsächlich in dem Kaukasusgebiet haben; mit ihnen werden wir uns an anderer Stelle zu beschäftigen haben.

Phot. G. Robinson Lees.

Abb. 358. Die mohammedanische „Wage“ auf der Haramplattform,

wo die Islamiten nach ihrem Glauben am Jüngsten Tage gewogen werden, um, wenn sie würdig befunden sind, ins Paradies einzugehen.

Phot. Bonfils.

Abb. 359. Verschleierte syrische Frauen.

Das sie umhüllende Tuch (Izar) ist aus Seide hergestellt und bunt gemustert. Die christlichen Frauen und armen Modammedanerinnen tragen eine weiße Umhüllung. Das Gesicht wird noch besonders mit einem Gazeschleier (Mandeel) bedeckt.


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Phot. C. A. Hornstein.

Abb. 360. Inneres eines Beduinenzeltes aus Palästina.

Man bereitet gerade Kaffee. Zu diesem Zweck werden die gerösteten Bohnen in einem hölzernen Mörser mit einem Stößel zerstampft.

Aus politischen Gründen hat die türkische Regierung die Bevölkerung Vorderasiens in drei Klassen eingeteilt: in die Mohammedaner, die Christen und die Juden; jede dieser Klassen weist wieder Unterschiede auf, die auf der Rasse und dem Wohnort beruhen. Dem Namen nach sind die meisten Stämme Anhänger des Islams, aber in Wirklichkeit setzt sich ihre Religion aus einem Mischmasch von überkommenem Ahnenkult, Christentum und Mohammedanismus, selbst Judentum zusammen. Dies zeigt sich unter anderem an der Glaubenslehre der Jesiden, einer Sekte der Kurden. Ihre Lehre wird als strenges Geheimnis bewahrt, in ihrem vollen Umfange ist sie allein dem Ältesten des Geschlechtes, Hassan al Bussri, bekannt. Die Jesiden glauben an einen höchsten Gott, den sie Melek-Taus nennen; ihr Prophet ist Scheich Adi, der dem Gotte gleich ist. Außer diesen beiden höchsten göttlichen Wesen kennen sie noch eine große Anzahl niederer Gottheiten, darunter verehren sie die Abendröte, die Morgenröte und das Sternbild des großen Bären. Ihr Kultus ist ein Gemisch von christlichen, mohammedanischen und sogar jüdischen Gebräuchen. Der Religionsunterricht findet in einem besonderen Raum statt, den kein Fremder betreten darf. Weil der Name des Satans nicht ausgesprochen werden darf, so sind alle diesbezüglichen Bezeichnungen aus der Glaubenslehre ausgelöscht. Die Jesiden haben sogar, um das Wort Scheitan (Teufel) zu vermeiden, aus ihrer Sprache eine Menge Worte verbannt, die mit einem Sch beginnen und an diese Bezeichnung erinnern könnten. — Das heilige Buch der Jesiden, das mit sieben Siegeln versehen vom Himmel fiel und in dem Grabmal des Scheich Adi aufbewahrt wird, berichtet unter anderem von der Erschaffung der Welt, die sich im Jesidenglauben ganz eigenartig ausnimmt. Als Gott der Finsternis in der Welt müde war, schuf er sich einen Papagei, der ihn vierzig Jahre lang erfreute und unterhielt. Darauf wurde er über ihn zornig und schlug ihn tot. Aus den Federn des Tieres bildeten sich Berge und Täler, aus dem letzten Atemzuge die Luft. Darauf schuf Gott das Himmelsgewölbe und hängte es mittels eines Haares seines Hauptes auf. Weiter gingen aus seiner Hand sechs Götter, die Sonne, der Mond, die Morgenröte, das Licht, der Morgenstern, das Siebengestirn und alle anderen Sterne, wie die Funken aus dem Feuer, hervor. Jede dieser Gottheiten schuf sich ein Pferd, um durch den Luftraum reiten zu können. Sodann versammelten sich alle Götter und schufen die Engel; der siebente Gott schuf allmählich die Tiere, sowie Adam und Eva. Eva gab ihrem Manne hundertvierzehn Kinder, alles Zwillinge, aber die Jesiden stammen nicht von ihnen ab, sondern von einem Einzelkind, das nach einem Versprechen Gottes auf wunderbare Weise durch eine der Huris des Paradieses geboren wurde, und so weiter. — Im Grabe des Scheich Adi wird eine heilige Fahne aufbewahrt, die vom König Salomon stammen soll, aber von jedem Jesiden durch Geld für eine gewisse Zeit gekauft werden kann. Derjenige, der sich das Recht dazu erworben hat, taucht die Fahne in Wasser, feuchtet mit diesem etwas Staub vom Grabe Adis an und fertigt daraus Pillen für die Gläubigen. Jede Pille verleiht dem, der sie einnimmt, die Eigenschaft, auf ein Jahr gesund zu bleiben. Mit dieser Fahne ziehen die Jesiden siebenmal um ihr Haus, schlagen sich dabei auf die Brust und bitten Gott um Vergebung ihrer Sünden. Im Herbst kommen alle Jesiden zusammen, um ein Fest zu feiern. Jeder Teilnehmer über dreißig Jahre muß dazu aus seiner Herde für den Scheich etwas mitbringen. Vom Morgen bis zum Abend wird in einem großen Kessel ein Rind gekocht. Sobald das Fleisch gar geworden ist, ruft der Scheich einige junge Leute herbei und befiehlt ihnen, trotz des siedenden Wassers mit den Armen in den Kessel zu greifen und das Fleisch herauszuheben; wer infolge der dabei erhaltenen Brandwunden etwa stirbt, gilt als Märtyrer. Darauf beginnt das Volk von der gekochten Suppe zu essen; einzelne werfen Geld in sie hinein. Nachdem drei Tage lang gefeiert worden ist, baden sich Männer und Frauen im Flusse, waschen die Bilder des Königs Pfau darin und stellen sie unter die heilige Fahne. Schließlich ziehen sie noch siebenmal im Kreise herum, wobei sie den Staub ihrer Füße, der für heilig gilt, sammeln. Das Fest endigt mit einem Opfer zu Ehren des genannten Königs. Ein anderes wichtiges Fest ist das Neujahr (am ersten Mittwoch nach Frühlings-Tagundnachtgleiche). An diesem Tage versammelt Gott nach dem Glauben der Jesiden alle Bewohner des Himmels und alle Seligen und übergibt ihnen für das folgende Jahr die Erde wie in einer Versteigerung; wer von ihnen am meisten bietet, erhält die Macht über die Geschicke der Menschen. — Die Jesiden glauben an ein Leben nach dem Tode, meinen aber, daß nur ihnen und den Christen ein solches beschieden sei, während die Seelen der Mohammedaner nach dem Tode in Tiere übergehen sollen. Ehe die gläubigen Seelen ins Paradies eingehen, müssen sie sich eine Weile in einem sogenannten Fegefeuer aufhalten, wo sie von ihren Sünden gereinigt werden.

Phot. S. M. Zwemer.

Abb. 361. Ein Osmanlimädchen von Muscat.

Der Gesichtsschmuck ist zugleich eine Art Schleier. Die Schmucksachen sind aus Silber angefertigt; in der Mütze wird meist ein Zaubermittel getragen.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 362. Knabe beim Werfen eines Schleudersteins,

um Schafe, die sich von der Herde entfernen wollen, zurückzurufen.

Auch die Drusen im Libanon und Hauran besitzen eine merkwürdige Religion, die zwar auf islamitischer Grundlage beruht, aber von zahlreichen Elementen der Lehre Christi und Zoroasters, selbst auch von abergläubischen Vorstellungen durchsetzt ist. Ihre erbittertsten Feinde sind die am Westabhang des Libanon wohnenden Maroniten, deren Vorfahren zu den allerersten Christen zählten und ihrer Glaubenslehre daher eine eigenartige Richtung gaben.

Phot. George Newnes Ltd.

Abb. 363. Kämpfende Kamele.

Die Tiere werden, sorgfältig mit einem Maulkorb versehen, von ihren Eigentümern mit Trommeln und Pfeifen angefeuert. Die Ausrüstung der Kamele bildet einen Teil des Einsatzes.

Die Kleidung der Osmanen besteht in weiten Pluderhosen, baumwollenem oder seidenem Hemd, kurzer wattierter Jacke, über der sie einen langen Rock tragen, weichen Lederpantoffeln und einem Fez oder Turban. Die Frauentracht (Abb. 359 und 361) ist der der Männer im allgemeinen gleich, nur trägt das weibliche Geschlecht als Kopfbedeckung eine kleine Kappe oder ein Schleiertuch und außerdem auf der Straße einen langen, dunkelfarbigen Mantel mit breitem Kragen, der über den Kopf geschlagen wird, sowie einen Gesichtsschleier. — Die Tracht der Armenier ist keine einheitliche, sie schließt sich vielmehr der des jeweiligen Volkes an, unter dem sie leben. Eher kann man von einer typischen Gewandung der Armenierinnen sprechen, die in hellfarbigen, über den Knöcheln zusammengebundenen Pluderhosen, einem Hemd, das in der Taille mit einem seidenen oder goldenen Band zusammengehalten wird, und einer gestickten Weste einhergehen. Die Kleidung der Kurden setzt sich aus roter Tuchhose, weitärmliger, mit Goldborten und Schnüren verzierter Jacke, roten Lederstiefeln und großem Turban zusammen.

Die Beschäftigung der Stämme auf dem Lande besteht hauptsächlich in Ackerbau und Viehzucht. Ein nomadisierendes Leben führen die Beduinen Palästinas (Abb. 360), die mit ihren zahlreichen Herden dessen Wüsten durchziehen (Abb. 357, 362 und 363) und teilweise auch von Raub leben, wie wir dies bereits von den Kurden hörten.

Phot. G. Robinson Lees.

Abb. 364. Der heilige Felsen (Sakhrah) in der Omarmoschee zu Jerusalem,

um den die Moslim dreimal herumgehen müssen, damit ihre Gebete erhört werden.

Für alle Bewohner Kleinasiens, ganz gleich ob sie Mohammedaner, Christen oder Juden sind, bildet die Stadt Jerusalem den Mittelpunkt ihrer Anbetung; ihr einheimischer Name „El Kuds“, das heißt „die Heilige“, ist bezeichnend für die hohe Einschätzung dieser Stadt unter den Anhängern aller Glaubensbekenntnisse. Sie zieht zahlreiche Scharen von Pilgern herbei, die ihre Empfindungen den verschiedenen religiösen Bräuchen und Riten gegenüber gemeinsam und geflissentlich zum Ausdruck bringen. Der Sakhrah, der große Felsen unter dem Dom, den Europäern unter der Bezeichnung Moschee des Omar, den Bewohnern des Orients aber als der Dom des Felsens bekannt (Abb. 364), ist der Anziehungspunkt für die Bekenner des Islams. Allen Gläubigen liegt die heilige Pflicht ob, ihn zu besuchen und dreimal um ihn herumzugehen; sie haben dann die Gewißheit, daß ihre Gebete erhört werden. Der mohammedanischen Legende zufolge ist diese Stelle der erste Teil der Erde, der von Gott erschaffen wurde. Man sagt, daß der große Prophet hier mit allen seinen Vorgängern zusammengetroffen und von dort aus in den Himmel eingegangen sei. Der Felsen sei ihm gefolgt, aber auf seiner Reise durch den Engel Gabriel achtzehn Meilen von der Erde aufgehalten worden; daher schwebe er jetzt mitten in der Luft. — Das größte Fest für die Mohammedaner ist die Neby-Musa-Prozession (Abb. 365), die ganze Scharen von Menschen aus allen Gegenden des Landes zu dem angeblichen Grabe des Moses bei dem Orte gleichen Namens im Jordantale herbeizieht. Die Scheiche (Abb. 366) von Haram, der Pascha und alle Mohammedaner von Bedeutung, auch die Banner, die in Mekka gewesen sind, gehen im Zuge vom Dome des Felsens nach Neby-Musa; ihnen folgt Musik und eine ungeheure Menschenmenge. Es herrscht dabei eine ungemeine Begeisterung.

Phot. G. Robinson Lees.

Abb. 365. Die Neby-Musa-Prozession

mit den heiligen Bannern, die in Mekka waren, zieht, auf dem Weg zum mutmaßlichen Grabe des Moses am Toten Meer, durch den Garten von Gethsemane.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 366. Der Scheich von Askalon (im alten Philisterland)

raucht im Empfangszimmer die Nargilehpfeife. Das neben ihm liegende Schwert ist das Zeichen seiner Würde.

Die christlichen Feste (Abb. 367 bis 370) sind eng mit der Kirche des Heiligen Grabes verknüpft. Ursprünglich gab es in Jerusalem nur zwei heilige Stätten: die der Kreuzigung und die der Auferstehung; allmählich sind aber noch andere Stellen aufgefunden und heiliggesprochen worden, die mit dem großen Trauerspiel auf Golgatha im Zusammenhang stehen. Wenn die Pilger die Schritte Christi auf seinem Wege nach Golgatha verfolgen, beginnen sie mit der Stelle, an der Pilatus gestanden haben soll, als er in die Worte ausbrach: „Sehet, welch ein Mensch!“ Der Bogen über dieser Straße ist als Eccehomobogen (Abb. 374) bekannt; ihm schließen sich die Stellen an, wo sich seit Jahrhunderten die verschiedenen Stationen des Kreuzweges dargestellt finden. Den Schluß des Ganzen bildet die Kirche des Heiligen Grabes (Abb. 372). Außerhalb derselben werden zu gewissen Zeiten Schauspiele aufgeführt. Das imposanteste davon ist die Fußwaschung (Abb. 376), bei der der griechische Patriarch zwölf Bischöfen die Füße wäscht, um den Heiland darin nachzuahmen. Am Palmsonntag (Abb. 371) findet eine Wallfahrt hierher statt, mit der eine prachtvolle Schau von Palmzweigen verbunden ist. Zum griechischen Osterfest zieht das Fest des Heiligen Feuers die meisten Pilger herbei, die es als die wichtigste Handlung ihrer Pilgerfahrt ansehen, eine Kerze an der heiligen Flamme anzuzünden. Wer auf das Gelingen dieser religiösen Handlung besonderes Gewicht legt, sichert sich bereits Stunden, sogar Tage vorher einen Platz. Die Stadtverwaltung trifft alle mögliche Fürsorge, daß keine Störung oder irgendwelche Folgen des Fanatismus sich bemerkbar machen; sie stellt je eine Kompanie Soldaten in und vor der Kirche auf und hält eine solche in der nächstgelegenen Kaserne bereit. Denn zu leicht werden die Zuhörer zu großer Begeisterung und sogar direkt zur Raserei hingerissen, wenn die Würdenträger der Kirche, mit kostbaren glänzenden Gewändern geschmückt, erscheinen und die verwirrte Volksmenge zurückzudrängen suchen, um genügend Platz für den Umzug um das Heilige Grab zu schaffen. Nachdem dieser dreimal unter wilder Begeisterung stattgefunden hat, betritt der Patriarch (Abb. 373) das Heilige Grab und reicht bald eine Fackel aus ihm heraus, die von einem kräftigen Arm, der darauf schon wartet, sofort ergriffen wird, um nach Bethlehem getragen zu werden. Es entsteht dann eine große allgemeine Verwirrung; ein jeder will von diesem heiligen Feuer etwas abbekommen. Allmählich entleert sich die Kirche, und wer das Glück hatte, seine Kerze anzuzünden, kehrt freudig heim.

Für die Juden ist die Klagemauer (siehe die Kunstbeilage) der Anziehungspunkt in Jerusalem; seit vielen Jahrhunderten bildet sie die Stätte, zu der Tausende und aber Tausende hinströmen, um über den Steinen ihres verlorenen Erbes zu weinen. Doch kommen die Juden auch bei freudigen Anlässen in ihrer Stadt zusammen. So bietet Purim, das Fest, das zur Erinnerung an die Niederlage von Haman und das Vorrücken von Mardochai gefeiert wird, Gelegenheit zu ausgelassener Freude. Besonders auch die Kinder belustigen sich dabei, weil allerlei Süßigkeiten in der Form von Schuhen, Pantoffeln und Hüten unter die Jugend verteilt werden. Wenn dann das Buch Esther vom Rabbi in der Synagoge vorgelesen wird und die versammelten Andächtigen den Namen Haman hören, fangen alle an, mit den Füßen zu stampfen und auszurufen: „Sein Name soll ausgelöscht werden“; die Kinder, die sich draußen aufhalten, schütteln die Klappern, die sie von den Eltern zu diesem Zweck erhalten haben, und schlagen mit Holzhämmern gegen die Mauer. Ferner sei des Laubhüttenfestes gedacht, des einzigen Festes, das wohl noch in seiner ursprünglichen Einfachheit gefeiert wird. Man baut Hütten (Abb. 375) aus Schilfrohr und Baumzweigen auf den Dächern der Häuser, den Balkonen und auch in den Gärten und schmückt sie mit Obst, wie es das Alte Testament vorschreibt.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 367. Christliche Pilger baden im Jordan.

Ihre Gewänder haben die Länge des Salbsteins in der heiligen Grabeskirche zu Jerusalem, auf den nach der Legende der Leichnam Christi vor seiner Bestattung gelegt wurde.

In Palästina besteht noch eine kleine, nicht einmal zweihundert Seelen zählende jüdische Sekte, die das Passahfest (siehe die farbige Kunstbeilage) noch ganz nach der Sitte ihrer Vorväter auf dem heiligen Berge Gerizim, der ihre Wohnstätte überblickt, feiert. Es sind dies die Samaritaner. Die dabei stattfindenden Riten werden ganz nach dem Plan vollzogen, wie ihn das zweite Buch Mosis im 12. Kapitel schildert. Sie schlagen ihre Zelte (Abb. 377) so dicht wie möglich in zwei Reihen auf; darunter ist das wichtigste ein längliches Zelt für das Tabernakel, dicht beim Opferplatz, der sich neben dem Zelt des Hohenpriesters befindet. Neun Tage lang werden die Vorbereitungen zu dem hohen Feste getroffen, im besonderen die Lämmer durch reichliches und sorgfältiges Waschen für das Opfer zurechtgemacht. Am letzten Abend, dem fünfzehnten des Monats Nisan, kleiden sich Männer und Knaben in weiße Baumwollhemden und Hosen (Abb. 380); die Frauen legen ebenfalls ihre beste Kleidung an, bleiben aber in den Zelten. In einem Graben, dem Tabernakel gerade gegenüber, legt man Feuer an und bringt darüber zwei große Kessel zum Wasserkochen an; währenddessen wird das „Gesetz“ gelesen (Abb. 378). Am Ende dieses Grabens wird eine große, etwa zwei Meter tiefe Grube gegraben und in ihr gleichfalls ein Feuer entzündet, um das Opfer zu verbrennen. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang versammeln sich die männlichen Samaritaner im Tabernakel mit Ausnahme der jungen Leute, denen die Aufgabe zufällt, die Lämmer zu töten und auch auf das kochende Wasser, sowie die Feuer acht zu geben. Das Gesetz wird noch einmal verlesen, wobei die Gesichter der Zuhörer den Ruinen des Tempels auf der Bergesspitze zugewendet sind, und dann werden bei Sonnenuntergang die Lämmer den jungen Burschen zum Schlachten gebracht; die übrigen Samaritaner versammeln sich um die Opfer.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 368. Prozession am Sankt-Simons-Fest der griechisch-katholischen Kirche.

Türkische Soldaten sorgen dabei für Aufrechterhaltung der Ordnung.


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Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 369. Weihnachtsprozession der römisch-katholischen Gemeinde in Bethlehem bei der Rückkehr in die Kirche.

Auf ein gegebenes Zeichen wird jedes Lamm ergriffen, auf den Rücken geworfen und erhält mit dem Opfermesser einen Schnitt quer durch den Hals. Das Blut spritzt aus der Wunde, das Osterlamm rollt auf die Seite und verendet nach kurzem Todeskampf. Die Stirnen der Knaben, die im inneren Kreise stehen, werden mit Blut gezeichnet; die Männer umarmen und küssen sich, freuen sich und wünschen sich Glück, daß die Lämmer ihrer Erlösung gefallen sind. Nachdem der Hohepriester die Tiere sorgfältig geprüft hat, ob sie vorschriftsmäßig getötet wurden, ohne Fehl sind und nicht mehr leben, wird kochendes Wasser aus den Kesseln über sie gegossen, worauf die jungen Männer daran gehen, die Wolle abzuzupfen und die Eingeweide zu entfernen. Diese werden in der Grube verbrannt. Die Tierleiber werden auf lange Stangen aufgespießt und den Flammen zum Braten übergeben. Damit die Grube die Hitze halte, deckt man sie mit nasser Erde zu. Das Braten dauert bis gegen Mitternacht. Inzwischen kommen die einzelnen Familien zusammen, um das ungesäuerte Brot und die bitteren Kräuter zu essen; sie bieten sie auch den Besuchern, die sich vielfach aus Neugierde einfinden, an. Damit keine Störung von dieser Seite geschehe, ist während der ganzen Feier türkisches Militär kommandiert, das die Ordnung aufrecht zu erhalten hat; natürlich wird es dafür von den Samaritanern reichlich bezahlt. Wenn das Fleisch nachts fertig gebraten ist, wird es aus der Grube gezogen und von den Gläubigen, die mit gegürteten Lenden, Stäben in den Händen und Schuhen an den Füßen dastehen, in großer Eile verzehrt.

Mit Genehmigung von Braun & Co., Dornach.

Vor der Klagemauer Jerusalems.

Nach dem Gemälde von Ralli.


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Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 370. Russische Pilger an der Abrahamseiche zu Hebron.

Unter diesem Baum, einem der ältesten des Landes, soll der Patriarch gewohnt haben. Die Stätte wird daher von einheimischen und fremden Pilgern viel besucht.

Abergläubische Vorstellungen beherrschen die Bevölkerung Syriens und Palästinas in weitem Umfange. In der Wildnis im Süden und Osten Vorderasiens glaubt das Volk unbedingt an das Vorhandensein böser Geister (Jans genannt), die nach seiner Ansicht in der Unterwelt leben sollen. Ebenso behauptet es, daß manche Menschen die Macht besitzen, anderen ein Leid zuzufügen, wenn sie sie ansehen. Die Furcht vor dem bösen Blick ist allgemein verbreitet, besonders für Kinder und Vieh, die ihn nicht abwehren können, fürchtet man in dieser Hinsicht. Zahlreich sind die Abwehrmittel (Abb. 379), die hiergegen in Vorschlag gebracht werden. Zum Schutze gegen den bösen Blick pflegt man am Halse von Kindern (Abb. 382) und Haustieren, auch an der Mähne oder dem Schwanz der letzteren, blaue Perlen oder Amulette (Dreiecke aus Kupfer oder einem anderen Metall, an denen Papierschnitzel mit arabischen Beschwörungsformeln befestigt sind) anzubringen. Als sicheres Mittel gilt auch, ein Stück Zeug von der Person, die von dem verderblichen Element heimgesucht ist, unter dem Opfer zu verbrennen; der Rauch beseitigt dann den bösen Einfluß. Die Christen nehmen ein Stück von den Palmzweigen, die am Palmsonntag verwendet wurden, tun es mit einer Prise Salz oder Alaun in einer Pfanne aufs Feuer und gehen dann siebenmal herum; sobald sie einen knisternden Ton vernehmen, sind sie von ihrem Bann erlöst. Um Gärten und Reben gegen den bösen Blick zu schützen, hängt man auf dem Lande Schädel von Kühen, Pferden oder Kamelen an der Umfriedigung oder auf einer hohen Stange auf. — Bestimmte Tage und Stunden gelten für unheilbringend, weswegen dann keine Arbeit vorgenommen werden darf, so der Dienstag und die Stunden vor Sonnenuntergang. An bestimmte Ereignisse oder Tage knüpfen sich auch wieder allerlei abergläubische Vorstellungen; so wälzt man sich beim ersten Donnerschlag im Jahre auf der Erde, um keine Flöhe zu bekommen. Das Brot wird besonders heilig gehalten; man darf es nie mit senkrecht stehender Klinge durchschneiden, sondern nur mit wagrecht liegender. Glückbringende Amulette werden von Menschen und Haustieren getragen, ebenso an Häusern und Gärten angebracht. So findet man vielfach an jüdischen Häusern die „Hand der Allmacht“ angemalt, oft in solcher Größe, daß sie die ganze Front bedeckt; meistens allerdings nur eine rohe Wiedergabe der fünf Finger, etwa ein Meter lang, in Wasserfarbe. Der jüdische Trauring hat die Form einer Hand, und kleine Glashände werden von der ärmeren Bevölkerung vielfach getragen, ebenfalls um Glück zu bringen. Am Türpfosten der jüdischen Häuser befindet sich die M’zuza-Rolle angebracht, ein kleines Pergament in einer Metall- oder Holzhülse, auf dem in hebräischer Sprache einige Stellen aus dem Gesetz sowie das Wort Schaddai (Allmächtiger) geschrieben stehen, das in einem Loch in der Hülle sichtbar sein muß; so oft der gläubige Jude seine Wohnung betritt oder verläßt, küßt oder berührt er dieses Wort. — Den Schlangen wird große Macht zum Guten oder Bösen zugeschrieben; daher wird ein Bauer es wohl nie wagen, eine Schlange zu töten oder auch nur zu stören, in der festen Überzeugung, daß das ganze Geschlecht der getöteten oder verwundeten Schlange den Mörder und seinen Anhang unbarmherzig verfolgen würde, um Rache zu nehmen.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 371. Palmsonntagfeier zu Jerusalem.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 372. Altäre in der heiligen Grabeskirche,

die letzten Stationen des Leidensganges des Heilands für Pilger der römischen und griechischen Kirche.

Das Bestreben jeder strenggläubigen Moslemitin sowie jeder Jüdin ist darauf gerichtet, ihrem Manne recht viele, womöglich männliche Kinder zu schenken. Ist ihr solches Glück versagt und leidet sie infolgedessen unter Vernachlässigung von seiten ihres Gatten sowie unter der Verspottung ihrer Nachbarn, die unter höhnischem Lachen mit dem Finger auf sie zeigen, dann sucht sie diesem Übelstande mit allen Mitteln abzuhelfen. Sie sucht die verschiedensten heiligen Stätten (Schreine) auf und nimmt die Hilfe weiser Frauen oder heiliger Männer in Anspruch. Der bedeutendste Schrein ist der Neby Daud, das heißt der „Prophet“ David, womit das angebliche Grabmal Davids gemeint ist, ein moslemitischer Schrein, der von einer größeren Anzahl Menschen alljährlich aufgesucht wird. Jede Frau glaubt, daß der „Prophet“ David sich für alle diejenigen verwenden wird, die sich Kinder wünschen, sofern sie ein Gelübde ablegen. Zum Zeichen dessen trägt sie meistens ein Stück Zeug, und das Gelübde erfüllt sie durch das Opfer eines Lammes, das ein heiliger Mann schlachtet; das Fleisch des Tieres wird darauf unter die Armen verteilt. Sind alle Bemühungen, Mutter zu werden, vergeblich gewesen, so tut die Mohammedanerin ihr letztes und trägt eine schwarze Schlange drei Tage lang auf bloßer Haut; dann ist sie fest überzeugt, daß sie nicht mehr lange auf die Mutterschaft zu warten braucht. — Die Geburt eines Kindes bildet in jedem Dorfe ein wichtiges Ereignis. Verspürt die islamitische Frau, daß ihre schwere Stunde naht, so verläßt der Gatte seine Wohnung, nachdem er einen Freund gebeten hat, dort zu bleiben und ihm die Nachricht von der erfolgten Entbindung zu überbringen. Ist ein Knabe zur Welt gekommen, so läuft dieser Freund in größter Eile zum Vater, schwenkt von weitem schon freudig seine Arme und ruft ihm so laut er nur kann zu: „Bschara, Bschara“, das heißt „gute Nachricht, gute Nachricht“. Der neugebackene Vater macht sich spornstreichs auf den Weg nach Hause, um dem Kinde einen Namen zu geben. Dieses wird nach der Geburt sofort ganz und gar mit Salz eingerieben, mit Olivenöl bestrichen und sodann in Windeln gewickelt. Erst nach sieben Tagen wird es ausgebündelt, noch einmal mit Öl gewaschen, mit Salz eingerieben und dann wieder eingehüllt. Dieses Verfahren wird vierzig Tage lang fortgesetzt. Dann wird das Kind (Knabe wie Mädchen) in die Kleidung der Erwachsenen gesteckt. Der Vater gibt seinen Freunden, von denen man erwartet, daß sie sich mit Geschenken einfinden werden, ein Fest. Es schenkt auch jeder, seinen Mitteln entsprechend, einen gewissen Betrag, angeblich zum Besten des Kindes, aber in Wirklichkeit für die eigenen Zwecke des einsammelnden Vaters. Vielfach, meistens bei den Bauern, werden Geschenke auch in Gestalt von Naturalien (Schafe, Ziegen, Getreide, Linsen und dergleichen) verabreicht.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 373. Der armenische Patriarch in vollem Staate auf dem Totenbett.

Bei der Geburt eines Mädchens ist die Freude bei weitem nicht so groß. Der Bote kommt nur langsam zum Vater, der von weitem schon den Inhalt der Botschaft ahnt, und teilt ihm diese schonend mit. Er weist zwar gleichzeitig tröstend darauf hin, daß der Vater später einmal von der Tochter auch einen Vorteil haben wird. Denn vorläufig hat ein Mädchen für ihn keinen Wert; erst wenn es älter wird und heiratet, steigt es in den Augen des Vaters. Dieser interessiert sich dann für die äußere Erscheinung der Tochter und schätzt ihren Wert ein; er genießt fortan auch bei dem Händler, von dem er seine Nahrungsmittel bezieht, Kredit. Hat er drei Töchter, so kann er dies dem Besitze von etwa achthundert bis zweitausend Mark gleich achten, je nach dem Alter und den Reizen derselben. Gleichwohl werden die Mädchen niemals mitgezählt, wenn man von der Zahl der Familienmitglieder spricht. — Manchmal wird bei der Geburt eines Kindes auch ein Lamm als Geschenk dargebracht, um Achtung und Ergebenheit zu bekunden. Dieser Brauch wird indessen nicht als eine religiöse Zeremonie angesehen, wenngleich sich meistens daran ein Festgelage anschließt und vielleicht die Erfüllung eines Gelübdes damit verknüpft ist. Oft wird diese Gelegenheit dazu benutzt, um Frieden zu schließen, das Geschenk bedeutet dann ein Versöhnungszeichen zwischen zwei Nachbarn oder Bekannten, deren gute Beziehungen durch Fehde oder Blutvergießen getrübt gewesen waren. Oft entspricht das Darbringen von Geschenken auch lediglich eigennützigen Beweggründen: derjenige, der das Opfer „führt“, erwartet davon eine Belohnung, die dem Brauche gemäß in einem Kleidungsstück bestehen muß. — Auch bei der Rückkehr eines teuren Verwandten wird noch heute wie in früheren Zeiten aus Freude ein Tier geschlachtet (Abb. 383).

Phot. G. Robinson Lees.

Abb. 374. Der Eccehomobogen am Anfang des Leidensweges zu Jerusalem.


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Bei der Geburt eines ersten Sohnes steigt der Vater in der Achtung seiner Mitmenschen und nimmt dann auch einen neuen Namen an. Man kennt ihn fortan nicht mehr unter seinem bisherigen Namen, sondern nur noch unter dem seines Sohnes; so heißt er nunmehr, um ein Beispiel anzuführen, Abu Abdallah, das heißt „Vater des Abdallah“.

Ist der Knabe ein Jahr alt geworden, dann opfert bei den nomadisierenden Stämmen der Vater ein Schaf oder eine Ziege, teils aus dankbarer Anerkennung dafür, daß Allah ihn und sein Kind bisher gnädig beschützt hat, teils aber auch, um sich im voraus von einem etwaigen Opfer loszukaufen, das Gott von ihm in seinem Sohne fordern könnte.

Phot. G. Robinson Lees.

Abb. 375. Eine Laubhütte vom gleichnamigen jüdischen Fest.

Sie ist aus Baumzweigen und Palmen auf dem Dach des Hauses errichtet und mit Getreide behängt.

Die Hochzeitsgebräuche in Vorderasien sind je nach der Religion, zu der sich die Brautleute bekennen, ganz verschieden, nur eines ist fast allen drei Bekenntnissen gemeinsam, das ist die Frage nach der Mitgift, die eine wichtige Stelle bei den Vorverhandlungen einnimmt.

Die mohammedanischen Bauern gehen sehr jung die Ehe ein und heiraten wohl alle. Jedes Mädchen weiß daher, daß sie einmal Braut werden wird; sie bereitet schon beizeiten, sobald sie nähen kann, ein mit der Hand hergestelltes Gewand für dieses große Ereignis vor. Der Zeitpunkt, wann sie von ihrem Auserwählten heimgeführt werden wird, steht für sie jedoch nicht fest; denn die Heirat hängt von den Mitteln des Mannes, nicht von seinem Alter ab. Arme Männer können es sich nicht leisten, sich jung zu verheiraten, obgleich unter Umständen für sie doch Aussicht besteht, daß sie das in der Armut liegende Hindernis beseitigen können. Wenn sie nämlich eine Schwester haben, so können sie diese gegen die Schwester eines anderen Mannes austauschen; beide Hochzeiten finden dann an einem und demselben Tage mit gemeinsamer Festlichkeit statt. Das wichtigste bei den Heiratsvorschlägen ist, wie schon hervorgehoben, die Geldsumme, die man für das Brautgeschenk aussetzt. Manchmal verpflichtet sich der Jüngling, der keine genügend große Summe aufbringen kann und bei seiner Stellung auch nicht zu sparen vermag, oder der gern die Tochter eines Freundes heiraten möchte, die indessen für ihn noch zu jung ist, die Brautsumme in Teilbeträgen zu zahlen; mit dem vierzehnten Lebensjahre des Mädchens muß in solchen Fällen das Geschäft ganz erledigt sein.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 376. Fußwaschung auf dem Hofe der heiligen Grabeskirche zu Jerusalem.


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Phot. G. Robinson Lees.

Abb. 377. Zeltlager beim Passahfest der Samaritaner.

Ist die Verlobung zustande gekommen, so beginnen acht Tage vor dem zur Hochzeit festgesetzten Termin die festlichen Vorbereitungen. Abend für Abend versammeln sich Freunde und Verwandte entweder auf dem Dreschboden des Dorfes oder auf dem Hofe des Hauses und unterhalten einander mit Rätselaufgeben und besonders mit einem Tanz, der ein Bärentanz zu sein pflegt. Ein Mann stellt sich in die Mitte eines Halbkreises von Frauen und gebärdet sich wie ein Bär; er stößt allerlei Töne aus, die sich wie lautes Grunzen anhören, und bewegt sich taktmäßig auf die Frauen zu, die zu dem rhythmischen Trommelschlag einer Musikbande in die Hände klatschen und das ziemlich laute Grunzen mit schriller Stimme beantworten. Auf diese Weise wollen sie andeuten, daß sie den Bären vom Dorfe zurückschrecken, damit er die junge Braut nicht einfange. Die Männer führen einen Schwertertanz (Abb. 381 u. 386) auf, bei dem sie ähnliche Possen treiben, im besonderen sich in verschiedenen lächerlichen Stellungen versuchen. Sie klirren mit den Schwertern, um die bösen Geister zu vertreiben, die in dem Rufe stehen, dem Brautpaar Leid zuzufügen.

Das jüdische Osterfest der Samaritaner.

Die Samaritaner versammeln sich, vorausgesetzt daß ihnen von türkischen Soldaten genügend Schutz gewährleistet wird, im Freien innerhalb einer von Steinen erbauten Umfriedigung bei Sonnenuntergang, um das Osterfest abzuhalten. Die Männer lesen vor dem Hohenpriester den Exodus XII, 6. Die Lämmer werden von dem Schochetim ergriffen, von dem Hohenpriester geprüft und geschlachtet, worauf man sie rasch für das Rösten in einer Grube zurichtet.


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Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 378. Rabbi beim Vorlesen der Tora, des Gesetzes Mosis.


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Am Morgen des festlichen Tages holt eine große Schar junger Männer die Braut unter Musikbegleitung vom Haus ihres Vaters ab; sie wird dazu geschmückt, in einen Schleier gehüllt und auf ein Kamel oder Pferd gesetzt (Abb. 384). Das Volk macht sich diese Gelegenheit zunutze, um möglichst großen Lärm durch Abschießen von Gewehren, Schlagen von Trommeln und Geschrei zu veranstalten; es geleitet den Zug zum Hause des Bräutigams, in dem die Braut den Tag mit ihren weiblichen Verwandten und Freundinnen verbringt, während ihr Auserwählter mit seinen Gästen verschiedenen männlichen Übungen und dem Sporte nachgeht. Gegen Abend, wenn das Festmahl fertig gestellt ist, zu dem unter Umständen bis zu anderthalbhundert Schafe geschlachtet worden sind, machen sich die Gäste daran, den Speisen fleißig zuzusprechen. Der Bräutigam nimmt dabei einen erhöhten Platz ein, um die Gesellschaft gut übersehen zu können; ein Zeremonienmeister mit Gehilfen ist besonders angestellt, um für das leibliche Wohl der Teilnehmer zu sorgen. Sind alle im Überflusse gesättigt, dann werden die Geschenke eingesammelt. Ein jeder, der zur Hochzeit geladen ist, soll von Rechts wegen ein solches mitbringen, das immer in barem Gelde zu bestehen pflegt. Um die Hochherzigkeit der gütigen Geber anzuspornen, ruft der Einsammler jedesmal mit lauter Stimme den Namen des Spenders aus, nennt aber eine viel größere Summe, als er in Wirklichkeit gegeben hat, damit der nächste nicht hinter ihm zurückstehe; gleichzeitig fleht er des Himmels Segen auf dessen Familie herab. Sind alle Geschenke eingesammelt, dann erhebt sich der junge Ehemann und zieht sich mit seiner Frau zurück; die Brautjungfern erwarten das Paar mit brennenden Öllämpchen.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 379. Eine Sammlung von Amuletten, durch die der böse Blick gebannt werden soll.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 380. Szene aus dem Passahfest in Palästina,

das zur Erinnerung an das Sterben der Erstgeburt im alten Ägypten bis auf den heutigen Tag gefeiert wird. Ein fleckenloses Lamm wird als Opfer geschlachtet.

Eigenartig ist die Werbung bei den Drusen, einer mohammedanischen Sekte, die innerhalb ihres eigenen Stammes zu heiraten pflegt und sich mit einer einzigen Frau begnügt, obwohl der Islam ihnen deren mehrere erlaubt. Drei Tage vor dem Hochzeitstag begibt sich der Bräutigam mit einem Gefolge von Altersgenossen, die, wie er, vollständig bewaffnet sind, zu seinem zukünftigen Schwiegervater, der, gleichfalls im Waffenschmuck, die Gesellschaft an der Schwelle seines Hauses erwartet, um von diesem in aller Form die Tochter als Frau zu verlangen. Der Vater gesteht sie ihm unter den Bedingungen des Brautvertrages zu und erteilt, wenn das Heiratsgut ausgemacht und auf die Braut übertragen ist, dem Paare seinen Segen. Die Braut erscheint dabei für einen Augenblick tief verschleiert in Begleitung ihrer weiblichen Verwandten; die Mutter übernimmt die Bürgschaft für die unbefleckte Reinheit ihrer Tochter. Der junge Mann fragt seine Zukünftige, ob sie ihn heiraten wolle, und erhält die zusagende Antwort: „Ich nehme dich“; dabei überreicht sie ihm einen sehr schönen syrischen Dolch, den Khanjar, in ein großes Taschentuch aus Wolle gewickelt, das sie mit eigenen Händen gearbeitet hat. Sie will damit andeuten, daß sie sich in Zukunft unter den Schutz ihres Mannes stellen wird, aber auch, daß dieser mit dem Dolch ein etwaiges Vergehen ihrerseits sühnen darf, sei es, daß sie mit ihrer Jungfrauenehre etwa leichtsinnig umgegangen sein oder sonst ein von ihr bei der Hochzeit abgelegtes Gelübde übertreten oder ihre Pflicht als gehorsame Gattin nicht erfüllt haben sollte. Am Hochzeitsabend führen die Frauen den Bräutigam zum Brautgemach, wo ihn die Braut, vom Kopf bis zum Fuß in einen roten, mit Goldflitter besetzten Schleier gehüllt, erwartet; er entfernt diesen und setzt ihr den Tantur aufs Haupt, den sie so lange trägt, als sie lebt. Es ist dies eine silberne, manchmal auch nur zinnerne, spitz zulaufende Tube, die auf dem Kopfe im rechten Winkel zu der Stirn getragen wird (ähnlich wie man das Horn eines Einhorns darstellte) und das Abzeichen für die verheiratete Drusenfrau bildet (Abb. 385). Dies Schmuckstück wird auf sehr verschiedene und für die einzelnen Örtlichkeiten kennzeichnende Weise getragen, so daß jemand, der mit Land und Sitten vertraut ist, nach der Art, wie eine Frau den Tantur trägt, zu sagen vermag, aus welchem Bezirk sie stammt. Für gewöhnlich ruht er mit seinem breiteren Ende auf einem Kissen oben auf dem Kopf und wird hier durch zwei Seidenschnüre festgehalten, die, nachdem sie um den Kopf geschlungen worden sind, hinten fast bis zur Erde hinabreichen und in Troddeln endigen, die bei den besseren Klassen noch mit einer Silberkappe versehen sind. Sobald der Schleier vom jungen Ehemann gelüftet wird, laufen alle Anwesenden eiligst aus dem Zimmer; sie schreien dabei in tiefen Kehllauten und lassen diese mißtönende Musik noch stundenlang weiter erschallen. Die Männer führen inzwischen in einem anderen Raum oder auf dem Hofe einen Schwertertanz auf; sie fuchteln in drolligen Stellungen mit ihren Schwertern und Messern in der Luft herum, um die Jans (bösen Geister) dem künftigen Leben der Neuvermählten fernzuhalten.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 381. Schwertertanz bei einer Hochzeit.

Die Trommeln schlagen den Takt zu den Bewegungen des Tänzers. Es sollen dadurch die bösen Geister gebannt und die Zuschauer unterhalten werden.

Abweichend von den sonstigen Hochzeitsgebräuchen besteht bei den Kurden die Sitte, daß die Braut, nachdem sie von dem Bräutigam in sein Zelt geführt worden ist, vor dem zwei Freunde mit gezückten Schwertern die Ehrenwache halten, damit kein Unberufener es betrete, sich gegen die Annäherung des jungen Gatten zunächst heftig sträubt und erst nach langem Bitten, das durch Überreichung eines wertvollen Geschenks unterstützt wird, das Beilager erlaubt. Wird ein Mädchen unter den Kurden nicht mehr für jungfräulich befunden, dann setzt man sie, nur mit einem wollenen Hemd bekleidet, verkehrt auf einen Esel, gibt ihr den Schwanz in die Hand und jagt sie unter Verhöhnungen aus dem Dorfe hinaus; ein jeder, der sie trifft, hat das Recht, die Gefallene mit Kot zu bewerfen.

Bei den christlichen Armeniern besteht noch die Sitte, daß die Kinder in der Wiege, selbst noch ungeborene, miteinander verlobt werden, um feste Verbindungen zwischen zwei Familien dadurch anzuknüpfen. Als Zeichen solcher Verlobung gilt ein Einschnitt in das Obergestell der Wiege des Mädchens, den der Vater des Knaben macht, oder das dreimalige Umwickeln des Gestelles mit einem baumwollenen Faden. Bei der Werbung eines Erwachsenen legt der Jüngling seiner Angebeteten nachts im geheimen einen Korb mit frischen Blumen oder Pakete mit süßen Früchten vor die Tür des elterlichen Hauses. Nachdem er auf solche Weise zwei- bis dreimal das Mädchen aufmerksam gemacht hat, gibt er dessen Eltern durch seine Verwandten zu wissen, daß er es war, der diese Gaben hinlegte. Sind die Eltern gesonnen, ihre Tochter ihm zum Weibe zu geben, so tun sie in den von ihm dargebrachten Korb ein gekochtes Huhn, einige aus Milch, Eiern und Butter gebackene Kuchen sowie einige Eier und senden ihn dem Jüngling zurück. Daraufhin gilt die Verlobung für abgemacht. Zum Zeichen dessen überreicht die Mutter des Bräutigams oder eine andere weibliche Anverwandte während des Gottesdienstes am Palmsonntag dem Mädchen eine angezündete Kerze und wirft ihr ein großes rotes Tuch über den Kopf. Einige Monate nach der Verlobung findet die Vermählung statt. Sie wird in der Weise begangen, daß Braut und Bräutigam dreimal um den Herd des Hauses gehen, seinen Rand küssen und sich, das Gesicht gen Osten gewandt, vor ihm aufstellen; der Geistliche stellt Kerzen auf den Herd und legt beiden eine Schnur aus grüner und roter Seide um den Hals, die er an den Enden mit einem Wachssiegel, auf das ein Kreuz gedrückt wird, schließt. Solange diese Schnur (Narot genannt) am Halse der Neuvermählten sitzt, haben sie kein Anrecht auf geschlechtlichen Verkehr. Durch eine besondere kirchliche Feier wird das Paar erst von diesem Verbot befreit.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 382. Ein mit Amuletten gegen den bösen Blick behängtes Kind.

Bei den Juden gilt es für eine Sünde, wenn ein gesunder junger Mann unverheiratet bleibt; Mittellosigkeit wird nicht als Entschuldigungsgrund anerkannt, sofern die Braut eine Mitgift mitbringt. Da es ebenso als Schande gilt, wenn eine Tochter unverheiratet bleibt, so werden für eine bedürftige Witwe zur Aussteuer ihrer Tochter Beiträge gesammelt. An dem zur Verlobung festgesetzten Tage wird der Ehevertrag von den Eltern des Brautpaares und ihren Freunden aufgesetzt. Die Väter geben sich zur Bekräftigung in Gegenwart von Zeugen, mit denen sie nicht verwandt sind, die Hände. Hierauf ergreift der Bräutigam ein mit Wein gefülltes Glas mit den Worten: „Gesegnet seist du, o Herr, König der Welt, der du uns mit deinen Geboten geheiligt hast,“ trinkt nach diesem feierlichen Ausspruch ein wenig davon und gibt das Glas dann der Braut. Nun werden irdene Töpfe oder ein Glas hereingebracht und auf die Erde geworfen, so daß sie in viele Stücke zerbrechen. Währenddessen bringen die Gäste ihre Glückwünsche dar. Dieser Brauch soll besagen, daß ebenso wie die Stücke nie wieder zusammengesetzt werden können, auch die bevorstehende Verbindung nie gelöst werden möge; je mehr Stücke es sind, in die das Gefäß zersplittert, um so größer werden Glück und Wohlergehen des Paares ausfallen. Die Verlobten erhalten von ihren Eltern zwei Scherben, die sie sich aufheben müssen. Wenn später einer der Eheleute stirbt, dann legt der Überlebende, so erzählt man sich von frommen Juden, dieselben auf die Augen des verstorbenen Gefährten. Nachdem noch die Verlobungsgeschenke ausgetauscht worden sind, folgt ein Fest. Während der letzten acht Tage vor der Hochzeit darf keiner der Verlobten seine Wohnung verlassen, weil man fürchtet, er könne behext werden.

Am Hochzeitsmorgen wird der Bräutigam von seinen Freunden zur Synagoge geleitet, wo der Rabbi (Abb. 378) ein Kapitel aus den Büchern Mosis vorliest. Am Nachmittag oder Abend versammelt sich das junge Paar mit Eltern, Verwandten und Gästen zu der eigentlichen Vermählungsfeier; hierbei muß der Kontrakt vorgelegt werden. Darauf wird die Braut dreimal um den Bräutigam herumgeführt; dieser nimmt sie bei der Hand und führt sie unter einen Baldachin, ein Stück Tuch, das über Stäben von den Gästen gehalten wird; gleichzeitig schütten die Gäste und näheren Freunde Korn aus einer Schüssel über sie mit den Worten: „Seid fruchtbar und mehret euch; Friede sei mit euch.“ Der amtierende Rabbiner nimmt die Hände des Paares, legt sie ineinander und bedeckt ihre Häupter mit einem Schleier oder Schal. Darauf ergreift er ein Glas Wein, spricht den Hochzeitsegen und gibt Braut und Bräutigam zu trinken. Der Bräutigam wendet der Braut das Gesicht zu, reicht dem Rabbi den Trauring dar, damit dieser ihn auf seine Echtheit prüfe, und steckt ihn schließlich der Braut an den Finger mit den Worten: „Siehe, durch diesen Ring bist du mir nach den Gesetzen von Moses und Israel angetraut.“ Schließlich wird noch der Ehekontrakt vorgelesen, der letzte Segen gesprochen, Wein getrunken und das Glas zerschlagen. Der Abend vergeht unter Musik und Tanz. Auf den Trauring, der für gewöhnlich die Form einer Hand aufweist, sind meistens die Worte „Gut Glück“ in hebräischer Sprache eingegraben.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 383. Schlachten eines gemästeten Kalbes.

Man pflegt bei der Rückkehr eines Verwandten von der Reise Freunde und Familienmitglieder zum Essen einzuladen. Weniger Bemittelte begnügen sich dabei mit einem Lamm.


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Von der Erlaubnis des Korans, sich mehrere Frauen zu halten, wird von den Mohammedanern Vorderasiens, wie auch anderwärts, wenig Gebrauch gemacht; die Drusen haben die Einehe sogar zum Gesetz erhoben. Da mit der Hochzeit die Frau in den Besitz des Mannes übergeht, so hat er auch vollständige Verfügung über sie und kann sich leicht von ihr wieder scheiden lassen. Ein Wort genügt manchmal, um die Ehe als aufgelöst zu betrachten. Wenn der Kurde von seiner Frau loskommen will, nimmt er einfach drei Steinchen in die Hand und spricht zu ihr, indem er die Steine auf die Erde wirft: „Ich löse die Ehe mit dir auf.“ Daraufhin ist sie frei geworden und darf nun auch nicht wieder zurückkehren. Bereut der Mann sein voreiliges Vorgehen, so darf er die „Geschiedene“ nicht ohne weiteres wieder heiraten. Indessen kann dem dadurch abgeholfen werden, daß ein anderer sie heiratet, sich von ihr wieder scheiden läßt und der erste Gatte dann eine zweite Ehe mit ihr eingeht. Da aber die Kurden sehr argwöhnisch und eifersüchtig sind, ihre Frau also keinem anderen überlassen wollen, so ist dafür gesorgt, daß bei der Scheinehe, die der Kasi schließt, ein Mann, genannt der „Esel des Kasi“, zur Verfügung steht, der gegen Bezahlung die Geschiedene heiratet und sich von ihr wieder scheiden läßt, ohne sie berührt zu haben. Da aber auch nicht jeder sich dazu entschließen kann, seine Frau diesem Esel des Kasi anzuvertrauen, so hat man sich ein noch einfacheres Verfahren ausgedacht. Die geschiedene Frau wird mit einem tönernen Kruge vermählt, den sie mehrere Nächte hindurch ins Bett nehmen und in den Armen halten muß. Da eine Scheidung von diesem „Gatten“ insofern schwierig ist, als er nicht reden und seine Gründe vorbringen kann, so wird eine Person gedungen, die ihn tötet, das heißt den Krug zertrümmert; dadurch wird die Frau frei und kann ihren ersten Gatten wieder heiraten.

Eheliche Untreue wird von den Drusen mit dem Tode bestraft, indessen führt der Gatte diese Strafe nicht selbst aus, sondern überläßt dies den Eltern oder Angehörigen seiner Frau, denen er durch sie einen Dolch übersendet. Die Schuld trifft nicht ihn, sondern die Verwandtschaft der Frau.

Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.

Abb. 384. Ein Hochzeitszug.

Das Begräbnis eines Mohammedaners gestaltet sich im allgemeinen nach dem gleichen Ritus, wie er für die islamitische Welt vorgeschrieben ist und von uns bereits geschildert wurde. Sofort nach Bekanntwerden eines Todesfalles im Dorfe erhebt sich allgemeines Wehklagen. Die Weiber der ganzen Ortschaft stimmen darin ein; sie zerreißen ihre Kleider, raufen sich die Haare und stoßen lautes Wehgeschrei aus. Die Beisetzung erfolgt in möglichster Eile. Männer tragen die Leiche auf einer Bahre nach dem Friedhof, wobei sie beständig langsam das mohammedanische Glaubensbekenntnis singen: „Gott ist groß; es gibt keine andere Gottheit neben Gott; Mohammed ist sein Prophet. Gott begünstige und erhalte ihn.“ Während man den Toten neben das ausgeschaufelte Grab legt, murmeln die Teilnehmer sein Lob. Sodann fordert der Kadi den Geist des Verstorbenen auf, so zu antworten, wie er in Gegenwart des Allerhöchsten es tun würde. Für ihn antwortet ein Verwandter mit den Worten: „Er glaubt an einen Gott und an Mohammed, seinen Apostel.“ Nach der Beerdigung weinen die Frauen den ganzen Tag über am Grabe und besuchen es täglich, bis ein Stein am Kopfende die Stätte kennzeichnet, wo der Abgeschiedene begraben liegt. — Das Grab eines „Heiligen“ wird vom umwohnenden Volke hoch in Ehren gehalten; die Steine darauf geben Zeugnis von der Verehrung, die der Tote genießt, und sind ein Zeichen der dargebrachten Gelübde.

Phot. Bonfils.

Abb. 385. Drusenfrau mit dem Tantur.

Im Lager der Nomaden gestaltet sich die Trauer noch viel tiefer; man klagt und härmt sich hier so lange ab, bis vollständige Erschöpfung eintritt. Die Leiche wird in einer flachen Grube beigesetzt, und darüber werden Steine gehäuft, damit die wilden Tiere oder die Vögel ihr nichts anhaben können. War ein Scheich wegen wohlwollender Behandlung seiner Mitmenschen sehr beliebt, dann gibt eine Kaffeekanne auf dem Grabe Kunde von dieser seiner Gastfreundschaft. Die Beisetzung findet sonst nach dem mohammedanischen Ritus statt, gestaltet sich aber ganz schlicht, ohne Zeremonie und großes Gepränge. Die Verwandten opfern, wenn es sich um einen Mann handelt, ein Mutterschaf, ohne jedoch sein Blut zu versprengen; sie kochen und verteilen alsdann das Fleisch. Bei der Leiche einer Frau wird kein Opfer dargebracht, sie wird aber beim Heraustragen aus dem Lager mit wohlriechendem Wasser besprengt. Die Weiber besuchen häufig die Gräber ihrer Lieben und weinen um die Toten; eine Witwe pflegt ihre Kinder dorthin zu führen und sie über den Verlust des Vaters aufzuklären. — In den Städten und größeren Dörfern gestalten sich die Beisetzungszeremonien schon großartiger. In Jerusalem begräbt man die jüdischen Toten stets am Abhang des Ölbergs und die mohammedanischen auf der gegenüberliegenden Seite des Kidrontales. Die allgemeine Meinung geht dahin, daß hier alle Toten am Jüngsten Tag auferstehen werden. An diesem großen Tage wird Mohammed eine Sichtung vornehmen, die bösen Mohammedaner auf der anderen Seite bei den Ungläubigen zurücklassen, die guten aber in Flöhe verwandeln und sie, nachdem er die Gestalt eines Schafes angenommen, in seiner Wolle über die Brücke Es Sirat, die so dünn wie ein Pferdehaar ist, ins Paradies hinüberführen.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 386. Szene aus einer moslemitischen Dorfhochzeit.

Neben dem Bräutigam steht der Leiter der Festlichkeit mit einem Schwert. Die jungen Leute tanzen um die beiden herum, wobei sie mit den Händen den Takt schlagen.

Noch einer mohammedanischen Sekte sei hier kurz Erwähnung getan, der Nosairier oder Ansarije, die sich selbst als Fellach bezeichnen. Früher über ganz Syrien und Mesopotamien verbreitet, sind sie heute in einer Kopfzahl von 70–80000 fast nur noch in dem syrischen Küstengebirge zwischen Libanon und Antiochia, dem Dschebel Ansarije, anzutreffen. Sie sind auch äußerlich von der übrigen Bevölkerung Syriens auffallend verschieden. In religiöser Hinsicht sind sie eine Abzweigung der Schiiten, doch ist ihre Glaubenslehre, in die sie unter anderem auch die Seelenwanderung aufgenommen haben, mit so vielen Anschauungen aus dem altsyrischen Heidentum und dem altchristlichen Gnostizismus durchsetzt, daß sie ein recht wirres Religionsgemisch darstellt. So beten die Nosairier, um nur eines hervorzuheben, die Sonne an, die sie als Wohnsitz Gottes nach seinen verschiedenen Inkarnationen — als Adam, Moses, Jesus, Mohammed, Ali, Hussein und so weiter — ansehen.

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