Iran, ein Hochland, das sich als Bindeglied zwischen Türkisch-Vorderasien und Indien hinzieht und in fast allen Richtungen zu der es umgebenden Niederung abfällt, umfaßt die drei Länder Persien, Afghanistan und Beludschistan. Seine Bewohner (Iranier) sind in der Hauptsache arischer, also nordeuropäischer Herkunft, haben sich aber teils mit der vor ihnen ansässigen Urbevölkerung, teils mit später eingewanderten Mongolen mehr oder weniger vermischt. Sprachlich zerfallen die Iranier in die Perser, Afghanen, Beludschen und Kurden; alle diese Völker sprechen indogermanische Dialekte.
Der Grundstock der iranischen Bevölkerung gehört der zentralasiatischen, den Mongolen verwandten Rasse an, die sich durch kleine Gestalt, dunkle Haut und runden Schädel auszeichnet; man trifft sie noch in zusammenhängender Masse an vielen Orten an. Augenscheinlich wurde sie hierhin durch die von Osten her vordringenden langköpfigen und hellfarbigen Angehörigen der nordeuropäischen (arischen) Rasse, die sich mit ihr mehr oder minder vermischten, zurückgedrängt. Ihre Vertreter sind hauptsächlich die Tadschik und die Galtscha. Bekanntlich hat die gleiche Rasse auch an der Zusammensetzung der mitteleuropäischen Bevölkerung, vor allem in den Alpenländern bis nach dem zentralen Hochplateau Frankreichs hin, den Hauptanteil genommen; französische Autoren haben die Tadschik nicht mit Unrecht als die „Savoyarden von Kohistan“ bezeichnet.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 318. Islamitischer Perser beim Gebet,
das er fünfmal täglich verrichten muß. Der Muezzin ruft vom Minarett der Moschee die Zeit dazu aus.
Unter der iranischen Bevölkerung nehmen die erste Stelle, sowohl ihrer Zahl als auch ihrer Kultur und weltgeschichtlichen Bedeutung nach, die Perser ein. Sie sind die allerdings mit mongolischen Elementen durchsetzten Nachkommen der alten Perser der Geschichte und dürfen als die verhältnismäßig reinsten Vertreter des arischen Typus angesehen werden. Ihre äußere Erscheinung ist gekennzeichnet durch hohe Statur, schönen Wuchs mit schlanken Gliedmaßen, schlichtes dunkles Haar, dunklen Teint (heller Milchkaffee), länglichen Schädel, ovales Gesicht, große, hellbraune Augen, edelgeformte, gerade oder leicht gebogene Nase, dünne Lippen und schmales Kinn. In zweiter Linie kommen die Afghanen oder Paschtu; auch sie sind Vertreter des indoeuropäischen Typus mit der Eigentümlichkeit, daß ihr Gesicht einen sozusagen jüdischen Zug aufweist, nämlich eine kräftig gebogene Nase. Nach der Volksüberlieferung sollen ihre Vorfahren tatsächlich in Syrien gewohnt haben, bis Nebukadnezar die Bewohner dieses Landes gefangennahm und zum Auswandern nötigte; sie wurden zunächst von ihm in Persien und Medien angesiedelt, drangen dann aber von hier weiter ostwärts bis in die heutigen Gebiete von Afghanistan vor, wobei sie die eigentlichen Arier nach Indien vor sich herschoben. Die Afghanen zerfallen in eine Reihe Stämme, von denen die Durami, Ghilzai, Nasir, Pathan, Khattar und Kafir die wichtigsten sind. Im wesentlichen betreiben alle das Kriegshandwerk; mit ihren langen Flinten, Dolchmessern, sowie mit Bogen und Pfeilen verstehen sie gut umzugehen. Nebenbei aber sind sie auch Ackerbauer und Viehzüchter.
Die Beludschen oder Biloch, die sich bis nach Indien hinein verbreiten, lassen in ihrem Äußeren bereits mehr fremdländischen Einschlag als die beiden genannten Völker erkennen. Die nördlichen Teile ihres Landes werden vorzugsweise von türkischen, die südlichen von arabischen Stämmen eingenommen, und nach Südwesten haben sich schwarze Drawida (die Brahui) vorgeschoben. Die Beludschen sind umherziehende Nomaden, die aber gleichfalls sehr kriegerisch und durch ihre räuberischen Einfälle ins persische Grenzgebiet gefürchtet sind.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 319. Persisches Gastmahl,
das mit Teetrinken und Nüsseessen eröffnet wird. Nach zweistündigem Plaudern wird erst das richtige Mahl vorgesetzt. Man ißt unter Stillschweigen und sehr rasch. Die Gäste ziehen sich unmittelbar darauf zurück.
Ihrem Glaubensbekenntnis nach sind alle Iranier Anhänger der Lehre Mohammeds; die religiösen Gebräuche (Abb. 318 und 320) und Festlichkeiten (Abb. 319) sind daher meistens die gleichen wie sonst in der Welt des Islams. Sie spalten sich aber in zwei sich feindlich gegenüberstehende große Sekten, in die Sunniten in Afghanistan und Beludschistan — auch die Kurden bekennen sich als solche — und in die Schiiten in Persien. Die Sunniten oder Traditionisten, die die große Mehrheit der Mohammedaner in Indien und der Türkei ausmachen, hängen an der Sunna, einer Sammlung von Überlieferungen über die Gebräuche und Vorschriften des Islams, die bereits zu Zeiten des Propheten in Medina entstand, und erklären sie als gleichberechtigt neben dem Koran, den gesammelten Offenbarungen des Propheten. Unter diesen orthodoxen Anhängern der Lehre Mohammeds gibt es wieder viele Abstufungen, von den hochgradigen fanatischen Afghanen (zum Beispiel im Kabultale) an bis zu den die Sache leichter auffassenden Beludschen herab, denen es meist genügt, wenn ihr Häuptling für den ganzen Stamm die Gebete verrichtet. Die Schiiten dagegen erkennen nur den Koran an und halten Mohammeds Schwiegersohn Ali für den ersten rechtmäßigen Kalifen und seine Nachkommen, die im Bürgerkriege unterlagen, für seine wahren Nachfolger. Nach dem Tode des Propheten nämlich wurde Ali zugunsten seiner Rivalen um das Kalifat dreimal übergangen und bald darauf meuchlings ermordet. Ebenso fiel sein unglücklicher Sohn Hussein, der die Rechte des Vaters geltend machen wollte, in der Ebene von Kerbela am Tigris. Diese Tragödie rief so tiefes Mitgefühl für das Haus Ali hervor, daß seine Anhänger ihn fortan als den Schutzheiligen von Persien betrachteten, auf die gleiche Stufe mit Mohammed stellten und seitdem nicht mehr nach Mekka, sondern nach Kerbela am Tigris pilgern, wo sich das Grab Husseins und seines Bruders Hassan befindet. Die Nachkommen Alis vom Vater auf den Sohn, die Imame, werden von den Schiiten allein als die wahren geistlichen Führer, als die wahren und unfehlbaren Kalifen angesehen. Die Schiiten erwarten auch noch einen Messias, den Mahdi, der natürlich auch ein Nachkomme Alis sein wird; schon mehrfach haben sich Betrüger und Aufrührer für ihn ausgegeben.
Neben den Mohammedanern gibt es in Persien noch Anhänger der altiranischen Avestalehre oder Zoroasterreligion, die uns schon bekannten Parsen (Parsis). Sie sind hier allerdings nicht sehr zahlreich vertreten, da die meisten nach der Zerstörung des Reiches der Sassaniden nach Indien auswanderten; aber sie bilden doch ein wichtiges Element im wirtschaftlichen Leben, zumal reiche und gebildete Leute (Bankiers und Gelehrte) zu ihnen gehören.
Die Kleidung (Abb. 318 u. 320) der Perser besteht in einem baumwollenen langen, meist reich bestickten Hemd mit weiten Ärmeln, leinenen Hosen, die um die Hüften mit einer roten oder grünen seidenen Schnur zusammengehalten werden, einem kragenlosen, kaftanartigen Überrock aus Baumwolle oder Seide und einem vorn offenen, in seiner Länge nach der sozialen Stellung des Trägers sehr verschiedenen, häufig pelzverbrämten Mantel, der mit einem Gürtel geschlossen wird und dessen Falten die Stelle von Taschen vertreten. Die Frauen (Abb. 321) kleiden sich in ganz derselben Weise; sie ziehen sich ebenfalls Hosen an, die bei wohlhabenderen Damen aus einem kostbaren, reich bestickten oder perlenbesetzten Stoffe (Goldbrokat) angefertigt zu sein pflegen. Auf der Straße gehen sie mit verhüllten Gesichtern (Abb. 322), wie es der Koran vorschreibt.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 320. Islamitischer Perser beim Gebet.
Die Perser wohnen in Häusern aus lufttrockenen Ziegeln oder, in waldreichen Gegenden, aus Holz. Die reichen Leute leisten sich recht luxuriöse Paläste. — Als Nahrung dient ihnen in erster Linie Reis, entweder gedämpft und getrocknet (Tschillau) oder mit Lammfleisch zu einer Art Pudding hergerichtet (Pillau) oder schließlich auch als Suppe (Arsh). Außerdem werden Lammfleisch (die einzige Fleischsorte), Hühner, Milch, Gerstenbrot, Früchte und besonders viel Süßigkeiten von ihnen genossen.
Phot. Gebr. Haeckel.
Abb. 321. Perserin der wohlhabenden Klasse
in Besuchskleidung nach Ablegung des schwarzen Straßenumhängetuchs.
Die Perser gelten für besonders fanatische Schiiten. In Erinnerung an die Tragödie von Kerbela wird alljährlich im Monat Mohurrum eine Art Passionsspiele aufgeführt, durch die alles in so hochgradige Aufregung gerät, daß es keineswegs zu den Seltenheiten gehört, wenn ein Schauspieler, der den Mörder des Imams Hussein darstellt, in Wirklichkeit getötet wird. Am zehnten Tage des Festes finden Umzüge von Männern und Knaben aus allen Gegenden durch die Straßen statt, wobei sich die Teilnehmer rhythmisch mit dem Rufe „O Hassan, o Hussein“ auf die Brust schlagen. Besonders fanatische Leute, die die Prozessionen (Abb. 323) anführen, sind in Totengewänder gekleidet und tragen am bloßen Körper Ketten, Hufeisen und Dolche, mit denen sie sich unter lautem Aufschreien Wunden beibringen (Abb. 324 und die farbige Kunstbeilage) und andere dazu ermuntern. In Yedz, einer abgelegenen Stadt mit besonders fanatischer Bevölkerung, wird ein mächtiges, mit Fahnen, Spiegeln, Schwertern und Dolchen ausgeputztes und mit Schals behangenes Gerüst langsam von fünfhundert Männern um den freien Platz der Stadt getragen (Abb. 327). Wer diesen Passionsspielen (Abb. 326) einmal beigewohnt hat, wird von der Tiefe der Gefühle, die hier zum Ausdruck kommen, ergriffen und wird auf der anderen Seite auch den Haß verstehen, mit dem die Schiiten ihre Feinde, die Sunniten, beständig verfolgen. Die heilige Stadt Persiens, der Stolz der Schiitenwelt, ist Mesched, denn dort ruhen unter einer goldenen Kuppel die sterblichen Überreste des achten Imams, namens Riza. Der Kalif Mamun, der Sohn des bekannten Harun al Raschid, der dort ebenfalls begraben liegt, ernannte diesen Imam zu seinem Erben in Anerkennung der Ansprüche des Hauses Ali, mußte aber diese Verfügung, die in Bagdad einen mächtigen Sturm der Entrüstung hervorrief, nicht nur wieder zurücknehmen, sondern ließ den Imam obendrein auch noch vergiften. Auf manchem persischen Bild findet sich dieser Vorgang wiedergegeben. Für fromme Schiiten bedeutet eine Pilgerfahrt (Abb. 330) nach Mesched das Höchste im Leben und steht bei ihnen in dem gleichen Ansehen, wie eine solche nach Mekka bei den Sunniten.
Phot. N. P. Edwards.
Abb. 322. Perserin im Straßenkleid.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 323. Szene aus der Prozession am Mohurrumfeste.
Alle Gläubigen tragen während der Feier Trauerkleidung.
Die Pilger ziehen in großen Karawanen unter der Obhut eines Chausch oder Führers, der für ganz besonders tapfer und umsichtig gilt, dorthin; reiche Leute lassen sich von einem Mullah oder Priester begleiten, der ihnen Gebete oder Stellen aus den Passionsspielen vorliest, worauf manchmal alle Teilnehmer des Pilgerzuges antworten, so daß die Wüste von ihren Gesängen und Gebeten widerhallt. So wandern die Pilger Tag und Nacht weiter, alle fünfzehn Meilen etwa machen sie halt, und wenn sie aus dem südlichen Persien kommen, schrecken sie nicht einmal vor den Gefährlichkeiten des Lut, des schrecklichen „Toten Herzens“ Irans, zurück, wo die Nahrungsmittel sehr knapp sind und das Wasser salzig und schwer zu bekommen ist und wo außerdem Räuberbanden den unbewaffneten Wanderern auflauern. Wer diese Schrecknisse überwunden hat und an dem „Berge des Heils“ angelangt ist, für den bedeutet es dann das höchste Glück, auf die in grünen Gärten gebettete heilige Stadt mit dem goldenen Glanz ihrer Kuppeln und Türme hinabzuschauen und mit Freudentränen in ein Gebet einzustimmen. Nach einem Reinigungsbad legt der Pilger einen neuen Anzug an und betritt die „heilige Schwelle“ durch eine Pforte, über der Ketten hängen, zum Zeichen, daß er seine Füße auf geweihte Erde setzt. Sein Weg führt ihn zunächst über einen alten Hof, dessen Häuser mit ausgesucht feinen Ziegeln bedeckt sind, und dann weiter durch ein reich mit Gold bekleidetes Portal zu einer sehr geräumigen Halle, die unter dem Namen „Ort der Größe“ bekannt ist; von hier aus vermag er durch ein Gitter bereits in die Grabkammer hineinzusehen, muß aber noch eine zweite Halle durchschreiten, bis er die Freude erlebt, sich in Andacht auf der Schwelle des goldenen Tores niederzuwerfen. Geläutert erhebt er sich nach inbrünstigem Gebet, nähert sich dem reichen Gitterwerk und küßt das Schloß. Von dem Reichtum der Grabkammer kann man sich kaum eine Vorstellung machen. Das Grab ist durch drei Gitter geschützt, von denen das mittlere aus Silber angefertigt und mit Edelsteinen besetzt ist; darüber hängen sehr kostbare Reiherbüsche, mit Juwelen besetzte Schwerter und Dolche, vielfach Geschenke von Fürsten. Am Fuß des Grabes befindet sich eine mit Goldplatten bedeckte und ebenfalls mit Edelsteinen reich verzierte Tür, kurz gesagt, das ganze Gemach flutet sozusagen in einem Meer von Glanz. Die Pilger umkreisen das Grab dreimal; dabei fluchen sie allen Feinden des Imams, im besonderen dem Harun al Raschid, worauf sie zum Schluß noch zu Allah beten.
Eine auf den Straßen Persiens beinahe alltägliche Erscheinung sind die Derwische (Abb. 325), Bettelmönche, die nicht nur durch ihre sonderbaren Manieren, sondern auch durch ihre phantastische Tracht auffallen. Auf dem Kopf tragen sie eine weiße, mit Koransprüchen oder den Namen der zwölf Imame bestickte spitze Mütze, um Hals und Brust Glasperlen in allen Farben, sowie hölzerne Kugeln und über den Schultern noch ein Wolfs- oder Pantherfell, in der Hand meistens eine Stahlaxt, die mit goldenen und silbernen Einlegearbeiten versehen ist, oder wenigstens einen mit Nägeln und eisernen Knöpfen oder Spitzen besetzten schweren Knüppel; an Messingketten hängt ihnen vom Arme die Opferschale herab. Mit einem Horn künden sie ihr Erscheinen an und blasen vor einem Haus so lange, bis man ihnen eine Gabe spendet.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 324. Selbstverstümmelung fanatischer Teilnehmer am Mohurrumfeste
durch Einschneiden in die Kopfhaut, bis Blut über ihre Kleider fließt.
In Persien herrscht ein doppeltes Recht, das religiöse und das allgemeine. Das erstere, das sich auf den Koran, die niedergeschriebenen Ansichten der zwölf Imame und auf die Kommentare einer Schule kirchlicher Rechtsgelehrter stützt, wird von den religiösen Behörden vertreten, das andere dagegen, das auf ungeschriebenen Bräuchen und auf der Überlieferung fußt, von den weltlichen Behörden, die ihre Entscheidungen lediglich nach ihrem eigenen Ermessen von Recht und Unrecht treffen. Die allgemein übliche Strafe, die in Persien von Behörden, Lehrern und Haushaltungsvorständen verhängt werden darf, besteht in Stockhieben; wer diese Strafe erhält, „ißt Stöcke“, wie es im Volksmunde heißt. Man wirft ihn auf den Rücken, bindet seine Füße an eine Stange, die von zwei Männern gehalten wird, und schlägt ihn auf die nach oben sehenden Fußsohlen (Abb. 328). Die Männer, die diese Strafe vollziehen, sind aber leicht der Bestechung zugänglich; wenn der Delinquent ihnen ein Geschenk verspricht, lassen sie ihre Schläge auf die Stange anstatt auf die Füße gehen, zum Scheine aber muß das Opfer dann furchtbar stöhnen und schreien. Es gibt aber noch viel qualvollere Strafen, wie das Einsperren in Türme, in denen der Verbrecher unter großen Qualen schmachten muß, das Beschlagen der Füße mit Hufeisen, das Aufpfählen, das Hautabziehen bei lebendigem Leibe und das Erschießen mit einer Kanone; allerdings werden diese Strafen heutzutage seltener als noch vor wenigen Jahrzehnten verhängt. Allgemein hat in Persien noch der alte biblische Ausspruch Geltung: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“; ein Mörder wird oft zur Vergeltung seines Verbrechens der Familie des Getöteten übergeben.
Abb. 325. Persischer Derwisch.
Der Lieblingswunsch jeder wahren Perserfrau geht dahin, Kinder zur Welt zu bringen. Um dies zu erreichen, sammelt eine Frau in Mesched am letzten Mittwoch des Monats Safar sieben Walnüsse, ebensoviel Mandeln und Blätter eines Krautes, sowie drei Fäden so lang wie sie selbst groß ist, und besucht am anderen Morgen, von einem alten Weibe begleitet, den berühmten Steinlöwen. Hier öffnet sie, nachdem einige Gebete verlesen worden sind, die Nüsse und geht dreimal unter dem Löwen hindurch (Abb. 329). Dieser Brauch wird in Mesched und Hamadan beobachtet. In anderen Städten wird das Grab eines kurz zuvor getöteten Mannes und in Teheran die berühmte „Perlenkanone“ am letzten Mittwoch vor Neujahr in ähnlicher Absicht aufgesucht, angeblich stets mit gutem Erfolge. Hat die Frau ihren Wunsch erreicht, das heißt ist sie schwanger geworden, dann treten an sie verschiedene Verbote heran. So darf sie über keinen Kirchhof schreiten, auch nachts nicht in eine Küche treten, weil sie dann von einem bösen Geist (Dschinn) heimgesucht werden könnte; bei etwaiger Mondfinsternis darf sie nicht in den Mond sehen, ebensowenig ihren Körper mit den Händen berühren, da dies unfehlbar auf dem Körper des Kindes ein schwarzes Zeichen hervorbringen würde.
Mohurrumfest in Persien.
Die fanatischen Gläubigen bringen sich selbst Wunden bei.
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Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 326. Passionsspiele zur Erinnerung an Hassan und Hussein,
die alle Jahre im Monat Mohurrum abgehalten werden. Die Szene spielt sich auf dem Innenhofe einer Moschee ab; die Plattform ist über dem künstlichen Gewässer im Hofe errichtet. An den Seiten ist Platz für den Umzug gelassen.
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Um ein leichtes Kindbett zu erzielen, muß man einen Erdklumpen zurechtmachen, das Eingangskapitel des Korans daraufhauchen und dann den Kloß in den Brunnen werfen. Im westlichen Persien schießt man Flinten ab, wenn eine Frau in den Wehen liegt, um Dämonen zu vertreiben, oder man legt einen Säbel neben die Kreißende oder setzt auf dem flachen Dache des Hauses eine Reihe als Soldaten angezogener Puppen durch Fäden in Bewegung. Zögert trotzdem die Geburt, dann läßt der Ehemann einen Schimmel von der nackten Brust seiner Frau Gerste fressen. Manche Pferde haben durch solchen vermeintlich günstigen Einfluß einen gewissen Ruf bekommen, und es geschieht dann, daß sich in einem Dorfe die Männer zweier Frauen, die gleichzeitig Geburtswehen verspüren, um dieses Heilmittel streiten.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 327. Das Banner des Propheten
inmitten einer Pilgergruppe beim Hassan-Hussein-Fest.
Sobald ein Knabe geboren ist, wird er fest wie eine Mumie eingewickelt, seine Augen werden mit Antimon geschwärzt und um seinen rechten Arm werden ein oder mehrere Amulette gebunden, um den bösen Blick abzuwenden. Dasselbe will die Hebamme dadurch erreichen, daß sie das Kind dreimal feierlichst Hals über Kopf umdreht. — Während des Wochenbetts darf kein Glas Wasser ins Zimmer gebracht werden, das würde Schielaugen beim Kinde zur Folge haben; ebensowenig darf es jemand, der Trauer hat, betreten, denn das würde Unglück bringen. Am siebenten Tage reibt man die Gelenke des Kindes mit Antimon ein. Verwandte und Freunde setzen sich dann in einem Kreis um dasselbe herum und schieben das Kind dreimal durch eine Rolle, auf der das schon öfters erwähnte Yasinkapitel des Korans geschrieben steht. Die persischen Mütter nähren ihre Lieblinge zwei Jahre lang; sie sind auf das Erscheinen des ersten Zahnes noch mehr erpicht als unsere Mütter. Denn sollte sich ein Zahn zuerst in dem Oberkiefer zeigen, dann stünde den Eltern ein furchtbares Unglück, vielleicht selbst der Tod bevor, falls nicht etwa, um das Unheil abzuwenden, das Kind vom Dache heruntergeworfen wird. Um nun in solchem Falle zu vermeiden, daß dieses gewaltsame Heilmittel einen noch schlimmeren Ausgang nehme als die Krankheit selbst, fangen vier Männer das fallende Kind mit einer ausgespannten Decke auf.
Eine Einweihungsfeierlichkeit (Beschneidung) der Knaben bis zum Alter von vierzehn Jahren wird allen Anhängern des Islams zur strengen Pflicht gemacht; bei den Reichen erfolgt diese Aufnahme bereits im Alter von acht Jahren. Freunde und Verwandte nehmen an diesem Feste teil. Ist die Zeremonie vorüber, dann wird ein Kohlenbecken mit Raute gefüllt und diese angezündet, um durch den Rauch Unglück abzuwenden; jeder der Anwesenden wirft eine Münze in die Flamme.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 328. Persische Bastonade.
Die Heirat erfolgt in Persien bereits in frühem Alter; für gewöhnlich wird für den Jüngling, wenn er das achtzehnte Jahr erreicht hat, von seiner Mutter Umschau nach einer geeigneten Frau gehalten, aber oft genug werden auch schon vierzehnjährige Knaben mit elfjährigen Mädchen verheiratet. Der Grund hierfür liegt in dem in Persien noch herrschenden Patriarchat, in dem Wunsche des Vaters, eine möglichst junge Schwiegertochter ins Haus zu bekommen, damit sie sich unter geringeren Schwierigkeiten an die neue Familie gewöhne, als dies bei einer schon älteren der Fall sein würde. Die Mutter hält also für ihren Sohn Umschau und sucht ihm, wenn möglich, eine Cousine aus, da diese sich bei ihren Verwandten bereits wie zu Hause fühlt. Läßt sich dies aber nicht einrichten, dann treten besondere Vermittler in Tätigkeit. Ist ein passendes Mädchen aus entsprechender Familie und mit entsprechendem Vermögen gefunden, dann machen die Mutter und ihre Schwester der neuen Familie einen formellen Besuch. Dabei wird das junge Mädchen aufgefordert, Zucker und Wasser hereinzuholen. Sie zieht sich zurück und legt ihre besten Kleider an; bei der Rückkehr wird sie von den Besuchern umarmt und aufs genauste untersucht, sogar ihre Haare werden auf Echtheit geprüft. Hieran schließt sich eine lange Besprechung, an der das Mädchen aber nicht teilnehmen darf. Beide Parteien übertreiben mit echt persischer Phantasie die Vorzüge ihrer Kinder und der beiderseitigen sozialen Stellung. In der nächsten Zeit suchen es die Frauen häufig so einzurichten, daß das Mädchen seinen Zukünftigen zu Gesicht bekommt, was sich leicht machen läßt, wenn er vorüberreitet oder spazieren geht. Es verstößt gegen die gute Sitte, daß der Jüngling die für ihn Ausgesuchte erblickt, aber manchmal wird dies doch bewerkstelligt; er versteckt sich dann in einem Nebenraum, wenn seine Auserwählte in Begleitung ihrer Mutter den Gegenbesuch macht. Ist man über den Brautpreis einig geworden, um den viel gefeilscht zu werden pflegt, dann findet die Verlobung statt, zu der Geschenke in Form von Schmucksachen und Schalen mit Süßigkeiten ins Haus der Braut gesandt werden; jedoch beteiligen sich an dieser Feierlichkeit nur die Frauen beider Familien. Ungefähr zwei Monate später findet dann die Hochzeit an einem glückverheißenden Tage statt, den der Astrologe festgesetzt hat. Es werden dazu wiederum Geschenke gesandt, darunter befindet sich eine Platte mit hundert verschiedenen Kräutertränken und Kräutern, ein Spiegel und zehn Meter Leinwand, mit der die Braut während der Zeremonie verhüllt wird, ferner ein Paar Leuchter, zwanzig Paar Schuhe und mehrere Platten mit Süßigkeiten.
Phot. Major P. M. Sykes.
Abb. 329. Steinlöwe in Mesched.
Um Kinder zu bekommen, sammelt die Perserin gewisse Zaubermittel und geht dann dreimal unter dem hier abgebildeten steinernen Löwen hindurch.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 330. Läuterungszeremonie auf dem Wege von Teheran nach Ispahan bei der heiligen Stadt Kum.
Pilger, die das Grab der Fatme, der Tochter Alis, besuchen wollen, müssen unter einer über die Straße gespannten Schnur hinweggehen oder -fahren, an der ein Koran hängt.
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Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 331. Zwei Widder, die zum Kampfe aufeinander losgelassen werden,
eine zu Neujahr in Persien beliebte Volksbelustigung.
Die Braut, die am Tage vorher ein Bad genommen hat, wird vor dem Spiegel mit den Leuchtern geputzt, dabei wird ihr die Leinwand um den Kopf geschlungen und durch die weiße Hülle ein Faden in sieben Farben gezogen. Ferner wird ihr der Mund voll Süßigkeiten gestopft und Zucker über den Kopf gestreut. In das Feuer schüttet man wohlriechende Drogen. Während dieser Vorbereitungen läßt ein Rechtsgelehrter, der bei den Männern sitzt, den Bräutigam rufen und sich von ihm in aller Form die Zusage machen, daß er für ihn als Vermittler tätig sein darf; darauf verliest er den Entwurf des Ehevertrages. Ein entsprechender Vermittler von seiten der Braut begibt sich zu dieser und fragt sie dreimal vor dem Vorhang zu den Frauengemächern, ob sie den Bräutigam zu den genannten Vereinbarungen nehmen wolle. Ihre bejahende Antwort läßt er sich noch von einer der anwesenden Frauen bestätigen. Nun verhandeln beide Agenten noch einmal gemeinsam; der des Bräutigams bittet dreimal den der Braut um deren Hand für seinen Klienten unter den Bedingungen, die im Ehevertrag festgelegt wurden. Der letztere bejaht die Frage dreimal, worauf das Ehebündnis für vollzogen erklärt wird und man Süßigkeiten zu sich nimmt. Die Zeremonie findet vorläufig ihren Abschluß damit, daß der Bräutigam nunmehr in die Frauengemächer geführt wird, wo er nach Überreichung eines Geschenkes, meist eines Ringes, den Vorzug genießt, seine ihm soeben angetraute Frau im Spiegel zu sehen. Weiter erfolgt nichts. Bis die Braut ihrem zukünftigen Heim zugeführt wird, vergeht noch einige Zeit, die zur Beschaffung der Einrichtung benutzt wird. An einem Nachmittag, den wiederum der Astrologe festgesetzt hat, werden die Hochzeitsgeschenke (Zeug, Möbel, Kochgeräte und so weiter) auf reich geschmückten Maultieren nach dem Hause des Bräutigams geschafft. Nach Einbruch der Dunkelheit begeben sich die männlichen Verwandten und Freunde des Bräutigams, denen in einiger Entfernung die weiblichen sich anschließen, zum Hause der Braut unter Begleitung von Musikanten, die Lampen und Fackeln tragen. Nach ihrer Ankunft wird dem Vater der Braut der abgeschlossene Ehevertrag überreicht. Inzwischen sind der Braut die Körperhaare sorgfältig entfernt worden, besonders auf dem Rücken, da hierüber der Aberglaube besteht, daß dort ein Haar des Todesengels wachse; außerdem wird sie jetzt in ihr Brautgewand gekleidet.
Phot. H. R. Sykes.
Abb. 332. Wandermusikanten aus Ostpersien.
Sie brüllen in nasalen Tönen unter eintöniger Begleitung von Handtrommeln altiranische Legenden und die Taten ihrer Nationalhelden oder zweideutige Liebeslieder. Wie die Zigeuner ziehen sie von Ort zu Ort und sind als Luti beim Volke bekannt.
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Phot. E. Crawshay Williams.
Abb. 333. Grab eines Scheiks zu Schiras.
Endlich setzt sich der Hochzeitszug in Bewegung. Die Braut fährt in einem Wagen; Brot, Salz und Käse führt sie in einem Taschentuch mit sich. Regen bei dieser Fahrt bedeutet besonderes Glück. Der Bräutigam erwartet die Ankommenden in der Nähe seines Hauses, seine weiblichen Verwandten rufen der Braut zu: „Wir haben dich aufgenommen.“ Der Bräutigam schließt sich dem Zuge bis zu seinem Heim an. Hier werden noch Schafe geopfert, um den bösen Blick abzuwenden, und nun kann die junge Frau endlich ihr neues Heim betreten. Hier wird sodann eine große Freudenfeier abgehalten, zu der besondere Tänzer und Musikanten (Abb. 317 u. 332) eingeladen worden sind; in dem Hochzeitszimmer wird glückbringende Raute über einem Kohlenbecken verbrannt. Der junge Ehemann entfernt seiner Frau die Oberkleidung und nimmt ihr, nachdem sie sich gegenseitig die Füße gewaschen haben, den Schleier ab; beide betrachten sich nun wieder gegenseitig im Spiegel. Bei der sich daran anschließenden Mahlzeit steckt eines dem anderen einen Bissen in den Mund. Nach dem Essen brechen die Verwandten auf, nachdem sie im Brautgemach der jungen Frau beim Entkleiden behilflich waren. Der junge Gatte trägt dabei zum Schluß einige artige Verse vor.
Phot. E. Crawshay Williams.
Abb. 334. Weihgaben, die persische Mädchen am Grabe des Cyrus (vom Volk als Grab der Mutter Salomons bezeichnet) darbringen, um Erfüllung ihrer Wünsche zu erlangen.
Phot. Henri D’Allemagne.
Abb. 335. Szene von einem persischen Begräbnis.
Die Männer tragen die Leiche zu Grabe, während der Mullah vorangeht.
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Phot. A. O’Brien.
Abb. 336. Wie man in Beludschistan reist.
Die Frauen gehen mit den Kindern und der Wegzehrung voran, der Hausherr folgt zu Roß, und ein Kamel trägt Hab und Gut der Familie.
Zu den unter dem Volke beliebten Belustigungen gehören die meist zu Neujahr stattfindenden Widderkämpfe (Abb. 331).
Aberglaube und Zauberei sind unter der persischen Bevölkerung noch sehr im Schwange. Zahlreich sind die Mittel, sich einer lästigen Person oder eines Feindes auf dem Wege des Sympathiezaubers zu entledigen. Zu diesem Zwecke muß man ein bestimmtes Gebet einundvierzig Tage lang lesen, dann stirbt der Feind, oder man fertigt sich ein Bildnis an, das die unliebsame Person vorstellen soll, schlägt es täglich bis zum vierzigsten Tage und haut ihm am nächsten Morgen den Kopf ab, dann stirbt die betreffende Person ebenfalls, oder endlich man nagelt ein Stück Schafsfett an die westliche Mauer eines unbenutzten Friedhofs, am besten an einem Mittwoch, und steckt vierzig Tage lang eine Stecknadel in das Fett; in dem Maße, wie das Fett vergeht, löst sich auch der Feind auf. Es wird versichert, daß Leute, die von diesem Zauber, der gegen sie angewendet wurde, hörten, so in Angst und Aufregung gerieten, daß sie wirklich starben. Wünscht man nicht den Tod einer Person, sondern nur ihre Unbeliebtheit, dann zerstößt man eine Eselsrippe und mischt sie unter ihr Essen. Es muß aber eine linke Rippe sein; würde man aus Versehen eine rechte Rippe dazu verwenden, dann träte das Gegenteil ein, die betreffende Person würde in hohem Grade beliebt werden. — Sehr verbreitet ist auch der Liebeszauber. Um die Neigung des Mannes zurückzugewinnen, streut die Frau Kardamom, Nelken, Zimt und anderes Gewürz in einen Krug, liest über ihm das schon erwähnte Yasinkapitel aus dem Koran siebenmal rückwärts, füllt hierauf die Kanne mit Rosenwasser, legt noch ein Blatt Papier, das den Namen ihres Mannes und die von vier Engeln enthält, sowie das Hemd des ersteren hinein und setzt schließlich das Ganze aufs Feuer; sobald die Flüssigkeit in der Kanne kocht, kehrt der Ungetreue eilenden Schrittes heim. Oder ein anderes, nicht minder wirksames Mittel. Man kratzt den Namen des Geliebten auf ein Hufeisen mit einem wirksamen Talisman ein und hält es ins Feuer; sofort wird der Geliebte unruhig und eilt stehenden Fußes zu seiner Angebeteten. — Dort, wo Polygamie herrscht, wird eine neue Frau zumeist mit gemischten Gefühlen begrüßt. Um sie zu zwingen, bald wieder nach Hause zurückzukehren, wendet die bisherige Gattin folgenden Zauber an. Sie beschafft sich Erde vom Grabe eines ermordeten Mannes und einer Frau und streut sie im Hause aus, nachdem sie das Kapitel im Koran, das vom Jüngsten Tage handelt, gelesen hat. Dadurch soll Zwietracht zwischen dem Manne und seiner neuen Gattin gestiftet und erreicht werden, daß diese freiwillig in das Haus ihrer Eltern zurückkehrt oder auch von jenem ausgewiesen wird. Ehefrauen, die gern Liebesabenteuern nachgehen möchten, mischen ihrem Manne in das Essen das getrocknete Gehirn eines Esels; dadurch wird er unfähig, ihre Schuld zu entdecken.
Kranke werden auf eigentümliche Weise geheilt. Die persische Medizin teilt alle Krankheiten in vier Klassen ein, in solche, die kalt und naß sind, in kalte und zugleich trockene, in heiße und dabei nasse, und in heiße und trockene. Als Heilmittel wird das entgegengesetzte Verfahren eingeschlagen, gegen Fieber zum Beispiel, das eine heiße Krankheit ist, wird das Fleisch von einem Hahn verordnet, denn Hahnenfleisch ist kalt, hingegen das vom Huhn heiß.
Phot. A. O’Brien.
Abb. 337. Eine andere Art zu reisen.
Frauen und Kinder sitzen in einem Kajawa, einem hölzernen Gestell, auf dem Rücken eines Kamels, das von einem Manne am Nasenring geführt wird.
Phot. R. C. Bolster.
Abb. 338. Reisende reiten auf einem Ochsen über das Geröll im Bett eines ausgetrockneten Bergstroms.
Nützen derartige Heilmittel dem Kranken nichts und steht sein Ende bevor, dann legt man ihn mit dem Gesicht nach Mekka hingewendet nieder und liest ihm das Yasinkapitel aus dem Koran vor. Darauf wird er veranlaßt, sein Testament in Gegenwart von Zeugen zu machen. Ist dies geschehen, dann zerbricht man das Siegel des Sterbenden und legt es unter seine rechte Hand. Auch bereitet man das Totenkleid vor und bedeckt es mit Gebeten, die von einundvierzig Männern niedergeschrieben sind und besagen: „O Allah, in Wahrheit wissen wir nichts als Gutes über diesen Mann; du aber kennst sein Verhalten besser.“ Nach Beendigung des Todeskampfes schließt man dem Verschiedenen die Augen, streckt ihm die Glieder, bindet ihm die Zehen der beiden Füße zusammen und schlingt eine Schärpe um den Kopf. Dann wird der Tote auf einer Bahre auf dem Hofe umhergetragen und zur Waschstätte gebracht; voraus gehen die „Totenprediger“, die auch das traurige Ereignis vorher bekanntgegeben haben. Nachdem die Waschung vollzogen worden ist, wird die Leiche in ein Leichentuch gehüllt, wobei ihr zwei grüne Weidenstöcke unter die Achselhöhlen gelegt werden, und auf der Bahre unter Begleitung von Verwandten und Freunden zum Friedhof getragen; ein Mullah sagt auf dem Wege dorthin das Al Raham-Kapitel aus dem Koran (Abb. 335). Auf dem Friedhof wird der Tote noch dreimal von der Bahre genommen und wieder hingelegt, beim vierten Male aber mit dem Kopf voran ins Grab gesenkt. Er kommt auf die rechte Seite zu liegen, mit dem Gesicht nach Mekka gewendet. Das Grab wird nun zugemauert; es bleibt aber über dem Toten noch so viel Raum, daß er sich aufrecht setzen kann, um das gefürchtete Verhör der beiden Engel Munkir und Nakir zu bestehen. Wenn die Erde endlich aufgeschüttet ist, machen alle Anwesenden mit den Fingern Zeichen darüber, wobei sie das Anfangskapitel des Korans hersagen. Man glaubt nun, daß die beiden genannten Engel den Toten besuchen und ihn verhören. Fällt seine Antwort befriedigend aus, dann gehen sie wieder fort; ist das Ergebnis des Verhörs aber nicht zufriedenstellend, dann schlagen sie beide die Leiche mit ihren feurigen Keulen zu Staub, worauf diese ihre frühere Gestalt wieder annimmt. Die Geister derer, die bestanden haben, werden an den „Wohnort des Friedens“ in der Nähe von Najaf geleitet, um dort den Jüngsten Tag abzuwarten, während die Geister derjenigen, die für unwürdig befunden wurden, nach Sahra-i-Barahut in der Nähe von Babylon gebracht werden, um sich dort den Strafen und der Läuterung zu unterziehen bis zu demselben, für sie so furchtbaren Tag.
Drei Tage lang wird um den Toten getrauert. Am ersten Tage sprechen einundvierzig Männer die „Gebete der Beunruhigung“, um den Verstorbenen für die Begegnung mit Munkir und Nakir zu stärken, am folgenden Tage besuchen Verwandte das Grab, bilden einen Kreis, bitten um die Vergebung aller Propheten und Heiligen und danken den Freunden für ihre Teilnahme, am dritten Tage endlich fordert ein Geistlicher die Angehörigen auf, die Öffnungen in ihren Hemden, die sie sich zum Zeichen ihrer Trauer eingerissen haben, wieder zu schließen, und beendet damit die Trauer. Am vierzigsten Tage endlich wird über dem Grabe ein Gedenkstein errichtet (Abb. 333). — Zu den Gräbern großer Heiligen werden Wallfahrten unternommen und Weihgaben an ihnen dargebracht (Abb. 334).
Leviratsehe ist zwar nicht direkte Vorschrift in Persien, aber sie gilt für die Brüder des Verstorbenen als eine Anstandspflicht, gleichviel, ob Kinder da sind oder nicht. — Ehebruch führt zur Ehescheidung.
Phot. R. C. Bolster.
Abb. 339. Hütten der Nomadenstämme.
Der Unterbau besteht aus lose zusammengefügten Steinen, die beim Abbrechen der Hütte für gewöhnlich stehen bleiben; das Dach bilden Matten aus geflochtenen Blättern der Zwergpalme. Die Hütte im Hintergrunde ist aus Reisig hergestellt.
Afghanistan und Beludschistan. Die Kleidung der Afghanen wie auch der Beludschen besteht in einem langen Hemd, weiten Hosen (bei den einen aus Baumwolle, bei den anderen aus Leinen), einem mantelartigen Überwurf aus Schaffell und einer Mütze, die bei den Beludschen eine zylindrische Form aufweist. Die Städter haben bereits vielfach persische Tracht angenommen. Die Frauen kleiden sich in derselben Weise; Schmuck ist bei ihnen äußerst beliebt. Die afghanischen Bergvölker wohnen in Dörfern, die oft sehr stark befestigt sind und mit Hörnern versehene Türme besitzen. Die nomadisierenden Povindah bringen ihr Leben in Zelten zu. Die Stadtbewohner verfügen bereits über festgebaute Häuser, die oft sehr vornehm eingerichtet sind. Die Beludschen führen ein Nomadenleben (Abb. 336 bis 338) und hausen in primitiven Mattenhütten, die öfters auf einem aus losen Steinen aufgebauten Unterbau ruhen (Abb. 339). Diese Steinmauern, die sich vorzugsweise an solchen Plätzen finden, in deren Nähe Wasser ist, lassen sie bei ihrem Fortzuge für die nächsten Wanderer stehen; nur die Mattenwände nehmen sie mit.
Phot. A. O’Brien.
Abb. 340. Pferdewettrennen, ein bei den Beludschen sehr beliebter Sport,
der auf ein ziemliches Alter zurückblicken kann.
Afghanen wie Beludschen sind Anhänger des Islams, die ersteren aber viel fanatischer als die letzteren. Dafür sind diese aber um so abergläubischer. Sehr verbreitet ist unter den Beludschen der Glaube an den Mamm; es ist dies der gewöhnliche braune Bär, dem man aber die Eigenschaften eines Werwolfs oder Vampirs zuschreibt. Von vielen Frauen nimmt man an, daß sie in Wahrheit Mamms sind, die eine solche Gestalt nur angenommen haben, um Männer in die Falle zu locken, ihr Blut auszusaugen oder sie durch ihre Liebesumarmungen zu Tode zu drücken. Eine besondere Merkwürdigkeit der Beludschen, die von ihren Nachbarn, den Afghanen, nicht geteilt wird, ist ihre Abneigung gegen Fische, offenbar ein Überbleibsel aus alten totemistischen Gebräuchen. Sie essen niemals Fisch. Ebenso meiden sie Eier. An Teufel glauben die Beludschen zwar nicht, wohl aber an allerlei Geister. Die Hazara stellen aus diesem Grunde bei der Geburt eines Kindes stets Speise für einen solchen Dschinn an die Seite der Kreißenden. Auch Feuerproben werden von den Beludschen vorgenommen, im besonderen das uns schon von anderwärts her bekannte Feuerlaufen.
Phot. A. O’Brien.
Abb. 341. Eselwettrennen.
Wettrennen zwischen Kamelen oder Eseln sind unter den Beludschen beim Mittelstande sehr beliebt. Der Häuptling will das Zeichen zum Start geben.
Abb. 342. Musikanten vom Domstamme.
Sie sind indischer Herkunft, tragen aber Beludschenkleidung. Einer von ihnen spielt gerade auf der Sarinda mittels eines mit Roßhaaren bespannten Bogens.
Die Beludschen haben in viel höherem Grade noch ihre Ursprünglichkeit bewahrt als die Afghanen. Sie sind ein Volk von Reitern und Pferdezüchtern. Leidenschaftlich interessieren sie sich daher auch für Pferdewettrennen (Abb. 340 und 341); gelegentlich wetteifert dabei ein Stamm gegen einen anderen. Nach ihrer Überlieferung ist dies eine alte Neigung, die vor vielen Jahrhunderten einmal zu Bürgerkriegen und Spaltungen in feindliche Parteien innerhalb des Volkes führte. Bei allen größeren Festen oder Versammlungen finden solche Pferderennen statt, die auch immer von Tänzen begleitet sind. Am ausgebildetsten zeigen ihren Nationaltanz noch die Bergstämme. Die Tänzer, die lange, wallende weiße Gewänder tragen, fassen sich bei den Händen, bilden einen Kreis, in dessen Mitte die Musik — Trommeln und zwei weitere, unserem Violoncell und unserer Gitarre ähnliche Instrumente — aufspielt, und setzen sich mit leicht federndem Schritt in Bewegung, den Kreis bald enger ziehend, bald ihn vergrößernd. Allmählich werden ihre Bewegungen, die anmutig und gemessen begannen, immer schneller, die Tänzer machen sich oft voneinander los und drehen sich allein, schließlich endet das Ganze in einen wilden Taumel. Die Umstehenden werden ebenfalls von der Lust zu tanzen erfaßt und fallen unter wüstem Geschrei ein (siehe die farbige Kunstbeilage). — Unter den berufsmäßigen Kameltreibern ist ein ähnlicher Tanz üblich. Sobald sie dabei in Aufregung geraten, nehmen sie ganz seltsame und groteske Stellungen ein: sie kauern sich nieder, hüpfen umher, springen wie Frösche und stoßen ein wildes Geheul aus, grunzen oder geben andere eigenartige Töne von sich. — Der Tanz der Afghanen ist ein Schwertertanz. Zumeist halten nämlich die Tänzer ein Schwert in beiden Händen, manchmal ein solches nur in der einen und eine Flinte in der anderen Hand. Sie kreisen um einen Pfosten, schwenken das Schwert um den Kopf und werden nach und nach so erregt, daß sie in wilden Bewegungen umherspringen und nicht selten ihre Gewehre abschießen. Die Musikanten halten sich hier außerhalb des Kreises auf. Aus anderen freudigen Anlässen tragen bei den Beludschen berufsmäßige Sänger Lieder, im besonderen alte Balladen vor. Jedoch sind dies keine eigentlichen Beludschen, sondern Domen, das heißt Männer des Zigeunerstammes, die die Lieder gleichzeitig auf den schon erwähnten Musikinstrumenten begleiten (Abb. 342). Die Beludschen verfassen auch noch mancherlei Dichtungen, aber keiner von ihnen gibt sich dazu her, selbst sein Erzeugnis öffentlich vorzutragen; er lehrt es einen Dom, und dieser singt es vor dem versammelten Volke. Die Bergbewohner üben auch Gesänge, kurze Liebeslieder und kleine lyrische Gedichte, ein und begleiten sie mit der Flöte. Diese Gedichte atmen mitunter einen recht romantischen Geist, besonders wenn die Liebe mitspricht. Denn Flirten und Hofmachen kommt unter den jungen Leuten recht häufig vor. Im großen und ganzen erfreuen sich die Frauen der Beludschen ziemlicher Freiheit, wenngleich bei der Auswahl des Gatten ihre Stimme wenig ins Gewicht fällt. Dafür entschädigen sich die Frauen aber durch Liebeleien nach der Hochzeit. Daß jungverheiratete Frauen sich von ihren Liebhabern aus anderen Stämmen oder Familien entführen lassen, kommt sehr häufig vor. Ein solches Vergehen hat den Tod der Frau oder des Liebhabers, meistens beider zur Folge, wenn es dem Paare nicht gelingt, sich auf das Gebiet eines anderen Stammes zu flüchten, denn hier verbietet das Gesetz der Gastfreundschaft ihre Auslieferung. Frauen dürfen bei Fehden unter den einzelnen Stämmen nicht getötet werden, ebensowenig Knaben bis zur Pubertät. Sobald sie aber die Reife erlangt haben, werden sie mit Hosen bekleidet, wie sie die erwachsenen Männer tragen, gelten dann für Männer und dürfen wie diese fortan mit Fug und Recht umgebracht werden.
Phot. R. J. Bruce.
Abb. 343. Szene aus einem Begräbnis der Afghanen.
Povindahfrauen erwarten die Ankunft einer Kinderleiche an einer Haltestelle im Gomalpaß.
Der Nationaltanz der Balutschen,
der am ausgebildetsten unter den Hügelstämmen gefunden wird. Dreißig oder mehr Männer bilden, sich an den Händen haltend, einen Kreis, in dem zwei oder drei Spielleute sitzen. Sie bewegen sich langsam und in wellenförmigen Linien gegeneinander und gehen zurück, um den Kreis wieder zu bilden, ohne sich loszulassen. Allmählich wird der Tanz bewegter, die Männer geraten in Aufregung und bewegen sich schneller und schneller, bis der Tanz zum Tumult ausartet; einige sinken erschöpft um, während andere dafür ihren Platz ausfüllen.
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GRÖSSERES BILD
Bei Erkrankung werden Zaubermittel angewandt. Viele Mullah stehen in dem Rufe, Krankheiten heilen zu können, entweder durch Verabreichung eines solchen Mittels oder durch Anblasen der Kranken. Auch gegen den bösen Blick gibt es zahlreiche Zaubermittel; man schützt durch sie auch die Lieblingstiere, wie Kamele, Stuten, Ziegen und so weiter; sehr beliebt sind zu diesem Zweck blaue Perlenketten.
Die Beisetzung der Toten erfolgt nach mohammedanischem Ritus, aber in den Einzelheiten herrscht manche Abweichung unter den verschiedenen Stämmen. In den Städten befolgen sowohl Afghanen wie Beludschen die üblichen Methoden; sie errichten schöne gewölbte Grabdenkmäler für gewichtige Persönlichkeiten und bestatten die Leichen des gewöhnlichen Volkes in bescheidenen Lehmgräbern. Die wilden Stämme errichten über den Gräbern vielfach Steinhaufen, die Povindah legen Hörner des Schafes oder der wilden Ziege obenauf (Abb. 343 und 344). Wird ein Heiliger oder eine Persönlichkeit von Ruf begraben, dann errichtet man ihm zu Ehren einen Schrein. Einer der berühmtesten dieser Schreine ist der von Sakhi Sarwar (Abb. 345) im Dera-Ghazi-Khan-Gebiet. Alljährlich im Frühjahr wird zu ihm gewallfahrtet; auf den in den Felsen gehauenen Stufen versammeln sich die Menschen, um den Spielen, Ringkämpfen und Pferderennen zuzusehen, die zu den Füßen des Felsens, auf dem der Schrein steht, sich abspielen.
Phot. R. C. Bolster.
Abb. 344. Das Grab eines Heiligen oder Pir,
das aus Steinen errichtet und durch Stangen mit Kleiderfetzen als Fahnen weithin sichtbar gemacht ist. Rechts obenauf liegen Hörner des wilden Schafes oder Urtels.
Russisch-Turkistan. Turkistan mit Buchara, Chiwa und Transkaspien bildet einen Teil von Russisch-Asien, der sich nördlich von Afghanistan und östlich von Persien bis zu den großen Binnenseen (Kaspisee, Aralsee und Balchaschsee) erstreckt. Seine Bevölkerung bietet ein recht buntes Bild, das allerdings in der Hauptsache aus Angehörigen der mongolischen Rasse besteht, die aber hinsichtlich ihrer Tracht, Sitten und Gewohnheiten ziemlich voneinander abweichen, so daß eine erschöpfende Schilderung auf Schwierigkeiten stoßen dürfte. Die geographische Lage Turkistans und der westlich anstoßenden Gebiete, die den innerasiatischen Stämmen im Laufe der Jahrtausende gleichsam als Einfallstor nach Europa dienten, gibt uns die Erklärung für dieses Völkergemisch. Mongolen, Arier, Juden (Abb. 346), Araber und Türkenvölker haben sich hier im Laufe der Zeiten zusammengefunden und sind miteinander Kreuzungen eingegangen, deren heutiges Produkt bald den einen, bald den anderen Typus mehr hervortreten läßt. Es ist in verschiedener Hinsicht praktisch, die Bevölkerung der uns interessierenden Gebiete in die Städtebewohner und in die Nomaden zu teilen; beide Gruppen unterscheiden sich nämlich voneinander nicht nur in kultureller, sondern auch in anthropologischer Hinsicht. Die ansässige Bevölkerung heißt Sarten; es sind stattlich gewachsene Leute von bräunlicher Hautfarbe, die sich von den Mongolen durch diesen ihren hohen Wuchs, mehr länglichen Schädel, edlere Züge und stärkeren Haarwuchs unterscheiden. Zum großen Teil zu seßhafter Lebensweise sind die Uzbegen übergegangen, wohingegen die Turkmenen im Westen, die Kirgisen im Osten Turkistans noch reine Nomaden sind. Sie, besonders die letzteren, weisen in ihrem Äußeren noch ziemlich reinen Mongolentypus auf.
Phot. R. C. Bolster.
Abb. 345. Das große Grabmal zu Sakhi Sarwar.
Es ist auf einem Felsvorsprung angelegt; die Steinstufen sind aus dem natürlichen Felsen herausgehauen. Auf ihnen versammeln sich zahlreiche Pilger aus Beludschistan und dem Pandschab, um den unten stattfindenden Spielen und Wettrennen zuzusehen.
Die Tracht der Sarten ist eine recht charakteristische und erinnert im ersten Augenblick an weibliche Gewandung. Das kommt von dem langwallenden (bis zum unteren Drittel des Unterschenkels reichenden), schlafrockähnlichen Oberkleid, dem Chalat, her, das zumeist noch offen getragen wird und daher hinterherschleppt. Darunter sitzt ein zweiter Chalat, der aber durch einen Gürtel aus baumwollenen Tüchern geschlossen gehalten wird; der Gürtel dient gleichzeitig als Behältnis für Tabaksdose, Geld, Speisen und so weiter. Baumwollene oder leinene Beinkleider, schwarze Lederstrümpfe, große gelbe Stiefel und ein Turban vervollständigen die Kleidung. Während das Tragen eines Turbans bei den Persern nur den Mullah gestattet ist, geht ein Sarte niemals ohne einen solchen aus. Die Tracht der Frauen ist im großen und ganzen der der Männer gleich. Sobald sie das Haus verlassen, was nur äußerst selten der Fall ist, hüllen sie sich in einen dichten Roßhaarschleier und in ein graues Gewand, das lange, eng auslaufende Ärmel hat und sie vom Kopf bis zu den Füßen bedeckt (Abb. 347 u. 348). Reiche und Arme kleiden sich auf dieselbe Weise, nur unterscheiden sich die Frauen der oberen Klassen von ihren ärmeren Mitschwestern durch die bessere Qualität des Stoffes und die größere Sauberkeit des Gewandes.
Phot. Amerikanische Kolonie, Jerusalem.
Abb. 346. Bucharische Juden am Tabernakelfest.
Eine Familie hat sich zum Festmahl versammelt.
Jeder Sarte muß sich zeit seines Lebens den Kopf rasieren lassen, sobald sein Bart zu wachsen beginnt; ebensowenig darf er sich ein Haar auf der Oberlippe stehen lassen, hingegen wohl seinen übrigen Bart, der sogar überhaupt niemals geschnitten wird. Schon ganz jungen Kindern, wenn sie das erste Lebensjahr gerade erreicht haben, rasiert man den Kopf, Knaben sowohl wie Mädchen. Letztere lassen sich aber vom siebenten Jahre an die Kopfhaare wieder wachsen. Unter Umständen dürfen zwei kleine Haarbüschel über dem Ohr eines Knaben stehen bleiben, wenn die Eltern damit anzeigen wollen, daß sie ein besonderes Gelübde abgelegt haben; manchmal befestigen sie daran noch eine dichte Flechte Frauenhaar. Weil sie keine Haare auf dem Kopfe haben, tragen alle Sarten beständig eine kleine Mütze, die erwachsenen Männer darüber noch ihren aus meterlangen Tüchern geschlungenen Turban. Ihre Mützen pflegen in bunten, leuchtenden Farben bestickt zu sein. Überhaupt legen alle Sarten großes Gewicht auf besondere Schönheit ihrer Gewandung, die zumeist farbenprächtig ausgestattet ist. Oft genug tragen sie bis zu einem halben Dutzend bunter Chalats, einen über dem anderen, sogar zur heißesten Jahreszeit. — Die Mädchen tragen ihr dichtes, üppiges Haar glatt und in der Mitte gescheitelt und lassen es in zahlreichen Flechten herabhängen. Kopfschmuck ist ihnen verboten. Die verheirateten Frauen verlängern ihre schwarzen Augenbrauen künstlich mittels Farbstifts; zum mindesten bringen sie sie über der Nasenwurzel zusammen, oft aber führen sie sie auch seitwärts weiter. Handflächen und Nägel werden von ihnen, wie es für die Anhängerinnen des Islams Vorschrift ist, mit Henna gefärbt. Bei festlichen Gelegenheiten tragen die Damen viele Korallenschnüre um den Hals und schwere silberne Ringe im Ohr, außerdem mit Türkisen, Korallen und Glasperlen besetzte Amulette über den Ohren im Haar.
Phot. Annette M. B. Meakin.
Abb. 347. Sartenbraut.
Beim Ausgehen trägt jede Sartenfrau einen dicken Schleier aus Roßhaar und ein langes, graues, vom Kopf bis zu den Füßen reichendes Gewand.
Die Sarten können für die strenggläubigsten Mohammedaner der ganzen Welt gelten (Anhänger der Sunna): sie befolgen nicht nur aufs genaueste die Vorschriften des Korans, sondern übertreiben sie unter Umständen sogar. Während jeder andere Mohammedaner sich im allgemeinen damit begnügt, die ihm auferlegten Waschungen an Händen, Füßen und Mund fünfmal am Tage vorzunehmen, gewinnen es die Sarten über sich, diese Vorschrift gegen zwanzigmal zu erfüllen (Abb. 349 und 350). — Eine besondere Ehrfurcht bekunden die Sarten gegenüber dem Brot. Diese geht so weit, daß sie es für Unrecht halten, einen Laib Brot „auf den Rücken zu legen“. Nach dem Ramadan legt jede Familie ein Stückchen beiseite, um es bis zur nächsten Fastenzeit als glückbringend aufzubewahren. Es gilt als Zeichen von Wohlhabenheit, wenn ein Sarte vor seinem Gaste seine Brote hoch aufbaut.
Eine Eigentümlichkeit der Sarten sind die Batschas oder Tanzknaben, wozu besonders schöne oder, besser gesagt, mädchenhaft erscheinende Knaben eigens ausgewählt werden. Sie werden auch ähnlich wie Mädchen gekleidet: sie tragen das Kopfhaar vorn abgeschnitten und hinten langwallend; man steckt sie in buntschillernde Gewänder, zieht ihnen lose Beinkleider sowie hohe Lederstiefel an und setzt ihnen eine reich und recht bunt bestickte Mütze auf. Unter einem Leiter, der mit ihnen sehr streng umgehen soll, ziehen sie in Gruppen von zehn bis zwölf von Ort zu Ort und werden an wohlhabende Männer vermietet, um diese durch ihre Tänze zu unterhalten (Abb. 352), auch wohl von ihnen sich geschlechtlich mißbrauchen zu lassen. Während des Fastenmonats Ramadan sind diese Knaben hochgradig in Anspruch genommen; denn sie müssen ganze Nächte durchtanzen, bis sie vor Ermüdung zusammenbrechen. — Die sartischen Musikanten, die bei Volksbelustigungen (Abb. 351) aufspielen, blasen auf mächtigen Trompeten von etwa zweieinhalb Meter Länge (Abb. 355).
Die Begrüßungsform der Sarten ist sonderbar. Bei der Begegnung reichen sie sich die Hände und streichen sich darauf mit beiden Händen den Bart. Überhaupt ist das Händereichen unter ihnen sehr beliebt; ein Höhergestellter hält es nicht für unter seiner Würde, einem Manne von niedrigerem Stande die Hand zu geben.
Im Alter von acht bis zwölf Jahren wird an den Knaben die Aufnahmezeremonie vollzogen, kraft deren es ihnen gestattet ist, fortan an Stelle der gestickten kleinen Mütze einen Turban zu tragen. Für die jungen Mädchen besteht die Pflicht darin, sich eine Bettdecke zu arbeiten. Das Material dazu geben ein grober straminähnlicher Stoff und karmesinrote Seide ab; je dichter der Stoff mit der Seide bestickt wird, für um so kostbarer gilt die Bettdecke. Sticken ist die einzige Handarbeit, die die Sartenfrau am Freitag, der unserem Sonntag entspricht, vornehmen darf.
Die Sartenfrauen bringen ihr ganzes Leben in strenger Abgeschlossenheit zu; wohl bei keinem Volke der Erde ist diese so ausgeprägt wie in Turkistan. Eine Frau, die nur etwas auf ihren Ruf hält, gleichviel, ob sie erst neun oder bereits neunzig Jahre alt ist, wird sich außerhalb ihres Heims nie sehen lassen, ohne, wie wir es schon geschildert haben, tief verschleiert zu gehen.
Phot. Annette M. B. Meakin.
Abb. 348. Sartenfrau mit zwei Töchtern
vor einem Tonofen. Sie hat den typischen Roßhaarschleier zurückgeschlagen.
Die Sarten sind große Fatalisten, die dem Tode als dem Willen Allahs mit Ruhe und Ergebenheit entgegensehen. Unmittelbar nach dem Hinscheiden beginnt ein lautes Klagen und Weinen der Angehörigen; Freunde und Bekannte gehen aus und ein, um ihr Beileid zu bezeigen. Bezahlte Klageweiber sorgen dafür, daß das laute Jammern und Schluchzen nicht aufhört. Der von gemieteten Weibern gewaschene und in lange Decken wie ein Wickelkind eingehüllte Tote bleibt nur kurze Zeit im Hause; er wird vielmehr sehr bald nach der Moschee getragen und schon innerhalb der ersten zwölf Stunden der Erde übergeben. Wohlhabende werden auf einer Tragbahre hinausgetragen, die Ärmeren quer über ein Pferd gelegt, wobei die Leiche am Kopfe und an den Füßen gestützt wird. Während des feierlichen Zuges, an dem die männlichen Verwandten, der Mullah, die Totengräber und Bettler teilnehmen, wird vollständiges Stillschweigen beobachtet; jeder Mann trägt zum Zeichen der Trauer einen Stock und ein dunkelblaues Taschentuch. Da die Mohammedaner keine Särge kennen, anderseits aber auch keine Erde auf eine Leiche geworfen werden darf, so legt man den Toten nicht direkt in die geschaufelte Grube, sondern in eine Seitennische, die sich neben ihr in der Tiefe befindet, und schließt diese sogar erst noch mit Schilf ab, bevor man das Grab zuschüttet. Nach der Beerdigung begeben sich die Leidtragenden ins Haus zurück und werden hier sämtlich mit Süßigkeiten, Früchten, Tee und so weiter bewirtet; selbst die vor dem Hause sich einfindenden zahlreichen Bettler werden dabei nicht vergessen. Nach Beendigung des schweigsamen Totenmahles werden an die Verwandten, Freunde und Bettler Stücke Baumwollenzeug, Tücher und andere Sachen von geringem Wert zum Andenken an den Verstorbenen verteilt. Drei Tage nach einem Todesfall wird von den Angehörigen nicht verlangt, daß sie für sich kochen; man trägt ihnen das Erforderliche von außen zu. Die Männer der Sarten pflegen keine Trauer anzulegen, die Frauen tragen bei tiefer Trauer schwarze, bei Halbtrauer blaue Gewänder. — Auf den Grabhügeln werden nach der Stellung des Toten und seinen Vermögensverhältnissen einfachere oder kostbarere Denkmäler errichtet. Die Grabhügel der Ärmeren bleiben meistens ohne Schmuck, die der Wohlhabenderen dagegen werden mit Ziegeln oder Fliesen belegt und mit allerlei Verzierungen aus Alabaster versehen. Man setzt auch mit Inschriften versehene Gedenksteine darauf. Gräber von Leuten, die sich besonderer Heiligkeit erfreuen, erhalten kleine Tempel (Abb. 353). Von den Verehrern derartiger Heiligen bringen ihnen Hirten oder Viehbesitzer die Schädel und Hörner von Haustieren, Kaufleute Stücke Zeug oder Gewänder, Talglichter und Sesamöl zu Nachtlampen dar. Mitunter hausen bei solchen Gräbern in elenden Erdhütten armselige Bettler, die ihr Leben kümmerlich durch Almosen der die heiligen Gräber aufsuchenden Leute fristen; solche Bettler werden oft nach ihrem Tode ebenfalls für Heilige erklärt.
Phot. Annette M. B. Meakin.
Abb. 349. Sarten bei der Andacht.
Phot. W. W. Rickmers.
Abb. 350. Versammlung der Turkistaner in dem Winkel einer Moschee,
wo ihnen ein des Lesens Kundiger Stellen aus heiligen Schriften oder Neuigkeiten vorzulesen pflegt.
Die Kirgisen (das heißt Steppenwanderer) sind ein kräftiges Nomadenvolk, das die Steppe zwischen den nördlichen Gebieten Turkistans und dem mittleren Sibirien durchstreift; sie kommen auch in die Sartenstädte, wo man sie häufig auf den Basaren und Märkten antrifft. Ihre irdischen Güter bestehen nur in Viehherden (Kamelen, Pferden, Schafen, Ziegen, Eseln), die aber einen recht hohen Wert darstellen. Da die klimatischen Verhältnisse des Landes nicht das ganze Jahr hindurch genügend Futter für die Herden an einer Stelle gewähren, so sind die Kirgisen gezwungen, ein Nomadenleben zu führen. Sie leben daher in Zelten, die sie zum Schutz gegen wilde Tiere öfters noch mit einer Lehmmauer umgeben. Sobald der Sommer anbricht, ziehen sie mit ihren Herden aus der Ebene in die umgebenden Berge. Die Frauen schlagen die Zelte auf und brechen sie auch wieder ab; es sind dieses Holzgerüste, die im Sommer mit Rohrmatten, im Winter mit Filzdecken überspannt werden. Je nach der Wohlhabenheit ihrer Besitzer weisen die Zelte eine mehr oder weniger kostbare Innenausstattung in Gestalt von Teppichen und Seidenstoffen auf (Abb. 354). Sonst ist ihre Ausstattung bescheiden; aber ein Prunkstück hat wohl jede Jurte aufzuweisen: einen mit grüner oder roter Farbe bemalten, metallbeschlagenen Holzkoffer, der zur Aufnahme des Familienreichtums, der Schmucksachen, des Geldes, kostbarer Stickereien und so weiter dient.
Abb. 351. Stelzenlaufen der Sarten,
eine Belustigung des sehr trägen Volkes. Sie sehen an der Stadtmauer sitzend dem Schauspiel zu, das die Bezeichnung Tamasha führt.
Die Kleidung der Kirgisen setzt sich aus kurzen, aber sehr weiten Reithosen aus Baumwollstoff, Leder oder Häuten, deren Haare nach außen gerichtet sind, mächtigen Stiefeln und einem langen Mantel mit sehr langen, engen Ärmeln und (zur Winterszeit) einem Baschlik zusammen. Die Kleidung der Frauen (Abb. 356) ist der der Männer gleich. Merkwürdig ist an ihr, daß unverheiratete Mädchen sich mit reichem Schmuck aus Edelsteinen und Edelmetall behängen dürfen, verheirateten Frauen dies aber verboten ist; sie unterscheiden sich von ersteren auch noch dadurch, daß sie sich ein weißes baumwollenes Tuch um Kopf und Schultern binden.
Abb. 352. Ein Tanzknabe bei seiner Vorstellung.
Trotz ihres enormen Reichtums an Vieh verstehen sich die Kirgisen nur im Notfalle dazu, ein Stück zu schlachten; sie betrachten ihre Herden als ihr Kapital und begnügen sich mit Milch und deren Erzeugnissen, unter denen der Kumys (in schafledernen Schläuchen gegorene Stutenmilch) die erste Stelle einnimmt, Hirsebrei und einer aus Mehl hergestellten Speise. Nur bei festlichen Gelegenheiten genießen sie Fleisch; dann aber lassen sie auch, wie man zu sagen pflegt, etwas springen, und zahlreiche Tiere müssen daran glauben. Als große Delikatesse wird der Tjustjuk geschätzt, ein etwa handtellergroßes, nur aus Fett bestehendes Bruststück vom Schaf, das man mit dem noch daran haftenden Fell an einem Holzstab über Kohlenfeuer röstet.
Obwohl sich die Kirgisen zum Islam bekennen, gehen sie doch ganz in animistischen Anschauungen auf; wie die sibirischen Völker kennen auch sie Schamanen (Baksas genannt). Diese wahrsagen auch und heilen Kranke, wobei sie Pferdeopfer darbringen. Zu Heil- und Schutzzwecken verwenden sie außer Amuletten allerlei tierische Substanzen. Sehr gefürchtet wird der böse Blick; allgemein verbreitet ist auch der Glaube an Vorzeichen in Träumen und Körperzuckungen, ferner der Tier-, Zahlen-, Sternenglaube und das Orakel. Man wahrsagt aus Schafsknochen und Schafmistkugeln.
Mit Erl. der Cambridge University Preß.
Abb. 353. Eine heilige Grabstätte, Mazar genannt,
die gleichzeitig Gebetshaus ist. Die angebrachten Steinbockhörner sind Symbole der männlichen Kraft. Vom Mast hängt ein Yakschwanz herab.
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GRÖSSERES BILD
Aus „Globus“.
Abb. 354. Jurte eines reichen Kirgisen bei Omsk. Innere Ansicht.
Die Frauen der Kirgisen sind die reinen Arbeitstiere, wie auch sonst bei den Nomadenstämmen. Während die Männer auf ihren Wanderzügen stets zu Pferde sitzen, müssen die Frauen vielfach zu Fuß nebenher laufen. Sie tragen keinen Schleier.
Eigentliche Hochzeitsgebräuche kennen die Kirgisen nicht. Man begnügt sich im allgemeinen damit, ein großes Hochzeitsmahl zu veranstalten. Die Braut trägt einen unförmigen, hohen, kegelartigen Kopfputz (Saukele) aus rotem Stoff, der reich mit Perlen, Münzen, Edelsteinen und Silberschmuck verziert ist und unter Umständen einen Wert von mehreren tausend Mark darstellt.
Bei Beginn der Geburt werden alle Weiber aus der Jurte entfernt, in dem Glauben, es könnte eine darunter sein, die vom Satan besessen wäre. Dagegen versammeln sich die Männer drinnen, und draußen stellen sich alle übrigen Dorfbewohner auf. Man schreit, lärmt, knallt mit der Peitsche und schießt mit der Flinte, manchmal schlägt man auch, nur zum Schein, auf die Kreißende ein. Offenbar sollen dadurch die bösen Geister verscheucht werden. Außerdem holt man einen Dargon, eine Art Arzt, oder häufiger den Schamanen hinzu. Dieser nimmt die üblichen Beschwörungen vor, um die Geburt zu erleichtern.
Wird ein solcher Baksa zu einer Kreißenden gerufen, dann läßt er zunächst alle Feuer bis auf das auf dem Herde brennende auslöschen, kniet, mit einem langen, weißen Hemd bekleidet, vor ihr nieder und beginnt, sich langsam hin und her neigend, auf einem dreisaitigen mandolinenähnlichen Instrumente zu spielen, das er von Zeit zu Zeit schüttelt. Darauf singt er mit zitternder Stimme eine fremdartige, wilde Melodie. Ab und zu unterbricht er die Musik und seinen Gesang durch unartikulierte laute Schreie und springt endlich nach einer kurzen Pause sehr erregt auf; mit verzerrtem Gesicht und rollenden Augen fängt er an, in der Jurte im Kreise umherzugehen, zu gestikulieren, als ob er Krämpfe habe, umherzuspringen, überhaupt sich wie toll zu gebärden. Wenn gar zwei Baksen herzugezogen worden sind, wird die Szene noch wilder. Beide rasen umher, und einer sucht den anderen an Wildheit zu überbieten; sie beißen sich, bewerfen sich mit glühenden Feuerbränden und hören mit ihrem Toben nicht eher auf, als bis der schwächere kraftlos zusammenbricht. Inzwischen soll die Geburt sich leicht abwickeln. — Die ganze Kindererziehung beschränkt sich für die Knaben auf das Erlernen des Reitens — die Kirgisen sind vorzügliche Reiter —, für die Mädchen auf Spinnen, Weben, Sticken und Herstellen von Gewändern und Filz, sowie in dem Erlernen der Hauswirtschaft.
Abb. 355. Sartische Musikanten.
Bemerkenswert sind die über zwei Meter langen Trompeten aus Kupfer, die nur bei ganz besonderen Gelegenheiten geblasen werden. Ihre Töne klingen wie Ochsengebrüll.
Turkmenen. Der dritte Volksstamm, der für unser Gebiet in Betracht kommt, sind die Turkmenen. Sie führen die gleiche Lebensweise wie die Kirgisen. Dementsprechend leben sie unter Zelten, die sie in der Weise herstellen, daß sie dicken Filz über ein Gestell aus Weidenruten hängen. Das Innere dieser Wohnungen ist an den Wänden mit kostbaren Gebetsteppichen, gewebten Vorhängen und den berühmten Satteltaschen ausgestattet; ebenso liegen dicke Filzdecken oder Teppiche auf dem Boden. Ihr Reichtum an Herden, die vorwiegend aus Pferden bestehen, ist bei weitem nicht so bedeutend wie der der Kirgisen.
Ihre Tracht gleicht der kirgisischen; nur ein Kleidungsstück unterscheidet die Turkmenen von diesen ihren Stammesvettern, das ist ihre große buschige schwarze Schafwollmütze, der Kalpak. — Wie die Kirgisenfrauen gehen auch die Turkmeninnen unverschleiert. Dagegen behängen sie sich viel mit allerlei Schmuckstücken, die ein ziemliches Gewicht haben, zum Beispiel schweren Brustharnischen mit Achatsteinen oder massiven Daumenringen, dicken Armbändern, die so breit sind, daß sie den ganzen Vorderarm bedecken, und anderem mehr. Mancher Ehemann legt in diesem Schmuck beinahe sein ganzes Vermögen an.
Auch die Turkmenen sind vorzügliche Reiter, und ihre Frauen sind in dieser Kunst nicht minder geschickt als die Männer. Außerdem sind die Turkmenen große Liebhaber von Ringkämpfen, bei denen die Zuschauer in dichten Reihen umherstehen. Jeder barfüßige Held, dem es gelingt, seinen Gegner zum Straucheln zu bringen und ihn platt auf die Erde zu werfen, wird mit lautem Beifall von ihnen begrüßt. Der Kampf spielt sich in ruhiger, bedächtiger Weise ab; Roheiten kommen dabei nicht vor. Ein Schiedsrichter überreicht dem Sieger helleuchtende seidene Taschentücher; mit dem Stock in der Hand hält er die Ordnung aufrecht.
Phot. Annette M. B. Meakin.
Abb. 356. Kirgisenfrauen.
Im Unterschied von den Sarten verschleiern sie sich nicht.
Die Toten werden in der üblichen Weise begraben. Am dritten, siebenten, vierzigsten, hundertsten und am Jahrestag werden Erinnerungsfeste an die Verschiedenen abgehalten, am Jahrestage geht es ganz besonders feierlich zu. Auf das Grab werden Steine gesetzt, und man umfriedigt es mit Platten; auch errichtet man Sarkophage und Mausoleen auf ihm.
Phot. Sir Mark Sykes, M. P.
Abb. 357. Beduinen beim Wasserschöpfen
aus einem Wasserloche in der Wüste mittels ledernen Eimers.