11. November

Vormittags um zehn Uhr, als die Sonne sehr grell gegen die feindliche Stellung fiel, wurde durch verwegenen Überfall mit einer Handvoll Leuten der 6. und 7. Kompagnie den Rumänen Lespédii entrissen. Jetzt ist es vier Uhr, und bereits haben sie den siebenten Sturmlauf unternommen, um das Hügelchen zurückzugewinnen. Die Unsrigen rühmen die große Todesverachtung der Gegner, sagen aber, daß es ihnen an Besonnenheit und Erfahrung fehle. Jedesmal, ehe sie ansetzen, hört man, wie drüben ein Führer eine Rede hält, worauf ein wilder Marsch ertönt, bei dessen Klängen sie heranrasen wie Trunkene. So wird Musik, die reine Kunst, zu einem Fluidum, das den Menschen über seine Grenzen hinaustreibt und mit Gefühl des Lebens dermaßen überlädt, daß er sich sehnt, es abzuwerfen.

Schon zeigt sich, daß der kleine Gesteinshaufen weit mehr Opfer kosten wird, als wir vermutet hatten; die Fortschaffung der Verwundeten muß bis morgen in eine heillose Stockung geraten. Ich beschloß, noch einige Gruppen von Trägern anzufordern. Unwillig überließ mir der Adjutant das Telephon. Ich erfuhr, daß unser Divisionsarzt samt seiner Sanitätskompagnie einem andern Frontabschnitt zugeteilt worden ist. Andere deutsche Stellen erwiderten mit vagen Vertröstungen; schon sah ich die mir anvertrauten Verwundeten der Erfrierung und dem Hunger ausgesetzt und wollte den Apparat verlassen, um beim Oberst Gehör zu erbitten, da lehnte an einer Fichte, schlank, leicht gebückt, mit klarer, steiler Stirne ein junger ungarischer Kadett neben mir, dessen kühle graue Augen mit einiger Teilnahme auf mich gerichtet waren.

„Darf ich Ihnen einen Rat geben?“ sagte er, höflich grüßend. „Wenn Sie an irgend etwas Mangel haben, wenden Sie sich stets an den österreichischen Hauptmann Gebert in Bereczk. Er hilft immer.“

Der junge Mann glich eher einem stillen Gelehrten als einem Soldaten; vielleicht gerade deshalb faßte ich Vertrauen. Und wirklich, sehr aufgeräumt wie ein Kaufmann, der gute Geschäfte zustande kommen sieht, antwortete der fern Gerufene:

„Warum nur sechs Gruppen? Ich schicke lieber zwölf! Haben Sie denn genug Verbandstoff?“

Ich bat um eine mäßige Menge, und er versprach, ein Eselchen, mit Kompressen und Binden beladen, den Trägern bald nachzuschicken. „Bis fünf Uhr morgens ist alles bei Ihnen“, setzte er hinzu. Nie war ich froheren Herzens von einem Telephon weggetreten. Ich wandte mich, um dem unverhofften Schutzgeist Dank zu sagen; der aber hatte seine Natur auch dadurch bewiesen, daß er indessen unsichtbar geworden war.

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