13. Dezember, sieben Uhr morgens

Immer weniger gern ruf ich mir Träume zurück; der aber war so klar, so voll Hindeutung. Wir lagen wieder in Frankreich, in dem traurigen verödeten Gebiet bei Margny-aux-cerises in Bereitschaft. Starker Wind wehte; Granaten wechselten eintönig über uns. Furcht lag auf mir. Mein Leib hatte nahezu völlig sein Gewicht verloren; ich fühlte mich wie eine Flaumfeder leicht und mußte gewärtigen, daß der zunehmende Wind mich alsbald emporheben und zu den Franzosen hinübertragen werde. Da schmiegte sich etwas an meinen Ellenbogen, und siehe, es war Matschka, das graue Kätzchen, das ich in Kézdi-Almás hatte sterben sehen. Groß und hübsch war es geworden, das weiße Flöckchen im Nacken glänzte wie ein Licht. „Wie geht es dir?“ sagte ich und wollte es streicheln; da sprang es mit weitem Satz in einen der wassergefüllten Granattrichter, verschwand und tauchte nach einer Weile wieder auf, eine schimmernde, mit roten Zeichen bemalte Granate im Maul, die es herantrug und in demütiger Haltung vor mich hinlegte. Wie froh war ich! Die Granate ist schwer, sagte ich mir, – wenn ich sie in der Hand halte, kann mich der stärkste Wind nicht mehr mitnehmen. Als ich sie aber ergriff, war es kein Geschoß mehr, sondern ein zappelnder, goldgrauer Fisch mit rötlichen Punkten. „Der muß gebraten werden!“ rief eine wohlbekannte Stimme hinter mir. Ich sah mich um, da stand Vally vor einem Herdfeuer, neben ihr Wilhelm, und auch dieser schrie: „Der muß gebraten werden!“ Sonderbar lächelnd nahm Vally den Fisch und übergab ihn dem Söhnchen, das ihn zum Herde trug. Dann legte sie sich zu mir nieder; wir umarmten uns und drängten uns innig aneinander, wobei mir ein wenig auffiel, daß sie wohl Vally war, zugleich aber auch Regina, dann wieder die Ungarin, die hier in der fremden Stube schlief. Aber wie liebte ich die drei Frauen in der einen Gestalt! Wie waren sie wirklich ein Wesen, mächtig seiend eine in der andern! Freilich, irgendwo in der Tiefe, wo der Traum selber zu träumen schien, war etwas Dunkles, ein stiller Einwand, der uns nicht ganz zur Freude kommen ließ; aber auch das ging vorüber. Sie versteht kein Deutsch, ich kein Madjarisch, fuhr es mir durch den Sinn, und dieser Gedanke gab mir unendliche Freiheit; selig fühlte ich meine Schwere in mich zurückkehren. Dabei löste sich eine blaue, aus innen leuchtende Wolke von uns ab, stieg empor und entfernte sich bis zum Horizont hinaus. Wir standen auf und betrachteten aufmerksam dieses Gewölk, an dessen Rande sich lange Reihen winziger blinkender Wesen, Insekten ähnlich, entwickelten. Sie näherten sich und wurden dabei groß und kriegerisch. Am Ende waren es wirkliche Soldaten mit silberblauen Stahlhelmen, von rotgeflügelten Generalen geführt; in schräger glänzender Flucht zogen sie zahllos über uns hin und durch uns hindurch wie durch Rauch. Auf einmal stand Wilhelm neben mir, zur Reise gegürtet, einen Stab in der rechten Hand, in der linken einen Teller mit dem Fisch. Ich stand auf, gab dem Knaben zu essen und aß dann selber. Kaum hatte ich einen Bissen hinuntergeschluckt, da begann ich zu begreifen, daß es doch eigentlich drei verschiedene Frauen gewesen waren, die ich umarmt hatte, und das bekümmerte mich sehr. Wilhelm aber ließ mir keine Zeit zu grübeln, – „Vater, es ist Zeit!“ rief er und stieß ungeduldig den Stab auf den Boden. Wir gingen einer Ferne entgegen, die ganz in Flammen stand, da machte ich die Augen auf und sah in ein helles Ofenfeuer hinein. Die junge Frau setzte gerade einen großen Kessel auf die zischende Platte.

*

Alle sind nun aufgestanden; bloß die zwei Mädchen schlafen noch. Der Adjutant wünschte guten Morgen und fragte, ob es mich nicht sehr ermüde, immer so viel in mein Heftchen zu kritzeln; er zerbreche sich den Kopf darüber, was ich denn so Merkwürdiges zu verzeichnen habe, im Grunde sei der ganze Feldzug doch ein gräßlich langweiliges Einerlei. Übrigens möge ich doch vorsichtig sein und keinerlei militärische Tatsachen erwähnen, wir kämen in ein schwieriges, unübersichtliches Gelände, da seien die größten Überraschungen denkbar, und falls ich das Unglück hätte, in Gefangenschaft zu geraten, könnte wohl Schaden entstehen. Es gelang mir, ihn zu beruhigen. – Die junge Frau hantiert noch immer am Herde. Von allen Gesichtern, die mir bisher in diesem Grenzgebiet begegneten, hat sie das feinste, klarste, entschiedenste; nichts Verschwommenes, nichts Liegengebliebenes findet sich darin; es verhält sich zu vielen anderen wie die Ausführung zu den Skizzen. Meine Müdigkeit von gestern ist verflogen, die ziemlich wunden Sohlen beinah geheilt. Gewiß ist es die gesunde Urnähe des Weibes, die den Schlaf so erquickend gemacht hat. Die Winterluft schmeckt, als wäre ein säuerliches Mineral darin aufgelöst. Die Sonne saugt am bläulich morschen Mond. Im Osten schimmert himmelgelb das Eis der Sulta. Auf einmal beginnen die Kanonen zu schlagen, da werden die Kinder wach.

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