14. November

Um sieben Uhr weiter bei Regen und Nebel. Drei Leute mußten, als Flecktyphusverdächtige, in Oitóz zurückbleiben. Die Laus, die Einimpferin der Seuche, vor kurzem nur lächerlich und ekelhaft, zeigt sich allmählich als teuflischer unabwehrbarer Feind. Seit Monaten quält sie den Leib; oft ist es, als ob sich die Haut an tausend einzelnen Pünktchen entzünde, sie zersetzt Gedanken und Träume, jetzt versucht sie zu töten. Am Kishavas war mir aufgefallen, daß die Stelle meines Hemdes, über welcher die Zweige der Frau von Szentlélek stecken, fast läusefrei geblieben ist. Ich schloß daraus, daß die ätherischen Öle gewisser Pflanzen dem Ungeziefer noch verhaßter sein müßten, als das Naphthalin, das uns ohnehin immer spärlicher zugewiesen wird, und raufte wilde Minze ab, die dort noch vielfach in fetten bläulich-grünen Stauden wächst. Zweimal am Tage zerrieb ich mir Blätter und Stengel an der Haut, habe mir auch einen guten Vorrat mitgenommen. Anfangs verschärften sich Jucken und Brennen; die Nachwirkung aber ist vorderhand wohltätig.

Um ein Uhr ganz nahes Geknall; Kugeln zischten über uns. Wir machten halt an einem früheren Zollgebäude, wo schon ein Verbandplatz unseres Regiments errichtet ist. Das dritte Bataillon steht mit Rumänen im Gefecht. Verwundete liegen in allen Räumen, viele draußen im Regen auf Gras und Spreu. Ein Priester, leuchtend-bleichen Gesichts, wandelt zwischen Sterbenden, flüstert ihnen vertraulich zu, netzt sie mit geweihtem Öl, fragt nach ihren letzten Vermächtnissen und Wünschen, dazu nach den Adressen ihrer Angehörigen; dies alles schreibt er sorglich in ein dunkelgrün gebundenes Buch.

Ich ließ mich zu Dr. Fellerer, dem neuen Regimentsarzt, führen, von dem ich Starrkrampf-Serum zu erhalten hoffte. In einem Saal neben dem Hausflur bemühte er sich um gefährlich Verletzte; mein Eintreten bemerkte er nicht. Jetzt ihn zu stören war nahezu frevelhaft; aber mein Zweck hielt mich fest, und auch als Zuschauer blieb ich gerne; denn nie hatte ich einen schwierigen Dienst mit solcher Leichtigkeit, Sicherheit, Freiwilligkeit vollbringen gesehen. Diesen Arzt scheint nichts zu drängen und zu hetzen, und ob er blutende Schlagadern unterbindet oder zerbrochene Glieder in Schienen schmiegt, seinen Händen legt sich alles wie von selber zurecht. Das innig-nüchterne Handeln, zu dem auch wir hinstreben, hier geschah es inmitten ungeheurer Zerstörungen still und klar.

Endlich traf mich sein Blick, und nun erhielt ich Serum zugeteilt, soviel ich wünschte, hatte nur etwas Morphium dagegen zu liefern.

Sechs Leute, Deutsche und Rumänen, liegen abgesondert auf Stroh. Es sind Bauchschüsse, für die noch keine geeigneten Träger zur Stelle sind; sie bekommen alle zehn Minuten heiße Kompressen aufgelegt, und Fellerer bittet mich, dieses Verfahren gleichfalls anzuwenden. Er hat öfters davon Heilungen gesehen.

Wir hatten erwartet, sogleich eingesetzt zu werden; aber man bedarf unser noch nicht.

Unter einem Regen, der fallend gefror und halb in Tropfen, halb in Eisperlen auftraf, stiegen wir in eine Schlucht hinab und schlugen zwischen sehr alten, mit Islandflechte verkleideten Fichten die Zelte auf. Ein hoher Berg deckt uns vor dem Feind; es ist gestattet, Feuer anzuzünden, aber das nasse Holz will nicht brennen. Auch der Hunger begann zu nagen. Das Brot ist diesmal schlecht gebacken, halb noch Teig, halb verschimmelt. Immerhin hätte man gern das leidlich Eßbare ausgeschnitten, wenn sich etwas Marmelade dazu gefunden hätte; aber diese ist ausgeblieben. Da gedachte ich der großen Blechbüchse, welche die gute Frau Margarete von Schalding, erkenntlich für längst verjährte Hilfe gegen schleichende Krankheit, mir gesandt hatte, als wir noch in Libermont lagen. Den Inhalt kannte ich nicht; schwerlich war er in unsrer Lage unwillkommen. Rehm grub sie vom Grunde des Rucksacks herauf und schnitt behutsam den Deckel los; mit goldbraunflüssigem Bienenhonig war sie bis zum Rande gefüllt. Und nun scheint sich das Wunder der Vermehrung zu erneuern: die Bewohner dreier Zelte sind schon erquickt und noch immer das Gefäß bis über die Hälfte voll.

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