13. November

Nachts hatte man von den umliegenden Bergen herüber Wolfsgeheul vernommen; die Maultierführer deuten es auf nahen Schneesturm. In unsere Stellung rückten wieder Bosnier; wir verließen um acht Uhr, bei bedecktem Himmel, den Kishavas, nachdem die Quartiermacher schon in der Dämmerung nach Lemhény vorausgegangen waren. Beim Hinuntersteigen mußte ich der irren alten Frau gedenken, doch schlug der Stab einen anderen Pfad ein, und später erfuhr ich, daß jener Steig, als beschwerlicher Umweg, von den Truppen gemieden wird. Es mochte zehn Uhr sein, als uns zum erstenmal die Ebene mit Äckerbraun und Häuserblau erschien, um gleich wieder zu verschwinden, bis plötzlich, im tiefen Winkel zweier blaudunkler Hänge, das Campanilchen von Esztelnek aufschimmerte. Alle erkannten es und jubelten ihm zu; wie ohne Tornister, mit lautem Gesang, eilten die Kolonnen. Aber in raschester Fahrt, mit schrillen Signalen, holten uns österreichische Generalstabsoffiziere ein, winkten den Oberst heran und breiteten Karten vor ihm aus. Ein mächtiges Halt ertönte, Ordonnanzen mußten ihre Räder besteigen, um die vorausmarschierenden Kompagnien zum Stehen zu bringen. Der Gesang brach ab; mißtrauisch im beginnenden Regen wartete die Mannschaft. Nach wenigen Minuten erfolgt Befehl zur Umkehr; es geht unter überfließenden Regenwolken in das Gebirg zurück. Der Oberst berichtet uns, daß wichtige Höhen verlorengegangen seien, darunter der wichtige Grenzberg Runcul mare, der unverzüglich wiedererobert werden müsse. In Oitóz sahen wir den Grafen Tisza, der in bequemer Pelzjoppe, eine graue Mütze in der Hand zwischen Offizieren stand und ein Szeklerregiment an sich vorbeiparadieren ließ. Die Kompagnien wurden in ungeheuren Holzbaracken untergebracht.

Vom Oberst entlassen, suchte ich ohne Verzug den Major und meldete, daß ich den Dienst beim Bataillon wieder übernehme. Er saß allein in einem armseligen Quartier auf zerbrochenem Stuhl und studierte Karten. Der feuchte, finstere Abhang des Kishavas hat sein Leiden wieder aufgestört; er fragte gleich, ob ich noch etliche Pulver habe. Zum Glück war ein kleiner Vorrat geblieben; auch von Vallys trefflicher Schokolade fand sich im Brotbeutel ein letztes Täfelchen. Dieses verzehrend, saßen wir eine halbe Stunde in der windigen Stube beisammen, ohne viel zu reden. Vom Lazarett will er auch jetzt nichts wissen, und ihm vorzuhalten, daß er mit seinen fünfzig Jahren ohne Vorwurf zu Hause sitzen könnte, statt hier in einem unübersehbaren Krieg immer neue winterliche Berge zu erstürmen, hinter denen doch nur neue Feinde stehen werden, wäre kaum angebracht. Im stillen ertappte ich mich auf einer rechten Freude, wieder bei ihm zu sein; so ist wohl einem Raucher zumute, der sein scharfes aber würziges Kraut nach längerer Entbehrung wieder anzündet.

Die Soldaten haben unterdessen Münchener Bier erhalten, und da sie hören, daß wir vorerst nur in Bereitschaft liegen sollen, ja vielleicht gar nicht ernsthaft eingesetzt werden, sind sie, wie Kinder, gleich wieder guter Dinge. Niemand will schlafen; Lärm und Singsang dauern bis Mitternacht.

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