9. Dezember

Seit ich mein Gepäck immer so klein und nah beisammenhalte, bin ich stets zum Aufbruch bereit und kann mir in den Minuten, wo ich mich sonst in der Sorge, nicht fertig zu werden, abhetzte, das eben Erlebte ein wenig zu erklären suchen. Der Vormittag verging mit Lesen und Schreiben; auf drei Uhr war die Gesundheitsprüfung angesetzt, für welche sich der große Stadel bei der Krankenstube gut eignete. Der Kälte wegen trieb ich zur Eile. Niemand zeigte sich einer Ansteckung verdächtig; das Geschäft verlief ohne Aufenthalt, doch gab es zum Schluß eine seltsame Störung. Während an der hellsten Stelle der Scheune die letzte Reihe völlig entkleideter Soldaten an mir vorüberzog, kam unversehens, halb schwankend, halb tanzend, die junge Frau des Hauses herein, in der linken Hand einen Krug schwingend, die Rechte wie zum Greifen ausgestreckt, und ging geradenweges auf die nackten Männer zu, wobei sie unverständliche Worte, rumänisch mit ungarisch vermischt, vor sich hin sang. Wie wir gehört haben, ist sie die kinderlose Witwe eines in Rußland Gefallenen und verwaltet nun mit Hilfe eines alten Knechtes und einiger Mägde ihr Anwesen so gut es geht. Ob sie in ihrem Kummer überhaupt der Trunksucht verfallen ist, wissen wir nicht; jedenfalls hat sie gestern, als uns Freiwein gewährt wurde, mehreren Leuten einen Teil ihres Maßes gegen Milch und Eier abgetauscht und, wie es scheint, einen ansehnlichen Vorrat zusammengebracht. In ihrem Rausche muß sie, vielleicht vom Stall aus, unsere ungewöhnliche Parade erspäht haben, und es ließ ihr keine Ruhe, bis sie eingedrungen war. Eigentlich hätte ich sie ohne Verzug hinausweisen sollen; aber die Erscheinung war voll bannender Kraft, nie vorher hatte ich Besessenheit so vollkommen gesehen, man konnte sich nicht abwenden, und alle Bedenken schwiegen. Das Gesicht ist von der halb madjarischen, halb romanischen Schönheit, die einem hierzulande oft begegnet; bei nüchternen Sinnen mag es ein sehr anmutiges, eher schüchternes Wesen sein. Jetzt aber drückten ihre Züge zugleich Erstarrung und Entfesselung aus; kein Lachen oder Lächeln hatte Raum in diesem Antlitz, vor Lebensgier erschien es totenhaft. Augenscheinlich ist auch, daß sie sich, trotz dem Werktag, mit ihrem Sonntagsstaat angetan hat; das Kopftuch ist von feiner schwarzer Seide, die pergamentgelbe Weste mit Gold- und Farbenstickereien überreich verziert. Es waren gerade die jüngsten Leute des Bataillons, die noch nackt vor mir dastanden; ihnen näherte sie sich, hob ihnen den Krug entgegen und trank ihnen zu. Nun merkte ich erst, daß ihre Augen fast ganz geschlossen waren; sie schien durch die Lider zu blicken, als wären diese von durchsichtigem Stoff. Als sie einem der Jünglinge den Krug anbieten wollte, reichte sie ihn vorüber einem Unsichtbaren, so daß ihr Gehaben ein wenig an jene wahnsinnige Greisin vom Berge Kishavas erinnerte. Die jungen Leute hatten sich indessen von ihrem Staunen erholt; sie begannen sich zu schämen und warfen ihre Hemden über. Nun war es Zeit, die Szene zu beenden. Dehm und Raab führten die Frau hinaus. Sie ließ es geschehen, ging aber dabei rücklings, den Blick immer ins Innere des Raums gerichtet, singend und mit dem erhobenen Krug winkend.

Nach beendetem Dienste stieß ich im Hof auf den Gefreiten, der den Abmarschbefehl überbrachte. Ihm folgte ein sehr alter Mann in rumänischer Tracht, ein dicht verhülltes Kind im Arm, nahm den Hut ab und fragte, ob ich der Feldgeistliche wäre. Der Säugling, sein Urenkelkind, sei auf den Tod erkrankt und noch ungetauft, kein Priester weit und breit zu finden, ob ich es nicht übernehmen wolle, ihm das Sakrament zu spenden. Mir fiel Unteroffizier Stelzer ein; er ist Kandidat der Theologie und hat bereits die niederen Weihen, – ihn ließ ich rufen und übergab ihm das Neugeborene, dessen Zustand wenig Hoffnung läßt. Auf der Straße sammelte sich bereits das Bataillon, keine Zeit war zu verlieren, und so vollzog der künftige Priester die einfache Handlung, zu der im Notfall eigentlich jeder Christ berechtigt wäre, gleich in der Stube der jungen Bäuerin, die noch immer nicht aufhörte, zu trinken und zu jauchzen, bis Dehm sie heftig anfuhr und ihr unverzüglich Wasser zu bringen befahl, was sie einigermaßen ernüchterte. Die gelassene hart scheinende Art, wie er auch weiterhin mit dem Weibe umging, gefiel mir sehr; sie hob ihn über sein gewöhnliches Wesen hinaus, mir war, als sähe ich ihn zum erstenmal. Indem er fortfuhr, böse mit ihr zu tun, legte er ihr schließlich das Kind in die Arme und gebot ihr, es über das Becken zu halten und zu schweigen. Der junge Stelzer waltete begeistert seines Amtes; klar und ohne Hast sprach er sein lautes Ego te baptizo, während auf der Straße draußen die Kompagnien bereits ihre Tornister aufnahmen. Die schöne Bacchantin nahm sich gewaltig zusammen; eingeschüchtert von der Würde des Vorgangs wandte sie keinen Blick von dem Kinde, dessen Patin sie nun unversehens geworden war. Allmählich war es, als füge sie sich mit heimlicher Lust in ihre sanfte Demütigung; einmal hörte man sie schluchzen, und plötzlich fielen Tränen auf den Täufling nieder, der immer schwächer dem Tod entgegenröchelte.

Ich muß schließen; das Pferd stampft und blickt wiehernd nach mir um. Der Himmel wölkt sich tief herab; kleine Flocken wirbeln. Major und Adjutant sind unruhig und geben keine Antwort, wenn jemand sie nach dem Ziel des Marsches fragt. Wieder soll ein großer Berg an die Russen verloren gegangen sein.

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