IV.

Vom Fürsten, den ich mit Lisa zurückließ, fuhr ich gegen ein Uhr mittags in meine frühere Wohnung. Ich habe vergessen, zu erwähnen, daß der Tag feucht und trübe war, mit beginnendem Tauwetter und warmem Wind, der selbst einem Elefanten auf die Nerven gegangen wäre. Mein Wirt empfing mich mit unendlicher Freude, sehr viel Worten und lebhaften Gebärden, was ich gerade in solchen Augenblicken nicht ausstehen kann. Ich begrüßte ihn trocken und begab mich geradeswegs in mein Zimmer, aber er folgte mir dorthin, und wenn er mich auch nicht mit Fragen zu belästigen wagte, so sah ich doch, wie seine Augen vor Neugier glänzten, und dabei machte er ein Gesicht, als hätte er das größte Recht, neugierig zu sein. Ich mußte mich schon im eigenen Interesse höflich zu ihm verhalten: obgleich ich unbedingt von ihm etwas erfahren wollte (und ich wußte, daß ich es erfahren würde), war es mir doch ekelhaft, sogleich mit dem Ausfragen zu beginnen. Ich erkundigte mich nach der Gesundheit seiner Frau, und wir gingen zu ihr hinüber. Sie empfing mich, wenn auch höflich, so doch sehr wortkarg und anscheinend gelangweilt; das versöhnte mich einigermaßen; dennoch erfuhr ich an diesem Tage die wunderlichsten Neuigkeiten.

Natürlich war Lambert dagewesen; und nachher war er noch zweimal gekommen, um sich „alle Zimmer anzusehen“ – unter dem Vorwande, eines mieten zu wollen. Auch Darja Onissimowna war ein paarmal erschienen, Gott weiß warum; „sie hat sich für alles sehr interessiert,“ fügte mein Wirt hinzu. Aber ich tat ihm nicht den Gefallen, zu fragen, wofür sie sich denn interessiert hatte. Überhaupt fragte ich ihn nichts: er erzählte von selbst, und ich tat, als krame ich in meinem Koffer (in dem sich fast nichts mehr befand). Aber ärgerlich war, daß auch er bald den Geheimnisvollen zu spielen begann: als er bemerkte, daß ich ihn nicht ausfragen wollte, fühlte er sich wohl verpflichtet, auch seinerseits wortkarg zu sein.

„Das Fräulein war auch da,“ bemerkte er so nebenbei und sah mich sonderbar an.

„Was für ein Fräulein?“

„Anna Andrejewna; zweimal war sie hier; mit meiner Frau hat sie Bekanntschaft geschlossen. Eine sehr angenehme, eine reizende Dame. Eine solche Bekanntschaft kann man nicht hoch genug einschätzen, Arkadi Makarowitsch ...“

Er kam mir noch um zwei Schritte näher, als er das sagte: er wollte gar zu gern, daß ich ihn verstünde.

„Wirklich zweimal?“ fragte ich erstaunt.

„Das zweitemal ist sie mit ihrem Bruder gekommen.“

Wohl mit Lambert! dachte ich unwillkürlich.

„Nein, nicht mit Herrn Lambert,“ sagte er, der sofort meinen Gedanken erraten hatte, als wäre er mit seinen Augen in meine Seele eingedrungen. „Sie kam mit ihrem richtigen Bruder, mit dem jungen Herrn Werssiloff. Kammerjunker ist er, glaub’ ich.“

Ich war bestürzt; er beobachtete mich mit einem sehr schlauen Lächeln.

„Ach, und dann war da noch jemand und fragte nach Ihnen – das Fräulein, die Französin, Fräulein Alphonsine de Verdaigne. Wie schön sie singen kann, und auch Verse deklamiert sie wunderbar! Sie ist heimlich zum Fürsten Nikolai Iwanowitsch nach Zarskoje hinausgefahren, um ihm einen seltenen kleinen Hund zu verkaufen, einen schwarzen, das ganze Tierchen nicht größer als meine Faust ...“

Ich bat ihn, mich allein zu lassen, und entschuldigte mich damit, daß ich Kopfschmerzen hätte. Er kam meinem Wunsch sofort nach, beendete nicht einmal seinen Satz und war nicht im geringsten beleidigt, ja, fast mit Befriedigung winkte er geheimnisvoll mit der Hand, als wollte er sagen: „Verstehe, verstehe schon,“ und wenn er das auch nicht aussprach, so machte er sich doch das Vergnügen, mein Zimmer auf den Fußspitzen zu verlassen. Es gibt schon Leute auf der Welt, über die man sich ärgern kann.

So saß ich allein wohl anderthalb Stunden lang und dachte nach, und doch dachte ich eigentlich gar nichts, sondern war nur in Gedanken. Ich war erregt, dabei aber nicht im geringsten verwundert. Ich hatte sogar viel mehr und noch viel größere Wunder erwartet. „Vielleicht haben sie inzwischen auch schon welche zustande gebracht,“ dachte ich bei mir. Ich war ja längst, schon zu Hause, fest davon überzeugt gewesen, daß ihre Maschine bereits aufgezogen und in vollem Gange war. „Nur ich fehle ihnen noch,“ dachte ich wieder bei mir und empfand eine aufregende und angenehme Selbstzufriedenheit. Daß sie mich mit größter Spannung erwarteten und in meiner Wohnung etwas ausrichten wollten – war so klar wie der Tag. „Ob nicht gar die Trauung des alten Fürsten? Um ihn herum ist ja ein ganzes Kesseltreiben. Nur fragt es sich, ob ich das zulassen werde, meine Herren?“ schloß ich wieder mit überlegenem Selbstbewußtsein.

„Aber wenn ich mich überhaupt darauf einlasse, so werde ich doch sofort wieder wie ein Strohhalm in den Strudel hineingerissen werden. Bin ich wenigstens jetzt noch frei, oder bin ich schon nicht mehr frei? Kann ich heute, wenn ich nach Hause zurückkehre, meiner Mutter noch sagen, wie ich alle diese Tage gesagt habe: ‚Ich gehöre nur mir selbst an?‘“

Das war das Grundmotiv meiner Fragen, oder besser gesagt, meines Herzklopfens, während ich die anderthalb Stunden auf dem Bette saß, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in den Händen. Und ich wußte doch, ich wußte schon damals, daß alle diese Fragen vollkommen belanglos waren, und daß nur sie es war, die mich zu ihnen hinzog – nur sie, nur sie allein. Da habe ich es nun endlich ausgesprochen und schwarz auf weiß zu Papier gebracht; denn auch jetzt, da ich es hinschreibe, ein Jahr nachher, weiß ich nicht, welchen Namen ich meinem Gefühl von damals geben soll!

Oh, selbstverständlich tat Lisa mir leid, und in meinem Herzen brannte ein ungeheuchelter Schmerz um sie! Und ich glaube, nur dieses Schmerzgefühl vermochte wenigstens zeitweise die Fleischlüsternheit (ich bleibe bei dieser Bezeichnung) in mir zu beruhigen oder zurückzudrängen. Aber eine grenzenlose Neugier, ein Grauen riß mich fort und dann noch ein gewisses Gefühl – ich weiß nicht, was für eins; aber ich weiß jetzt, und das wußte ich schon damals, daß es kein gutes Gefühl war. Vielleicht hatte ich das Verlangen, mich ihr zu Füßen zu werfen, vielleicht aber wollte ich sie allen Qualen ausliefern, um ihr irgend etwas „schneller, schneller“ zu beweisen. Davon konnte mich kein Schmerz um Lisa und kein Mitleid um meine Schwester zurückhalten. Nun, und wie hätte ich da noch aufstehen und heimgehen können zu ... Makar Iwanowitsch?

„Aber wäre es denn nicht möglich, zu ihnen zu gehen, nur um alles von ihnen zu erfahren, und sie dann – auf immer zu verlassen, ohne mich von irgendwelchen Wundern oder Ungeheuern anfechten zu lassen?“

Es war drei Uhr, als ich mich endlich aufraffte und mir sagte, daß ich mich beinahe schon verspätet hatte; ich eilte hinaus, nahm eine Droschke und fuhr zu Anna Andrejewna.

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