Ich lief mit Trischatoff in die Küche, wo wir Marja in der größten Angst antrafen. Sie hatte, als Lambert und Werssiloff in die Wohnung getreten waren, in Lamberts Hand einen Revolver bemerkt, und das hatte sie so furchtbar erschreckt. Das Geld hatte sie zwar genommen, aber der Revolver paßte doch ganz und gar nicht zu ihrer Auffassung der Sache. Ratlos stand sie da, und als sie nun plötzlich mich erblickte, stürzte sie auf mich zu und flüsterte angstvoll:
„Die Generalin ist gekommen, und der Herr hat einen Revolver!“
„Trischatoff, bleiben Sie hier in der Küche,“ ordnete ich an, „und wenn ich rufe, so kommen Sie mir sofort zu Hilfe, so schnell wie möglich!“
Marja öffnete mir die Tür, und ich schlüpfte in Tatjana Pawlownas Schlafzimmer – in denselben kleinen Raum, wo eigentlich nur ihr Bett Platz hatte, und von wo aus ich schon einmal ein Gespräch gegen meinen Willen belauscht hatte. Ich setzte mich auf das Bett und fand alsbald auch einen Spalt zwischen den Vorhängen, durch den ich in das Wohnzimmer sehen konnte.
Aber dort wurde schon laut und erregt gesprochen; ich muß bemerken, daß Katerina Nikolajewna vielleicht nur eine Minute nach ihnen die Wohnung betreten hatte. Schon in der Küche hatte ich erregte Stimmen vernommen: namentlich Lambert sprach in der Aufregung übermäßig laut. Sie saß auf dem Diwan, er aber stand vor ihr und schrie wie ein Narr. Heute weiß ich, warum er so sinnlos den Kopf verlor: er hatte es furchtbar eilig, weil er fürchtete, sie könnten überrascht werden. Später werde ich erklären, von welcher Seite er die Überraschung fürchtete. Den Brief hielt er in der Hand.
Werssiloff war nicht im Zimmer: er stand bereit, um bei der ersten Gefahr ins Zimmer zu stürzen. Ich kann nur den Sinn der Reden wiedergeben; ich war damals gar zu aufgeregt, und so habe ich denn von dem Gehörten nur das wenigste wörtlich behalten.
„Ich verlange für diesen Brief nur dreißigtausend Rubel, und Sie wundern sich noch! Er ist hunderttausend wert, aber ich verlange bloß dreißigtausend!“ rief Lambert laut und furchtbar erregt.
Katerina Nikolajewna war allerdings sichtlich erschrocken, aber sie sah ihn doch mit einem gewissen, schon im voraus verachtenden Staunen an.
„Ich sehe, daß man mir hier gewissermaßen eine Falle gestellt hat, aber ich verstehe nicht, was Sie eigentlich wollen,“ sagte sie. „Doch wenn Sie diesen Brief wirklich ...“
„Hier, sehen Sie, hier ist er! Erkennen Sie ihn? Ich verlange von Ihnen einen Wechsel über dreißigtausend Rubel und keine Kopeke weniger!“ fiel ihr Lambert ins Wort.
„Ich habe kein Geld.“
„Stellen Sie mir einen Wechsel aus – hier ist Papier. Und dann verschaffen Sie sich das Geld, ich werde warten, aber nur eine Woche – nicht länger ... Wenn Sie mir das Geld bringen – gebe ich Ihnen den Wechsel zurück, und dann bekommen Sie auch den Brief.“
„Sie erlauben sich mir gegenüber einen sehr sonderbaren Ton. Sie irren sich. Dieser Brief wird Ihnen heute noch abgenommen werden, wenn ich hingehe und Sie anzeige.“
„Wem? Hahaha! Aber der Skandal, und der alte Fürst, dem wir den Brief inzwischen zeigen! Und wo will man ihn mir abnehmen? Dokumente lasse ich doch nicht in meiner Wohnung. Und dem alten Fürsten zeige ich den Brief durch eine dritte Person. Seien Sie nicht eigensinnig, meine Gnädigste! Seien Sie mir vielmehr dankbar, daß ich nur so wenig verlange; ein anderer würde an meiner Stelle noch viel mehr verlangen, würde noch eine gewisse Gefälligkeit fordern ... Sie können sich denken, was für eine ... jedenfalls eine, die von keiner hübschen Frau verweigert wird, wenn sie ein wenig in die Enge getrieben ist – eben eine solche Gefälligkeit ... Hehehe! Vous êtes belle, vous!“[138]
Katerina Nikolajewna erhob sich ungestüm von ihrem Platz, wurde über und über rot und – spie ihm ins Gesicht. Dann wandte sie sich schnell zur Tür. In demselben Augenblick riß Lambert seinen Revolver hervor. Als echter Dummkopf hatte er blind an die entscheidende Wirkung des Dokuments geglaubt, das heißt, er hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, mit wem er es zu tun hatte, da er, wie ich einmal schon erwähnt habe, alle Menschen für genau so erbärmliche und niedrige Geschöpfe hielt, wie er selbst eines war. So kam es, daß er sie gleich mit einer Gemeinheit vor den Kopf stieß, während sie vielleicht sogar bereit war, auf eine Erledigung der Angelegenheit durch Geld einzugehen.
„Nicht von der Stelle!“ brüllte er sie an, rasend vor Wut, weil sie ihn angespien hatte, packte sie an der Schulter und hielt ihr den Revolver vor, – natürlich nur, um sie einzuschüchtern.
Sie schrie auf und sank auf den Diwan. Ich stürzte ins Zimmer, doch im selben Augenblick flog auch schon die Tür zum Vorzimmer auf, und Werssiloff stand vor uns. (Er hatte dort gestanden und gewartet.) Ich hatte ihn kaum erblickt, da hatte er Lambert schon den Revolver entrissen und ihm aus aller Kraft mit der Waffe auf den Kopf geschlagen. Lambert taumelte und stürzte bewußtlos hin. Aus seiner Kopfwunde strömte das Blut auf den Teppich.
Als Katerina Nikolajewna Werssiloff erblickte, wurde sie auf einmal weiß wie ein Handtuch; ein paar Augenblicke sah sie ihn starr an, in unbeschreiblichem Entsetzen, und plötzlich fiel sie in Ohnmacht. Er stürzte auf sie zu. Dieses ganze Erlebnis ist in meiner Erinnerung nur noch wie eine flimmernde Reihe von Momentbildern. Ich weiß noch, mit welchem Schrecken ich damals sein fast blutrotes Gesicht und die blutunterlaufenen Augen sah. Ich glaube, er sah mich wohl, aber er erkannte mich nicht. Er erfaßte sie, die Ohnmächtige, und hob sie mit einer Kraft, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, wie eine leichte Feder auf seine Arme und begann sie sinnlos im Zimmer umherzutragen, ganz wie man ein kleines Kind trägt. Das Zimmer war ja nicht groß, er aber wanderte aus einer Ecke in die andere, offenbar ohne zu wissen, wozu er das tat. In einem dieser Augenblicke wird er wohl tatsächlich den Verstand verloren haben. Er starrte sie dabei die ganze Zeit an und schien seinen Blick von ihrem Antlitz nicht losreißen zu können. Ich lief hinter ihm her, in der größten Angst wegen des Revolvers, den er unbewußt in der rechten Hand behalten hatte und dicht neben ihrem Kopf hielt. Aber er stieß mich immer wieder zurück, einmal mit dem Fuß, einmal mit dem Ellbogen. Ich wollte schon Trischatoff rufen, fürchtete jedoch, den Wahnsinnigen dadurch zu reizen. Schließlich zog ich den Vorhang zur Seite und bat ihn, sie doch auf das Bett zu legen. Er trat an das Bett und legte sie behutsam hin, aber er blieb bei ihr stehen, sah ihr mit Spannung ins Gesicht, und plötzlich beugte er sich über sie und küßte sie zweimal auf ihre bleichen Lippen. Oh, ich begriff endlich, daß dieser Mensch nicht mehr bei Sinnen war! – Plötzlich holte er mit dem Revolver aus, als wolle er sie erschlagen, besann sich aber, drehte den Revolver um und richtete ihn auf ihr Gesicht. Im Nu hatte ich seinen Arm zurückgerissen und schrie nach Trischatoff. Ich weiß noch, wie wir dann beide mit ihm rangen, aber es gelang ihm doch, den Revolver gegen sich selbst zu richten und abzudrücken. Er hatte zuerst sie und dann sich erschießen wollen. Daran wurde er von uns verhindert, und so drückte er die Mündung des Revolvers gegen sein eigenes Herz, aber ich konnte noch von unten gegen seine Hand schlagen, und die Kugel drang ihm in die Schulter. In dem Augenblick stürzte Tatjana Pawlowna mit einem Schrei ins Zimmer: doch da lag er schon bewußtlos auf dem Teppich, fast neben Lambert.