I.

Er hatte wirklich nichts zu befürchten: meiner höheren Erwägung erschien das Augenblickliche klein und nebensächlich, und ein mächtiges Gefühl entschädigte mich für alles andere. Ich empfand nichts als Genugtuung, ich war entzückt, war förmlich begeistert, als ich sie verließ; und als ich auf die Straße hinaustrat, hätte ich am liebsten gesungen. Es war aber auch gerade ein herrlicher Morgen, so richtig zu meiner Stimmung passend: Sonne, viele Menschen, Lärm, Bewegung, Frohsinn, Gedränge. – Wie, hatte mich denn diese Frau wirklich nicht beleidigt? Von wem hätte ich mir sonst einen solchen Blick und ein so gemeines Lächeln gefallen lassen, ohne sofort zu protestieren? – und wenn mein Protest auch noch so albern ausgefallen wäre – gleichviel! Und nicht zu vergessen: sie war ja doch gerade mit der Absicht heimgekehrt, mich sobald als möglich zu beleidigen, obgleich sie mich noch nie gesehen hatte! In ihren Augen war ich der „heimliche Abgesandte Werssiloffs“, und damals, wie auch noch lange nachher, war sie fest überzeugt, daß Werssiloff ihr ganzes Schicksal in Händen hielt, d. h. daß er die Möglichkeit hätte, sie, sobald er nur wollte, ins Elend zu stürzen. Kurz, sie glaubte ihn im Besitze eines gewissen Dokuments oder vermutete wenigstens stark, daß er es besaß. So war denn ihr Kampf gegen Werssiloff ein Kampf auf Leben und Tod. Und siehe da – ich war nicht beleidigt! Ihr Benehmen war eine Beleidigung gewesen, ich aber hatte die Beleidigung nicht empfunden. Ja, und nicht nur das! Ich war sogar unbändig froh, als wäre mir eine große Freude widerfahren! Ich war gekommen, um sie zu hassen, und nun fühlte ich, wie ich sie schon zu lieben begann.

„Ich weiß nicht, ob eine Spinne die Fliege hassen kann, auf die sie es abgesehen und die sie schon so gut wie umsponnen hat? Süße, kleine Fliege! Ich glaube, man liebt sein Opfer; wenigstens kann man es lieben. Da liebe ich doch jetzt meinen Feind: Zum Beispiel gefällt es mir furchtbar, daß sie so schön ist. Es gefällt mir ungeheuer, meine Gnädigste, daß Sie so hochmütig und stolz sind: wären Sie bescheidener, würde ich nicht dieses Vergnügen auskosten, oder wenigstens kein so großes. Sie haben mich gewissermaßen angespien mit Ihrem Blick, ich aber triumphiere. Und wenn Sie mir tatsächlich ins Gesicht gespien hätten, so würde ich mich vielleicht wirklich nicht einmal darüber geärgert haben; denn Sie sind – mein Opfer, mein Opfer und nicht seins. Wie bezaubernd dieser Gedanke ist! Rein, das Bewußtsein der eigenen geheimen Macht ist unvergleichlich angenehmer als offenkundige Überlegenheit und Herrschaft. Wenn ich ein hundertfacher Millionär wäre, ich glaube, da würde es mir die größte Wonne bereiten, in ganz schäbigen Kleidern zu gehen, damit man mich für einen ganz armen Kauz halte, womöglich für einen, der nahe daran ist, um Almosen zu bitten: denn – ‚mir genügte das Bewußtsein‘ ...“

So ungefähr könnte ich meine damaligen Gedanken ausdrücken, wie überhaupt meine Freude und vieles von dem, was ich empfand. Ich will nur noch bemerken, daß hier in dem soeben Geschriebenen alles viel oberflächlicher klingt: in Wirklichkeit war ich tiefer und schamhafter. Vielleicht bin ich auch jetzt im Grunde meines Wesens schamhafter als in meinen Worten und Taten. Das gebe Gott!

Vielleicht war es sehr falsch von mir, daß ich überhaupt angefangen habe, alles dies niederzuschreiben: es bleibt doch so unendlich viel mehr in einem zurück als das, was man in Worten auszudrücken vermag. Jeder Gedanke, selbst der unbedeutendste, ist, solange er in uns bleibt, immer tiefer, als in Worten ausgedrückt: ausgesprochen erscheint er auch uns selbst lächerlicher und gleichsam – ehrloser. Werssiloff sagte mir einmal, nur bei schlechten Menschen sei es umgekehrt. Die lügen eben nur, da haben sie es leicht. Ich dagegen mühe mich, die ganze Wahrheit zu schreiben – das aber ist furchtbar schwer!

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