Er trat ein, sehr zufrieden mit sich, so zufrieden, daß er nicht einmal für nötig befand, seine gehobene Stimmung zu verbergen. Überhaupt hatte er sich gerade in der letzten Zeit vor uns nicht den geringsten Zwang angetan, und das nicht nur in bezug auf seine schlechten, sondern auch in bezug auf seine lächerlichen Seiten, die doch wohl ein jeder etwas ängstlich verbirgt; und dabei wußte er ganz genau, daß wir alles, auch den geringsten Zug, verstanden. Auch sein Äußeres hatte er in diesem letzten Jahr, nach der Behauptung Tatjana Pawlownas, sehr viel weniger gepflegt, das heißt, er war immer gut angezogen, aber seine Kleider waren nicht mehr ganz neu und nicht gesucht elegant. Allerdings muß ich zugeben, daß er, um den Verhältnissen Rechnung zu tragen, schließlich seine Wäsche ganze zwei Tage trug, und nicht mehr nur einen Tag, was meine Mutter sogar sehr betrübte; denn das wurde für ein großes Opfer gehalten, und die ganze Schar der ihm ergebenen Frauen sah darin schlechterdings eine Heldentat. Er trug schwarze, breitkrämpige weiche Hüte. Wenn er in der Tür seinen Hut abnahm, erhob sich auf seinem Kopf ein ganzer Busch von dichtem, aber schon stark ergrautem Haar. Ich liebte es, dieses Aufwogen der Haare zu beobachten, wenn er seinen Hut abnahm.
„Guten Tag; alle beisammen, wie ich sehe, und sogar er ist dabei. Ich hörte seine Stimme schon auf dem Flur; hat sich wohl über mich beklagt, vermutlich.“
Es war unter anderem eines der sichersten Anzeichen guter Laune bei ihm, wenn er über mich scherzte. Ich erwiderte natürlich nichts. Lukerja kam und brachte ein großes Paket, das sie auf den Tisch legte.
„Gewonnen, Tatjana Pawlowna! Der Prozeß ist gewonnen, und zu appellieren werden die Fürsten sich natürlich nicht entschließen. Die Sache ist mir zugefallen! Ich habe auch gleich einen gefunden, der mir tausend Rubel geliehen hat. Ssofja, lege die Arbeit fort, verdirb dir nicht die Augen. Lisa, du kommst von der Arbeit?“
„Ja, Papa,“ antwortete Lisa freundlich. Sie nannte ihn Vater; ich hätte das unter keiner Bedingung getan.
„Müde?“
„Allerdings.“
„Laß die Arbeit, morgen gehst du nicht hin und überhaupt nicht wieder.“
„Papa, das geht auf keinen Fall.“
„Ich bitte dich darum ... Ich kann es nicht ausstehen, wenn Frauen arbeiten, Tatjana Pawlowna.“
„Aber wie ginge es denn ohne Arbeit? Und dazu noch Frauen – und nicht arbeiten ...!“
„Ich weiß, ich weiß, das ist ja alles sehr schön und richtig, und ich bin im voraus mit allem einverstanden; aber – ich spreche hauptsächlich von den Handarbeiten. Können Sie sich denken, das ist bei mir, ich glaube, ein krankhaftes Vorurteil, das, sagen wir, auf einem unnatürlichen Kindheitseindruck beruht. In meinen dunklen Erinnerungen aus meinem fünften, sechsten Lebensjahr sehe ich am häufigsten, und natürlich mit Widerwillen, rings um einen runden Tisch ein Konklave von klugen Frauen mit strengen, harten Gesichtern, dazu Scheren, Stoff, Schnittmuster und Modeblätter. Alle überlegen und geben ihre Meinung ab, schütteln wichtig und langsam die Köpfe und messen und berechnen und schicken sich an, den Stoff zuzuschneiden. Alle diese freundlichen Wesen, die immer so liebreich zu mir waren – sind auf einmal unnahbar geworden; will ich unartig werden, so schickt man mich sofort hinaus. Selbst meine alte Kinderfrau, die mich an der Hand hält, hat dann weder Sinn noch Verständnis für mein Schreien und Zerren, sie ist nur noch Auge und Ohr, als sänge da ein Paradiesvogel. Sehen Sie, diese Strenge der klugen Frauen, und diese ihre ernste Wichtigtuerei mit dem Zuschneiden – alles das ist mir, ich weiß nicht, weshalb, sogar jetzt noch eine qualvolle Vorstellung. Sie, Tatjana Pawlowna, Sie haben eine große Vorliebe für das Zuschneiden, aber – so aristokratisch das auch sein mag – ich liebe doch mehr eine Frau, die überhaupt nicht arbeitet. Beziehe das nur nicht auf dich, Ssofja ...! Aber wie solltest du! Die Frau ist auch ohne dem eine große Macht. Das weißt du übrigens auch selbst, Ssofja. Wie denken Sie darüber, Arkadi Makarowitsch, Sie lehnen sich gewiß dagegen auf?“
„Nein, durchaus nicht,“ erwiderte ich. „Besonders gut ist der Ausspruch ‚die Frau ist eine große Macht‘. Doch ich verstehe nicht, warum Sie das mit der Arbeit in Verbindung bringen? Daß man nicht anders kann und arbeiten muß, wenn man kein Geld hat, wissen Sie selbst.“
„Aber jetzt ist genug gearbeitet worden,“ wandte er sich an meine Mutter, die nur so strahlte (als er mich anredete, war sie zusammengezuckt); „wenigstens in der nächsten Zeit will ich keine Handarbeiten sehen, ich bitte um meinetwillen. Du, Arkadi, du bist doch als Jüngling unserer Zeit sicherlich ein wenig Sozialist; nun, dann wirst du’s mir glauben, mein Freund, daß der Müßiggang von keinem so geliebt wird, wie von dem ewig arbeitenden Volk!“
„Das Ausruhen vielleicht, aber nicht der Müßiggang.“
„Nein, gerade der Müßiggang, das vollkommene Nichtstun; das ist das Ideal. Ich habe einen ewigen Arbeiter gekannt, allerdings war er kein Mann aus dem Volk ... Er war sogar ein ziemlich entwickelter Mensch und konnte manches begreifen. Nun, und dieser Mensch träumte in seinem ganzen Leben, vielleicht sogar jeden Tag, mit Wonne und Rührung von nichts anderem, als von vollständigem Müßiggang; er erhob sozusagen sein Ideal zum Absolutum – und das war: in schrankenlosester Unabhängigkeit, in ewiger Freiheit und in müßiger Beschaulichkeit zu leben. Und davon träumte er, bis er unter der Arbeit zusammenbrach; zu helfen war ihm nicht mehr – er starb im Krankenhaus. Ich bin wirklich mitunter zu der Annahme geneigt, daß die Vorstellung vom Genuß der Arbeit von Müßiggängern erfunden worden ist, versteht sich, von den tugendhaften unter ihnen. Das ist so eine von den ‚Genfer Ideen‘ aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts. Tatjana Pawlowna, vor drei Tagen schnitt ich aus der Zeitung eine Anzeige aus, hier ist sie“ (er zog ein Stückchen Papier aus der Westentasche), „eine von den unzähligen Anzeigen der studierenden Jugend, die die alten Sprachen beherrscht und in der Mathematik unterrichtet und zu allem bereit ist, zu jedem Unterricht ‚auswärts‘, zum Leben in Dachkammern und – kurz, zu allem. Also hören Sie: ‚Lehrerin übernimmt Vorbereitung für alle Lehranstalten‘ – wohlgemerkt: für alle – ‚und gibt Arithmetikstunden‘ – nur eine Zeile, aber sie ist klassisch! Man sollte meinen, wenn sie ‚für alle Lehranstalten vorbereitet‘, so muß sie doch auch in der Arithmetik unterrichten. Nein, sie erwähnt die Arithmetik noch ausdrücklich. Das – das ist schon der richtiger Hunger, das ist schon die höchste Not. Rührend ist hier gerade diese Unkenntnis: offenbar hat sie sich niemals zur Lehrerin ausgebildet, und es ist kaum anzunehmen, daß sie wirklich in einem Fach gut zu unterrichten versteht. Aber das ist doch der letzte Strohhalm, und so opfert sie ihren letzten Rubel für die Anzeige in der Zeitung und macht bekannt, daß sie in allen Fächern vorbereitet und außerdem noch Unterricht in der Arithmetik erteilt. Per tutto mondo e in altri siti.“
„Ach, Andrei Petrowitsch, der müßte man helfen!“ rief Tatjana Pawlowna aus. „Wo wohnt sie denn?“
„Ach, solcher gibt es viele!“ Er steckte die Anzeige wieder in die Tasche. „Dieses Paket dort auf dem Tisch, – da habe ich euch verschiedenes mitgebracht, – für dich, Lisa, und für Sie, Tatjana Pawlowna; Ssofja und ich, wir lieben keine Süßigkeiten. Und vielleicht auch für dich, junger Mann. Ich habe selbst alles bei Jelissejeff und Ballet[9] eingekauft. Wir haben schon gar zu lange ‚am Hungertuch genagt‘, wie Lukerja sagt.“ (NB. Niemand von uns hat jemals gehungert.) „Dort sind Weintrauben, Konfekt, Duchessebirnen und eine Erdbeertorte, und sogar einen vorzüglichen Likör habe ich genommen; auch Nüsse. Sonderbar, daß ich auch jetzt noch, ganz wie als Kind, Nüsse liebe, und wissen Sie, Tatjana Pawlowna, gerade die einfachste Sorte liebe ich am meisten. Lisa hat dieselbe Vorliebe; sie kann wie ein Eichhörnchen Nüsse knacken. Es gibt aber auch nichts Schöneres, Tatjana Pawlowna, als sich manchmal, ganz unversehens, so unter anderen Kindheitserinnerungen, auf Augenblicke im Walde zu denken, unter Knick und Busch, und an einem Zweig sieht man Nüsse sitzen, und die holt man sich ... Die Tage sind fast schon herbstlich, aber klar, manchmal ist es schon ziemlich frisch, und man versteckt sich im Dickicht, streift durch den Wald, es riecht nach Blättern ... Ich sehe etwas Sympathisches in Ihrem Blick, Arkadi Makarowitsch?“
„Die ersten Jahre meiner Kindheit habe auch ich auf dem Lande verlebt.“
„Wie, du hast doch, glaube ich, in Moskau gelebt ... wenn ich mich nicht irre?“
„Er war nur damals bei Andronikoffs in Moskau, als Sie hinkamen, bis dahin aber hatte er bei Ihrer verstorbenen Tante Warwara Stepanowna auf dem Lande gelebt,“ sagte Tatjana Pawlowna schnell.
„Ssofja, hier ist Geld, lege es weg. In den nächsten Tagen versprach man mir, fünftausend auszuzahlen.“
„So haben die Fürsten gar keine Hoffnung mehr?“ fragte Tatjana Pawlowna.
„Ganz und gar keine, Tatjana Pawlowna.“
„Ich habe immer mit Ihnen gefühlt, Andrei Petrowitsch, und mit allen Ihren Angehörigen, und bin eine Freundin Ihres Hauses, aber wenn mir die Fürsten auch fremd sind, sie tun mir, weiß Gott, doch leid. Nehmen Sie mir das nicht übel, Andrei Petrowitsch.“
„Ich habe nicht die Absicht, mit ihnen zu teilen, Tatjana Pawlowna.“
„Sie kennen natürlich meine Meinung, Andrei Petrowitsch. Die Fürsten hätten den Prozeß nicht angestrengt, wenn Sie gleich am Anfang eine Teilung vorgeschlagen hätten; jetzt ist es natürlich zu spät. Aber ich kann ja darüber nicht urteilen ... Ich meinte nur, weil der Verstorbene sie in seinem Testament doch bestimmt nicht übergangen hätte.“
„Nicht nur nicht übergangen, sondern er hätte ihnen bestimmt alles vermacht, übergangen aber hätte er nur mich allein, wenn er die Sache richtig anzufangen und das Testament, wie es sich gehört, aufzusetzen verstanden hätte. So aber, wie es ist, spricht das Gesetz für mich, und damit Punktum. Teilen will und werde ich nicht, Tatjana Pawlowna, und somit ist die Sache erledigt.“
Er sagte das sogar mit einer gewissen Erbitterung, die er sich sonst selten anmerken ließ. Tatjana Pawlowna verstummte. Meine Mutter schlug ersichtlich bedrückt die Augen nieder. Werssiloff wußte, daß sie Tatjana Pawlowna innerlich beistimmte.
„Hier spricht die Emser Ohrfeige mit,“ sagte ich mir, „der Brief in meiner Tasche, den Krafft mir übergeben hat, würde eine traurige Rolle spielen, wenn er jetzt noch in seine Hände gelangte.“ Und plötzlich fühlte ich, daß alles dies mir noch im Halse saß, und dieser Gedanke, in Verbindung mit allem übrigen, wirkte auf mich unwillkürlich aufreizend.
„Arkadi, ich würde es gern sehen, daß du dich etwas besser kleidetest, mein Freund. Du bist gewiß nicht schlecht angezogen, aber für die Zukunft könnte ich dir einen guten französischen Schneider empfehlen, der sehr gewissenhaft arbeitet und auch Geschmack hat.“
„Ich bitte Sie, mir nie wieder derartige Vorschläge zu machen,“ fuhr ich wütend auf.
„Warum das?“
„Ich sehe darin zwar nichts Erniedrigendes, aber wir stehen keineswegs in solchem Einvernehmen, im Gegenteil, sogar ganz im Gegenteil, und ich werde in den nächsten Tagen, werde schon morgen nicht mehr zum Fürsten gehen, weil ich da nichts zu tun habe, und von einer Tätigkeit bei ihm überhaupt nicht die Rede sein kann.“
„Aber daß du hingehst, daß du bei ihm sitzt – das soll ja eben deine ganze Tätigkeit bei ihm sein.“
„Diese Auslegung ist erniedrigend.“
„Das sehe ich nicht ein; doch übrigens, wenn du so empfindlich dafür bist, dann brauchst du ja bloß kein Gehalt von ihm anzunehmen; gehe nur so hin. Du würdest ihn sonst furchtbar kränken, er hängt bereits an dir, sei überzeugt ... Übrigens, wie du willst ...“
Es war ihm offenbar unangenehm.
„Sie sagen, ich brauchte kein Gehalt von ihm anzunehmen, und dabei habe ich, dank Ihrer Güte, heute schon eine Gemeinheit begangen: Sie haben mir nichts gesagt, und da habe ich heute mein Monatsgehalt verlangt.“
„So hast du schon deine Vorkehrungen getroffen. Und ich dachte, offen gestanden, du würdest es nicht fertig bringen, um Geld zu bitten. Wie geschickt jetzt alle sind! Heutzutage gibt es keine Jugend mehr, Tatjana Pawlowna.“
Er ärgerte sich fürchterlich; aber auch ich war wütend.
„Ich mußte doch endlich hier mit Ihnen abrechnen ... Sie selbst haben mich dazu gezwungen, – jetzt weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll ...“
„Apropos, Ssofja, gib Arkadi sofort seine sechzig Rubel zurück; du aber, mein Freund, nimm mir die Eile der Abrechnung nicht übel. Ich errate schon aus deinem Gesicht, daß du etwas zu unternehmen beabsichtigst, und so benötigst du wohl ... eines Betriebskapitals ... oder – etwas von der Art.“
„Ich weiß nicht, was aus meinem Gesicht zu erraten ist, aber ich hätte es von Mama wirklich nicht erwartet, daß sie Ihnen von diesem Gelde erzählen würde, da ich sie doch so gebeten habe, es nicht zu tun,“ sagte ich, und sah meine Mutter mit funkelnden Augen an. Ich kann gar nicht sagen, wie gekränkt ich war.
„Arkascha, Täubchen, verzeih’ mir um Gotteswillen, ich konnte wirklich nicht anders, ich konnte es nicht verheimlichen ...“
„Mein Freund, beschwere dich nicht darüber, daß sie mir deine Geheimnisse mitgeteilt hat,“ wandte er sich an mich, „und zudem hat sie es nur mit guter Absicht getan, – einfach, die Mutter war stolz auf das Verhalten des Sohnes zu ihr. Aber sei versichert, ich hatte es auch ohnedem erraten, daß du ein Kapitalist bist. Alle deine Geheimnisse sind auf deinem ehrlichen Gesicht geschrieben. Er hat seine ‚eigene Idee‘, Tatjana Pawlowna, wie ich Ihnen schon sagte.“
„Lassen wir mein ehrliches Gesicht in Ruh,“ fuhr ich fort zu zetern, „ich weiß, Sie können die Menschen durchschauen, was jedoch nicht hindert, daß Sie in manchen Fällen nicht weiter sehen, als die eigene Nase reicht. Übrigens habe ich mich oft gewundert über Ihren Scharfsinn. Nun ja, ich habe eine ‚eigene Idee‘. Daß Sie sich gerade so ausdrückten, war natürlich nur ein Zufall, aber ich fürchte mich nicht, das einzugestehen: ja, ich habe eine ‚Idee‘. Ich fürchte mich nicht und schäme mich nicht.“
„Vor allem, schäme dich nicht.“
„Aber trotzdem werde ich sie Ihnen niemals mitteilen.“
„Das heißt, wirst dich nicht dazu herablassen. Nicht nötig, mein Freund, mir ist auch so schon das Wesentliche deiner Idee bekannt. Jedenfalls ist es das:
‚Einsam zieh’ ich mich zurück
In die Wüste ...‘
Tatjana Pawlowna! Meine Vermutung ist – er will ... ein Rothschild werden, oder etwas ähnliches, und sich in seine einsame Größe zurückziehen. Selbstredend wird er dann uns und Ihnen großmütig eine Pension aussetzen oder mir vielleicht auch nicht, – aber jedenfalls haben wir ihn dann am längsten gesehen. Er ist bei uns wie der junge Neumond: kaum ist er aufgegangen, da geht er schon wieder unter.“
Ich war innerlich zusammengezuckt. Natürlich war das alles Zufall: er wußte nichts und meinte etwas ganz anderes, wenn er auch ausgerechnet Rothschild genannt hatte; aber wie konnte er meine Gefühle so zutreffend feststellen: die Lust, mit ihnen allen zu brechen und mich zu entfernen? Er hatte schon alles erraten und wollte die Tragik der Sache mit seinem Zynismus im voraus beschmutzen. Daß er sich aber dabei fürchterlich ärgerte, darüber konnte kein Zweifel bestehen.
„Mama! Verzeihen Sie meinen Ausfall, der war um so überflüssiger, als man vor Andrei Petrowitsch doch nichts verbergen kann,“ rief ich, mich zum Lachen zwingend, und bemüht, das Ganze wenigstens für einen Augenblick als Scherz hinzustellen.
„Das war das beste, mein Lieber, daß du zu lachen begannst. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie unendlich viel jeder Mensch dadurch gewinnt, sogar äußerlich. Ich sage das im Ernst. Wissen Sie, Tatjana Pawlowna, er sieht immer so aus, als habe er etwas dermaßen Wichtiges im Sinn, daß er sogar selbst förmlich beschämt ist von dieser Wichtigkeit.“
„Ich möchte Sie im Ernst gebeten haben, etwas zartfühlender zu sein, Andrei Petrowitsch.“
„Du hast recht, mein Freund; aber einmal muß man es doch aussprechen, damit später nie wieder daran gerührt werde. Du bist aus Moskau hergekommen, um hier sogleich zu rebellieren – das ist vorläufig alles, was uns von den Gründen deiner Herreise bekannt ist. Davon aber, daß du gekommen bist, um uns mit irgend etwas in Erstaunen zu setzen – davon werde ich selbstredend nichts weiter erwähnen. Ferner gefällt es dir, hier uns einen ganzen Monat lang anzuschreien; indessen bist du doch allem Anscheine nach ein kluger Mensch, und als solcher könntest du das Anschreien eigentlich denen überlassen, die sich schon auf keine andere Weise an den Menschen für die eigene Nichtigkeit rächen können. Du verschließt dich immer, während dein ehrliches Aussehen und deine frischen Wangen offenkundig beweisen, daß du jedem mit vollkommener Unschuld in die Augen sehen könntest. Er ist ein Hypochonder, Tatjana Pawlowna, nur verstehe ich nicht, warum sie heutzutage alle Hypochonder sind?“
„Wenn Sie nicht einmal wußten, wo ich aufgewachsen bin, wie sollten Sie dann wissen, warum ein Mensch zum Hypochonder wird?“
„Da haben wir des Rätsels Lösung: Du bist gekränkt, weil ich vergessen konnte, wo du aufgewachsen bist!“
„Durchaus nicht, schreiben Sie mir keine Dummheiten zu. Mama, Andrei Petrowitsch hat soeben mein Lachen gelobt; nun denn – lassen Sie uns einmal alle lachen! Wozu so still sitzen! Wenn Sie wollen, so werde ich Ihnen aus meinem Leben Geschichten erzählen? – zumal Andrei Petrowitsch doch nichts von meinen Erlebnissen weiß.“
Viel hatte sich in mir angesammelt. Und ich glaubte, daß wir nie wieder so wie jetzt beisammensitzen würden, und daß ich, wenn ich aus diesem Hause hinausgegangen wäre, nie wieder dasselbe betreten würde, – deshalb, am Vorabend alles dessen, konnte ich mich nicht bezwingen. Er selbst hatte mich zu diesem Schlußakt herausgefordert.
„Das wäre natürlich allerliebst, wenn es nur auch wirklich lustig wird,“ bemerkte er und sah mich forschend mit durchdringendem Blick an. „Du bist ein wenig grob geworden, mein Freund, dort, wo du aufgewachsen bist, doch bist du immerhin noch ziemlich anständig. Er ist heute sehr nett, Tatjana Pawlowna, und von Ihnen ist es sehr vernünftig, daß Sie endlich mein Paket aufmachen.“
Aber Tatjana Pawlowna machte ein finsteres Gesicht; nach seinen Worten wandte sie sich nicht einmal nach ihm um und fuhr wortlos in ihrer Beschäftigung fort, die von ihm mitgebrachten Früchte und Süßigkeiten auf die ihr gereichten Teller zu legen. Meine Mutter saß gleichfalls mit unsicheren Gefühlen da, ohne etwas verstehen zu können, aber sie fühlte und ahnte, daß es zwischen uns nicht gut enden werde. Meine Schwester berührte mich noch einmal am Arm.