IV.

Übrigens: da ich in meinen „Aufzeichnungen“ nunmehr diese „neue Person“ (nämlich Werssiloff) persönlich auftreten lassen muß, will ich zunächst wenigstens in aller Kürze seinen Lebenslauf angeben, der freilich an sich ziemlich belanglos ist. Ich tue das nur, damit dem Leser alles noch verständlicher werde, und will es an dieser Stelle tun, weil ich nicht voraussehe, wo ich diese Angaben weiterhin einflechten könnte.

Er hat studiert, ist aber dann in ein Garde-Kavallerieregiment eingetreten; hat die Fanariotoff geheiratet und seinen Abschied genommen. Er reiste ins Ausland und, zurückgekehrt, lebte er in Moskau im Verkehr mit der ganzen lebenslustigen Gesellschaft. Nach dem Tode seiner Frau kam er auf sein Gut; die Folge davon war die Episode mit meiner Mutter. Dann lebte er lange irgendwo im Süden. Während des Krimkrieges trat er wieder in den Militärdienst, kam aber mit seinem Regiment nicht in die Krim und ist überhaupt nicht im Feuer gewesen. Nach dem Friedensschluß nahm er wieder den Abschied, reiste ins Ausland und nahm sogar meine Mutter mit, doch in Königsberg ließ er sie zurück. Die Arme erzählte manchmal kopfschüttelnd und mit wahrem Grauen, wie sie dort ein volles halbes Jahr ganz allein und verlassen mit ihrem Töchterchen gelebt hatte, der Sprache unkundig, wie im Walde verloren, und zuletzt noch ohne Geld. Dann war Tatjana Pawlowna gekommen und hatte sie nach Rußland zurückgebracht, irgendwohin aufs Land, im Nischni Nowgorodschen Gouvernement. Werssiloff trat nach seiner Rückkehr den Posten eines Friedensvermittlers beim Zivilgericht an[6] und wie man erzählt, soll er sich in seinem Amt glänzend bewährt haben und jeder Aufgabe gewachsen gewesen sein. Bald aber gab er diesen Posten auf und begann in Petersburg als Jurist sich mit der Führung verschiedener Zivilklagen zu beschäftigen. Andronikoff hat seine Fähigkeiten immer hoch eingeschätzt und ihn sehr geachtet, nur was seinen Charakter anbetrifft, soll er geäußert haben, daß er den nicht verstehen könne. Doch auch diese Beschäftigung gab Werssiloff bald auf und reiste wieder ins Ausland, diesmal auf lange Zeit – er blieb dort mehrere Jahre. Und in eben dieser Zeit begannen seine bald sehr nahen Beziehungen zum alten Fürsten Ssokolski. Im Laufe dieses ganzen angegebenen Lebensabschnitts haben sich seine pekuniären Verhältnisse zwei- oder dreimal vollständig verändert: bald war er gänzlich mittellos und stand dem Nichts gegenüber, bald fiel ihm wieder ein Vermögen zu, und er war von neuem auf der Höhe.

Übrigens will ich mich jetzt, wo ich mit meinen Aufzeichnungen bis zu dieser Stelle gekommen bin, endlich einmal entschließen, „meine Idee“ auseinanderzusetzen. Ich werde sie zum erstenmal seit ihrer Entstehung in mir so gut ich kann in Worten auszudrücken versuchen. Ich entschließe mich, sie sozusagen „dem Leser“ mitzuteilen, und tue das gleichfalls nur deshalb, damit im folgenden manches klarer sei. Das muß ich um so mehr, als es nicht nur für den sogenannten Leser nötig wäre, sondern weil auch ich, der Verfasser, der das Wiederzugebende doch selbst erlebt hat, mich in den schwierigen Erklärungen mancher Schritte schon zu verwickeln beginne. Deshalb möchte ich vorher alles klarlegen, was mich zu diesem oder jenem veranlaßt, bewogen oder gezwungen hat. Infolge meiner Ungeschicktheit im Schreiben und meines anfänglichen Vorsatzes, alles außerhalb der Ereignisse Liegende zu übergehen, bin ich wieder in den Stil der Romanschreiber verfallen, den ich anfangs selbst verspottet habe. Jetzt, wo ich wie durch eine Tür in meinen Petersburger Roman mit allen meinen schmählichen Erlebnissen einzutreten im Begriff bin, erscheint mir diese Erklärung meiner Idee als Einleitung unbedingt notwendig. Doch eigentlich hat mich bisher nicht nur der Widerwille gegen den Stil der Literaten diese Einleitung zu unterlassen bestimmt, sondern auch das Wesen der Sache, d. h. die Schwierigkeit ihrer Wiedergabe. Selbst jetzt, wo schon alles Vergangene überwunden ist, erscheint mir die Aufgabe, diese „Idee“ zu erklären, schier unausführbar. Hinzu kommt nun noch, daß ich sie doch fraglos in ihrer damaligen Form wiedergeben muß, d. h. wie sie in mir entstanden ist, und wie sie damals von mir gedacht wurde, und nicht, wie ich sie heute denke; das aber macht die Sache noch schwieriger. Manches läßt sich ja fast überhaupt nicht wiedergeben. Gerade die einfachsten, die klarsten Ideen – gerade die sind meist schwerer zu verstehen. Hätte Kolumbus vor der Entdeckung Amerikas seine Idee anderen zu erzählen angefangen, so würde man ihn, davon bin ich überzeugt, furchtbar lange nicht verstanden haben. Und man hat ihn ja auch nicht verstanden. Ich erwähne das nur als Beispiel, denke aber durchaus nicht daran, mich mit Kolumbus zu vergleichen; wenn jemand zu dieser Folgerung kommen sollte, so schäme er sich, und das ist alles, was ich sage.

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