II.

Geld zu fordern – ist immer eine höchst widerwärtige Sache, und wenn es auch ein Gehalt ist, es bleibt doch unangenehm; und um so mehr ist es das, wenn man dabei noch irgendwo in den verborgensten Falten seines Gewissens verspürt, daß man es eigentlich nicht ganz verdient hat. Indessen hatte ich am Abend vorher gehört, wie meine Mutter und meine Schwester heimlich flüsterten (damit Werssiloff nichts davon erführe; denn man wollte ihn „nicht betrüben“) und wie beschlossen wurde, ein Heiligenbild, das der Mutter aus irgendeinem Grunde ganz besonders teuer war, zu versetzen. Ich sollte für meine „Arbeitsleistung“ monatlich fünfzig Rubel erhalten, hatte aber keine Ahnung, wer sie mir denn nun auszahlen würde; davon hatte mir noch niemand etwas gesagt. Vor etwa drei Tagen hatte ich unten den Beamten bei der Arbeit angetroffen und mich bei ihm erkundigt, wer hier die Gagen auszahlte. Er hatte mich aber darauf nur mit dem Lächeln eines verwunderten Menschen angesehen (er war mir nicht gerade gewogen) und gefragt:

„Bekommen Sie denn ein Gehalt?“

Ich dachte mir, er würde nach meiner Bejahung hinzufügen: „Aber wofür denn das?“ Doch er versetzte nur trocken, er wisse nichts, und beugte sich wieder über sein sauber liniiertes Hauptbuch, in das er aus verschiedenen Papieren Zahlen eintrug.

Es war ihm übrigens nicht unbekannt, daß ich immerhin etwas leistete. Vor zwei Wochen hatte ich vier Tage über einer Arbeit gesessen, die er mir noch selbst zugewiesen: es galt einen Entwurf abzuschreiben, wie er sagte, doch stellte sich heraus, daß ich fast alles von neuem verfassen mußte. Dabei handelte es sich um einen ganzen Stoß „Gedanken“ des Fürsten, die er in nächster Zeit dem Komitee der Aktionäre unterbreiten wollte. Dieses Material mußte zu einem zusammenhängenden Ganzen verarbeitet und der Stil hier und da etwas gefeilt werden. Nachher saßen wir, der Fürst und ich, noch einen ganzen Tag über diesem Manuskript, und er stritt mit mir äußerst lebhaft, wenn unsere Meinungen auseinandergingen, doch schien meine Arbeit trotzdem zu seiner vollen Zufriedenheit ausgefallen zu sein. Nur weiß ich nicht, ob er die Schrift dann auch wirklich eingereicht hat oder nicht. Von den zwei oder drei Geschäftsbriefen, die ich auf seine Bitte geschrieben habe, will ich weiter gar nicht reden.

Es war mir aber noch aus einem weniger allgemeinen Grunde peinlich, um mein Monatsgehalt zu bitten: ich hatte nämlich schon beschlossen, diese Anstellung aufzugeben, infolge der Vorahnung, daß ich mich ohnehin und wohl schon in kürzester Zeit zwingender Umstände halber würde entfernen müssen. Als ich an jenem Morgen aufstand und mich in meinem Dachstübchen ankleidete, fühlte ich, wie mein Herz zu klopfen begann, und dieselbe Aufregung empfand ich, obschon ich im Grunde auf alles pfiff, als ich das Haus des Fürsten betrat. An jenem Morgen sollte endlich jene Frau hier eintreffen, von deren Erscheinen ich die Aufklärung aller Rätsel erwartete, alles dessen, was mich quälte! Und diese Frau – das war die Tochter des Fürsten, die jung verwitwete Generalin Achmakoff (ich habe von ihr bereits gesprochen), die mit Werssiloff unversöhnlich verfeindet war. Da habe ich nun diesen Namen endlich hingeschrieben! Sie selbst hatte ich damals natürlich noch nie gesehen und konnte es mir auch gar nicht vorstellen, wie ich mit ihr sprechen und ob es überhaupt dazu kommen würde. Aber ich hatte doch die Empfindung (und vielleicht auch allen Grund dazu), daß mit ihrer Ankunft jenes Dunkel sich aufklären werde, welches Werssiloff vor meinen Augen immer noch verhüllte. Ich konnte mich nicht beherrschen und ruhig bleiben: es ärgerte mich furchtbar, daß ich mich schon vom ersten Schritt an so kleinmütig und täppisch fühlte; ich war gespannt neugierig und doch angewidert – alles zusammen. So hatte ich zu gleicher Zeit drei verschiedene Empfindungen. Oh, ich habe diesen ganzen Tag gut im Gedächtnis behalten!

Mein Fürst ahnte inzwischen noch nichts von der voraussichtlichen Rückkehr seiner Tochter und erwartete sie nicht früher als erst in einer Woche. Ich aber war am Abend vorher ganz zufällig in das Geheimnis eingeweiht worden: Tatjana Pawlowna hatte von der Generalin einen Brief erhalten und meiner Mutter in flüsternd geführtem Gespräch die Nachricht mitgeteilt. Sie flüsterten allerdings nur ganz leise, und Tatjana Pawlowna drückte sich auch noch ziemlich indirekt aus, doch ich erriet bald, um was es sich handelte. Natürlich habe ich ihr Gespräch nicht absichtlich belauscht: ich mußte einfach aufmerksamer hinhören, als ich sah, wie meine Mutter bei der Nachricht von der Rückkehr dieser Frau erschrak, und wie groß ihre Erregung war. Werssiloff war gerade nicht zu Hause.

Dem alten Fürsten wollte ich nichts davon sagen; denn – wie hätte ich es in diesem ganzen Monat nicht merken sollen, daß er sich vor ihrer Heimkehr förmlich fürchtete. Ja, er hatte sogar nur wenige Tage vorher gesprächsweise verlauten lassen – natürlich nur ganz entfernt und selbst etwas zaghaft –, daß er für mich fürchte, wenn sie zurückkehre, d. h. in dem Sinne, daß es dann um meinetwillen Szenen geben werde. Doch übrigens muß ich hier einschalten, daß er als Familienoberhaupt trotz allem seine Selbständigkeit zu wahren und seinen Willen durchzusetzen wußte, so vor allen Dingen, was die Verfügung über seine Gelder betraf. Anfangs hielt ich ihn für nichts anderes, als ein richtiges altes Weib; dann aber mußte ich meine Auffassung dahin ändern, daß er, wenn er auch ein Weib sein mochte, zum mindesten noch einen gewissen Eigensinn besaß, wenn man es nicht wirkliche Männlichkeit nennen wollte. Es gab Augenblicke, wo mit seinem scheinbar so ängstlichen und nachgiebigen Charakter nicht das geringste anzufangen war. Später hat mir Werssiloff seinen Charakter eingehender erklärt. Soeben fällt mir eine Tatsache ein, die hier erwähnt sei: Der Fürst und ich hatten bis dahin noch niemals von der Generalin gesprochen, und es war, als hätten wir das beide vermieden: ich vermied es absichtlich, er aber vermied wiederum, von Werssiloff zu sprechen. Schon damals erriet ich, daß ich entschieden keine Antwort von ihm erhalten würde, wenn ich die eine oder andere von den kitzlichen Fragen, die mich so sehr interessierten, direkt an ihn richten wollte.

Wenn nun jemand wissen will, wovon wir den ganzen Monat miteinander geredet hatten, so muß ich sagen: von allem möglichen, meistens aber waren es doch etwas eigentümliche Themata, die wir erörterten. Ganz besonders gefiel mir an ihm die Offenherzigkeit, mit der er zu mir sprach. Oft betrachtete ich ihn ganz verwundert und fragte mich: „Ja, aber – wie ist er denn Geheimrat geworden? Der paßte doch noch vorzüglich in unser Gymnasium, aber höchstens in die vierte Klasse, und gäbe dort einen famosen Schulkameraden ab!“ Auch über sein Gesicht habe ich mich oft genug gewundert: es war dem Anscheine nach das Gesicht eines vollkommen ernsten Menschen (und sogar hübsch zu nennen), schmal und hager; dichtes graues, etwas welliges Haar, ein offener Blick; auch seine Gestalt war hager und von gutem Wuchs. Aber dieses Gesicht hatte eine gewisse unangenehme, fast sogar unschickliche Eigenschaft: es konnte sich ganz plötzlich, wie mit einem Schlage aus einem ungewöhnlich ernsten in ein etwas schon gar zu vergnügtes verwandeln, so daß man ihn, wenn man diese Verwandlung zum erstenmal sah, vor Überraschung ganz verdutzt anstarrte. Ich sprach auch einmal zu Werssiloff von dieser meiner Beobachtung, und wie ich bemerkte, horchte er interessiert auf. Ich glaube, er hatte von mir nicht erwartet, daß ich solche Beobachtungen machen könnte. Als Antwort darauf bemerkte er nur leichthin, diese Erscheinung sei erst nach der Krankheit des Fürsten bei ihm aufgetreten, eigentlich erst in der allerletzten Zeit.

Vornehmlich drehten sich unsere Gespräche um zwei abstrakte Gegenstände: um Gott und sein Dasein, d. h. um seine Existenz oder Nichtexistenz, und dann – um die Frauen. Der Fürst war sehr religiös und gefühlvoll. In seinem Kabinett hing ein riesiges Heiligenbild, vor dem das ewige Lämpchen brannte. Aber bisweilen kam es vor – daß er plötzlich der Anfechtung unterlag: dann zweifelte er am Dasein Gottes und sprach wunderliche Dinge, womit er mich zum Widerspruch herausforderte. Dieses Thema war mir, im allgemeinen gesprochen, zwar ziemlich gleichgültig, aber wir gerieten doch jedesmal sehr in Hitze, und das sogar wirklich aufrichtig. Überhaupt kann ich sagen, daß ich auch heute noch mit Vergnügen an jene Gespräche zurückdenke.

Aber am liebsten plauderte er doch von Frauen. Zu seinem Leidwesen konnte ich nur, erstens schon aus Abneigung gegen solche Gespräche, auf diesem Gebiet kein unterhaltender Partner sein. Das schien ihn oft fast zu betrüben.

An jenem denkwürdigen Morgen des neunzehnten September begann er zufällig, kaum daß ich eingetreten war, wieder von den Frauen zu reden. Er war bei selten guter Laune, was mich ein wenig wunderte, da ich ihn am Abend vorher in der traurigsten Stimmung verlassen hatte. Indessen mußte unbedingt noch am Vormittag die bewußte Geldangelegenheit erledigt werden – unbedingt noch vor der Ankunft einer gewissen Person. Ich ahnte, daß man uns bestimmt unterbrechen werde (klopfte doch mein Herz nicht umsonst schon seit dem Morgen!), – und dann würde ich mich vielleicht nicht mehr entschließen können, auf das Geld zu sprechen zu kommen. Als nun der Fürst von etwas so ganz anderem begann und ich nicht mit meiner Frage herauszurücken verstand, da ärgerte ich mich natürlich über meine Dummheit, und die Folge davon war, daß ich über eine etwas zu weitgehende scherzhafte Frage seinerseits fast in Wut geriet und mit meinen Anschauungen über die Frauen ganz plötzlich und nahezu jähzornig herausplatzte. Ich ärgerte mich in der Tat. Doch mit meiner zornigen Auslassung erreichte ich nur, daß ich ihn amüsierte und er noch interessierter bei diesem Thema verharrte.

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