VI.

Ich fuhr zum Roulette, als läge in ihr allein mein Heil, meine Rettung; dabei hatte ich doch, wie ich schon sagte, bis zur Ankunft des Fürsten überhaupt nicht an das Spiel gedacht. Und ich fuhr ja auch gar nicht hin, um für mich zu spielen, sondern um mit dem Gelde des Fürsten für den Fürsten zu spielen; deshalb begreife ich nicht, was mich so mächtig hinzog, aber es zog mich unwiderstehlich hin. Oh, noch niemals waren mir diese Menschen, diese Gesichter, diese Croupiers, diese ewig gleichen Ausrufe, dieser ganze widerliche Saal bei Serschtschikoff so ekelhaft erschienen, so düster, so roh und traurig, wie an diesem Abend! Ich erinnere mich nur zu gut des Wehs und der Traurigkeit, die in diesen Stunden am Spieltisch von Zeit zu Zeit mein Herz ergriffen. Aber weshalb ging ich nicht fort? Weshalb ertrug ich das wie mein Los, wie mein Verhängnis, wie ein Opfer, das ich auf mich nahm? Ich kann von mir nur eines sagen: daß ich damals wohl kaum zurechnungsfähig war. Und doch hatte ich noch nie zuvor so vernünftig gespielt wie an diesem Abend. Ich war schweigsam und hatte alle meine Gedanken beisammen, war aufmerksam und furchtbar berechnend; ich konnte geduldig ausharren und geizig sein und gleichzeitig schnell entschlossen in dem Augenblick, wo es zu handeln galt. Ich hatte mich wieder in der Nähe des Zero hingesetzt, also wieder zwischen Serschtschikoff und Aferdoff, der immer an Serschtschikoffs rechter Seite saß; der Platz zwischen ihnen war mir verleidet, aber ich wollte es unbedingt wieder mit Zero versuchen, und die übrigen Plätze in der Nähe von Zero waren alle besetzt. Wir spielten schon reichlich eine Stunde, als ich auf einmal von meinem Platze aus sah, wie der Fürst sich mit bleichem Gesicht erhob, zu uns herüberkam und meinem Platz gegenüber an der anderen Seite des Tisches stehenblieb: er hatte alles verspielt und sah schweigend meinem Spiel zu, doch wahrscheinlich ohne etwas davon zu verstehen oder überhaupt noch an das Spiel zu denken. Ich hatte gerade erst angefangen zu gewinnen, und Serschtschikoff zahlte mir das gewonnene Geld aus. Plötzlich sah ich, wie Aferdoff ruhig die Hand ausstreckte und vor meinen Augen mit der größten Gelassenheit einen meiner Hundertrubelscheine nahm und zu dem Geldhaufen legte, der vor ihm lag. Ich schrie auf und packte seine Hand. Das geschah alles so plötzlich, so unerwartet: ich zerriß mit einem Ruck gleichsam alle meine Ketten; es war, als ob alle Schrecken und Kränkungen dieses Tages sich plötzlich in diesem einen Augenblick zusammengeballt hätten mit dieser erneuten Kränkung des Bestohlenwerdens um hundert Rubel. Es war, als hätte alles, was sich in mir angesammelt hatte und von mir unterdrückt worden war, nur auf diesen Anstoß gewartet, um zu explodieren.

„Der hier ist ein Dieb! Er hat mir soeben einen Hundertrubelschein gestohlen!“ schrie ich und sah mich wild im Kreise um.

Ich vermag die Aufregung nicht zu beschreiben, die meine Worte hervorriefen: ein solcher Skandal war hier etwas ganz Neues. Bei Serschtschikoff führte man sich tadellos auf, sein Spielzirkel war dafür bekannt. Aber ich war außer mir. Und da hörte man auf einmal, mitten in dem Lärm und Geschrei, Serschtschikoffs Stimme:

„Tatsächlich, das Geld ist fort, während es noch vor einem Augenblick hier lag! Vierhundert Rubel!“

Da kam nun plötzlich noch diese andere Geschichte hinzu: auch aus der Bank war Geld verschwunden, ein Päckchen Banknoten von vierhundert Rubeln. Serschtschikoff wies auf die Stelle, wo das Geld gelegen hatte, „noch vor einem Augenblick“, und diese Stelle war gerade neben mir, ja, sie stieß fast an den Platz, wo mein Geld lag, und befand sich somit viel näher bei mir als bei Aferdoff.

„Hier ist der Dieb! Das hat er gleichfalls gestohlen, durchsuchen Sie ihn!“ rief ich und wies auf Aferdoff.

„Das kommt alles nur daher,“ übertönte eine mächtige Stimme das ganze erregte Stimmengewirr, „daß man hier Menschen zuläßt, die keiner kennt. Leute ohne Empfehlungen! Wer hat ihn eingeführt? Wer ist er überhaupt?“

„Ein gewisser Dolgoruki.“

Fürst Dolgoruki?“

„Fürst Ssokolski hat ihn eingeführt!“ schrie jemand.

„Hören Sie, Fürst,“ schrie ich über den ganzen Tisch ihm zu, „jetzt hält man hier mich für den Dieb, während ich es bin, der hier bestohlen worden ist! Sagen Sie ihnen, sagen Sie ihnen doch, wer ich bin!“

Doch was nun geschah, war das Schrecklichste von allem, was mir an diesem Tage widerfahren war ... ja, was mir in meinem ganzen Leben widerfahren ist: der Fürst verleugnete mich. Ich sah, wie er mit den Achseln zuckte und auf die Fragen, mit denen man ihn von allen Seiten bestürmte, scharf und deutlich zur Antwort gab:

„Ich stehe für keinen ein. Ich bitte, mich in Ruhe zu lassen.“

Währenddessen stand Aferdoff, umgeben von einem ganzen Kreise von Herren, und verlangte mit lauter Stimme, man solle ihn durchsuchen. Er drehte schon selbst alle seine Taschen um. Aber auf seine Forderung wurde ihm beschwichtigend zugerufen: „Nein, nein, nicht nötig, wir wissen schon, wer der Dieb ist!“ Zwei Diener, die man gerufen hatte, ergriffen mich und hielten meine Arme auf dem Rücken fest.

„Ich lasse mich nicht durchsuchen, ich erlaube es nicht!“ schrie ich empört und suchte mich loszureißen.

Aber ich wurde ins Nebenzimmer geschleppt und dort mitten in der mich umstehenden Menschenschar bis in die letzte Falte durchsucht. Ich schrie und widersetzte mich aus allen Kräften.

„Er hat das Geld wohl fortgeworfen, man muß auf dem Teppich suchen,“ meinte schließlich jemand.

„Wo denn jetzt noch auf dem Teppich suchen?“

„Vielleicht hat er es noch irgend wohin unter den Tisch werfen können!“

„Jetzt ist natürlich jede Spur verloren ...“

Man führte mich hinaus, aber es gelang mir noch, in der Tür mich einmal zurückzuwenden und in wahnsinnigem Jähzorn über den ganzen Saal hin zu schreien:

„Das Roulette ist von der Polizei verboten! Heute noch werde ich Sie alle anzeigen!“

Ich wurde nach unten geführt, in meinen Pelz gesteckt, und ... dann öffnete man vor mir die Haustür.

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