Die Glocke schlug alle zwei oder drei Sekunden einmal fest und sicher an, aber das war keine Alarmglocke, sondern ein seltsam schöner, schwingender Klang, und schließlich kam er mir so bekannt vor, und da sagte ich mir auch schon, daß das ja der Glockenklang von der Nikolaikirche ist, der roten Kirche, fast gegenüber dem Hause von Touchard, – der altertümlichen Moskauer Kirche, deren ich mich noch so gut erinnere, die noch aus der Zeit des Zaren Alexei Michailowitsch stammt und mit reichem Zierat, vielen Türmen und Säulen geschmückt ist. Und ich wußte auf einmal, daß die Osterwoche eben vorüber war, und an den schmächtigen Birken im Gärtchen hinter dem Hause von Touchard schon junge grüne Blättchen zitterten. Die grelle Vorabendsonne schickte ihre schrägen Strahlen in unser Klassenzimmer, bei mir aber, in meinem kleinen Zimmer links vom Vorraum, wohin Touchard mich schon vor einem Jahr aus dem gemeinsamen Raum der „Grafen- und Senatorenkinder“ verbannt hat, sitzt ein Gast. Ja, ich, der Elternlose, hatte ganz unerwartet Besuch bekommen, zum erstenmal, seitdem ich bei Touchard war. Ich hatte diesen Besuch sofort erkannt, schon in der Tür: es war Mama. Und doch hatte ich sie nur als Dreijähriger gesehen, als sie mich damals in die Dorfkirche gebracht hatte, wo ich die Taube durch die Kuppel fliegen sah. Wir saßen zusammen in meinem Zimmerchen, und ich musterte sie verstohlen. Erst später, viele Jahre nachher, erfuhr ich, daß sie damals – Werssiloff war ins Ausland gereist und hatte sie allein zurückgelassen – daß sie damals mit ihrem eigenen spärlichen Gelde und aus eigenem Wunsch und Willen nach Moskau gereist war, fast heimlich und gegen den Willen derer, in deren Obhut er sie zurückgelassen hatte, und das alles nur, um mich wiederzusehen. Sonderbar war auch, daß sie, nachdem sie mit Touchard gesprochen hatte und von ihm zu mir geführt worden war, mir selbst kein Wort davon sagte, daß sie meine Mutter sei. Sie saß neben mir, und ich weiß noch, es wunderte mich, daß sie so wenig sprach. Sie hatte ein Bündelchen bei sich und knüpfte es auf: darin waren sechs Orangen, einige Lebkuchen und zwei gewöhnliche Franzbrote. Diese Franzbrote beleidigten mich geradezu, und ich bemerkte mit gekränkter Miene, wir hätten hier eine sehr gute „Kost“, und zum Tee bekäme ein jeder von uns ein ganzes Franzbrot.
„Nimm schon vorlieb, Kindchen, ich hab’ ja nur so in meiner Einfalt gedacht: vielleicht gibt man ihnen da in ihrer Schule nicht gut zu essen. Nimm nun schon vorlieb, Kindchen.“
„Antonina Wassiljewna (Touchards Frau) wird es auch übelnehmen. Und die Mitschüler werden über mich lachen ...“
„Dann willst du sie nicht annehmen? oder vielleicht ißt du sie doch?“
„Meinetwegen, lassen Sie sie hier ...“
Aber ich rührte nichts an; die Orangen und Lebkuchen lagen vor mir auf dem Tischchen, ich aber saß da mit niedergeschlagenen Augen und einer Miene, die sehr viel persönliche Würde ausdrücken sollte. Wer weiß, vielleicht wollte ich es vor ihr auch gar nicht verbergen, daß ihr Besuch mich vor meinen Mitschülern bloßstellte; ich wollte sie das vielleicht doch ein wenig fühlen lassen, damit sie begriffe, was das heißt: „Siehst du, du blamierst mich und begreifst das nicht einmal selbst!“ Oh, ich lief schon damals mit der Bürste hinter Touchard her, um das letzte Stäubchen von seinem Rock zu entfernen! Ich stellte mir auch vor, wieviel Spott ich, wenn sie erst fortgegangen wäre, von den anderen Jungen zu ertragen haben würde und vielleicht auch von Touchard selbst, – deshalb war nicht das geringste gute Gefühl für sie in meinem Herzen. Nur heimlich betrachtete ich ihr dunkles, bescheidenes, wohl auch schon altes Kleid, ihre ziemlich derben, fast verarbeiteten Hände, ihre ganz einfachen Stiefel und ihr stark abgemagertes Gesicht; auf ihrer Stirn bildeten sich schon feine Falten; und doch sagte Antonina Wassiljewna am Abend zu mir, als meine Mutter schon wieder fortgegangen war: „Ihre maman muß einmal sehr gut ausgesehen haben.“
So saßen wir in meinem Zimmerchen, als auf einmal Agafja hereinkam und auf einem Präsentierteller eine Tasse Kaffee brachte. Es war nach dem Mittag, und Touchards pflegten um diese Zeit in ihrem Wohnzimmer Kaffee zu trinken. Aber Mama dankte und nahm die Tasse nicht: wie ich später erfuhr, trank sie damals überhaupt keinen Kaffee, weil sie davon Herzklopfen bekam. Nun hielten aber Touchards in ihren Herzen schon die Erlaubnis, daß meine Mutter mich sehen durfte, für eine ungeheure Gnade, so daß die Tasse Kaffee, die sie noch meiner Mutter schickten, in ihren Augen schon eine Art Großtat der Menschenliebe war, die ihre Herzensbildung und europäische Fortgeschrittenheit aufs schlagendste bewies. Und nun hatte Mama gerade diese Tasse Kaffee abgelehnt!
Ich wurde zu Touchard gerufen, und er sagte mir, ich solle alle meine Hefte und Bücher nehmen und sie meiner Mutter zeigen: „Damit sie sieht, wieviel Kenntnisse Sie in meiner Anstalt erworben haben“. Antonina Wassiljewna schob schmollend die Lippen vor und sagte gekränkt und spöttisch:
„Ihrer maman scheint unser Kaffee nicht zugesagt zu haben.“
Ich suchte meine Hefte zusammen und ging mit ihnen an allen „Grafen- und Senatorensöhnen“, die sich im Klassenzimmer zusammendrängten und meine Mutter und mich betrachteten, vorüber ins kleine Zimmer zu Mama, die mich erwartete. Und siehe da, ich fand sogar Gefallen daran, Touchards Befehl mit buchstäblicher Genauigkeit auszuführen. „Dies hier sind Lektionen aus der französischen Grammatik, dies hier sind Diktate, dies hier sind Konjugationen der Hilfszeitwörter avoir und être,[58] dies hier ist Geographie, Beschreibungen der Hauptstädte Europas und aller Weltteile“ usw. Ich erklärte ihr das alles wohl eine halbe Stunde lang oder noch länger, erklärte mit eintönigem Kinderstimmchen, den Blick sittsam gesenkt. Ich wußte, daß Mama von den Wissenschaften keine Ahnung hatte, vielleicht nicht einmal schreiben konnte, aber gerade deshalb gefiel ich mir in meiner Rolle. Doch ermüden konnte ich sie nicht: sie hörte mir die ganze Zeit unverändert zu, ohne mich zu unterbrechen, und sogar mit ungeheurer Aufmerksamkeit, ja fast Ehrfurcht, so daß es schließlich mir selbst langweilig wurde und ich aufhörte; übrigens war ihr Blick traurig, und in ihrem Gesicht lag etwas Schmerzliches.
Endlich erhob sie sich, um fortzugehen; da kam aber gerade Touchard herein und erkundigte sich bei ihr mit lächerlich wichtiger Miene, ob sie mit den Fortschritten ihres Sohnes zufrieden wäre. Mama wußte nicht, was sie sagen sollte, stammelte irgend etwas und dankte ihm dann, und als auch Antonina Wassiljewna herzukam, bat sie sie beide, mich, „den Waisenknaben“ doch nicht zu verlassen, „er ist doch so gut wie verwaist, seien Sie seine Wohltäter ...“ Und mit Tränen in den Augen verneigte sie sich vor ihnen, vor jedem besonders und mit einer tiefen Verbeugung, ganz so, wie „einfache“ Leute sich verneigen, wenn sie stolze Herrschaften um irgend etwas bitten. Touchards hatten das offenbar nicht erwartet; Antonina Wassiljewna war sogar etwas gerührt und änderte wohl ihre Ansicht über die Ablehnung der Tasse Kaffee. Touchard dagegen erwiderte mit noch größerer Wichtigkeit und nahezu selbst ergriffen von so viel „Humanität“ seinerseits, daß er „zwischen den Kindern keinen Unterschied mache, hier seien alle seine Kinder und er ihr Vater, und ich stände bei ihm fast auf der gleichen Stufe mit Senatoren- und Grafensöhnen, und das dürfe man nicht unterschätzen“ usw. Mama verneigte sich nur, schien aber verwirrt zu sein; schließlich wandte sie sich an mich und sagte mit Tränen in den Augen: „Leb wohl, Jungchen!“
Und sie küßte mich, das heißt, ich erlaubte ihr, mich zu küssen. Sie hatte sichtlich das Vergnügen, mich immer wieder zu küssen, mich zu umfassen, an sich zu drücken, aber war es nun, daß sie sich vor den Menschen schämte, oder daß ein bitteres Gefühl sich ihrer bemächtigte, oder daß sie erriet, daß ich mich ihrer schämte, – jedenfalls ging sie, nachdem sie sich nochmals vor Touchards verneigt hatte, eilig zur Tür. Ich stand und rührte mich nicht.
„Mais suivez donc votre mère,“ sagte Antonina Wassiljewna zu mir, „il n’a pas de cœur cet enfant!“[59]
Touchard zuckte dazu nur mit den Achseln, was natürlich so viel sagte wie: „Du siehst, ich behandle ihn doch nicht ohne Grund wie einen Bedienten.“
Ich folgte gehorsam meiner Mutter; wir traten auf die Treppe hinaus. Ich wußte, daß sie jetzt alle durch das Fenster uns nachsahen. Mama wandte sich zur Kirche und bekreuzte und verneigte sich dreimal; ihre Lippen bebten. Vom Turm kam tiefer, volltönender Glockenklang, schlug sicher an und summte. Mama wandte sich zu mir zurück, und – da konnte sie sich nicht mehr bezwingen: sie legte beide Hände auf meinen Kopf und brach in Tränen aus und weinte über meinem Haupt.
„Mamachen, nicht ... schämen Sie sich doch ... Die anderen sehen durch das Fenster ...“
Sie fuhr auf und sagte eilig, sich fast überstürzend:
„Ja, ich geh schon ... Gott ... Gott beschütze dich ... mögen die Engel dich behüten, die heilige Mutter Gottes und der heilige Nikolai, der Gottesknecht ... Gott, lieber Gott!“ murmelte sie schnell und bekreuzte mich immer wieder, immer wieder, als könne sie in der Eile mich nicht genug segnen. „Mein Jungchen, du mein Lieber! Wart, Jungchen ...“
Sie griff schnell mit der Hand in ihre Kleidertasche und holte ein blaukariertes Tüchlein hervor, von dem ein Zipfel zu einem Knoten gebunden war, und sie versuchte eilig, diesen Knoten zu lösen ... es gelang ihr aber nicht ...
„Nun, tut nichts, nimm’s mit dem Tüchelchen: es ist ganz sauber, sieh, vielleicht kannst du’s brauchen, es sind vier Zwanziger drin, vielleicht hast du mal ein bißchen Geld nötig, verzeih, Jungchen, mehr hab’ ich gerade selber nicht ... verzeih, Jungchen.“
Ich nahm das Tüchlein, wollte aber schon bemerken, daß wir von Herrn Touchard und Antonina Wassiljewna alles bekämen, was wir brauchten und ich folglich nichts nötig hätte, doch ich unterdrückte diese Bemerkung und nahm das Tüchlein mit dem Gelde von ihr an.
Sie bekreuzte mich noch einmal, flüsterte noch einmal ein Gebet, und auf einmal – auf einmal verneigte sie sich auch vor mir, ganz wie oben vor Touchards, – es war eine tiefe, langsame, lange Verneigung – nie werde ich das vergessen! Ich zuckte zusammen und wußte selbst nicht, warum. Was wollte sie mit dieser Verneigung sagen? Wollte sie vielleicht „ihre Schuld vor mir bekennen?“ wie ich mich später einmal fragte, lange nachher, – ich weiß es nicht. Damals aber schämte ich mich deshalb noch viel mehr; denn „die sehen doch alles durch das Fenster, und Lambert wird mich noch mehr hauen,“ dachte ich.
Endlich verließ sie mich. Die Orangen und Lebkuchen hatten die Grafen- und Senatorensöhne schon vor meiner Rückkehr verspeist, und die vier Zwanziger nahm mir sogleich Lambert weg: für diese achtzig Kopeken kauften sie in der Konditorei Kuchen und Schokolade und aßen alles allein auf; mir boten sie nicht einmal etwas an.
Es verging ein halbes Jahr, und der windige, regnerische Oktober war gekommen. An meine Mutter dachte ich gar nicht mehr. Oh, damals war bereits Haß, dumpfer Haß gegen alles in mein Herz gedrungen und hatte es ganz durchtränkt; zwar bürstete ich noch immer Touchards Kleider, aber ich haßte ihn schon aus aller Kraft, und mit jedem Tage wurde mein Haß noch größer. In dieser Zeit machte ich mich einmal an einem trübseligen Abend daran, ich weiß selbst nicht warum, in meiner Schublade zu kramen, und da erblickte ich plötzlich in einer Ecke ihr blaukariertes Batisttüchlein; es lag dort, wie ich es damals hineingeworfen hatte. Ich zog es hervor und betrachtete es mit einer gewissen Neugier: der eine Zipfel verriet noch deutlich den Knoten und hatte sogar noch einen glatten runden Abdruck von der Größe eines Zwanzigers; übrigens legte ich das Tüchlein wieder an dieselbe Stelle zurück und schob die Schublade zu. Es war am Abend vor einem Feiertage und die Glocke von der nahen St. Nikolaikirche läutete zur Messe. Die anderen Zöglinge waren schon nach dem Mittag nach Haus gefahren, nur Lambert war diesmal geblieben und blieb auch den ganzen Feiertag über da – aus irgendeinem bestimmten Grunde hatte man ihn nicht abgeholt. Zwar schlug er mich noch wie früher, aber er machte mich damals auch schon in vielen Dingen zu seinem Vertrauten, und als solchen hatte er mich nötig. Wir sprachen den ganzen Abend von Pistolen des Systems Lepage, von denen weder er noch ich jemals eine gesehen hatten, von tscherkessischen Säbeln und wie man mit ihnen dreinhaut, und dann, wie schön es doch wäre, eine Räuberbande zu gründen, und zu guter Letzt ging Lambert wieder auf sein Lieblingsthema über, auf die bewußten schändlichen Geschichten, die ich, obschon ich mich im geheimen darüber wunderte, doch sehr gern anhörte. An diesem Abend aber konnte ich sie nicht mehr ertragen, und ich sagte, ich hätte Kopfschmerzen. Um zehn Uhr gingen wir zu Bett. Ich zog meine Decke über den Kopf und holte dann unter dem Kissen ihr blaues Tüchlein hervor: eine Stunde vorher hatte ich es, ich weiß nicht weshalb, wieder aus der Schublade geholt und, da unsere Betten schon aufgedeckt waren, unter mein Kopfkissen gesteckt. Ich drückte es gleich an mein Gesicht, und plötzlich begann ich es zu küssen: „Mama, Mama,“ flüsterte ich, und die Erinnerung preßte mir wie ein Schraubstock die Brust zusammen. Ich schloß die Augen und sah ihr Gesicht mit den bebenden Lippen, als sie sich vor der Kirche bekreuzt und nachher über mir das Kreuz geschlagen hatte, und ich, ich hatte in diesem Augenblick zu ihr sagen können: „Schämen Sie sich doch ... Die anderen sehen durch das Fenster!“ „Mamachen, liebe Mama, einmal im Leben bist du bei mir gewesen ... Mamachen, wo bist du jetzt, du liebe, du mein lieber Gast aus der Ferne? Denkst du jetzt noch an deinen armen Jungen, zu dem du einmal gekommen bist? ... Zeig dich mir doch noch einmal, erscheine mir wenigstens im Traum, nur damit ich dir sagen kann, wie ich dich liebe! Ich will dich nur umfassen und deine blauen Augen küssen, will dir nur sagen, daß ich mich deiner jetzt gar nicht mehr schäme, daß ich dich auch damals schon liebte und mein Herz mir weh tat, als ich so dasaß wie ein Bedienter! Niemals wirst du erfahren, Mama, wie ich dich damals geliebt habe! Mamachen, wo bist du jetzt? Hörst du mich? Mama, liebe Mama, weißt du noch, wie das Täubchen dort in der Dorfkirche durch die Kuppel flog?“
„Zum Teufel ... Was fehlt ihm, daß er einen nicht schlafen läßt!“ brummte Lambert wütend in seinem Bett. „Wart nur, ich werde dich ...!“ Er springt aus dem Bett, kommt zu mir gelaufen und will mir die Bettdecke wegreißen, ich aber habe mich ganz in sie hineingewickelt und halte sie krampfhaft fest.
„Er heult! Was weinst du, Dummkopf? So’n Schaf! Da hast du eins!“ – und er haut mich, haut mich immer stärker, auf den Rücken, in die Seite, die Schläge werden immer schmerzhafter und ... und auf einmal schlage ich die Augen auf ...
Der Morgen graut schon, auf dem Schnee und an der Mauer blitzen weiße Eisnadeln ... Ich sitze zusammengekauert, halb noch bewußtlos, halb erfroren in meinem Pelz, und über mich beugt sich jemand, weckt mich, schimpft dabei laut und stößt mich mit der Fußspitze schmerzhaft in die Seite. Ich sehe auf: es ist ein Herr in einem kostbaren Bärenpelz, auf dem Kopf eine Zobelmütze; er hat schwarze Augen, einen pechschwarzen gepflegten Backenbart, eine gebogene Nase, blendend weiße Zähne, ein weißes Gesicht und rote Wangen: fast ein Maskengesicht ... Er beugt sich ganz nah zu mir herab, und bei jedem Wort fliegt sein Atem in der Kälte wie Dampf.
„Erfroren! Teufel! Besoffene Fratze! Steh auf, erfrierst sonst wie ein Hund, steh auf! Steh auf!“
„Lambert!“ schreie ich.
„Wer bist du?“
„Dolgoruki!“
„Zum Teufel, was für ein Dolgoruki?“
„Einfach Dolgoruki! ... Bei Touchard ... Der, dem du im Restaurant die Gabel in den Schenkel gestoßen hast!“
„Ha–a–a!“ ruft er aus und lächelt, sich erinnernd, ein langes, verwundertes Lächeln (sollte er mich wirklich vergessen haben?) „Ha! also du bist es, du!“
Er hilft mir aufstehen, stellt mich auf die Füße; ich kann kaum stehen, kaum mich bewegen, er führt mich, stützt mich mit dem Arm. Er sieht mir in die Augen, scheint nachzudenken, um sich zu erinnern und horcht aufmerksam auf mein Gestammel, und ich stammle ununterbrochen und so schnell ich kann, und ich bin so froh, so froh, daß ich sprechen kann, und bin froh, daß es gerade Lambert ist. Erschien er mir nun als mein „Retter“, oder klammerte ich mich deshalb so an ihn, weil ich ihn in dem Augenblick für einen Menschen aus einer anderen Welt hielt, – ich weiß es nicht, ich dachte nicht darüber nach, – ich hielt mich an ihm fest, ohne mir Rechenschaft zu geben, warum und weshalb ich es tat. Ich weiß auch nicht, was ich sprach, ich erinnere mich keines Wortes, doch es wird wohl nichts Vernünftiges gewesen sein; denn ich konnte ja kaum ein Wort verständlich hervorbringen; aber er war ganz Ohr. Irgendwo erblickte er einen Schlitten, rief den Kutscher an, und wenige Minuten später saß ich in einem warmen Zimmer.