IV.

Aber das Bewußtsein, das für einen Augenblick hell geworden war, erlosch sehr schnell wieder. Kaum, kaum erinnere ich mich noch dessen, wie ich heimfuhr und dann zu Mama hineingeführt wurde, dann aber trat bei mir schon vollständige Bewußtlosigkeit ein. Am folgenden Tage soll ich, wie man mir später erzählt hat, auf kurze Zeit wieder zu mir gekommen sein (übrigens habe auch ich noch einiges von diesem Tage behalten). Ich erinnere mich, wenn auch nur unklar, daß ich mich in Werssiloffs Zimmer auf seinem Diwan befand; erinnere mich der Gesichter Werssiloffs, Mamas, Lisas, erinnere mich sogar noch genau daran, daß Werssiloff mir irgend etwas von Serschtschikoff und dem Fürsten erzählte, mir immer wieder einen Brief zeigte, mir zuredete und mich zu beruhigen suchte. Später haben sie mir erzählt, ich hätte angstvoll nach einem Lambert gefragt und immer gesagt, ein Hündchen belle. Aber das schwache Licht des Bewußtseins erlosch bald: am Abend dieses zweiten Tages hatte ich schon hohes Fieber und phantasierte. Doch ich will nicht den Ereignissen vorgreifen und zunächst das erzählen, was inzwischen geschehen war, und wovon ich noch nichts wußte:

Als ich an jenem Abend Serschtschikoffs Spielzirkel verlassen hatte, und man dort wieder ruhiger geworden war, hatte Serschtschikoff nach dem Wiederbeginn des Spiels auf einmal mit lauter Stimme erklärt, es wäre ein bedauernswerter Irrtum geschehen: die vermißten vierhundert Rubel hätten sich unter dem anderen Gelde gefunden, und die Rechnung der Bank stimme mit dem vorhandenen Gelde vollkommen überein. Da war denn der Fürst, der den Saal noch nicht verlassen hatte, auf Serschtschikoff zugetreten und hatte von ihm in sehr bestimmtem Tone verlangt, daß er meine Unschuld sofort vor allen Anwesenden bezeuge und sich außerdem schriftlich bei mir entschuldige. Serschtschikoff fand diese Forderung durchaus gerechtfertigt und gab dem Fürsten in Gegenwart aller sein Wort darauf, daß er am nächsten Tage an mich schreiben, den Sachverhalt klarlegen und in aller Form seine Entschuldigung aussprechen werde. In der Tat erhielt Werssiloff, dessen Adresse der Fürst angegeben hatte, am nächsten Tage von Serschtschikoff einen Brief an mich und außerdem noch über tausenddreihundert Rubel, die mir gehörten und von mir auf dem Spieltisch vergessen worden waren. So war denn der peinigende Zwischenfall im Spielzirkel abgetan: diese freudige Nachricht trug später, als ich mein Bewußtsein wiedererlangt hatte, unendlich viel zu meiner Genesung bei.

Der Fürst aber hatte, nachdem er aus dem Spielzirkel heimgekehrt war, noch in derselben Nacht zwei Briefe geschrieben: den einen an mich, den anderen an sein ehemaliges Regiment, bei dem er die Geschichte mit dem Kornett Stepanoff gehabt hatte. Beide Briefe hatte er am nächsten Morgen abgeschickt. Darauf hatte er einen Rapport abgefaßt und mit diesem Rapport in der Hand sich schon am frühen Morgen zu seinem Regimentskommandeur begeben, um ihm zu melden, daß er ein Staatsverbrecher sei und sich als Mitbeteiligter an der Fälschung der und der Aktien dem Gericht stelle und bitte, das Verfahren gegen ihn einzuleiten. Damit hatte er ihm den Rapport eingehändigt, in dem das alles schriftlich dargelegt war. Er wurde verhaftet.

Hier ist der Brief, den er in jener Nacht an mich geschrieben hat:

Teuerster Arkadi Makarowitsch!

Da ich es mit einem lakaienhaften „Ausweg“ versucht habe, habe ich somit das Recht verloren, mich auch nur ein wenig mit dem Gedanken zu trösten, daß auch ich mich schließlich zu einer mutigen Tat habe entschließen können. Ich bin schuldig vor meinem Vaterlande und dem ganzen Geschlecht der Fürsten Ssokolski, und als der Letzte des Geschlechts richte ich mich selbst. Ich verstehe nicht, wie ich mich an den niedrigen Gedanken der Selbsterhaltung habe klammern und eine Zeitlang daran denken können, mich mit Geld von ihnen loszukaufen! Vor meinem Gewissen wäre ich doch ewig ein Verbrecher geblieben. Und selbst wenn diese Leute mir die kompromittierenden Briefe zurückgegeben hätten, sie hätten mich doch mein ganzes Leben lang nicht in Ruh gelassen! Was blieb mir übrig: mit ihnen zu leben, mein Lebtag an sie gefesselt, mit ihnen unter einer Decke zu sein – das war’s, was mich erwartete! Dieses Leben konnte ich nicht annehmen und habe schließlich doch so viel Kraft in mir gefunden oder vielleicht auch nur Verzweiflung, um so zu handeln, wie ich jetzt handle.

Ich habe an meine ehemaligen Regimentskameraden geschrieben und Stepanoff rehabilitiert. In dieser Handlungsweise liegt keineswegs eine Sühne und kann auch gar keine liegen: das ist ja nur das Testament eines Menschen, der morgen ein Toter ist. Nur so ist das aufzufassen.

Verzeihen Sie mir, daß ich gestern im Spielsaal nicht für Sie einstand; es geschah das, weil ich in dem Augenblick Ihrer nicht sicher war. Jetzt, da ich schon ein toter Mensch bin, kann ich sogar das eingestehen ... aus jener Welt.

Arme Lisa! Sie weiß noch nichts von diesem Entschluß; möge sie selbst entscheiden, ob sie mich verurteilen soll. Ich kann mich nicht rechtfertigen und finde nicht einmal Worte, um ihr auch nur das geringste zu erklären. Sie, Arkadi Makarowitsch, sollen auch noch erfahren, daß ich ihr gestern früh, als sie zum letztenmal bei mir war, auch meinen Betrug aufgedeckt und ihr gesagt habe, daß ich zu Anna Andrejewna gefahren war, um dieser einen Antrag zu machen. Ich konnte das nicht auf meinem Gewissen behalten, nachdem ich meinen letzten Entschluß schon gefaßt hatte, als ich ihre Liebe zu mir sah; und so gestand ich es ihr. Sie vergab mir, vergab mir alles, aber ich glaubte ihr nicht; eine solche Vergebung gibt es nicht; ich an ihrer Stelle könnte das nicht vergeben.

Vergessen Sie mich nicht ganz.

Ihr unglücklicher letzter

Fürst Ssokolski.

Ich lag neun Tage lang bewußtlos.

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