IV.

Aber wie zum Trotz kam der Gaul kaum vom Fleck, obgleich ich dem Kutscher einen ganzen Rubel Trinkgeld versprach, und der Gaul von ihm für mindestens einen Rubel Peitschenhiebe bekam. Mein Herz drohte stillezustehen. Ich wollte dem Kutscher etwas sagen, aber ich konnte noch kein vernünftiges Wort hervorbringen. In diesem Zustande stürzte ich in das Zimmer des Fürsten, der kurz vor mir angekommen war. Er hatte Darsan nach Hause gebracht und war allein. Bleich und erregt schritt er im Kabinett auf und ab. Wie gesagt: er hatte furchtbar viel verloren. Er sah mich mit einer sonderbar zerstreuten Verwunderung an.

„Sind Sie schon wieder da?“ stieß er unmutig hervor, und sein Gesicht verfinsterte sich.

„Ja, – um mit Ihnen zu einem Ende zu kommen, mein Herr!“ sagte ich atemlos. „Wie konnten Sie sich unterstehen, sich so gegen mich zu benehmen?“

Er sah mich fragend an.

„Wenn Sie die Absicht hatten, mit Darsan zu fahren, so hätten Sie mir sagen sollen, daß Sie mit ihm fahren wollten. Sie aber gaben nur dem Kutscher den Befehl, und ich ...“

„Ach ja, Sie fielen, glaub ich, in den Schnee!“ Und er lachte mir ins Gesicht.

„Darauf antwortet man mit einer Forderung! Deshalb will ich mit Ihnen zuerst – abrechnen.“

Und ich holte mit zitternden Händen mein Geld hervor und legte es auf den Diwan, auf ein Marmortischchen, auf ein offenes Buch, legte es in Haufen hin, handvollweise, in Gold und Banknoten; einige Goldstücke rollten auf den Teppich.

„Ach richtig, Sie haben ja gewonnen. Deshalb! Das merkt man an Ihrem Ton!“

Noch nie hatte er so unverschämt zu mir gesprochen. Ich fühlte, wie ich erbleichte.

„Da ... ich weiß nicht, wieviel das ist ... man müßte es zählen. Ich schulde Ihnen an dreitausend ... oder wieviel ...? War es mehr oder weniger?“

„Ich habe Sie meines Wissens nicht ersucht, mir dieses Geld zurückzugeben.“

„Nein, es ist mein eigener Wunsch, und Sie wissen, warum. Hier, dieses Paket Banknoten enthält tausend Rubel,“ fuhr ich fort, und begann mit zitternden Fingern die Scheine zu zählen, gab es aber auf. „Einerlei, ich weiß ja doch, daß es tausend Rubel sind. Nun, diese Tausend behalte ich für mich, das übrige, diesen Haufen da, nehmen Sie, zur Begleichung meiner Schuld, das heißt, als Teil meiner Schuld: es müssen, denke ich, an zweitausend sein oder vielleicht auch mehr.“

„Aber ein Tausend behalten Sie doch für sich?“ bemerkte der Fürst mit höhnischem Lächeln.

„Brauchen Sie es denn? In dem Falle ... ich wollte ... ich dachte, Sie wünschten es nicht ... doch, wenn Sie es brauchen, so ...“

„Nein, ich brauche es nicht, behalten Sie’s nur!“ Er wandte mir mit Verachtung den Rücken und begann im Zimmer auf und ab zu schreiten. „Und der Teufel weiß, wie Sie überhaupt darauf kommen, mir das Geld zurückzugeben?“ Er drehte sich plötzlich wieder zu mir um und sah mich mit brutaler Herausforderung an.

„Ich gebe es Ihnen zurück, weil ich Sie zur Rechenschaft ziehen will!“ fuhr ich nun meinerseits wütend auf.

„Scheren Sie sich zum Teufel mit Ihren großartigen Worten und Gesten!“ schrie er mich plötzlich an und stampfte mit dem Fuß wie außer sich. „Ich wollte Sie beide schon lange hinauswerfen: Sie und Ihren Werssiloff!“

„Sie sind wohl wahnsinnig!“ rief ich; denn er sah wirklich danach aus.

„Sie haben mich fast zu Tode gequält mit Ihren großartigen Phrasen: jawohl, Phrasen, nichts als Phrasen! Über die Ehre zum Beispiel! Pfui Teufel! Schon lange wollte ich damit ein Ende machen! Ich freue mich, ich freue mich, daß endlich der Augenblick gekommen ist. Ich hielt mich für gebunden und schämte mich, daß ich Sie beide empfangen mußte ... Sie beide! Aber jetzt halte ich mich durch nichts mehr für gebunden, durch nichts, durch nichts, haben Sie verstanden?! Ihr Werssiloff hat mich aufgehetzt, die Achmakoff bloßzustellen. Und nach alledem wagen Sie noch, Sie und Werssiloff, mir von Ehre zu sprechen! Sie, die selbst ehrlos sind ... alle beide, alle beide! Haben Sie sich denn etwa geschämt, von mir Geld anzunehmen?“

Es wurde mir dunkel vor den Augen.

„Ich nahm es von Ihnen als Freund,“ begann ich furchtbar leise. „Sie haben es mir doch selbst angeboten, und ich glaubte an Ihre Zuneigung ...“

„Ich bin nicht ‚Freund‘ so eines Menschen wie Sie! Ich habe Ihnen Geld gegeben, aber doch nicht aus dem Grunde! Sie wissen ja selbst, warum ich es Ihnen gegeben habe ...“

„Ich habe es auf Werssiloffs Konto genommen; freilich, das war dumm von mir, aber ich ...“

„Sie konnten es nicht auf Werssiloffs Konto nehmen, ohne seine Erlaubnis, und ich hätte Ihnen sein Geld auch gar nicht ohne seine Erlaubnis geben dürfen ... Ich habe Ihnen mein Geld gegeben, und das wußten Sie; Sie wußten das und nahmen das Geld doch, und ich habe diese ganze verhaßte Komödie in meinem Hause ertragen müssen ...“

„Was soll ich gewußt haben? Welche Komödie? Wofür haben Sie mir denn das Geld gegeben?“

„Pour vos beaux yeux, mon cousin!“[49] lachte er mir gerade ins Gesicht.

„Teufel!“ brüllte ich. „Nehmen Sie doch alles, hier! – Da ist auch dieses Tausend noch! So, jetzt sind wir quitt, und morgen ...“

Und ich schleuderte ihm das Paket mit den Hundertrubelscheinen zu, die ich für mich hatte zurückbehalten wollen. Das Paket traf seine Weste und fiel zu Boden. Er trat schnell mit drei großen Schritten schnurstracks und drohend an mich heran.

„Wagen Sie zu behaupten,“ sagte er in tierischer Wut, jede Silbe scharf hervorstoßend, „daß Sie den ganzen Monat das Geld von mir genommen hätten, ohne zu wissen, daß Ihre Schwester von mir schwanger ist?“

„Wie? Was!“ schrie ich auf, und plötzlich wurden mir die Füße so schwach, daß ich kraftlos auf den Diwan sank. Er selbst hat mir später gesagt, ich sei so weiß geworden wie ein Handtuch. Mein Verstand wurde irr. Ich weiß noch, wir sahen einander lange schweigend in die Augen, und ich sah, wie ein Schrecken auf einmal über sein Gesicht lief; er beugte sich plötzlich vor und faßte mich an den Schultern, um mich zu halten. Ich sehe noch heute sein erstarrtes Lächeln: es lag Mißtrauen in ihm und Verwunderung. Ja, er hatte nicht erwartet, daß seine Worte einen solchen Eindruck auf mich machen würden, da er von meiner Schuld fest überzeugt war.

Ich wurde ohnmächtig, aber nur für einen Augenblick; ich kam gleich wieder zu mir, richtete mich auf, sah ihn an und versuchte, meine Gedanken zu sammeln – und plötzlich offenbarte sich mir die ganze Furchtbarkeit der Wahrheit, und ich erwachte gleichsam aus einem langen Schlaf! Hätte man mir das früher gesagt und mich gefragt, was ich in dem Falle täte, ich hätte wahrscheinlich geantwortet, daß ich diesen Menschen in Stücke zerreißen würde. Doch es geschah etwas ganz anderes, ganz gegen meinen Willen: ich schlug auf einmal meine Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus. Ich weinte bitterlich. Das geschah so ganz von selbst. In dem jungen Menschen kam plötzlich das Kind zum Vorschein. Dieses kleine Kind beherrschte damals noch reichlich die Hälfte meiner Seele. Ich warf mich auf den Diwan und schluchzte. „Lisa! Lisa! Arme, unglückliche Lisa!“ Da glaubte mir der Fürst auf einmal alles.

„Mein Gott, wie habe ich Ihnen unrecht getan!“ rief er mit tiefem Schmerz. „Oh, wie niedrig habe ich von Ihnen gedacht in meinem Mißtrauen ... Können Sie mir verzeihen, Arkadi Makarowitsch!“

Ich sprang plötzlich auf, wollte ihm etwas sagen, trat auch auf ihn zu, brachte aber kein Wort hervor – und stürzte aus dem Zimmer, aus dem Hause. Ich weiß, daß ich zu Fuß heimging, aber ich erinnere mich nicht mehr, wie ich nach Hause kam. Ich warf mich auf mein Bett, grub mein Gesicht in das Kissen, und so verharrte ich in der Dunkelheit und grübelte, grübelte. In solchen Augenblicken denkt man nie vernünftig und folgerichtig. Mein Verstand und meine Phantasie waren wie abgerissene Fäden, und ich erinnere mich noch, daß mir Gott weiß was für ganz nebensächliche Dinge durch den Kopf gingen. Aber Kummer und Leid traten wieder mit Schmerz und dumpfem Weh in mein Bewußtsein, und ich rang die Hände und rief: „Lisa, Lisa!“ und brach wieder in Tränen aus. Ich weiß nicht mehr, wie ich einschlief, aber ich schlief fest und süß.

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