Ich trat ein und kam in einen Haufen unbekannter Menschen, ließ mich an der Ecke des Tisches nieder und setzte nur kleine Beträge. So saß ich zwei Stunden, ohne mich zu rühren. In diesen zwei Stunden war das Spiel flau und unbelebt. Ich ließ außergewöhnliche Chancen vorbeigehen, und gab mir Mühe, mich nicht zu erhitzen, sondern durch Kaltblütigkeit und Sicherheit zu gewinnen. Das Ergebnis war, daß ich in diesen zwei Stunden schließlich weder verloren noch gewonnen hatte: von dreihundert Rubeln hatte ich im ganzen vielleicht zehn bis fünfzehn Rubel verspielt. Dieser klägliche Erfolg ärgerte mich, und außerdem war noch eine widerwärtige Geschichte dazwischengekommen. Ich wußte, daß man in diesen Spielzirkeln häufig Diebe trifft, das heißt, nicht Diebe von der Straße, sondern Diebe unter den Spielern selbst. Ich bin zum Beispiel überzeugt, daß der bekannte Spieler Aferdoff ein Dieb ist; er spielt sogar eine Rolle in Petersburg, und ich habe ihn noch vor kurzem in seinem Ponygespann fahren sehen, aber er ist doch ein Dieb und hat mich bestohlen! Auf diese Geschichte werde ich später zurückkommen; an dem Abend gab es erst nur ein Vorspiel dazu. Ich saß, wie gesagt, zwei Stunden an der Ecke des Tisches, und links neben mir saß die ganze Zeit ein schäbiger kleiner Stutzer, wenn ich nicht irre, ein Jüdchen; übrigens ist er irgendwo angestellt, außerdem schriftstellert er und wird sogar gedruckt. Im letzten Augenblick gewann ich ganz unerwartet noch zwanzig Rubel. Zwei rote Scheine lagen vor mir auf dem Tisch, und plötzlich sehe ich, wie dieses Jüdchen die Hand ausstreckt und ruhig den einen der beiden Scheine nimmt. Ich protestierte natürlich, er aber erklärte mir mit der unverschämtesten Sicherheit und ohne die Stimme zu erheben, daß es sein Gewinn sei, er hätte soeben gleichfalls gesetzt und gewonnen; und damit kehrte er mir den Rücken, als hätte er nicht die Absicht, das Gespräch mit mir fortzusetzen. Zum Unglück war ich in dem Augenblick in einer sonderbaren Stimmung: ich hatte gerade einen vorzüglichen Einfall gehabt, war im Begriff gewesen, aufzustehen, und da ich keine Lust hatte, mit dem Judenjüngling zu streiten, so schenkte ich ihm einfach den Roten. Übrigens wäre es auch schwierig gewesen, diesem frechen Diebe gegenüber noch mein Recht zu behaupten; denn ich hatte den Augenblick schon verpaßt: das Spiel begann bereits von neuem. Damit hatte ich nun einen sehr großen Fehler begangen, dessen Folgen sich später zeigen sollten: drei bis vier Spieler neben uns hatten unseren Wortwechsel gehört, und als sie sahen, daß ich so leicht nachgab, hielten sie wahrscheinlich mich für einen solchen Dieb. Es war gerade zwölf Uhr. Ich ging in das Nebenzimmer, dachte nach, legte mir meinen neuen Plan zurecht und kehrte wieder zurück. Beim Bankhalter wechselte ich mein Papiergeld in Halbimperiale um. Ich hatte nun ungefähr vierzig Halbimperiale in Gold. Ich teilte sie in zehn Häufchen ein und beschloß, zehnmal hintereinander auf Zero zu setzen, jedesmal vier Halbimperiale. „Gewinne ich, so ist das mein Glück, verliere ich, – um so besser; dann werde ich nie mehr spielen.“ Ich muß hier bemerken, daß in den ganzen zwei Stunden Zero noch kein einziges Mal herausgekommen war, weshalb niemand mehr auf Zero zu setzen wagte.
Ich setzte stehend, schweigend, mit gerunzelter Stirn und zusammengebissenen Zähnen. Nach meinem dritten Satz rief Serschtschikoff laut: „Zero!“ – an diesem Abend zum erstenmal. Mir wurden vierzig Halbimperiale in Gold auf den Tisch gezählt. Ich hatte nun von meinen zehn zurechtgelegten Einsätzen noch sieben, und ich setzte weiter, aber schon begann sich alles im Kreise um mich zu drehen und zu tanzen.
„Kommen Sie hierher!“ rief ich über den ganzen Tisch hin einem Spieler zu, der vorhin neben mir gesessen hatte, einem Herrn im Frack, mit grauem Schnurrbart und kupferrotem Gesicht, der mit unbeschreiblicher Geduld schon seit einigen Stunden kleine Summen setzte und Einsatz um Einsatz verlor. „Kommen Sie hierher! Hier ist Glück!“
„Meinen Sie mich?“ fragte vom anderen Ende des Tisches der alte Schnauzbart mit drohender Verwunderung.
„Ja, Sie! Dort verspielen Sie ja alles bis aufs Hemd!“
„Das ist nicht Ihre Sache, und ich bitte Sie, mich gefälligst in Ruhe zu lassen!“
Doch ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Mir gegenüber an der anderen Seite des Tisches saß ein älterer Offizier. Er sah meinen Goldhaufen an und bemerkte halblaut zu seinem Nachbar:
„Sonderbar, Zero. Nein, auf Zero zu setzen könnte ich mich nicht entschließen.“
„Entschließen Sie sich nur, Herr Oberst!“ rief ich ihm zu und setzte von neuem auf Zero.
„Ich bitte Sie, auch mich in Ruhe zu lassen und Ihre Ratschläge für sich zu behalten,“ schnitt er mir scharf das Wort ab. „Sie sind hier auffallend laut,“ fügte er noch hinzu.
„Ich gebe Ihnen ja nur einen guten Rat. Wetten wir, daß jetzt wieder Zero kommt? Hier – zehn Goldstücke! Wollen Sie wetten?“
Und ich schob ihm zehn Halbimperiale hin.
„Auf zehn Goldstücke wetten? Meinetwegen,“ sagte er trocken und streng. „Ich wette mit Ihnen, daß diesmal nicht Zero kommt.“
„Zehn Louisdor, Oberst.“
„Was soll das heißen, Louisdor?“
„Ich meine zehn Halbimperiale, Oberst, oder, wenn das besser klingt, zehn Louisdor.“
„Dann sagen Sie Halbimperiale und lassen Sie Ihre Scherze.“
Ich hoffte selbstverständlich nicht, die Wette zu gewinnen: sechsunddreißig Chancen gab es gegen eine, daß Zero nicht herauskam; ich wettete aber, um mich wichtig zu machen, um die Aufmerksamkeit aller auf mich zu lenken. Ich fühlte nur zu sehr, daß alle mich hier aus irgendeinem Grunde nicht mochten, und daß man mich dies mit besonderem Vergnügen fühlen ließ. Die Roulette drehte sich, und – wie groß war das allgemeine Erstaunen, als wieder Zero herauskam! Man schrie fast auf! Von dem Augenblick an war ich dem Rausch des Gewinners verfallen. Wieder wurden mir hundertundvierzig Halbimperiale vorgezählt. Serschtschikoff fragte mich, ob ich nicht einen Teil in Banknoten ausgezahlt haben wollte, und ich murmelte darauf etwas vollkommen Unverständliches, da ich buchstäblich nicht mehr ruhig und sachlich sprechen konnte. Mir schwindelte, und ich empfand ein Schwächegefühl in den Knien. Ich fühlte plötzlich, daß ich jetzt alles wagen würde; am liebsten hätte ich noch jemandem eine Wette angeboten oder einige tausend Rubel auf einmal gesetzt. Mechanisch scharrte ich mit der Hand die Banknoten und das Gold zusammen, konnte mich aber nicht dazu aufraffen, das Geld zu zählen. In diesem Augenblick bemerkte ich hinter mir den Fürsten und Darsan: sie waren soeben aus ihrem Hasardzirkel gekommen und hatten, wie ich später erfuhr, ihr ganzes Geld verspielt.
„Ah, Darsan,“ rief ich ihm zu, „hier ist Glück! Setzen Sie auf Zero!“
„Kann nicht, hab’ alles verspielt,“ antwortete er trocken. Der Fürst tat einfach, als bemerke und kenne er mich nicht.
„Hier ist doch Geld!“ rief ich und zeigte auf meinen Goldhaufen. „Wieviel brauchen Sie?“
„Zum Teufel!“ rief Darsan wütend und wurde feuerrot. „Ich habe Sie, glaub ich, nicht um Ihr Geld gebeten!“
„Sie werden gerufen,“ sagte neben mir Serschtschikoff und zog mich am Ärmel.
Ich war von dem Oberst, der in der Wette mit mir zehn Halbimperiale verloren hatte, schon einigemal und fast grob angerufen worden.
„Nehmen Sie es gefälligst!“ rief er ganz rot vor Zorn. „Ich bin nicht verpflichtet, auf Sie zu warten, bis Sie das Geld eingesteckt haben ... Sonst sagen Sie nachher, Sie hätten es nicht bekommen. Hier ist die Summe. Zählen Sie nach.“
„Ich glaube Ihnen, ich glaube Ihnen, Oberst, ich glaube Ihnen auch so, ohne nachzuzählen; ich bitte Sie nur, mich nicht so anzuschreien und sich nicht so zu ärgern,“ sagte ich und strich das Häufchen Gold mit der Hand zusammen.
„Mein Herr, bleiben Sie mir gefälligst mit Ihrer Familiarität vom Halse!“ schnauzte mich der Oberst scharf an. „Ich habe mit Ihnen noch nicht Schweine gehütet!“
„Sonderbar, daß man solche Menschen überhaupt zuläßt! – Wer ist das eigentlich ...? Irgendein Jüngling,“ hörte ich halblaut sprechen.
Aber ich achtete nicht darauf, ich setzte blindlings weiter, jedoch nicht mehr auf Zero. Ich setzte einen ganzen Packen regenbogenfarbener Scheine auf die ersten achtzehn Nummern.
„Fahren wir, Darsan,“ hörte ich hinter mir die Stimme des Fürsten.
„Sie fahren nach Haus?“ fragte ich, indem ich mich schnell nach ihnen umwandte. „Warten Sie auf mich, wir fahren zusammen, ich mache hier Schluß!“
Mein Einsatz gewann; das brachte mir wieder eine große Summe.
„Basta!“ rief ich und begann mit zitternden Händen das Gold in meinen Taschen unterzubringen, ohne es zu zählen. Die Haufen von Banknoten knitterte ich mit den Fingern irgendwie zusammen, um sie in meine Seitentasche zu stecken. Plötzlich legte sich die dicke beringte Hand Aferdoffs, der unmittelbar neben mir saß und auch hohe Einsätze gemacht hatte, auf drei meiner regenbogenfarbenen Hundertrubelscheine und deckte sie zu.
„Erlauben Sie, die gehören nicht Ihnen,“ sagte er ernst, langsam und deutlich, doch mit weicher Stimme.
Und damit begann jenes Vorspiel, das ein paar Tage später solche Folgen nach sich ziehen sollte. Heute kann ich bei meiner Ehre schwören, daß diese drei Banknoten mir gehörten, damals aber wollte es mein Unglück, daß ich zwar glaubte, sie gehörten mir, aber leider nicht ganz fest davon überzeugt war: ein leiser Zweifel war doch noch in mir, und für einen anständigen Menschen bedeutet das alles. Und ich bin ein anständiger Mensch. Auch wußte ich damals noch nicht, daß Aferdoff ein Dieb war; ich kannte nicht einmal seinen Namen, und in dem Augenblick konnte ich wirklich glauben, daß ich mich getäuscht hätte, und diese drei Banknoten nicht zu denen gehörten, die mir soeben ausgezahlt worden waren. Ich hatte mein in Haufen liegendes Geld nicht gezählt und nur so mit den Händen zusammengescharrt. Vor Aferdoff aber hatte die ganze Zeit gleichfalls Geld gelegen, gerade neben dem meinen, nur mit dem Unterschied, daß sein Geld geordnet und gezählt war. Doch Aferdoff war hier bekannt, man hielt ihn für reich und benahm sich ihm gegenüber mit Ehrerbietung: das beeinflußte nun auch mein Verhalten, und ich protestierte wieder nicht. Es war ein großer Fehler von mir! Die größte Schweinerei aber bestand darin, daß ich von Spiel und Gewinn so berauscht war.
„Es tut mir sehr leid, daß ich das nicht genau weiß, aber es scheint mir durchaus mein Geld zu sein,“ sagte ich, und meine Lippen zitterten vor Unwillen. Diese Worte riefen sofort allgemeines Murren hervor.
„Um so etwas zu behaupten, muß man es ganz genau wissen, Sie aber sagen ja selbst, daß Sie es nicht genau wissen,“ bemerkte Aferdoff in unerträglich herablassendem Ton.
„Wer ist das eigentlich? Wie darf er sich so etwas erlauben?“ hörte man rufen.
„Das passiert ihm nicht zum erstenmal; vorhin hatte er mit Rechberg auch so eine Geschichte wegen eines Zehnrubelscheins,“ ließ sich eine gemeine Stimme neben mir vernehmen.
„Schon gut, schon gut!“ rief ich, „ich sage ja nichts, nehmen Sie sie nur! Fürst ... wo sind denn der Fürst und Darsan geblieben? Sind sie fortgegangen? Meine Herren, haben Sie nicht gesehen, wohin der Fürst und Darsan gegangen sind?“ Und nachdem es mir endlich gelungen war, mein ganzes Geld in meinen Taschen unterzubringen – ein paar Goldstücke behielt ich noch in der Hand –, eilte ich Darsan und dem Fürsten nach. Der Leser dürfte daraus wohl ersehen, daß ich mich nicht schone und in diesem Augenblick mit jeder häßlichen Einzelheit selbst zeichne, damit man verstehe, was daraus folgte.
Der Fürst und Darsan gingen bereits die Treppe hinunter, ohne mein Rufen auch nur im geringsten zu beachten. Ich hätte sie beinahe eingeholt, doch hielt ich mich einen Augenblick beim Portier auf, um ihm, weiß der Teufel warum, die drei Goldstücke in die Hand zu drücken; er sah mich nur verwundert an und dankte mir nicht einmal. Aber das war mir gleichgültig – und wenn mein Kutscher dagewesen wäre, so hätte ich ihm sicher eine ganze Hand voll Gold gegeben; ja, ich glaube, ich wollte es auch schon tun, aber als ich auf die Vorfahrt hinaustrat, fiel mir ein, daß ich ihn vorhin fortgeschickt hatte. In dem Augenblick fuhr der Traber des Fürsten vor, und er stieg in den Schlitten.
„Ich fahre mit, Fürst, ich komme zu Ihnen!“ rief ich und schlug die Schlittendecke zurück, um gleichfalls einzusteigen; doch statt meiner sprang plötzlich Darsan in den Schlitten, und der Kutscher riß mir die Decke aus der Hand und deckte die Herren zu.
„Zum Teufel!“ schrie ich außer mir. Es war ja, als hätte ich wie ein Diener für Darsan die Decke gehalten!
„Nach Haus!“ rief der Fürst dem Kutscher zu.
„Halt!“ brüllte ich und klammerte mich an den Schlitten, doch das Pferd zog an, und ich fiel in den Schnee. Mir schien, daß sie beide lachten. Ich sprang auf und nahm den nächsten vorbeifahrenden Schlitten. Ich trieb den Kutscher zur größten Schnelligkeit an und jagte nach dem Hause des Fürsten.