An diesem Morgen des fünfzehnten November traf ich ihn beim „Fürsten Sserjosha“. Ich war es auch gewesen, der ihn und den Fürsten wieder zusammengeführt hatte; aber ganz abgesehen von mir, hatten sie ja genug Berührungspunkte (alle diese früheren Geschichten im Auslande usw.). Außerdem hatte der Fürst ihm sein Wort gegeben, von der Erbschaft wenigstens ein Drittel an ihn abzutreten, was mindestens zwanzigtausend Rubel ausgemacht hätte. Ich weiß noch, mich wunderte es damals sehr, daß er nur ein Drittel und nicht die ganze Hälfte abtreten wollte; aber ich schwieg. Dieses Versprechen hatte der Fürst ganz aus eigenem Antriebe gegeben; Werssiloff hatte ihn mit keiner Silbe dazu veranlaßt, hatte nie auch nur ein Wort darüber fallen lassen; der Fürst war selbst damit hervorgetreten, Werssiloff aber hatte nur schweigend zugehört und auch nachher kein einziges Mal etwas darüber geäußert oder erwähnt, hatte auch mit keiner Miene gezeigt, daß er sich dieses Versprechens überhaupt erinnerte. Ich will hier gleich bemerken, daß der Fürst von Werssiloff in der ersten Zeit ganz bezaubert war, besonders von seinen Reden, die ihn geradezu begeisterten, und in dem Sinne hatte er sich auch mir gegenüber oftmals geäußert. Wenn wir beide allein waren, hatte er manchmal ganz verzweifelt über sich ausgerufen, er sei „so ungebildet, so unwissend, und auf einem so falschen Wege ...!“ Oh, damals waren wir noch so befreundet ...! Auch Werssiloff gegenüber bemühte ich mich immer, nur die guten Seiten des Fürsten hervorzuheben, und ich verteidigte oder leugnete sogar seine Fehler, obgleich ich sie selbst sah; aber Werssiloff schwieg dazu oder lächelte.
„Nun ja, mag er auch seine Fehler haben, aber jedenfalls hat er ebenso viele Vorzüge, wie er Fehler hat!“ rief ich einmal, als ich mit Werssiloff allein war.
„Gott, wie du ihm schmeichelst,“ lachte er.
„Wieso? Inwiefern schmeichle ich ihm?“ Ich verstand ihn zuerst nicht.
„Ebenso viele Vorzüge! Herrgott, da müssen doch seine Gebeine Reliquien werden, wenn er ebenso viele Vorzüge wie Fehler hat!“
Aber natürlich, das war kein Urteil. Und überhaupt schien er es damals gewissermaßen vermeiden zu wollen, von dem Fürsten zu sprechen, wie überhaupt von allem Gegenwärtigen und Dringenden; aber vom Fürsten besonders. Ich hatte schon damals den Verdacht, daß er beim Fürsten auch ohne mich vorsprach, und daß sie besondere Beziehungen hatten, aber ich ließ das zu. Ich wurde auch darüber nicht eifersüchtig, daß er mit ihm gleichsam ernster sprach als mit mir, sagen wir, positiver, und weniger Spott beimischte: ich war damals so glücklich, daß mir das sogar gefiel. Und ich entschuldigte es noch damit, daß der Fürst ja ein wenig beschränkt war und deshalb es nicht liebte, wenn man sich ungenau ausdrückte, und manche Feinheiten verstand er sogar überhaupt nicht. Aber siehe da, in der letzten Zeit hatte er angefangen, sich gewissermaßen zu emanzipieren. Seine Gefühle Werssiloff gegenüber begannen sich sogar zu verändern, was der feinfühlige Werssiloff natürlich sofort merkte. Ich muß noch erwähnen, daß der Fürst in derselben Zeit auch sein Verhalten zu mir änderte und sogar recht merklich; es waren nur gewisse tote Formen von unserer anfänglich fast glühenden Freundschaft übriggeblieben. Aber ich fuhr doch fort, nach wie vor zu ihm zu gehen. Übrigens, wie hätte ich nicht mehr zu ihm gehen sollen, nachdem ich nun einmal in alles das mit hineingezogen worden war! Oh, wie unschlau ich damals war! Und kann denn wirklich nur eine einzige Herzensdummheit einen Menschen zu einer solchen Einfalt und Erniedrigung führen? Ich nahm Geld von ihm und dachte, das hätte nichts auf sich, das müßte so sein. Übrigens, nein: ich wußte auch damals schon, daß es so nicht sein mußte, aber – ich dachte einfach nicht darüber nach. Nicht des Geldes wegen ging ich zu ihm, obschon ich das Geld furchtbar nötig hatte. Ich wußte, daß ich nicht des Geldes wegen ging, aber ich begriff, daß ich jeden Tag bei ihm erschien und mir Geld holte. Aber ich war im Strudel, und abgesehen von alledem, war etwas, – sang etwas ganz anderes in meiner Seele!
Als ich an jenem Morgen eintrat, ungefähr um elf Uhr, fand ich Werssiloff bei ihm und hörte noch, wie er gerade einen längeren Satz zu Ende sprach; der Fürst hörte zu und schritt im Zimmer auf und ab; Werssiloff saß. Der Fürst schien etwas erregt zu sein. Werssiloff regte ihn fast immer auf. Der Fürst war ein überaus empfänglicher Mensch, war es sogar bis zu einer Naivität, die mich in manchen Fällen veranlaßte, auf ihn herabzusehen. Aber ich wiederhole, in den letzten Tagen war in ihm ein gewisser boshafter Hohn zum Ausdruck gekommen. Er blieb stehen, als er mich erblickte, und in seinem Gesicht verzog sich etwas. Ich wußte im geheimen, wie ich mir diesen Schatten an diesem Morgen zu erklären hatte, aber ich hatte doch nicht erwartet, daß sein Gesicht sich in solchem Maße verändern werde. Es war mir bekannt, daß er eine Menge Unannehmlichkeiten hatte, aber das Abscheuliche war, daß ich nur den zehnten Teil dieser Unannehmlichkeiten kannte, – alles übrige war für mich damals ein Geheimnis, von dem ich nicht das mindeste ahnte. Das war um so abscheulicher und um so dümmer, als ich ihn oft großartig zu trösten versuchte, ihm Ratschläge gab und sogar hochmütig lächelte über seine Schwäche, „wegen solcher Lappalien“ außer sich zu geraten. Er aber schwieg dazu, und es ist unmöglich, daß er mich in den Augenblicken nicht furchtbar gehaßt hat; ich befand mich in einer gar zu falschen Stellung ihm gegenüber, hatte aber selbst nicht einmal eine Ahnung davon. Oh, ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich von der Hauptsache wirklich keine Ahnung hatte!
Er streckte mir jedoch höflich die Hand entgegen. Werssiloff nickte mir zu, ohne sich unterbrechen zu lassen. Ich warf mich auf den Diwan. – Was war das überhaupt für ein Ton, den ich mir erlaubte, was waren das für Manieren! Seine Bekannten behandelte ich, als wären sie meine Bekannten ... Oh, wenn es doch eine Möglichkeit gäbe, alles das jetzt von neuem zu machen, wie anders würde ich mich jetzt zu benehmen verstehen!
Noch zwei Worte, damit ich es später nicht zu erwähnen vergesse: der Fürst wohnte damals immer noch in derselben Wohnung, die jetzt fast ganz von ihm eingenommen wurde; die Stolbejeff, der die Wohnung gehörte, hatte nur einen Monat in Petersburg verbracht und war dann wieder irgendwohin gereist.