Die Leiche des entschlafenen Staretz Sossima wurde zur Bestattung in der vorgeschriebenen Weise hergerichtet. Die verstorbenen Mönche und Einsiedler werden bekanntlich nicht gewaschen, denn es heißt im großen Ritualbuch: „Wenn jemand von den Mönchen zum Herrn eingeht, so reibe der dazu auserwählte Mönch den Körper des Entschlafenen mit warmem Wasser ab, wobei er mit dem Schwamme (mit einem griechischen Schwamme) auf die Stirn, auf die Brust, auf die Hände, Füße und Knie des Verstorbenen das Zeichen des Kreuzes mache, und das sei alles.“ Beim Staretz Sossima verrichtete diesen letzten Liebesdienst Pater Paissij eigenhändig. Nach der Abreibung zog er ihm das Mönchsgewand an und legte ihm den Priestermantel um, wozu er diesen, wie es die Vorschrift verlangt, etwas einschnitt, um damit die Leiche kreuzweise umwickeln zu können. Über den Kopf der Leiche zog er die Kapuze mit dem achtarmigen Kreuz. Doch wurde die Kapuze offen gelassen und das Gesicht mit schwarzem Flor bedeckt. In die Hände des Entschlafenen legte man ein Bild des Heilands. So wurde er gegen Morgen in seinen Sarg gebettet, der schon lange für ihn bereit gestanden hatte. Den Sarg beabsichtigte man aber den ganzen Tag in der Zelle stehen zu lassen, in demselben ersten größeren Zimmer, in dem der Verstorbene seine Gäste empfangen hatte. Da der Staretz ein höheres Gelübde als die anderen Priestermönche abgelegt hatte, so mußten diese wie auch die Priesterdiakonen an seinem Sarge nicht die Psalmen, sondern die Evangelien lesen. Gleich nach der Seelenmesse begann Pater Jossiff mit dem Lesen, da Pater Paissij den ganzen Tag und die ganze Nacht lesen wollte. Vorläufig jedoch war er sowohl, wie der Vorsteher der Einsiedelei, zu beschäftigt und mit anderem in Anspruch genommen. Es tat sich nämlich, je länger desto mehr, unter den Klosterbrüdern und auch unter den Weltlichen, die aus der Stadt in Scharen herbeiströmten, eine außergewöhnliche, ja sogar unerhört „ungebührliche“ Aufregung und ungeduldige Erwartung kund. Der Vorsteher und Pater Paissij taten alles, um die erregten Gemüter zu beruhigen. Als es Tag wurde, kamen aus der Stadt sogar Kranke, die noch andere Kranke herbeischleppten, besonders ihre kranken Kinder, als hätten sie dazu gerade diesen Tod abgewartet. Augenscheinlich hofften sie auf eine Heilkraft, die, wie sie glaubten, nicht ausbleiben und sich vielleicht unverzüglich nach dem Verscheiden des Staretz an seinem Sarge kundtun werde. Da sah man denn wieder einmal, wie sich alle bei uns daran gewöhnt hatten, den entschlafenen Staretz schon bei Lebzeiten für einen unzweifelhaft großen Heiligen zu halten. Und es waren das durchaus nicht nur Leute aus dem einfachen Volke, die mit ihren Kranken ankamen. Diese ungeheure Erwartung der Gläubigen äußerte sich fast wie eine Forderung, und zwar so unverhohlen, daß sie für Pater Paissij geradezu etwas Anstößiges hatte. Wohl hatte er Ähnliches vorausgefühlt. Aber dieser Andrang übertraf denn doch seine Erwartungen. Den aufgeregten Mönchen, denen er begegnete, sagte er daher mit ernstem Tadel: „Die Erwartung eines höheren Ereignisses so unverhohlen zu zeigen, ist eine Leichtfertigkeit, die höchstens bei einem Weltlichen verzeihlich wäre, sich für uns aber nicht geziemt.“ Doch man hörte wenig auf ihn, was er selbst sehr gut merkte und sich auch mit Unruhe im Herzen eingestand. Auch mußte er sich sagen, und es wäre nicht recht, dies hier zu verheimlichen, daß er bei sich in der Tiefe seines Herzens fast dasselbe erwartete, obschon er in der allzu aufdringlichen Erwartung der anderen nichts als Leichtsinn sah. Einige von den Gesichtern, die er in der Zelle erblickte, waren ihm ganz besonders unangenehm; sie erweckten in ihm ein gewisses Vorgefühl und peinliche Bedenken. So bemerkte er in der Zelle des Entschlafenen unter den sich herbeidrängenden Klosterbrüdern geradezu mit einem seelischen Widerwillen (worüber er sich selbst Vorwürfe machte) die Anwesenheit Rakitins und des Mönches aus dem fernen Obdorskschen Kloster, der sich immer noch bei ihnen aufhielt; alle beide schienen sie dem Pater irgendwie verdächtig, obgleich sie nicht die einzigen waren, die man hätte verdächtigen können. Der Obdorsksche Mönch fiel unter den übrigen Aufgeregten durch seine ganz besondere Geschäftigkeit auf: man konnte ihn überall antreffen, und überall hatte er etwas zu fragen und zu horchen, überall flüsterte er etwas mit geheimnisvoller Miene. Der Ausdruck seines Gesichtes war ungeduldig, und er schien sehr ungehalten darüber zu sein, daß das Erwartete noch immer nicht eintraf. Was aber Rakitin anbelangt, so war er im besonderen Auftrage Frau Chochlakoffs so früh in der Einsiedelei erschienen. Diese gute, doch leider charakterschwache Dame, die in die Einsiedelei nicht zugelassen werden konnte, war, als sie kaum erwacht und die Nachricht vom Tode des Staretz vernommen hatte, von einer so unbezwingbaren Neugier ergriffen worden, daß sie sofort Rakitin beauftragt hatte, an ihrer Stelle alles zu beobachten und sie „brieflich sofort und in jeder halben Stunde von allem zu unterrichten“. Sie hielt Rakitin für einen sehr gottesfürchtigen und gläubigen jungen Mann – so gut verstand er es, mit den Menschen umzugehen und sich jedem nach Wunsch anzupassen, wenn er darin nur den kleinsten Vorteil für sich erblickte.
Der Tag war klar und hell, und von den anwesenden Pilgern versammelten sich viele an den Gräbern der Einsiedelei, die am zahlreichsten in der Nähe der Kirche lagen, aber auch sonst in der ganzen Einsiedelei verstreut waren. Pater Paissij erinnerte sich plötzlich, als er durch die Einsiedelei schritt, Aljoschas, und es fiel ihm auf, daß er ihn schon lange, fast seit der Nacht, nicht mehr gesehen hatte. Kaum aber hatte er an ihn gedacht, als er ihn auch schon in der entferntesten Ecke der Einsiedelei, am Zaun, bemerkte, sitzend, auf dem Grabstein eines in hohem Alter verstorbenen Mönches, der seiner Taten wegen weit bekannt war. Er saß mit dem Rücken zur Einsiedelei, das Gesicht dem Zaune zugekehrt, als wolle er sich hinter dem Denkmal verbergen. Als Pater Paissij sich ihm näherte, bemerkte er, daß Aljoscha sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt hielt und bitterlich weinte. Er zitterte vor Schluchzen am ganzen Körper. Pater Paissij blieb eine Weile bei ihm stehen.
„Genug, mein lieber Sohn, laß gut sein, mein Freund,“ sagte er schließlich mitleidig zu ihm. „Warum tust du das? Freue dich und weine nicht! Oder weißt du denn nicht, daß von allen Tagen dieser sein größter Tag ist? Wo ist er denn jetzt, in diesem Augenblick? Vergegenwärtige es dir nur!“
Aljoscha erhob sein Gesicht, das, wie bei einem kleinen Kinde, von den Tränen ganz geschwollen war; doch ohne ein Wort hervorzubringen, wandte er sich wieder um und bedeckte es von neuem mit seinen Händen.
„Nun, meinetwegen,“ sagte Pater Paissij nachdenklich, „meinetwegen, weine denn, Christus hat dir diese Tränen geschickt. Diese Tränen der Rührung dienen nur zur Erhöhung deiner Seele und zur Erheiterung deines lieben Herzens,“ fügte er noch bei sich hinzu, als er Aljoscha verließ und liebevoll an ihn dachte. Übrigens beeilte er sich, von ihm fortzukommen, denn er fühlte, daß er sonst gleichfalls zu weinen anfangen werde. Inzwischen verging die Zeit; die Feierlichkeiten und Seelenmessen nahmen ordnungsgemäß ihren Fortgang. Pater Paissij traf wieder Pater Jossiff am Sarge des Verstorbenen an und löste ihn jetzt im Evangelienlesen ab. Es war aber noch nicht drei Uhr nachmittags geworden, als sich etwas ereignete, was ich schon am Ende des vorigen Buches erwähnt habe, etwas uns allen so Unerwartetes und das außerdem noch so entgegengesetzt der allgemeinen Zuversicht war, daß, ich wiederhole es, die ausführlichsten und albernsten Legenden von diesem Ereignisse sich bis auf den heutigen Tag in bewundernswert frischer Erinnerung, sowohl in unserer Stadt, als in der ganzen Umgegend, erhalten haben. Ich füge hier noch einmal von mir persönlich hinzu, daß es mir widerwärtig ist, dieses albernen, ärgerlichen und im Grunde genommen leeren und selbstverständlichen Ereignisses Erwähnung zu tun, und ich würde es bestimmt unterlassen, wenn es nicht auf die Seele und das Herz des späteren Haupthelden meiner Erzählung, Aljoscha, in gewisser Weise einen so außerordentlichen Einfluß gehabt hätte. Dies Ereignis führte gleichsam zu einem Bruch in seiner Seele, zu einem Wendepunkt in seinem Leben, und es festigte seinen Geist, indem es ihn zum erstenmal auf ein bewußtes Ziel hinwies.
Als man noch vor Tagesanbruch die zur Bestattung bereitete Leiche des Staretz in den Sarg legte und ihn in das erste Zimmer, in dem er früher empfangen hatte, brachte, da wurde unter den Anwesenden die Frage laut, ob es nötig wäre, das Fenster des Zimmers zu öffnen? Diese Frage, die irgend jemand nur beiläufig gestellt hatte, wurde nicht weiter beachtet und blieb ohne Antwort. Wenn man sie auch allgemein gehört hatte, so war sie höchstens von einigen der Anwesenden als Abgeschmacktheit bemerkt worden, da allen die Voraussetzung, die Leiche dieses Entschlafenen könne verwesen und ihr daher Verwesungsgeruch entströmen, eine Annahme zu sein schien, die nur Bedauern, wenn nicht Spott verdiene. So blieb die Frage unbeantwortet, da sie doch nur tadelnswerter Kleingläubigkeit entsprungen sein konnte. Man erwartete durchaus das Gegenteil. Und siehe, bald nach dem Mittag begann etwas, was von den Ein- und Ausgehenden zuerst nur schweigend und für sich im stillen bemerkt wurde, da jeder sich fürchtete, dem anderen seinen aufsteigenden Gedanken mitzuteilen – etwas, das sich aber um drei Uhr nachmittags schon so deutlich und unzweifelhaft bemerkbar machte, daß die Nachricht davon sich im Augenblick durch die ganze Einsiedelei und unter allen Pilgern und Gästen verbreitete und sogleich auch ins Kloster drang und die Verwunderung aller Mönche hervorrief. In kurzer Zeit erreichte sie auch die Stadt, wo sie alle, Gläubige wie Ungläubige, in höchste Aufregung versetzte. Die Ungläubigen freute es, und was die Gläubigen anbelangt, so fanden sich viele unter ihnen, die sich noch mehr darüber freuten als die Ungläubigen, denn: „die Menschen lieben den Fall des Gerechten und seine Schmach,“ wie der verstorbene Staretz mehr als einmal in seinen Unterweisungen gesagt hatte. Die Sache war kurz folgende: In der kleinen Zelle, in der der Tote aufgebahrt lag, begann sich mit der Zeit immer mehr Verwesungsgeruch bemerkbar zu machen, zuerst natürlich nur sehr wenig, doch um drei Uhr nachmittags war ein Zweifel nicht mehr möglich, und dabei nahm der Geruch immer noch zu. Ein solches Ärgernis, wie es sich jetzt auf so grobe Weise kundtat, war schon lange nicht mehr vorgekommen, ja aus der ganzen Vergangenheit unseres Klosters konnte man sich keines ähnlichen Falles erinnern. Die Folgen dieses Ereignisses waren fast unglaublich. Später, nach vielen Jahren, konnten sich einige unserer vernünftigeren Mönche, wenn sie sich dieses Tages bis in alle Einzelheiten erinnerten, nicht genug darüber wundern, wie dieses Ärgernis in solchem Maße hatte um sich greifen können. Denn auch früher schon war es vorgekommen, daß den Leichen mancher Mönche, die einen reinen und gerechten Lebenswandel geführt hatten und als gottesfürchtige Startzen gestorben waren, trotzdem Verwesungsgeruch entströmt war, ohne daß dadurch Ärger oder die geringste Aufregung hervorgerufen worden wäre. Freilich hatte es in unserem Kloster auch einige gegeben, die in hohem Alter verstorben waren, und von deren Leichen nach der Überlieferung kein Verwesungsgeruch ausgegangen sei. Diese Überlieferungen machten einen geradezu mysteriösen Eindruck auf die Brüderschaft, und die Mönche bewahrten sie im Gedächtnis wie etwas Herrliches und Wunderbares, wie die Verheißung eines noch größeren Ruhmes, der in Zukunft aus den Gräbern dieser „Heiligen“ aufsteigen werde, „wenn nach dem Willen Gottes die Zeit dazu kommt“. Besonders lebendig war das Andenken an den Staretz Hiob, der erst mit hundertundfünf Jahren gestorben und ein berühmter Glaubenseiferer, ein großer Faster und Schweiger gewesen war. Er war schon zu Anfang dieses Jahrhunderts gestorben, und sein Grab wurde mit besonderer und außerordentlicher Hochachtung allen zum erstenmal ins Kloster gekommenen Pilgern gezeigt, und geheimnisvoll wurde an ihm mancher großen Hoffnung Erwähnung getan. Es war dies dasselbe Grab, auf dem Pater Paissij Aljoscha sitzend angetroffen hatte. Wie an diesen an Altersschwäche verstorbenen Startzen, war auch die Erinnerung an einen vor nicht allzulanger Zeit verstorbenen Startzen, den großen Staretz Warssonofij, noch lebendig, denselben, von dem der Staretz Sossima die Startzenwürde übernommen hatte, und der noch bei Lebzeiten von allen das Kloster besuchenden Pilgern für schwachsinnig gehalten worden war. Von diesen beiden erhielt sich die Überlieferung, daß sie in ihren Särgen wie Lebende gelegen hätten, daß sie ganz unverwest begraben worden wären, und daß ihr Antlitz im Sarge geradezu geleuchtet habe. Manche wollten sich sogar noch auf das bestimmteste erinnern, daß ihren Leichnamen Wohlgeruch entströmt sei. Aber ungeachtet aller dieser Erinnerungen, ist doch schwer, zu erklären, warum beim Sarge des Staretz Sossima eine so alberne und boshafte Erregung sich kundtat. Was meine persönliche Meinung anbelangt, so meine ich, daß hierbei die verschiedensten Gründe und Ursachen zusammentrafen: wie zum Beispiel die eingewurzelte Feindschaft gegen das Startzentum, als eine schädliche Neuerung, wie sie im Kloster und in den Köpfen und Herzen vieler Mönche gehegt wurde. Dann freilich war es hauptsächlich der Neid auf die Heiligkeit des Entschlafenen, an die schon zu dessen Lebzeiten so fest geglaubt wurde, daß es geradezu verboten schien, dagegen zu sprechen. Denn obgleich der selige Staretz – nicht so sehr durch Wunder, als gerade durch Liebe – so viele an sich gezogen und um sich eine ganze Welt von Liebe geschaffen hatte, so hatte er sich nichtsdestoweniger, oder sogar gerade dadurch um so mehr Neider und infolgedessen auch erbitterte Feinde, offene und geheime, und nicht nur unter den Mönchen, sondern auch unter den Weltlichen geschaffen. Niemandem hatte er etwas Böses getan. Aber siehe da, es hieß doch: „Warum wird er für heilig gehalten?“ Schon allein diese eine Frage schuf, da sie immer von neuem wiederholt wurde, einen ganzen Abgrund von unersättlicher Bosheit. Darum glaube ich, daß viele, als sie von der Verwesung seines Körpers hörten und von der Schnelligkeit, mit der sie eintrat – es war noch nicht ein Tag nach seinem Verscheiden vergangen – sich unbändig freuten. Unter denen aber, die dem Staretz ergeben waren und ihn bis dahin geachtet hatten, gab es auch solche, die sich durch dieses Ereignis fast persönlich gekränkt und beleidigt fühlten. Die Begebenheiten trugen sich folgendermaßen zu.
Kaum hatte sich der Verwesungsgeruch bemerkbar gemacht, so konnte man schon am Mienenspiel der Mönche, die in die Zelle des Entschlafenen eintraten, erkennen, warum sie kamen. Sie traten ein, blieben eine Weile stehen, und beeilten sich dann, so schnell als möglich den anderen, der draußen wartenden Menge, die Nachricht zu bestätigen. Die einen von den Wartenden wiegten kummervoll das Haupt, andere aber konnten ihre Genugtuung nicht mehr verbergen, und die Schadenfreude sprach triumphierend aus ihren boshaften Blicken. Und niemand rügte sie, niemand wollte ein gutes Wort für den Toten einlegen, was doch sonderbar war, denn dem entschlafenen Staretz war immerhin über die Hälfte der Klosterbrüderschaft ergeben gewesen. Die Vorsehung aber schien selbst zu wollen, daß die Minderheit die Oberhand behielt. In kurzer Zeit erschienen in der Zelle auch weltliche Spione, die Gebildeten, die Klostergäste. Das einfache Volk ging nicht hinein, wenn es auch an der Pforte der Einsiedelei in ganzen Scharen gedrängt stand. Wahr ist, daß nach drei Uhr nachmittags, als die ärgerliche Nachricht sich schon verbreitet hatte, der Besuch der weltlichen Gäste sehr zunahm. Viele von den Weltlichen, die an diesem Tage vielleicht gar nicht erschienen wären und sogar überhaupt nicht die Absicht gehabt hatten, ins Kloster zu fahren, waren jetzt aus Neugier gekommen; unter ihnen befanden sich auch einige Persönlichkeiten von höherem Range. Übrigens wurde äußerlich der Anstand noch nicht verletzt, und Pater Paissij fuhr fort, mit strengem Gesicht und lauter Stimme fest und vernehmlich die Evangelien zu lesen, obgleich er schon lange die Unruhe um sich bemerkt hatte. Und schließlich drangen die Stimmen auch bis zu seinen Ohren, zuerst nur leise, doch allmählich immer vernehmlicher und kühner: „Da sieht man, daß das Urteil Gottes anders ist als das Urteil der Menschen!“ hörte er plötzlich neben sich sagen; ein Weltlicher, ein städtischer Beamter, hatte diese Worte ausgesprochen, ein schon älterer Mann, der sehr gottesfürchtig war und nun laut das wiederholte, was die Mönche sich untereinander schon seit Stunden zugeflüstert hatten. Das Schlimme aber war, daß sich in diesen Worten allmählich fast ein Triumph kundtat. Bald darauf wurde die mühsam bewahrte Haltung durchbrochen, und es schien sogar, daß alle sich geradezu berechtigt fühlten, sie zu durchbrechen. „Wie kommt das nur,“ sagten einige von den Mönchen, anfänglich noch bedauernd, „sein Körper war doch nicht fleischig und fett, er war doch so hager, nur Haut und Knochen, wo kann da der Geruch herkommen?“ – „Also kann das nur ein Fingerzeig Gottes sein ...“ fügten eilig andere hinzu, und ihre Meinung wurde sofort widerspruchslos angenommen. Man wies besonders darauf hin, daß der Leichengeruch bei einem gewöhnlichen und sündigen Sterblichen sich erst viel später hätte einstellen müssen, wenigstens nicht mit einer dermaßen auffallenden Schnelligkeit, im äußersten Falle nach vierundzwanzig Stunden. „Dieser ist aber der Natur zuvorgekommen, folglich kann es nichts anderes sein als ein Fingerzeig Gottes. Ja, ja, ein Hinweis Gottes ist es!“ Diese Auslegung machte einen großen Eindruck. Der bescheidene Pater Jossiff, der Liebling des Verstorbenen, wandte sich an etliche der Rädelsführer mit der Behauptung, daß es nicht überall so wäre, und daß es in der Rechtgläubigkeit ein solches Dogma gar nicht gäbe, wonach die Leichen der Gerechten nicht verwesen dürften, und daß das nur ein Vorurteil sei, da man an den allerrechtgläubigsten Orten, auf dem Athos zum Beispiel, an dem Verwesungsgeruch der Gerechten gar keinen Anstoß nähme und das Nichtverwesen der Leichen durchaus nicht das Hauptmerkmal der Verherrlichung der Geretteten sei, sondern die Farbe ihrer Knochen, nachdem die Leichen schon viele Jahre in der Erde gelegen hätten. „Wenn dann die Knochen gelb wie Wachs sind, so ist das das Zeichen, daß Gott den Entschlafenen verherrlicht hat; wenn sie aber nicht gelb sind, sondern schwarz, so bedeutet es, daß Gott ihn solchen Ruhmes nicht für würdig gefunden. So ist es auf dem Athos, an diesem großen Ort, wo die Rechtgläubigkeit sich von alters her unerschütterlich in der leuchtendsten Reinheit erhalten hat,“ schloß Pater Jossiff. Doch die Rede des frommen Paters machte gar keinen Eindruck; sie rief sogar spöttischen Widerspruch hervor: „Das ist alles nur Gelehrsamkeit und Neuerung, das lohnt sich gar nicht anzuhören,“ behaupteten die Mönche unter sich. „Bei uns ist alles nach dem Alten; als ob es heutzutage noch nicht genug Neuerungen gäbe! Soll man denn alles nachahmen?“ fügten andere hinzu. „Wir haben nicht weniger Heilige gehabt als sie. Die sitzen dort und haben unter dem Türkenjoch alles vergessen. Bei denen ist die Rechtgläubigkeit schon längst getrübt, sie haben nicht einmal mehr Glocken,“ meinten die Spötter. Pater Jossiff entfernte sich betrübt, um so mehr, als er selbst auch nur halb an seine Worte glaubte. Mit Schrecken aber bemerkte er, daß eine immer mächtigere Bewegung um sich griff und sogar der Ungehorsam sein Haupt erhob. Wie Pater Jossiff verstummten allmählich auch alle anderen vernünftigen Stimmen. Und siehe, bald waren alle, die den verstorbenen Staretz geliebt hatten und in frommem Gehorsam der Forderung des Startzentums gefolgt waren, maßlos erschrocken, und wenn sie sich begegneten, wagten sie kaum, einander anzublicken. Dagegen erhoben die Feinde des Startzentums stolz ihre Häupter: „Vom verstorbenen Staretz Warssonofij ist nicht nur kein Verwesungsgeruch ausgegangen, ihm ist sogar Wohlgeruch entströmt,“ sagten sie schadenfroh und fast triumphierend, „denn er hat nicht nur dem Startzentum gedient, sondern war selbst ein Gerechter.“ Die Folge davon war, daß sie den jüngst Verstorbenen zu verurteilen und zu beschuldigen anfingen: „Er hat nicht richtig gelehrt; er lehrte, daß das Leben eine große Freude und nicht eine Demütigung in Tränen sei,“ sagten einige von den Unintelligenteren. „Er glaubte nach der neuen Mode, und materielles Feuer in der Hölle erkannte er nicht an,“ fügten andere noch Unverständigere hinzu. „Im Fasten war er nicht streng, er erlaubte sich Süßigkeiten, den Tee trank er gerne mit Kirschenmus, die Damen schickten ihm alles zu. Darf denn ein Einsiedler Tee trinken?“ hörte man einige neidische Stimmen ausrufen. „Stolz aufgebläht saß er da,“ bemerkten immer erbitterter die Schadenfrohen, „für einen Heiligen hielt er sich, man warf sich vor ihm auf die Knie, und er nahm das als etwas Selbstverständliches hin.“ „Das Sakrament der Beichte hat er mißbraucht,“ tuschelten in boshaftem Geflüster die heftigsten Gegner des Startzentums, und das waren die ältesten und in ihrem Gottesdienst strengsten Mönche, aufrichtige Faster und große Schweiger, die zu Lebzeiten des Staretz geschwiegen hatten, jetzt aber plötzlich ihren Mund auftaten, was ganz besonders gefährlich war, da ihre Worte einen starken Einfluß auf die jüngeren, in ihren Anschauungen noch nicht gefestigten Mönche hatten. Sehr eifrig horchte der Obdorsksche Gast, der Mönch vom heiligen Silvester, auf alles, was man sprach, indem er tief aufseufzte und den Kopf hin und her wiegte: „Pater Ferapont hat gestern gerecht geurteilt, wie ich sehe,“ dachte er bei sich. Und siehe, da erschien Pater Ferapont plötzlich in eigener Person, um eine noch größere Verwirrung zu verursachen.
Wie ich schon früher erwähnt habe, verließ er nur selten seine kleine hölzerne Zelle im Bienengarten, ja er erschien sogar oft lange Zeit nicht einmal in der Kirche zum Gottesdienst, was man jedoch ihm, als einem Schwachsinnigen, nicht weiter nachtrug. Und schließlich wäre das auch nicht gut angegangen. Denn einem so großen Faster und Schweiger gegenüber, der Tag und Nacht betete (und oft auf den Knien liegend einschlief), wäre es geradezu kleinlich gewesen, die Einhaltung der Regeln, die für die übrigen vorgeschrieben waren, zu verlangen, wenn er sie nicht selbst einhalten wollte. „Er ist heiliger als wir alle und vollführt Schwereres, als die Regel verlangt,“ sagten dann die Mönche, „und wenn er nicht in die Kirche geht, so bedeutet das, daß er selbst besser weiß, wann er dahin zu gehen hat, er hat seine eigene Regel.“ Um die Möglichkeit solcher Unwillensäußerungen von seiten der Mönche zu vermeiden, hatte man Pater Ferapont denn auch ganz in Ruhe gelassen. Der Staretz Sossima liebte, wie allen bekannt war, den Pater Ferapont nicht sehr. Nun war die Nachricht, „daß das Urteil Gottes nicht dasselbe sei wie das der Menschen“, und daß dieses sogar „der Natur zuvorgekommen“ wäre, auch bis zu Pater Feraponts Zelle gedrungen. Es ist anzunehmen, daß der erste, der ihm diese Nachricht überbracht hatte, der Obdorsksche Mönch gewesen war, der ihn noch gestern besucht und tief erschüttert verlassen hatte. Ich muß auch noch erwähnen, daß Pater Paissij, der laut und vernehmlich am Sarge die Evangelien las, und daher nichts hören und sehen konnte von dem, was außerhalb der Zelle vor sich ging, in seinem Herzen doch das Hauptsächlichste richtig ahnte, da er seine Umgebung durch und durch kannte. Er war keineswegs aus der Fassung gebracht, sondern erwartete alles, was noch kommen werde, vollkommen furchtlos, wenn er auch dabei keinen Augenblick aufhörte, gespannt die Entwicklung der Aufregung zu verfolgen. Plötzlich vernahm er vom Vorzimmer her einen außergewöhnlichen Lärm, ungebührlich, anstößig in dieser ernsten Stunde. Die Zellentür wurde geräuschvoll aufgestoßen, und auf der Schwelle erschien – Pater Ferapont. Hinter ihm her drängten sich unten an der Treppe, wie man aus der Zelle deutlich sehen konnte, viele ihn begleitende Mönche, unter denen sich auch Weltliche befanden. Sie traten indessen nicht ein und wagten auch nicht, auf die Treppe zu steigen; sie erwarteten nur, was Pater Ferapont sagen und tun werde. Ungeachtet ihrer Vermessenheit, fühlten sie doch mit einem gewissen Schrecken, daß dieser große Schweiger nicht umsonst gekommen war. Als Pater Ferapont auf der Schwelle erschien, erhob er seine beiden Hände: und da lugten hinter seinem rechten Arm die scharfen und neugierigen Äuglein des Obdorskschen Gastes hervor, der allein aus überwältigender Neugier Pater Ferapont auf die Treppe gefolgt war. Die anderen waren schon beim Geräusch der wuchtig geöffneten Tür zurückgeschreckt und drängten sich nun, von plötzlicher Angst ergriffen, noch mehr zurück. Pater Ferapont hielt die Hände empor, und plötzlich brüllte er laut:
„Austreibend werde ich dich austreiben!“ und sofort begann er, sich nach allen vier Seiten wendend, zu den Wänden und vier Ecken des Zimmers das Kreuzeszeichen zu machen. Diese Handlung Pater Feraponts verstanden alle, die ihn begleiteten, denn sie wußten, daß er immer so tat, wohin er auch kam, und daß er sich auch nicht früher hinsetzte, noch ein Wort sagte, bevor er die unreine Macht ausgetrieben hatte.
„Weiche Satan, weiche hinaus!“ wiederholte er bei jedem Kreuzeszeichen. „Austreibend, treibe ich dich hinaus!“ brüllte er von neuem. Er war in seiner groben Mönchskutte und mit einem Strick umgürtet. Aus dem sackleinenen Hemde blickte seine mit grauen Haaren bewachsene Brust hervor. Er war barfüßig. Sobald er seine Hände erhob, rasselten und klirrten die schrecklichen Ketten, die er unter der Kutte trug. Pater Paissij unterbrach das Lesen, trat auf ihn zu und stellte sich in Erwartung vor ihn hin.
„Warum bist du gekommen, ehrenwerter Pater? Warum verletzest du den Anstand? Warum bringst du die fromme Herde in Verwirrung?“ fragte er und blickte ihn streng an.
„Wessentwillen ich gekommen bin? Wen fragst du? Wie glaubst du?“ schrie Pater Ferapont, der sich wie ein Einfältiger gebärdete. „Um hier eure Gäste, die unflätigen Teufel, auszutreiben. Ich sehe, daß sich hier ohne mich viele angesammelt haben. Mit einem Birkenquast will ich sie ausfegen!“
„Unreines willst du austreiben, selbst aber dienst du vielleicht dem Unreinen,“ sagte unerschrocken Pater Paissij. „Und wer kann von sich sagen, daß er ‚heilig‘ sei, etwa du, Vater?“
„Aas bin ich, aber kein Heiliger! In den Lehnstuhl setze ich mich nicht, und ich lasse mir nicht Verbeugungen machen wie einem Götzen!“ donnerte Pater Ferapont. „Heutzutage richten die Menschen den heiligen Glauben zugrunde. Der Verstorbene, euer Heiliger dort“ – dabei wandte er sich zur Menge und wies auf den Sarg – „hat die Teufel nicht anerkannt. Nur Abführmittel gab er gegen die Teufel. Die aber haben sich bei euch vermehrt, wie die Spinnen in den Ecken. Er selbst stinkt jetzt. Darin sehen wir einen großen Fingerzeig Gottes!“
Es war in der Tat einmal zu Lebzeiten des Staretz Sossima vorgekommen, daß einem Mönche die unreine Macht zuerst im Traume und später auch im Wachen erschienen war. Als er das voll Entsetzen dem Staretz mitgeteilt hatte, da war ihm von diesem ununterbrochenes Gebet und verstärktes Fasten angeraten worden. Als aber auch das nicht helfen wollte, da hatte der Staretz gesagt, er solle das Fasten und Beten nicht aufgeben, doch außerdem noch eine gewisse Arznei zu sich nehmen. Das hatte bei sehr vielen Ärgernis erregt, und sie hatten untereinander viel darüber gesprochen und die Köpfe geschüttelt, am meisten von ihnen aber war Pater Ferapont, dem einige der Tadler eiligst die in diesem besonderen Falle „außergewöhnliche“ Anordnung des Staretz mitgeteilt hatten, ungehalten gewesen.
„Weiche von hier, Vater!“ sagte befehlend Pater Paissij. „Nicht Menschen können darüber urteilen, nur Gott kann es tun. Vielleicht ist das ein Hinweis, den weder du, noch ich, noch sonst jemand zu begreifen imstande ist. Gehe fort von hier und bringe die Herde nicht in Verwirrung!“ wiederholte er mit fester Stimme.
„Das Fasten hat er nicht eingehalten, das dem Range eines Einsiedlers zukommt, deshalb ist uns dieser ‚Hinweis‘ geworden. Das ist klar und es zu verheimlichen ist Sünde!“ Der aus Rand und Band geratene Fanatiker konnte sich noch immer nicht beruhigen. „Mit Konfekt hat er sich verführen lassen, die Damen haben es ihm in ihren Taschen mitgebracht, süßen Tee hat er geschlürft, seinen Bauch hat er vergöttert, hat ihn mit Süßigkeiten angefüllt, wie seinen Geist mit anmaßenden Gedanken ... Darum hat er den Schimpf erlitten ...“
„Leichtfertig sind deine Worte, Vater!“ sagte mit erhobener Stimme Pater Paissij. „Ich bewundere dein Fasten und deinen Glaubenskampf, doch leichtfertig sind deine Worte, wie ein Jüngling redest du, der in der Welt noch unselbständig ist und von jungem Verstande. Gehe fort von hier, Vater, ich befehle es dir!“ rief drohend zum Schluß Pater Paissij.
„Ich gehe schon!“ murmelte Pater Ferapont einigermaßen verwirrt, doch seine Wut verließ ihn nicht. „Gelehrte seid ihr! Mit eurem hohen Verstande erhebt ihr euch über meine Nichtigkeit. Ich kam hierher mit geringen Kenntnissen, doch jetzt habe ich alles vergessen, was ich gewußt habe, Gott selbst hat mich Geringen vor eurer Gelehrtheit beschützt ...“
Pater Paissij stand festentschlossen dicht vor ihm. Pater Ferapont schwieg, und plötzlich wurde er traurig, stützte die eine Wange in die Hand, betrachtete den Sarg des entschlafenen Staretz und sagte in singendem Tone:
„Über ihm wird man morgen ‚Helfer und Beschützer‘ singen, den schönsten Kanon, über mir aber, wenn ich krepiere, nur ‚Welche Lebenswonne‘, das kleine Verslein!“ sagte er wehmütig und mit Tränen in den Augen. „Hoffärtig und aufgeblasen sind sie, das ist hier ein leerer Ort!“ schrie er plötzlich wieder wie wahnsinnig und winkte mit der Hand ab, kehrte sich um und schritt schnell die Stufen der Treppe hinab. Die unten wartende Menge wich zurück; einige folgten ihm, andere zögerten noch, denn die Tür der Zelle stand offen. Pater Paissij war Pater Ferapont auf die Treppe gefolgt und sah ihm nach. Der besessene Greis konnte sich noch immer nicht beruhigen: Kaum war er zwanzig Schritte gegangen, als er sich plötzlich zur Seite, zur untergehenden Sonne wandte, beide Hände erhob und, als ob man ihn niedergemäht hätte, mit großem Geschrei zur Erde niederfiel:
„Mein Gott hat gesiegt! Christus hat gesiegt über die untergehende Sonne!“ schrie er wie rasend, erhob die Hände zur Sonne, fiel mit dem Gesicht auf die Erde und weinte mit lauter Stimme wie ein kleines Kind. Er bebte am ganzen Körper und breitete seine Hände über die Erde aus.
Alles stürzte zu ihm, Ausrufe wurden laut, lautes Weinen ihm zur Antwort ... Ekstase ergriff alle.
„Seht, wer der Heilige ist! Seht, wer der Gerechte ist!“ ließen sich jetzt bereits ohne jegliche Scheu Stimmen vernehmen. „Seht, wer Staretz sein sollte!“ fügten noch andere erbost hinzu.
„Er will kein Staretz sein ... er selbst erkennt sie nicht an ... wird dieser verfluchten Neuerung nicht dienen ... ihre Dummheiten wird er nicht nachahmen,“ riefen wieder andere Stimmen, und wie weit das noch gegangen wäre, ist schwer zu sagen, wenn nicht gerade in diesem Augenblick die große Glocke angefangen hätte, zum Gottesdienst zu läuten. Da begannen alle sich zu bekreuzen. Auch Pater Ferapont erhob sich, bekreuzte sich und ging dann, ohne sich umzusehen und immer noch vor sich hinmurmelnd, in seine Zelle. Ihm folgten einige Mönche, doch waren es nur wenige; die Mehrzahl ging auseinander oder eilte zum Gottesdienst. Pater Paissij übergab den Lesedienst an Pater Jossiff und ging hinunter. Das ekstatische Geschrei des Fanatikers konnte ihn nicht wankend machen, aber sein Herz war betrübt, und er grämte sich um irgend etwas, – dessen ward er sich selbst bewußt. Er blieb plötzlich stehen und fragte sich: „Woher diese Trauer bis zur völligen Niedergeschlagenheit?“ und mit Erstaunen erkannte er, daß diese plötzliche Trauer von einem ganz kleinen und besonderen Zufall herrührte. Er hatte in der Menge, die sich am Eingang der Zelle drängte, unter den übrigen Erregten, auch Aljoscha bemerkt, und er erinnerte sich, daß er sofort bei seinem Anblick einen Stich im Herzen gefühlt hatte. „Ja ist denn dieser Jüngling wirklich meinem Herzen so wert,“ fragte er sich ganz verwundert. In demselben Augenblick ging Aljoscha an ihm vorüber, als eilte er irgendwohin, doch ging er nicht in der Richtung zur Kirche. Ihre Blicke begegneten sich. Aljoscha aber wandte schnell seine Augen ab und blickte zu Boden. An seiner Miene erkannte Pater Paissij sofort, daß für den Jüngling der Augenblick einer großen Umwandlung gekommen war.
„Hast auch du dich hinreißen lassen?“ rief Pater Paissij aus, „ist es möglich, daß auch du zu den Kleingläubigen gehörst?“ fügte er traurig hinzu.
Aljoscha blieb stehen, sah unsicher und unbestimmt Pater Paissij an, wandte aber schnell seine Augen von ihm ab und senkte den Blick wieder zu Boden. Er stand halb abgewandt, ohne sich zum Fragenden umzuwenden. Pater Paissij beobachtete ihn aufmerksam.
„Wohin eilst du?“ fragte er ihn wieder. „Es wird zur Messe geläutet.“
Aljoscha gab keine Antwort.
„Oder willst du das Kloster verlassen, ohne um Erlaubnis und ohne um den Segen zu bitten?“
Aljoscha lächelte plötzlich verzerrt und warf einen sonderbaren, sehr sonderbaren Blick dem fragenden Pater zu, dem er von seinem verstorbenen Lenker, dem früheren Beherrscher seiner Seele und seines Geistes, von seinem inniggeliebten Staretz, anvertraut worden war. Und ohne Antwort, wie vorhin, winkte er nur mit der Hand ab, als ob er sich um eine Ehrerbietung nicht mehr kümmern wollte, und verließ mit schnellen Schritten die Einsiedelei durch das Eingangstor.
„Wirst noch zurückkehren!“ murmelte leise Pater Paissij vor sich hin und blickte ihm in kummervoller Verwunderung nach.