Vorwort

Die „Brüder Karamasoff“ sind das Epos aller der dunklen Innenmächte, die durch das Russentum drängen. In seinen anderen Romanen, vor allem in „Rodion Raskolnikoff“ und in den „Dämonen“, hat sich Dostojewski mit erklärt zeitlichen Werten, moralkritischen oder kritischpolitischen, auf eine neue und großartige Weise auseinandergesetzt. In den „Karamasoffs“ dagegen ist Allgemein-Volkliches und im volklichen Sinne Ewiges ausgedrückt. Deshalb wirken jene in ihrer Knappheit und Schärfe fast wie Dramen, die „Brüder Karamasoff“ dagegen sind in der heiligen Schwere, mit der ihr erregender und leidenschaftlicher Inhalt vorgetragen wird, ein echtes Epos.

Zwar sollte noch ein großer Schlußteil das für alles Russentum geradezu typische Geschlecht der Karamasoff unmittelbar einführen in religiös-politische Gegenwartskonflikte. Ausdrücklich kündete Dostojewski an: „Dieser Schlußteil wird die Tätigkeit meines Helden (Aljoscha Karamasoff) in unserer Zeit bringen, gerade im gegenwärtigen Augenblick.“ Aber dieser Schlußteil ist ungeschrieben geblieben. Warum? Der äußere Grund lautet: Dostojewski starb über der Vollendung seines Hauptwerkes. Etwa vom Jahre 1870 an hatte ihn die Idee der „Brüder Karamasoff“ beschäftigt. Doch immer wieder schob sich zwischen die Niederschrift anderes: die „Dämonen“ und die Hauptmasse seiner kritischen Schriften, in denen er gleichfalls seine tiefsten und notwendigsten russischen Gedanken ausdrücken konnte – bis er dann endlich in den Jahren 1879 und 1880 sein Werk wenigstens zu der vollendeten und doch unabgeschlossenen Form brachte, in der wir es heute kennen. Das Jahr 1881 aber war dann, schon im Januar, das Todesjahr Dostojewskis.

Doch die Beziehungen zwischen der Entwicklungsgeschichte der Werke eines Genies und dem Leben des Genies pflegen niemals bloß äußerliche zu sein. Diese inneren Gründe, die Dostojewski verwehrten, das Epos der Karamasoff in einem Umkreise abzurunden, der alle russischen Möglichkeiten in der Summe erfaßte und aussprach, hat zuerst Mereschkowski klar erkannt: „Die ‚Brüder Karamasoff‘ zu Ende zu führen, das war, wie sich zeigte, unmöglich für Dostojewski, denn dieses Ende war im Leben noch nicht vorhanden; und als hätte er selbst gefühlt, daß er alles getan, was möglich war, verließ er das Leben – er starb.“ Gleichwohl liegt in den „Brüdern Karamasoff“ das Russentum, so weit es und so wie es sich bis heute entwickelt hat, in mächtiger Basis aufgerollt. Und vielleicht ist gerade ihr Prototypisches, daß Dostojewski wenigstens im Gedanken und in der Absicht den Versuch machte, den zentralen Ausdruck allen Russentums der Gegenwart wie der Zukunft aus dem Riesenplane zu heben. Das war nur möglich auf dem Wege einer vorbildhaften russischen Einheldigkeit, die an die Stelle des problematischen und nihilistischen Heldentums trat, das Dostojewski in seinen früheren Romanen auf dem Hintergrunde des leidenden und doch so wirklichen Heldentums in der russischen Volksbreite geschildert hatte. Von den drei Brüdern Karamasoff war Mitjä, der Enthusiast, der unendliche Lebensbejaher, die verkörperte Grundlage eines volklich-russischen Heldentums, in dem sich Güte mit Gewaltsamkeit, Empfindung mit Überschwang zu einer Einheit verband. Darüber hinaus sollte Aljoscha Karamasoff in der Kraft seiner naiven Reinheit zum russischen Einhelden auswachsen. Oder wäre nicht vielleicht doch Iwan Karamasoff, der Ideologe, dieser Einheld geworden? Aber hier bricht das Werk ab, wie hier das russische Leben abbricht, das nach außen als ein so festes und schweres Massiv erscheint und doch in seinem Innern von zersplitternden und zersetzenden Dualismen erfüllt ist, die sich nicht selbst befruchten, sondern eher gegenseitig aufheben.

Moeller van den Bruck.

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