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Die kleine Schwester tapste in gestrickten Pantöffelchen durch das große Zimmer, hielt lange Reden „Arra alla ulu Mamma“ und schien selbstsicher und lebensfroh. Das Band des einen Pantoffels war aufgegangen und schleifte nach. Fritz sah es aus seiner Spielecke, trat hinterrücks darauf und brachte die Kleine klatschend zu Fall. Schon war er zur Tür draußen und alarmierte die Küche: „Die Gretl ist hingefallen!“ Aus dem Kinderzimmer gellte Wehgeschrei. Im Nu war die Kleine aufgehoben, wurde gestreichelt, gehätschelt und mit Fragen bestürmt: „Hast du dir weh getan, mein Goldhaserle, mein einziges? Wo tut’s wehweh, wo, sag, Engele, süßes! Mach dem Teppich Dudu, mach ihm Dudu! Du! Du! Mein Schatzerle, mein goldenes!“ —

Abends im Bubenzimmer vertraute Fritz dem Max an: „Ich hab’ heut früh den Poporutscher umgeschmissen!“ und dachte sich damit die Hochachtung des anderen zurückzugewinnen. Doch kein Grinsen kam, kein beifälliges Knarren. Max zog sich wie vor einem scheußlichen Verbrecher zurück und bestimmte auch Felix zur gleichen Haltung. Die beiden berieten tuschelnd und mit entsetzten Seitenblicken. Fritz war übel zumut. Schließlich wurde ihm verkündet: „Morgen mittag wird’s gesagt!“

Nicht gleich, nicht morgen früh — morgen mittag! Fritz schlief nicht. Am nächsten Morgen flehte er um Schweigen und Nachsicht. Vergebens. Max sang ihm ins Gesicht: „Heute mittag wird’s gesagt, juja, wird’s gesagt, und der Stutzerle kriegt Dresch, ja kriegt Dresch!“ Felix nickte düster.

Bis zum Mittagessen lebte der Junge kaum. In allen Winkeln wurde ihm zugezischelt: „Jetzt sag’ ich’s — jetzt sag’ ich’s.“ Doch wurde nichts gesagt. Bei Tische hörte und sah er unzähligemal die drohende Geste des Anklägers. Schließlich holte Max hörbar Atem, warf ihm einen furchtbaren Blick zu, öffnete den Mund — und tat eine gleichgültige Frage. Fritz war halbtot.

Sie sagten es nicht, drohten nur tage- und wochenlang damit. So mußte Fritzl büßen.

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