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Nach dem Winterhalbjahr ist ein neuer Mitschüler eingetreten, Robert Henschel, der bisher in einem Jesuitenkonvikt erzogen worden war. Er ist sehr freundlich und gefällig, hat für jeden eine Schmeichelei zur Hand. Aber die Klasse mißtraut ihm. Dinge, die man ihm sagt, kommen auf geheimnisvolle Weise zur Kenntnis der Lehrer. Noch nie ist es gelungen, „den Neuen“ als Spion zu überführen. Aber der Verdacht ist da und will nicht verstummen: Wenn einer seiner Nebenmänner bei der Schularbeit einen Schmöker benutzt oder während einer Stunde für die nächste lernt — immer werden sie erwischt. Nachher kommt Henschel und bemitleidet sie.

Fritz kann sich seiner Freundschaftsanerbietungen kaum erwehren. Henschel sitzt in seiner nächsten Nähe, macht sich während der Unterrichtsstunden an ihn heran, begleitet ihn nach Hause und trifft ihn wie zufällig auch auf dem Weg zur Schule. Immer wieder bringt er das Gespräch darauf, daß Fritz wohl sehr ungerecht behandelt würde, daß besonders der Katechet augenscheinlich ein Vorurteil gegen ihn habe. Niemand hätte ein Recht, einem Vierzehnjährigen vorzuschreiben, daß er unbedingt den ganzen Katechismus blind glauben müsse. Fritz sei eben offenbar sehr gescheit und habe wohl seine eigenen Gedanken — und ihm könne er sie ruhig anvertrauen. Das klang ehrlich und bieder. Und Fritz begriff oft selbst nicht, was ihn immer abhielt, dem Neuen sein Herz auszuschütten. Es war so viel in ihm, was nach Aussprache drängte. Denn seit dem Bruch mit Kolarczik und Schneider war er ohne Freund. Doch blieb er, fast wider Willen, verschlossen und ablehnend und ging nie auf eines der Gespräche über die Lehrer oder gar die Religion ein, die ihm der andere immer wieder nahe rückte.

Henschel blieb unverändert nett, war nicht loszuwerden. Dabei hatte er stets das Bestreben nach körperlicher Nähe, hängte sich unversehens eng an Fritzens Arm, preßte ihn an sich, streichelte ihn. Fritz fühlte sich unerklärlich abgestoßen dadurch und wurde noch abweisender. Henschel sagte ihm Schmeicheleien über sein schönes blondes Haar, über die herrlichen Augen und die geraden, schlanken Beine, und bekam dabei heiß glänzende Augen und feuchte Mundwinkel. Bald auch brachte er ihm Gedichte, „An Fritz, meinen liebsten Freund“; darin war, in schülerhaften Versen, von der Freundesliebe die Rede und von der Wonne des Kusses. Fritz fühlte Ekel vor diesen Gefühlsergüssen, wagte ihn aber nicht zu zeigen, denn noch war ihm der Grund unverständlich. Bis ihn Henschel eines Abends, nachdem er ihn auf dem Rückweg von der Turnstunde mit seltsamen Fragen und Andeutungen bestürmt hatte, in der Toreinfahrt des Elternhauses plötzlich in einen dunklen Winkel drängte, mit wütender Umschlingung überfiel und keuchend einen Kuß verlangte. Da schlug ihm Fritz mit aller Kraft ins Gesicht und floh die Stiegen hinauf. In der Wohnung fand er Betty alleine vor. Die Eltern waren mit Gretl spazieren gegangen und kamen wohl nicht so bald zurück. Die Köchin hatte Ausgang. In Fritz flog stürmische Erregung auf, sein Blut sang. Betty war eben dabei gewesen, das schwarze Kleid mit weißer Schürze anzulegen, das sie während der Mahlzeiten immer trug. Sie hielt die offene Bluse mit der Hand zusammen. Fritz stürzte sich auf sie, rang mit ihr, biß in die wehrende Hand, bis die Bluse aufsprang und die quellende Brust freigab. Fritz fühlte Angst, verbarg den Kopf in dem wogenden Fleisch, fühlte die flaumige Haut an Wangen und Ohren, biß und küßte sie. Das Mädchen wehrte ihm nicht, — krallte die Hände in sein Haar und preßte ihn enger an sich. Sie verkämpften sich wie junge Tiere, sanken keuchend zu Boden. Fritz rang haßerfüllt, mit drängendem Knie, den letzten leisen Widerstand nieder und nahm sich, was ihm plötzlich sein Recht schien. — Dann sprang er auf und stierte die Liegende böse an. Der Geruch warmen Mädchenfleisches, der ihn eben noch zu rasender Anspannung aller Kräfte aufgepeitscht hatte, schuf ihm nun würgenden Ekel. Das Mädchen richtete sich langsam auf, streckte mit scheuer Zärtlichkeit die Hand nach ihm aus. — Er stieß sie roh zurück und rannte aus dem Zimmer.

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