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Und wieder ist Sommer. Die Familie ist vollzählig. Felix hat seinen Referendar gemacht. Er sieht matt aus, überarbeitet, beinahe dürftig. Doch aus manchen Einzelheiten, aus dem merkwürdigen Knoten seines Selbstbinders, aus dem langen Nagel des kleinen Fingers, aus raschen, wissenden Blicken spricht die Großstadt, das freie Leben. Der Vater behandelt ihn durchaus nicht als erwachsen. Es fehlt nicht an Verweisen und Verboten. „Das Rauchen erlaube ich keinesfalls,“ sagt der Vater. „In meinem Hause gilt eben mein Wille. Und überhaupt du mit deinem Aug’ hast es schon gar nicht nötig, dich noch künstlich nervös zu machen!“ Das sagt der Vater und läßt die lange Pfeife qualmen. Felix sitzt stumm, mit rotem Kopf. Die Mutter schickt ihm beschwörende Blicke zu. Max aber faßt ihn leicht am Arm und deutet mit wegwerfender Gebärde nach dem Bubenzimmer.

Abends, im Dunkeln, flüstern die Brüder einander von Bett zu Bett wüste Erinnerungen zu. Fritz, den sie schlafend glauben, lauscht atemlos. Er glaubt die schwüle Luft der Nachtlokale förmlich zu riechen, Zigarettenrauch, Weindunst, aufreizende Parfüms. Vor seinen festgeschlossenen Augen tauchen unerhört üppige Frauengestalten auf, halb nackt, in märchenhaften Prunkgewändern. Eine wütende Sehnsucht nach Freiheit, nach Erwachsensein, nach Mitmachendürfen überfällt ihn quälend. Die Brüder erzählen kichernd weiter: von schweren, sinnlosen Räuschen, von Nikotinvergiftungen, von verliebten Kokotten, die aus Gefallen an der schneidigen Jugend Preisnachlässe gewährten; von nächtelangem Karten- oder Billardspiel. — Das war Leben! —

Einen Trost nur stellte er sich verbissen immer wieder vor: Betty hatte ihm erzählt, daß die Brüder beide sie mit Anträgen und Versprechungen bedrängt, und daß sie beide abgewiesen hatte: „Du bist mir lieber, du bist mir überhaupt der Liebste“, hatte sie hinzugefügt und ihn mit brünstiger Hingabe überwältigt. Fritz hatte sie gnädig gewähren lassen. Doch zog er heimlich unendliches Selbstbewußtsein aus seiner Rolle als wonnespendender Pascha und aus dem geheimen Sieg über die Brüder.

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